Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief  
Autor Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Empfänger Eimmart, Georg Christoph (1638-1705)
Ort Nördlingen
Datum 12. Dezember 1702
Signatur Nationalbibliothek in St. Petersburg: Ф 998, Vol. 4, Bl. 295r-296v
Transkription Hans Gaab, Fürth

Nordlingen 12. Dec:
1702.  

Hochgeehrter Herr Vetter![1]

Verhoffe es werde Selbiger nicht ungütig auffnehmen, daß ich, meinem neulich gethanen Versprechen nicht gemäß bin nachgekommen, und Ihr werthes Observatorium[2] noch einmahl besuchet, indeme solches einige unverhoffte Geschäffte und die Eilfärtig angetrettene Reise nicht anderst haben zugelassen, Inmittelst lebe der guten Hoffnung mein Hochgeehrter Herr Vetter werde inzwischen, wie jederzeit, das angenehme Uraniburg mit großen contentement[3] besuchet haben. Was mich anbetrifft bin ich unterdessen, weil ich nicht einen einigen Liebhaber der Astronomie allhier antreffe, um mich mit Selbigen darinnen zu divertiren,[4] ein wenig in Calculo Astronomico sec: methodum des raren Englischen Auctore der Astronomiae Carolinae neml. des Thomae Streetii occupiret gewesen,[5] und habe Ihn in seinem calculo sehr guth befunden, vornemlich daß Er in dem calculo Mercurii viel accurater als Keplerus gehet, wie auch solches Mercator in seiner Astronomia bekennet,[6] so daß solcher Auctor, weil Er überdeme den usum seiner Tabb: die in nicht gar vielen bestehen, in wenigen und deutlichen praeceptis zeiget, wohl meritirte, daß er denen Liebhabern der Astronomie auch bey uns in Teutschland bekannt gemachet würde, welches wohl anders nicht seyn könte, als wenn solcher aus dem Englischen in das Lateinische vertiret, und in Druck gegeben würde, ich meines Theils verstehen selbigen ohne Hülff eines Englischen Lexici bis dato sehr wohl, so daß ich wohl vermeynte, ich sollte einmahl meine Arbeit

[Bl. 295v]
hirinnen nicht übel anwenden, zumahlen wenn sich mein Hochgeehrter Herr Vetter gefallen ließe die version in die censur zu nehmen, diesem nun könte man füglich, (weil bemelde Astronomia nur aus 28. bögen bestehet, davon die Helffte die Theoriam u. die Praecepta, die andere Helffte aber die Tabb: und den canonem triangulorum Logarithmorum ausmachet) die Tabb: Rudolphines Kepleri a Morino anno 1651. Parisiis[7] ad facile compendium redactas beyfügen, weilen Sie nicht allein in eben den format, nemlich in quarto, sind, sondern auch fast einerley methode computandi loca planetarum primariorum haben; zweiffle nicht es solle dieses gute propor vielen liebhabern der Astronomie angenehm seyn, und sich auch ein Verleger finden, wovon mündlich ein mehrers. Damit ich aber endlich zu meinem Haubt Zweck gelange, weßwegen ich gegenwärtiges an meinen Hochgeehrten Hl. Vettern ergehen lasse, so ist vornemlich daß ich vor etlichen Tagen brieffe von Hl. Doct: Zumbach[8] aus Leiden dem Auctore des planetolabii[9] erhalten, der mich nebst einen unbekannten frl. gruß an meinen Hochgeehrten Hl. Vettern gebetten, ich mögte bey Ihnen um communication Ihrer nechst kommenden Jahr accuraten observationum Eclipsium Lunarium[10] solicitiren[11], mit versprechen daß er die Seinige dargegen wollte communiciren. Unter andern hat er mir

[Bl. 296r]
auch sein großes Vergnügen, welches er mit observierung des ♄ u. ♃ und einer Eclipseos primi Satellitis Jovis d 16. Aug: durch seinen 20schuhigen tubum, der sich gleichfalls von Hl. Hartsoecker[12] wie meiner von 22: Schu sich schreibet, gehabt, überschrieben u. anbey auch seine freude und vielfältiges nachdencken wegen Ihres curieuxen Phaenomeni de oscillatione Turrium &c:[13] gegen mich bezeuget, er will aber solches gar einer drückung oder Elasticität der Lufft zuschreiben, wie seine eigene wort es genug zu verstehen geben, wenn er alß schreibet. "mich dünckte es nicht gar ohngereimt zu seyn, so ich sagte daß dieses phaenomenon durch eine druckung oder Elasticität der Lufft selbst oder wohl gar des subtilioris aetheris (saltem hoc mediante) auff hundertfältige maniren geschehen könne, der Herr wird sich zu erinnern wissen über das Experimentum Herrn Hartsoeckers in Amsterdam wie der Sand in foco speculi caustici gestellt, durch die andringende Bewegung der radiorum solis jedesmahl verstäubt wird,[14] und nimmer zum stand oder fluß kan gebracht werden. Auch ist genugsam bekannt der Ascensus et Descensus ☿ii in Barometro (welches sonst ein sehr schwehres corpus ist) so durch die alteration der lufft verursachet wird, c." Soviel ist die Meynung des Hl. Doct. Zumbachs, nun mögte ich auch wohl meines theils des Hl. Flamsteeds[15] und der Englischen Societät Ihre meynung darüber vernehmen, sollte

