Widmung von Venatorius an Severinus Bonerus von Balitz 1544


Thomas Venatorius empfiehlt sich seinem hochverehrten Herrn und Schutzherrn, dem erhabenen Herrn Severinus Bonerus von Balitz, dem Besitzer auf Camienitz und Ogrodzenetz, dem Kastellan von Byereus, dem Burggrafen von Zuperrio und dem großen Prokurator von Krakau usw.

Alle, die sich bemühen, zu den höchsten Stufen der angesehenen Wissenschaften emporzusteigen, bemühen sich auch darum, mit den Ersten des Standes Kontakt zu haben, weil nämlich bei Missachtung der Ordnung der Vernunft notwendigerweise alles durcheinander gerät. Nicht weniger aber bei wissenschaftlichen Bemühungen als bei allen anderen Dingen wollte die Natur selbst, die Mutter der Dinge, dass es eine Ordnung gibt. Wie nämlich der, der begonnen hat, sein Haus von der Spitze des Daches aus zu bauen, seine ganze Mühe und Arbeit vergeblich aufwendet, weil er die Bedeutung des Fundaments außer acht gelassen hat, so dürfen diejenigen, die stehen bleiben statt die unermesslich weiten Felder der wahren Philosophie zu betreten und die zufrieden sind mit den Blumen nur eines einzigen Feldes, weder das Getreide selbst noch die reine Ernte sammeln oder wenigstens nach den Gebräuchen der Biene auskosten: Ich jedenfalls sehe nicht, wie sie unter die Gelehrten gerechnet werden können. Aber wir haben schon lange von unseren Vorfahren gehört, dass hierzu schrittweise, jedoch mit leichten Füßen, gegangen werden muss. Und nicht leichtfertig wird sich jemand in der Hinsicht, die Provinz [= die Ungebildeten] zu belehren, etwas anmaßen, weil auch ein Lehrer nicht der Gefahr entbehrt. Nicht selten nämlich dürfte die Arroganz den Lehrer begleiten, oft auch die Selbstgefälligkeit, von den Griechen Selbstliebe genannt. Diese zwei, gerade sobald sie den Geist eines Lehrers ergriffen haben, pflegen ihn selbst nicht so sehr der Gefahr eitlen Ruhmes als vielmehr dem Gespött des Volkes auszusetzen. Auch wenn ein Schüler der Welt verzagt erscheint, gerade wenn er sich trotz der Schwäche seines Geistes Gott anvertraut, so geht er doch in Sicherheit und ohne Gefahr spazieren. Wie auch immer dies sei, ich wünsche keineswegs, dass Ansehen der Ordnung [...] von unseren Studien auszuschließen, sondern vielmehr, dass das Ansehen der Ordnung für uns eine beständige Leitlinie ist [...]. Und völlig zu Recht wird von Gebildeten geglaubt, dass dies so ist. Bei den Elementen sehen wir nämlich, dass, sobald es bei der natürlichen Ordnung zutrifft, dass sie für sich weniger fest besteht, in der Luft Blitze, auf der Erde Erdbeben und auf dem Meer Überschwemmungen folgen, schließlich erleben wir, wenn die Ordnung außer Acht gelassen wurde, in den Städten und Familien Zwistigkeiten, in den Körpern Krankheitszustände: Und um Vieles mit einem Wort auszudrücken, in unseren Seelen werden Sünden herrschen. Wenn eine Beachtung der Ordnung bei der Natur aller Dinge so wichtig ist, warum sollte die natürliche Ordnung bei der Durchführung unserer Studien von uns in Unordnung gebracht werden? Sie würde aber in Unordnung gebracht werden, wenn wir anders als von ganz unten nach ganz oben streben würden. Und niemals nämlich wird einer die höchste aller dieser Disziplinen der Kreise vollenden, der irgendwelche kleinen Schritte verschmäht, um die große Gesamtheit der Bemühungen der Wissenschaften zu begreifen. Zur Betrachtung der allerhöchste Dinge wird der Geist nur durch bestimmte Schritte zugelassen. Ebendies scheint Plato gemeint zu haben, als er der Eingangshalle seiner Schule einschreiben ließ: Kein der Geometrie Unkundiger soll hier eintreten! Und wie sehr wollte er durch diese Zuschrift zu erkennen geben, dass diejenigen zum Begreifen der edlen Wissenschaften