Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Landesregierung in Hannover
Ort Göttingen
Datum 29. August 1763
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 8213, Bl. 50r-51v
Transkription Hans Gaab, Fürth


Königlich Großbritannische zur Churfürstlich Braunschweig-
Lüneburgischen Landes Regierung höchstverordnete Herren
Geheime Räthe

Hoch- und Hochwohlgeborne
Gnädigste und Hochgebiethende Herren !


Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrne Excellenxes gnädigste Resolution von 22. August hat mich in die äuserste Verlegenheit gesetzet. Ich mußte darüber erstaunen, daß die hiesige Deputation diese Dinge nicht beßer verstehen sollte, als mich zu verleiten, die geforderten Puncten, die mir nun auf das ungnädigste abgeschlagen worden, von Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences unterthänigst zu erbitten, mit der beÿgefügten Versicherung, daß mir selbiges, wenigstens die Einsicht der Acten nicht könne abgeschlagen werden. Der ich am 23ten August zum andern mahl beÿ der Deputation erschien, so warf ich ihr dieses auf das Freÿmüthigste vor, und der Profes. Meister[1] konnte sich nicht anders als damit ausreden, man habe es nicht für jetzt, sondern für die Zukunft gemeÿnet, welches aber die Sache selbst auf das Deutlichste widerleget. Wenn man die Richter auf solchen krummen Wegen wandern siehet, was muß man wohl von Ihnen dencken? Zumahl da der Profes. Meister hier den Criminal process der Jugend lehren soll ! Ich verstehe die Rechte nicht: Ja! ich bin in meinem gantzen Leben nicht ein einiges mahl verklagt worden. Deswegen glaubte ich dem was mir die Deputation anrieth: und ich hatte Hoffnung, daß mir diese in höchster Unschuld gethane Bitte darum gewähret würde, damit ich alß bald alle mich angehende Umstände deutlich erläutern, und aus einander setzen könnte. So hätte diese fameuse Sache wenigstens für meine Person auf das geschwindeste entschieden werden können.

Nachdem ich diese abschlägliche Resolution erhalten habe, so war ich unendlich begierig die Ursache der Abschlagung, die denen Landes Constitutionen, und der Observanz gemäß seÿn soll, gründlich einzusehen. Ich ließ mir dahero die hiesige Criminal-Process-Ordnung erklären, und man communicirte mir die gedruckte Criminal-Instruction, die ich mit aller möglichen Aufmercksamkeit durchsuchte. Aber ein gräulicher Schauer fuhr mir durch die Seele als ich im XXVI. § des IV. Cap. folgende Stelle las: "Nach denenmahlen aber die Erfahrung vielfältig bezeuged, daß die Inquisiten gemeiniglich hiebeÿ nichts anders suchen, als nur von denen wider sie vorhandenen Indiciis Nachricht zu erhalten, so sollen denen Beschuldigten, damit

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er sich nicht auf Unwahrheit, und allerleÿ Ränke, seine Thaten zu verbergen gefaßt machen machen könne; die beÿ General-Inquisiton geführte Protocolle und Acten, in vorberührten Fällen zur Einsicht nicht vorgelegt, noch mitgetheilt werden": wodurch ich überzeugt wurde, daß Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences mich beÿ dieser Untersuchung nicht anders, als einen solchen Menschen behandeln laßen, den man wegen seines bekanten, und laut § X. Cap. IV übel berüchtigten Lebens schon vollkommen kennet: ja sogar als einen Dieb und Mörder anzusehen habe.

Nein ich hätte gantz gewißlich niemahlen um die Commission und Acten angeflehet, wann mich nicht selbst die Deputation dazu verleitet hätte. Eben so wenig, als ich mir während der General-Inquisition, beÿ Abhörung so vieler Zeugen, und beÿ der Einrichtung zur Special-Inquisition, wie ich es jetzt erst begreiffe, in die Gedanken kommen ließ, die Inquisition selbst von mir abzuwenden: da ich doch alle Kleinigkeiten, alle Verhöre, und Aussagen, und noch mehr als selbst die Acten enthalten sollen, von dem Publico erfahren habe: welches die Deputation wider ihren Eÿd und Pflicht und wider § X. des IV. Kap. der Criminal-Instruction als balden parallel in das Publicum verbreitete. Welche widerrechtliche, und meÿneÿdige Handlung eines öfentlichen Gerichts nothwendig auf das Schärfst zu untersuchen ist, wenn nicht die Academie selbst dadurch nothleiden soll.

