Briefwechsel Johann Philipp von Wurzelbau


Kurzinformation zum Brief  
Autor Wurzelbau, Johann Philipp (1651-1725)
Empfänger Junius, Ulrich (1670-1726)
Ort Nürnberg
Datum 21. März 1698
Signatur Universitätsarchiv Leipzig: Ms 01322, Bl. 374r-376r

[Bl. 375v: Anschrift]
Monsieur
Monsieur Ulric Juni
Mathematicién tres excellent
à Leipzig
franco

[Bl. 374r]
Sonders HochgeEhrter Herr


In Antwort meines HochgeEhrten Herrn sehr werthen von 21 Febrer[1] solle anvorderst berichten, daß ich bis anhero niemanden habe erfahren können, der auf künfftig seculum Ephemerides zu schreiben gesonnnen seÿe; so zwar für die Astrophilos eine sehr nuzliche Arbeit wäre, denen gemeinen Calenderschreibern aber auch zu ihren Mißbräuchen neuen Anlaß geben würde.   Was die tabulas astronomicas belanget, und welche aus so vielen zu solcher Arbeit zu erwehlen, da ist wohl guter Rath theuer, doch werden meines wenigen erachtens wohl die Rudolphines, ob sie schon da und dorten, zumahlen augenscheinlich circa motum Solis von denen observationibus bald excedendo bald deficiendo[2] abweichen, vor andern prostantibus[3], den preiß erhalten. Mr Ashe[4] A.o 1690 beÿ der Königl. Engl. Gesandschafft hoffprediger nun aber bischoff zu Dublin, berichtete mich zwar damahl aus Wien, daß Herr Flamsteed[5] die Rudolphinas valde erroneas[6] finde, dahero meistens seine eigene tabulas, assidua observatione valde correctas et probates[7], gebrauche, ob aber diese seithero zum vorschein gekommen, habe noch nicht erfahren. Es wäre eben zu wünschen, daß auf anstalt hoher Potentaten, zu auffnahm der Astronomie so wohl durch observiren alß die vorhandenen hypotheses und observata mehr zu excoliren[8], mithin die calculos zu perfectioniren eine ziemliche Anzahl hierzu qualificirter personen an

[Bl. 374v]
vielen nahen und weit entlegenen Orten hierzu bestellet und mit genügsamen unterhalt versehen würden, so hetten, wo nicht wir, doch unsere Nachkommen mehrern Gewißheit in astronomicis zu hoffen: Einzelne personen, die zumahlen anvorderst auf sustentationum families bedacht seÿ müssen, werden sumtibus privatis wohl etwan in einem und andern, doch an dem ganzen Werck nicht viel fruchtbarliches ausrichten: Herr Kirch[10] hat ehedessen in Seinen Ephemeridibus den motum Solis corrigirt auch damit ziemlich avancirt, massen dessen motus von meinem neuesten tabulis Solaribus (so ich aus meinen eigenen seither A.o 1682 und Berh: Walthers vor 200 Jahren alhier gehaltenen observationibus concinnirt[11], und ohne Ruhm zu melden mit fort und fort continuirenden observationibus nach wunsch übereinkommen) wenig abweichen. Gleiches hat er auch mit Jove A.o 1689 u. 90 tentirt, welches aber nicht so sehr gelungen seÿn mag, maßen nicht alleine Herr Flamsteed aus Seinen mir übersandten im Septembr: 1690 gehaltenen observationibus einen dissensum von 18.' deducirt, sondern auch ohne Zweiffel Herr Kirch dessen selbst wahr geworden, indeme Er in folgenden Jahren keiner correction motus Jovialis mehr gedencket? Horrocius[12] hat zwar in seinen epistolis Ao: 1638 albereit Rudolphinarum correctionem tentirt doch diese nicht allerdings selbst hernachmahlen bewähret befunden, jedoch treffen dessen numeri Lunares à Flamsteedio editi in eclipsibus ziemlich nahe. Ja ob immermehr tabulae astronomicae zu völliger perfection zu bringen seÿen, hirvon will selbst der fürtreffliche Herr Cassini Zweiffeln machen, wann Er in Seinen Reflexions

