Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Münchhausen, Gerlach Adolph von (1688-1770)[1]
Ort Göttingen
Datum 1. Januar 1767
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 8213, Bl. 150r-153r, 154r
Transkription Hans Gaab, Fürth


Hochgebohrner Reichsfreÿherr,
Höchst gebietender Herr Premier-Minister
Gnädigster Herr !


Der heutige Tag, der glückliche Anfang eines neuen Jahres, ertheilet mir die Erlaubniß, Ew. Hochgebohrnen Reichsfreÿherrlichen Excellenz mich mit einem Schreiben nahen zu dürffen, um Höchst denenselben theils die aufrichtigsten Gesinnungen meines Herzens in Ansehung Dero glückseeligen Wohlstands; theils aber auch meine Beträngniß unterthänigst vorzutragen.

Ich habe mit der vergnügtesten Freude gesehen und erlebt, daß GOTT in diesem Jahre die sehnlichsten Wünsche der aufrichtigsten Seelen, die für Ew. Hochgebohrnen Reichsfreÿherrliche Excellenz beÿ dem Anfange des nun mehr verflossenen Jahres, zu dem Himmel gesendet worden sind, nicht allein auf das gnädigste erhört, sondern auch gewährt hat: dafür derselbe von mir unendlich gedanket und gepreiset wird. Unter diesen nemlichen Empfindungen meines Herzens, fahre ich stätig fort Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrlichen Excellenz nicht allein für die stäte Zukunfft die dauerhafftesten Glückseeligkeiten

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aus Herzensgrunde anzuwünschen: sondern ich bitte GOTT unabläßig Höchst dieselben in seinem Allmächtigen Schutze zu erhalten: mit allen Dero Regierungs-Geschäfften den ersprießlichsten Seegen und das fruchtbarste Gedeÿhen zu vereinigen: alles reine vollkommene und unveränderte Vergnügen über Dero höchste Persohn, wie auch über Dero Frau Gemahlin Hochgebohrnen Excellenz, reichlich zu ergießen; so wird das Wohl derer Königl. u. Churfürstlichen Länder, gleichwie auch die Freunde und das Glück aller rechtschaffenen Unterthanen unsres allergnädigsten Königs und Herrens, zu seiner Höhe steigen, dahinauf es zu wünschen möglich ist.

Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherrl. Excellenz werden es leicht selbst gnädigst ermessen, daß ich in meiner täglichen Bitte an GOTT, welches ich für Höchst Dero beglücktes Wohl vor dessen Allwissenheit bringe, meine eigenen Angelegenheiten nicht ausschließen kan. Mein Seufzen und Flehen wird zu gleicher Zeit damit verknüpft, daß doch der allerhöchste Regierer der Welt in das Herz Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrl. Excellenz einen Strahl des göttlichen Mitleidens und des Erbarmens gegen meine unglückseeligen Umstände, die ich mir, wie es der allwissende GOTT weiß auf keine Art selbst zu gezogen habe, sondern die mir von meinen neidischen Feinden, und von der Betrügereÿ zu bereitet worden sind, wolle scheinen und entstehen lassen!

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Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherliche Excellenz können es sicher glauben, daß ich gegenwärtig unter einer sehr kränklichen Beschaffenheit meines Leibes, die gewiß nur von Ärgerniße, von Sorgen und von Kummer ihren Ursprung hat, in denen mißlichsten und erbarmenswürdigsten Umständen mich befinde. Da ich schon bald 4 Jahre ohne die geringste Einnahme leben,[2] und also schon eine geraume Zeit der nöthigsten Dinge zum Unterhalt des menschlichen Lebens und der Kräfften des Geistes entbehren muß: bloß darauf zu warten, bis es Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrl. Excellenz gefällig ist, meinem Elende, entweder durch die schon längst erbettene Untersuchung der Umstände meiner hieher Versetzung, und meines Weltkugeln Wercks: oder durch die Los-Sprechung von denen bewusten Forderungen und Ertheilung einer ordentlichen Dimission, ein Ende zu machen; damit ich einmahl mit Ehren von Göttingen abziehen könne.

Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherrl. Excellenz können mir dieses unmöglich zur Ungnade anrechnen, wenn ich mich der heutigen Gelegenheit bediene, meine unglückseeligen Angelegenheiten in Höchst Dero Gedächtniß zu bringen ! Da ich zu andern Zeiten mich nicht zu unterstehen vermögend bin, Höchst denenselben mit Klag und Bittschrifften beschwerlich zu fallen.   Ich flehe demnach Ew. Hoch-

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gebohrne Reichsfreÿherrliche Excellenz hiermit fußfälligst an ! meinen Kummer auf eine oder die andere Art ein Ende zu machen: und mir eine Resolution auf meine Vorstellungen und abgeforderte Erklärung gnädigst zu ertheilen. Sie mag ausfallen wie sie wolle, nur daß ich einmahl zum Ende komme: und daß ich weiß wie mein Schicksal beschaffen ist. Ich muß hier alles das Meinige verzehren, und endlich Hungers sterben ! woferne es nur noch ein viertel Jahr dauern sollte. Ich bin durch höchst Dero Verfügungen auf dem hiesigen Rathhauß gehindert etwas zu verkauffen, um mir und meinen Leuten das Brod zu verschaffen: da ich noch dazu die vergeblichen Licitations[3] Kosten habe erlegen müssen: und noch jährlich muß ich so schwehre Onera publica[4] ertragen, die ich in Zukunfft nicht mehr auf zu bringen weiß. Ein anderer als ich, würde in solchen Umständen schon längst sein Hauß zugeschlossen, und das Seinige dem Schicksal uberlassen, sich aber aus einem für ihn so unglücklichen Orte entfernet haben. Allein ich habe in meine ehemaligen Vorstellung, darinnen ich wegen der über mich verhängten schändlichen Inquisition meine Dimission erbetten, ausdrücklich die Erklärung von mir gestellt: so lange als die Untersuchung dauert, und so lange bis meine übrigen Angelegenheiten geendiget sind, als

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eine Privat-Persohn hier in Göttingen zu leben, und mich allen richterlichen Verfügungen gedultig zu unterwerffen.[5] Aber ich glaubte nicht, daß diese ein Jahr, viel weniger vier Jahre dauern sollte, ohne daß ich in dem einem so wenig, als in dem anderen hätte weiter kommen können ! Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherrlich Excellenz können es unmöglich wissen, wie empfindlich der Mangel quälet: und wie wehe es einem ohnedem bedrängtem Herzen thut, wenn es seine gerechteste Sachen auf allen Seiten mit Hindernissen verleget sehen muß! Da Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherrliche Excellenz die Ehre und das Aufnehmen der Georg Augustus Universität mit allem Rechte so sehr am Herzen lieget: so werden doch Höchst dieselben schon um deren willen meine Umstände einiger Betrachtung würdigen, da sie mit der Ehre dieser berühmten Universität auf verschiedene Arten in Verknüpfung stehen. Ich wäre schon längst verpflichtet gewesen dem Publico von meinen verunglückten Weltkugeln Wercke so wohl, als auch von der Ursache meiner Veränderung umständliche Nachricht zu geben. Allein die tiefe Ehrfurcht die ich Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrlichen Excellenz schuldig bin, hat mich bis hieher abgehalten einen solchen Schritt zu thun, welchen, ohne Höchst Dero