Ich bin also zum Voraus, und vielleicht schon lange beÿ Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences durch die hier bekannte Bosheit des Michaëlis zu dieser Absicht angeschwärzet, und in das heßlichste Vorurtheil gesetzt worden: daß man mir nothwendig deswegen diese unschuldigste Bitte abschlagen mußte, die doch mit einem mahl alle nöthige Erläuterung hätte geben können. Da ich nun überzeugt bin, daß man von meinem Gemüths Character den allerniedrigsten Begriff habe, und mir nach diesen Vorurtheil begegne; so würde es eine wahre Schande für die hiesige berühmte Academie seÿn, wenn sie einen so sehr verabscheungswürdigen Menschen unter ihre Mitglieder zählen müßte. Deswegen ist es nothwendig, daß ich also bald mich dieses schmeichelnden Vorraths begebe, und das von Sr. Königlichen Majestät meinem allergnädigsten Herrn mir allergnädigst ertheilte Lehramt beÿ hiesiger Academie und den von Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences bisher mir beÿgelegten Tittel eines Königlich- und Churfürstlichen Professoris unterthänigst niederlege. Man kann also nunmehr beÿ der Inquisition um so viel schärfer gegen mich verfahren: die weil als denn der hiesigen Academie von denen Folgen, sie mögen ausfallen, wie sie wollen, keine Schande dadurch zuwachse, indem man keine Ursache mich zu menagiren[2] habe.

Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences geruhen, demnach gnädigst so bald es möglich ist mir meine gäntzliche Dimission von Sr. Königlichen Majestät zu verschaffen. Ich werde mich indeßen mit aller Gedult

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stille und ruhig verhalten, und als eine Privat-Person mich allen Verfügungen in diesen Schand-Proceß unterthänigst, und willigst unterwerfen: aber ich muß auch als dann, wenn ich unschuldig befunden werde, auf die gerechteste Genugthuung hoffen, die dem mir recht muthwilliger Weiß angehängten Schimpf und Spott proportionirt ist. Indeßen belieben Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences jemanden allhier auf zu tragen, mit mir wegen der übrigen Verbindung in Ansehung des Vorschußes, den ich leider in diesem Kriege, wie ich beweisen kann, mehr als doppelt verlohren habe, zu sprechen.

Es wird sehr leicht zu erkennen seÿn, daß mir dieser harte Schritt ein wahrer Ernst ist, indem ich keinen auswärtigen Ruff dabeÿ affectire, und, da ich vor zweÿ, und auch vor drey Jahren zwo sehr vortheilhafte Vocationen, die eine nach St. Petersburg, und die andre nach München ausgeschlagen, und noch dazu als ein redlicher Mann beÿ Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences keinen hier sehr gewöhnlichen Gebrauch davon gemacht habe: indem ich damahls unter der süssesten versprochenen Hoffnung, Göttingen allen anderen Oerter in der Welt vorzog; so strafe ich mich jetzt selbst dafür, und suche keine dieser angetragenen, und damahls von mir verachteten ansehnlichen Stellen, die noch bis heute unbesetzt sind, und vielleicht noch lange unbesetzt bleiben müßen, zu erlangen.

Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences können sicher glauben, daß mir dieser harte Schritte sehr schwer geworden ist, bis ich ihn gethan habe: und er kann mir gewiß nicht zur Thorheit angerechnet werden, wenn man unpartheÿisch meinen unterstellten Gemüths Character untersuchet, und meinen gantzen Lebenswandel, den ich so wohl hier in Göttingen, wo ich eine Trübsal und Verfolgung um die andere habe ausstehen müßen, als auch den, welchen ich zu Nürnberg in meiner völligen Jugend, und der damit verknüpften Lebhaftigkeit, und Munterkeit in einer unverrückten Zufriedenheit, geführet habe, sich beschreiben läßt. Es ist wahr, und das kränket mich auch in meinem Hertzen, daß durch meinen künftigen Abzug aus Göttingen meine Feinde ihre verschworene Absicht, mich von sich zu entfernen, erreichen, und daß sie darüber triumphiren werden. Allein ich stelle ihren Triumph dem allerhöchsten Käyser anheim! Vielleicht gehen Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen Excellences einmahl über kurtz oder lang die Augen auf, und sehen, was für Schlangen in Göttingen ernährt werden, die alles vergiften, was nicht selbst ihre Eigenschaften besitzet.

Unter unterthänigster Erflehung einer baldigsten und gnädigsten Resolution

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verharret in höchster Submission



Ew. Hoch- und Hochwohlgebohrnen
Excellences




Göttingen am 29ten Aug. 1763


unterhtänigster Diener
Georg Moritz Lowitz.



Fußnoten

  1. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  2. menagiren: mäßigen.


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