[Bl. 375r]
sur l' observation de Mercure dans le Soleil faite à la Chine l' an 1690 schreibet:[13] Il est incertain si l'on peut reduire ces mouvemens des noeuds à une regle constante; quoique les Astronomes supposent communement que tous les mouvemens celestes se peuvent reduire à des régles comprehensibles par l'esprit humain. Il les faut laisser dans cette hypothese, qui, vraye ou fausse, les encourage à faire leut possible pour y reüssir. L'experience des plusieurs siecles fait connoître qu'on approche d'autant plus qu'on compare ensemble un plus grand nombre d'observations exactes: neantmoins cette aproximation a des bornes qu'il n'y a pas d'apparence de pouvoir jamais passer. Il n'est pourtant pas inutile d'en approcher le plus prés que l'on peut.[14]   Wird es diesemnach auch soviel die wahl der tabularum astronomicarum betrifft heissen und damit sein bewenden haben. Benè qui conjiciet, Vatem hunc perhibeto optimum.[15] Die Acta Mens: Februarii habe albereit [er]halten aber zu durchsehen noch nicht genugsame Zeit nehmen können.   Herrn von Tschirnhaus[16] möchte wohl gegen künfftige Leipziger OsterMesse mit einem briefl aufwarten, aber zuvor berichtet seÿn, welch praedicat diesem Herrn gewöhnlich seÿe, man will mich alhier berichten Er seÿe auch Churfürstl. Sächsischer Rath. ob deme so, und was mehr hierinnen zur Nachricht dienlich, hette in beliebiger antwort auszubitten, worfür über mehrere Obligation verbl.

Meines HochgeEhrten Herrn

Nürnberg
21 Martij 1698.

Dienstergebener
JPWurzelbaur


[Zweiter Brief, Bl. 376r]


HochgeEhrter Herr

Alß mein Briefl. de dato albereit geschlossen und Herrn Schultheis[17] alhier an Sie Zu addressiren übersandt, empfange dargegen Meines Herrn geliebtes von 18 diß, sambt Act: Erud: Mense Februario: weilen aber dießen albereit alhier aus dem buchladen (wie seither anfangs gedachter Actorum nun soviel Jahre beschiehet) erhalten, alß habe dieses exemplar, alß überflüßig Herrn Schultheis widerumb zuruck gesandt, sage nichts destoweniger schuldigen danck darfür, wünsche gelegenheit zu haben, dero sonderbahre faveurs mit angenehmer diestfertigkeit zu erwiedern, referire mich im übrigen auff oberwehnt mein Schreiben verharrende

Meines HochgeEhrten Herrn

Nberg. 21 Martij 8.

dienstErgebener
JPWurzelbaur



Fussnoten

  1. Dieser Brief ist nicht überliefert.
  2. bald excedendo bald deficiendo; sinngemäß: bald vorauseilend, bald hinterherhinkend.
  3. prostantibus: zum Verkauf stehende Angebote.
  4. Georg Ashe (1657-1718) war ein irischer Mathematiker.
  5. John Flamsteed (1646-1719) war der erste Direktor der Sternwarte in Greenwich.
  6. valde erroneas: sehr falsch.
  7. assidua observatione valde correctas et probates: durch beharrliche Observationen sehr korrigiert und getestet.
  8. zu excoliren: hier: zu verbessern.
  9. auf sustentationum families: auf Unterhalt ihrer Familien.
  10. Zu Gottfried Kirch (1639-1710) siehe
    • Herbst, Klaus-Dieter: Gottfried Kirch. Astronom, Kalendermacher, Pietist, Frühaufklärer. Jena: HDK 2022
  11. concinnare: zusammen fügen.
  12. Jeremiah Horrocks (1618-1641) war ein britischer Astronom.
  13. Cassini, Giovanni Domenico (1625-1712, Direktor des Pariser Observatoriums): Reflexions sur l'Observation de Mercure dans le Soleil, faite à la Chine par la Pere de Fontenay Jesuite, l"an 1690, & publiée par le P. Gouye. In: Mémoires de mathématique et de physique tirés des registres de l'Académie Royale des Sciences, S. 65-73, hier S. 72
  14. Es ist ungewiss, ob man diese Bewegungen der Knoten auf eine konstante Regel reduzieren kann, obwohl die Astronomen gemeinsam annehmen, dass alle Himmelsbewegungen auf Regeln reduziert werden können, die für den menschlichen Geist verständlich sind. Diese Annahme, die, ob wahr oder falsch, sie ermutigt, alles Mögliche zu tun, um sie zu überwinden, muss man ihnen überlassen. Die Erfahrung vieler Jahrhunderte zeigt, dass man sich umso mehr annähert, je mehr genaue Beobachtungen man miteinander vergleicht, aber diese Annäherung hat Grenzen, die nicht so aussehen, als ob sie jemals überschritten werden könnten. Es ist jedoch nicht nutzlos, sich ihr so nahe wie möglich zu nähern.
  15. Benè qui conjiciet, Vatem hunc perhibeto optimum: Dieser Seher erreicht das Beste, der es gut errät.
  16. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) war ein vielseitiger deutscher Naturforscher.
  17. Es handelt sich möglicherweise um den Maler Erhard Schultheiß, der auch als Kunsthändler bezeichnet wurde.
    • Grieb, Manfred: Nürnberg Küstlerlexikon, Band 3. München: Saur 2007, S. 1394-1395
    • Roth, Johann Ferdinand: Geschichte des Nürnbergischen Handels. Dritter Theil. Leipzig: Adam Friedrich Böhme 1801, S. 130-131
    • Tacke, Andreas: "Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürnberg". München, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, S. 568-569


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