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Willen und Einstimmung, ich selbst als ein Vergehen ansehen müste, welches nicht zu verzeÿhen wäre, bevor Ew. Hochgebohren Reichsfreyherrliche Excellenz eine vollkommene Einsicht in diese wichtige Sache verschaffet worden ist. Darf ich mir wohl die unterthänigste Freÿheit nehmen, zu dieser Absicht Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrlichen Excellenz jemand allhier vorzuschlagen, welcher fähig ist Höchst denen selben aus eingene Wissenschafft und Einsicht die vollkommenste richtigste und wahrhaffteste Nachricht von denen Umständen und der Beschaffenheit meiner Weltkugeln Arbeit zu verschaffen? Es ist dieses der hiesige Herr Professor und Bibliothekarius Hamberger.[6] Ein Mann, dessen rechtschaffener und redlicher Character Ew. Hochgebohrnen Excellenz gewiß eben so bekant, als er hier im ganzen Publico bestimmt und festgesetzet ist. Niemand befindet sich sonst allhier, der alles mit einander so umständlich eingesehen und sichs bekant gemachet hat, als dieser Mann: und Niemand als dieser hat noch die Handschrifften gesehen, die mir jetz so glücklich in die Hände gefallen sind, um Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrl. Excellenz daraus beweisen zu können, wie sehr ich in dieser Sache durch den verstorbenen Rath Franz, und durch den Hl Hofrath Scheid[7] gemißbrauchet und hintergangen worden

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bin. Dieses kann unmöglich Ew. Hochgebohrnen Reichsfreÿherrlichen Excellenz gleichgültig bleiben, um nicht nähere Nachrichten und Erkundigungen darüber ein zu ziehen. Und wie gerne wolte ich auf den geringsten Winck, auch beÿ meinem jezt kränklichen Umständen mich versöhnlich vor die Füße Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrlichen Excellenz nieder werffen, um diese Sache zu einem Ende zu bringen, die Höchstdenenselben die gebührende Satisfaction, mir aber meine Gesundheit meinen Muth, ja mein Leben verschaffen könte !

Ew. Hochgebohrne Reichsfreyherrliche Excellenz erlauben gnädigst, diese einzige unterthänigste Bitte zu wagen! Eine Bitte, deren Gewährung mir wenigstens einen Funken der Hoffnung in mein gepreßtes Herze legen würde. Ich wünsche nichts, als daß es Höchstdenenselben gnädigst gefallen möchte mir durch Dero Kammer-Diener in einem Handschreiben die Nachricht zukommen zu lassen, ob ich bald eine gnädigste Resolution zu erwarten habe, oder wohin und an wen ich mich sonst mit diesen meinen Gesuchen wenden soll? Schon dieses sehe ich als eine ausserordentliche Gnade zu meiner Beruhigung an: und ich würde daraus die hinreichende Hoffnung schöpfen, daß Ew. Hochgebohrne Reichsfreÿherrliche Excellenz

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endlich meine Klagen über mein Unglück zu Herzen nehmen, und dasselbe gnädigst enden werden. Ich verharre in tiefster Submission


Hochgebohrner Reichsfreÿherr
Höchstgebietender Herr Premier-Minister
Gnädigster Herr



Ew. Hochgebohrnen Reichsfreyherrlichen
Excellenz


Göttingen am 1ten Jan.
        1767.

unterthänigster Knecht
Georg Moritz Lowitz.



Fußnoten

  1. Gerlach Adolph von Münchhausen (1688-1770) war Minister des Kurfürstentums Hannover. 1734 war er einer der Begründer der Georg-August-Universität in Göttingen. Ab 1753 war er als Kammerpräsident für das Ressort Finanzen zuständig.
  2. Mit Schreiben vom 29.08.1763 hatte Lowitz den Rücktritt von allen seinen akademischen Ämtern erklärt.
  3. Licitation: Versteigerung (Franz.).
  4. Onera publica: öffentliche Lasten.
  5. In seinem Rücktrittsgesuch vom 29.08.1763 hatte Lowitz geschrieben: "Ich werde mich indeß,en mit aller Gedult stille und ruhig verhalten, und als eine Privat-Person mich allen Verfügungen in diesen Schand-Proceß unterthänigst, und willigst unterwerfen" (Bl. 50v-51r).
  6. Georg Christoph Hamberger (1726-1773) war seit 1755 außerordentlicher Professor der Philosophie, ab 1663 ordentlicher Professor in Göttingen.
  7. Christian Ludwig Scheidt (1709-1761) war seit 1748 Hofrat und Bibliothekar in Hannover.


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