untauglich sind, die keine Grundlagen vor allem der Musik und Geometrie gelegt hätten. Denn natürlich können diese Wissenschaften die Bilder der Dinge, die wenigstens von menschlichen Bemühungen erfasst werden können, den Augen der Menschheit nahe bringen. Sicher führt die Geometrie unseren Geist endlich entsprechend seiner Ordnung möglichst weit von den vergänglichen Dingen fort, so dass er wünscht, nicht mehr auf der Erde ganz unten, sondern vielmehr am Himmel ganz oben sich aufzuhalten und von den Dingen selbst erfreut zu werden, die, wie sie höchste Güter sind, so niemals eine Veränderung zulassen. Und deshalb wird uns ein großer Teil der Heiligen Schrift unklar bleiben, wenn nicht ein frommer Leser dies durch gemetrische Verhältnisse prüft. Der Bau des Tempels von Jerusalem, wird er denn nicht mit großer Sorgfalt und Genauigkeit überliefert? Es könnte sein, dass völlig ungebildete Völker die Erkenntnis all dieser Dinge verzögern, wenn sie nicht durch geometrische Verhältnisse gerettet werden. Darüber hinaus andere Dinge, mit welchem Eifer schreibt das göttliche Wort vor, über die Konstruktion der Säulen? Und dazu dass alles auf geometrischer Berechnung beruhe, die Säulenlasten und die Säulenbasen, dann deren Windungen, oder wie beschaffen die Fußplatten sein müssen, zusammen mit den Zierleisten, Gürteln, Kehlen, Rillen, Kanneluren [Auskehlungen der Säule] und Architraven [Oberbau tragender Querbalken], wie lang, hoch und tief sie alle sein sollten, das hat der Heilige Geist äußerst weise durch geometrische Verhältnisse aufgezeigt hat. All dieses sollte wohl aufs deutlichste den Geist eines Menschen nicht nur zur Bewunderung, sondern zur Erkenntnis hinführen können. Ausgezeichnet hat sich in diesen Wissenschaften einst in Syrakus Archimedes, von dem man nicht weiß, ob er mehr die Lehre oder das Wohl seiner Heimatstadt liebte. Dieser hatte einige Dinge geschrieben, die, weil sie genauer waren, als dass ungebildete Köpfe sie sofort begreifen konnten, Eutocius aus Ascalon, der zu seiner Zeit gebildetste Mann, der von so reicher Begabung war und von allen geschätzt wurde, kommentiert [...]. Er ist wirklich ertragreich bei der Erklärung all der Dinge, bei denen Archimedes allgemein allzu unklar erscheinen könnte. Wir beschlossen die Schriften dieses Mannes, die bisher niemals in die Öffentlichkeit herausgegeben worden waren, unter der Schirmherrschaft gerade Deines Namens zu veröffentlichen. Weil Du es gewiss würdig bist, dass zu Deiner Vortrefflichkeit auch dieses Verdienst hinzukommt, dass der Ruf Deines Namen, der an sich tatsächlich schon hochberühmt ist, durch das Hinzukommen eines so bedeutenden Schriftstellers noch viel berühmter wird. Und weil Du es verdienst, dass ein öffentlicher Beweis meiner reinen Zuneigung zu Dir und zu Deiner Familie existiert. Du erhältst die Begründung für diese meine Tat: Ich pflege nämlich des öfteren Deine Klugheit bei der Übernahme wichtiger Dinge zu bewundern, Deine tapfere Geisteshaltung bei der Abwehr von Gefahren. Deine Zuverlässigkeit bei Versprechungen, Dein Engagement und Schärfe bei Beratungen und Deine Schnelligkeit bei der Erledigung wichtiger Geschäfte. Weil deshalb wahrhaft herausragende Eigenschaften in einem einzigen Mann versammelt sind, können sie nicht, außer von einem überaus gebildeten Mann, der Würde entsprechend beschrieben werden. Es schien mir wichtig, diese wenigstens jetzt erwähnt zu haben. Also lebe lange glücklich, in einem Zeitalter, das die Sibyllen überwindet, und besiege den uralten Nestor! Lebe wohl, aus Nürnberg, am 1. Januar im Jahre unseres Heils 1544!

 


Wir haben Reinhard Laudi (†) für umfangreiche Hilfe bei der Übersetzung aus dem Lateinischen zu danken.