Wohlgebohrener
Insonders hoch zu verehrender Herr Hofrath,
Geneigter Gönner!

Ew. Wohlgeboren werden sich meiner kaum mehr erinnern, da ich schon so lange aus Nürnberg gezogen,^[1] und seit dem nur ein mahl bey meinem letzten dortseyn^[2] deneselben zu Gesichte gekommen bin. Aber ich erinnere mich noch gantz wohl eines Versprechens welches ich Ew. Wohlgebohren damals, als ich die Ehre hatte mit meiner Frau in dero teuren Bibliothec zu seyn, die hiesigen seit meinem Hierseyn heraus gekommenen Disputationes zu übersenden. Der elende Krieg; das Absterben vieler guter freunde; und verschiedene wichtige Haus Creutze haben mich in Wahrheit verhindert, dieses mein Versprechen in Erfüllung zu bringen.

Eben jetzt zeiget sich mir eine vortreffliche Gelegen-

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heit, mich nemlicher Schuld zu entledigen. Der Überbringer dieses Herr Doctor Wrisberg,^[3] welchen die Königl. Regierung in Hannover auf Reisen sandt, und der nach seiner Zurückkunft gewiß eine Profession erhält, ist mein sehr guter Freund. Er wünschte höchstbegierig mit Ew. Wohlgebohren selbständig bekandt zu werden und bath mich daher sehr Ihm doch eine Recommendation an dieselben mit zu geben; da er es weis, daß ich ehemals das Glück und die Ehre hatte mit Ew. Wohlgebohren einige Bekantschaft gemacht zu haben. Aber was braucht ein Mann für Empfehlung, der sich durch seine gründliche Gelehrsamkeit und Meisterschaften jedermann selbst beliebt machen kan? Und sind Ew. Wohlgebohren nicht selbst der creutzseeligste Menschenfreund und Schätzer der Gaben eines Menschen? Beydes zusammen lässet mich, ohne Bitten, schon überflüssig hoffen: Ew. Wohlgebohren werden mit diesem meinem guten Freund vergnüget seyn. Er aber wird vollkommene Genugthuung erlangen. Dieser Hl D. Wrisberg wird die Ehre haben einen Pack

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hiesiger Disputationen Ew. Wohlgebohren zu überreichen. Ich habe selbige hier für dieselben gesammlet; zumal es werden vielleicht wenige fehlen, um gantz vollständig zu seyn. Darf ich gehorsamst bitten, durch jemand, ein Verzeichniß aller in dero Besitze sich befindenenden Göttingischen Disputationes machen zu lassen? Mir könte es zugesendet werden. Ich will alsodann mit dem größten Vergnügen mich bemühen, die übrigen fehlenden allhier auf zu treiben, und solche Ew. Wohlgebohren übersenden. Denn ich bin kein Medicus und folglich in der gelehrten Geschichte dieses Theils unerfahren. Aber ich werde doch gute freunde darzu gebrauchen können. Ubrigens wünsche ich daß Gott Ew. Wohlgebohren noch viele Jahre gesund und vergnügt erhalten möge! Ich bin mit der größten Verehrung und Hochachtung

Ew. Wohlgeboren

gehorsamster diener

Göttingen den 4^ten April
1764.

Georg Moritz Lowitz
Prof. der Mathematik

Fußnoten

1. ↑ Lowitz hat Nürnberg 1755 verlassen.
2. ↑ Im Oktober und November 1759 war Lowitz mit seiner Familie und einem Dienstmädchen erneut in Nürnberg. Vgl. sein Schreiben vom 17.08.1763.
3. ↑ Am 4. April 1763 war der berühmte Göttinger Gynäkologe Georg Roederer gestorben. Zu seinem Nachfolger wurde im Mai 1764 Heinrich August Wrisberg (1739-1808) ernannt. Der hatte im März mit einer Dissertation die Doktorwürde erlangt, und trat anschließend eine Gelehrtenreise durch Oesterreich, Süddeutschland, Frankreich und Holland an.