Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Reuter
Empfänger Bruder Reuter
Ort Göttingen
Datum 25. April 1765
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 5756, Bl. 240r-241r
Transkription Hans Gaab, Fürth


Mein lieber Bruder Rott[1].

Es hat mir gestern einer von meinen Kunden unter denen Professoren von dir eine ganz verteuffelte Neuigkeit erzählt. Gott strafe mich, wenn mirs geschehen wäre, was man sagt das dir geschehen ist, ich würde den Hundsfüttschen Lowiz auf der freien Strasse, so zwischen die Ohren schmeissen, daß er die schwehre Noth bekommen solte. Bedenke nur Bruder! Deine Jungfer Braut so zubeschimpfen! Diese vortreffliche Jungfer, welche sich allhier in der ganzen Stadt so ausserordentlich bekannt und berühmt gemachet hat! Die dich bald zu großen Ehren und Würden bringen soll! Die dir sehr viele gute Freunde in dein Haus bringen wird, wenn du nur einmahl deiner Profession wirst Abschied gegeben haben. Das ist hohl mich der Teufel nicht auszustehen! Aber sag mir doch nur um Gottes Willen, was bist du vor ein dummer Klooß? Warum hast du denn den Lowiz den Notarius nicht alsobald aus deinem Hauß hinaus geprügelt, als er dir die verdammte Prostituzion in die Hände gab? Beÿ meiner Seele! wenn mir einer so käme, ich wolte ihn an den Hals schlagen, daß ihm der Kopf bis nach Waake[2] springen solte. Dem müste das Donnerwetter in Million Tausend Granaten Stükgen zerschlagen, der mir solche vermaledeÿte Grillen in den Kopf sezen wolte, wie dir Lowiz durch die Ohren gejaget hat! Ich bin selbst so böse darüber daß ich mich gerne henken möchte, wenn du nur als denn meine Frau mit ihren drei Kindern heyrathen woltest. Der Raker ! Muß der solche ehrliche Leute wie ihr seÿd, so beschimpfen?

Aber liebes Herzens Brüdergen ! Weißt du denn auch die Ursache, warum der Schwehrenöther dieses gethan hat? Mein Kunde, den ich dir eben genannt habe, der hat mir solche erzählet: und mir ist es lieb, daß ich dir solche entdecken kann. Du weist dichs zu erinnern daß deine schöne Jungfer Braut zweimahl bey Lowizen gedienet hat. Das Erstemahl tändelten sie so vielmahl miteinander bis sie von ihm schwanger wurde. Als beide merkten, daß diese schlimme Sache nicht mehr zu ändern war, so ließ er sie aus seinem Hause gehen, ehe es noch jemand merken konte. Sie vermiethete sich auf ein halb Jahr zum Hofrath Michaelis[3]: und von da gieng sie nach Hauße, um sich von ihrer Bürde zu entladen. Es geschahe aber dieses nicht zu Münden wo ihre Eltern wohnen; sondern in Hämeln, allwo sie beÿ einer alten Pastoren Wittwe mit einer gesunden Tochter niederkam. Deine Jungfer Liebste gab sich damals für einen Sergeanten-Frau aus, und ihr Liebster, der Professor schrieb ihr auch unter dieser Adresse, und sendete ihr das benöthigte Geld durch ein hiesiges altes Weib zu, von welcher mein Kunde die ganze Geschichte erfahren hat. Nach Verfluß eines halben Jahres kam sie wieder in Lowizens Haus, und bald hernach wurde dies kleine Töchtergen der Frau Professorin unter dem Nahmen als deiner Jungfer Braut ihres Bruders Kind, vorgestellet, welches dieselbe sowohl als ihr gottloser Mann ganz reichlich beschenkte. Nachher wurde dieses unschuldige Kind wiederum nach Hämeln gebracht. Mein Kunde versicherte mich zugleich, daß jemand Mittel gefunden habe, diese Umstände der Frau Professorin zu entdeken; und diese gute Frau hatte die Großmuth einestheils der Pamela[4] nachzuahmen, und das Kind aufzusuchen, und ihm eine bessere Verpflegung zu verschaffen: anderntheils aber hat sie aus allzugrosser Liebe gegen ihren ausschweiffenden Mann, selbst deine Jungfrau Braut in jenem Betracht liebgewonnen, weil diense von ihrem Mann der Liebe und des Beyschlaffes gewürdigt worden ist,

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wodurch eine Frucht entstand welche die Frau Professorin als eine Schwester ihrer eignen Kinder ansahe. Diese Umstände werden dir mein Herzens=Brüdergen nunmehr alles erklären was in Ansehung deiner Jungfer Braut und dem Pofessor Lowiz, ohne deren Erkäntniß jedermann ein Räzel zu seÿn scheinet. Die ganze Stadt weiß es gewiß daß deine Jungfer Braut ein Kind abgeleget hat: nur ist der wahre Ort, und der Vatter unbekant. Leben thut es noch; denn vor kurzer Zeit hat man ihr dasselbe auf den Reutstall gebracht, und sie hat es verschiedenen Persohnen als ihre kleine Waase sehen lassen. Straf mich Gott Brüdergen! Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich wolte das Kind also bald zu mir ins Hauß nehmen, und den Professor Lowiz als eine keÿende milchende Kuhe gebrauchen. Dis wolte ich thun: und wenn du kein Narre bist, so wirst du dir diese schöne Gelegenheit auf alle Arten zu Nuze machen. Weil nun Lowiz, dein künfftiger Herr Schwager siehet, daß du seine alte Matraze heyrathen wilst, die er sich doch gerne beibehalten möchte; so will er dir wieder deiner Braut einen Argwohn, und eine eitle Furcht in den Kopfe sezen, damit du sie ihm unberühret lassen solst. Denn er ist ein so arger niedersüchtiger Hurenjäger, als je einer in der Welt gefunden wird. Ja, Ja! der Hund ist noch viel niedersüchtiger, als deine seelig verstorbene Frau war.

Noch eins lieber Bruder Rott! Es scheint, hol mich der Teuffel, als wenn deine Jungfer Braut auch selber genau mit meinem Kunden bekant wäre. Höre nur! was er mir als eine Gewißheit noch von ihr erzählte. Ein hiesiger schöner Offizirer der auf dem Reutstalle beständig aus und eingehet, soll ihm einstmahlen die gewisse Versicherung gegeben haben, daß er deine Jungfer Braut beständig brauchte. Um nun demselben die Gewisheit davon zu beweißen, beschrieb er ihm einen Umstand der ausserordentlich merkwürdig ist, und den mein Kunde nach gemachter Untersuchung auch richtig als wahr befunden haben will. Was meinst du wohl mein liebes Brüdergen was es ist? Tausend schwehre Noth Bruder! ich möchte selbst diese Besichtigung anstellen, wenn du sie nicht an deiner Braut vornehmen woltest. Wilst du es mir erlauben? Unten an ihrem Bauche auf der linken Seite, beiläuffig einer guten Hand Breite unter dem Nabel, gegen dem Einbug des linken Schenkels zu, soll ein schönes rundes gelbbraunes Fleckgen als ein Muttermahl, sizen, welches die Größe einer Linse haben möchte. Ist das wahr Brüdergen? Hast du ihren Bauch noch nicht angesehen? Siehe ja alsobald darnach so wirst du daraus erkennen, ob dieser Umstand gewiß ist oder nicht. Ich schwöre dir Brüdergen bei meiner armen Seele! wenn nur dieser einzige Umstand als wahr befunden würde, daß dadurch auch alles übrige, was man sonst noch mehr von deiner Jungfer Braut erzählen höret, wahr seÿn müste. Wilst du diese Untersuchung anstellen; so sey ja kein so dummer Narr und sage es ihr vorher. Die Weibsbilder sind, hol mich der Teuffel jezt so listig, als wie die schwehre Noth. Glaube mir Bruder!

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sie wärn kambabel und schnitte sich vorher mit der Schere dieses Flekgen aus der Haut es möchte ihr auch gehen wie es wolte, und du würdest sie gewiß nicht ehe von dieser schönen Gegend ihres Leibes zu sehen kriegen, bis die Wunde wieder zugeheilet wäre. Sie ist jezt deine öffentliche Braut, und lässet dich gewiß zu allen Zeiten, wenn es dir beliebet, drüber. Denn sie soll es unendlich gerne haben wenn ihrs einer thut. Du hast also die allerschönste Gelegenheit von der Welt, auf diese Art bald dahinter zu kommen, ob dieser Umstand wahr ist, oder nicht? und zugleich kanst du dabei erfahren, wieviel du Schwäger hast; und wer sie sind. Vornehm sind sie, das ist gewiß. Und wenn du klug bist, so kanst du auch aus dieser großen Freundschafft viel Ehre und solche großen Nuzen ziehen.

Ich hätte dir noch viel zu melden; aber das ist so verflucht, weil du nicht selbst lesen kanst. Es möchte einer des Teuffels darüber werden! Wenn man dir gerne Nachrichten geben will, und man weiß, es doch, daß du es dir durch andre Leute lesen lassen must. Lerne doch schreiben ins Teufels Nahmen! Du bist ja noch jung. Warte nicht bis dir deine zukünfftige Frau, an statt Schreibefedern, Hirsch Geweyhe hinter die Ohren steket! Dis geschiehet dir gewiß oder ich will ewig verdammet seyn. Hierbei verbleibe ich

Dein



Göttingen den 25. Aprilis
        1765.

getreuer Herzens=
bruder      
Reuter junior.

P. S. Es sind schon viele Abschrifften dieses
Briefes an ihre Behörde bestellet worden.
Du darfst dir daher des wegen keine
Mühe geben.



Fußnoten

  1. Der verwitwete Schneidermeister Johann Andreas Rott heiratete am 13.06.1765 Elisabeth Maria Becker, die im Text angesprochene Köchin. Vgl:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien. Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, S. 219, Fußnote 254.
  2. Waake ist eine Ortschaft ca. 5 km östlich von Göttingen.
  3. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  4. 1740 erschien der Briefroman Pamela, or Virtue Rewarded (Pamela oder die belohnte Tugend) des englischen Schriftstellers Samuel Richardson (1689-1761), der schnell ein Bestseller wurde. Der Roman schildert die Beziehung zwischen der 15jährigen Pamela und ihrem adeligen Herren.