[Bl. 296v]
mein Hochgeehrter Herr Vetter sonst kein bedencken darüber tragen, so wollte ich Sie frl. ersuchen, daß Sie, weil Sie ohnedem an Hl. Flamsteed wegen dergleichen observationen mehrerer stellarum fixarum zu schreiben gedencken, dieses curieuxe Phaenomenon Ihme u. der Societät proponiren mögte, ich weiß gewis daß es Ihnen sehr angenehm ist, wenn ausländische curieuxe Persohnen Sie mit Ihren Brieffen erfreuen, wenn mein Hochgeehrter Herr Vetter bald an den Hl. Flamsteed zu schreiben gedencket,[16] soll es mir sehr lieb seyn, bitte nur ohnbeschwerd den brieff in einen couvert an mich eingeschlossen, in mein Hauß zu schicken, da ich dann solchen bestand erhalten, und einen an Hl. Flamsteed von mir mit beyfügen werde, sollte mir aber anbey auch angenehm seyn, wenn ich solchen könte zu leßen offen überkommen. Soviel habe ich in Eil, bis auff mündliche conversation, so hoffentlich nach Lichtmeß geschehen soll, an meinem Hochgeehrten Herrn Vettern vermelden wollen, und anbey nochmahlen um die observatione Eclipsium Lunarium, (davon den 3. Jan: wie bekannt eine partialis, wenn das wetter favorable wird seyn, sich uns zeigen wird) frl. in Nahmen Hl. Doct. Zumbachs zu bitten. Inmittelst verharre ich nebst frl. Begrüßung an die Frau Liebste und Ihr Tochter von mir u. unsern ganzen Hauß, u. herzlichen Anwünschung eines in allen Stücken beglückten n. Jahrs


meines Hochgeehrten Hl. Vettern
Ergebenster diener  
J G Doppelmayr mpp  


Fußnoten

  1. Der Brief ist an Georg Christoph Eimmart gerichtet, mit dem Doppelmayr aber nicht verwandt war. Vetter wird hier als ehrende und vertrauliche Anrede verwendet, so, als ob man verwandt wäre.
  2. Eimmart hatte 1678 sich auf eigene Kosten auf der Vestnertorbastei nördlich der Nürnberger Burg ein Observatorium eingerichtet. Nach Eimmarts Tod wurde es 1705 von der Stadt Nürnberg angekauft, 1710 wurde Doppelmayr Direktor dieser Sternwarte.
  3. Contentement (franz.): Befriedigung, Herzenslust.
  4. Divertiren ist ein aus dem Französischen hergeleiteter Ausdruck für belustigen oder ergötzen.
  5. Thomas Streete (Street, 1621-1689) war ein englischer Astronom. 1661 hatte er seine Astronomia Carolina in London herausgebracht.
    Zu Streete vgl. Curry, Patrick: Prophecy and Power. Cambridge: Polity Press 1989, S. 34.
  6. Mercator, Nicolaus (1620-1687): Institutionum astronomicarum libri duo; de motu astrorum communi & proprio, secundum hypotheses veterum & recentiorum praecipuas, deque hypotheseon ex observatis constructione. London: Simpson 1676, S. 214: "Caeterorum Planetarum motus omnium optime colliguntur ex Rudolphinis, quas Keplerus ex observationibus maxime Tychonnianis concinnavit [...] Mercurii tamen motum rectius exhibent Philolaicae & Carolinae, quod earum authores adjuti fuerint iis observationibus, quas Keplerus frustra optaverat."
  7. Morin, Jean-Baptiste (1583-1656): Tabulae Rudolphinae Ad Meridianum Uraniburgi supputatae. Paris: Menard 1650.
    Das von Doppelmayr angegebene Jahr der Herausgabe ist geringfügig auszubessern.
  8. Lothar Zumbach von Koesfeld (1661-1727) hielt ab 1692 medizinische und astronomische Vorlesungen in Leiden. 1708 übersiedelte er nach Kassel, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Er war einer der wichtigsten Lehrer von Doppelmayr.
  9. Zumbach von Koesfeld, Lothar: Paradoxum Novum Mechanico-Astronomicum Hoc est Planetolabium. Leiden: Daniel a Gaasbeek 1691.
  10. Wie am Ende des Briefes erwähnt, gab es am 3. Januar 1703 es eine partielle Mondfinsternis, die Zumbach wegen starken Schneefalls nicht beobachten konnte. Vgl. Doppelmayrs Brief an Eimmart vom 5. März 1703.
  11. solicitiren: jemanden zu etwas anhalten.
  12. Im Brief an Allgoewer vom April 1701 erwähnt Doppelmayr, dass er einen "privatus", in Amsterdam besuchen will, der gute Teleskope herstellen soll. Damit dürfte Nicolaus Hartsoeker (1656-1725) gemeint sein, bei dem er offensichtlich seinen 22schuhigen Tubum bestellt hat.
  13. Vgl. dazu den Brief von Doppelmayr an Allgoewer vom April 1701 sowie die dortigen Anmerkungen.
  14. Hartsoeker scheint einfach feinen Sand in den Brennpunkt seiner Linsen gebracht zu haben.
  15. John Flamsteed (1646-1719) war der Direktor der Sternwarte in Greenwich. Doppelmayr soll ihn während seines Englandaufenthaltes persönlich kennen gelernt haben.
  16. Eimmart schrieb erst am 24. Oktober 1703 an Flamsteed, wobei er sich zu Beginn deutlich auf Doppelmayr bezog: "Der höchst angesehene Doppelmayr, ein Kollege, mit dem ich besonders eng verbunden bin und eine höchst angenehme Unterhaltung pflege, hat mich ermutigt deine gewichtigen Vorhaben mit diesen wenigen Zeilen zu unterbrechen."
    Dieser lateinische Brief befindet sich Eimmart-Nachlass in St. Petersburg (Bd. 2, Bl. 72) und ist als Brief Nr. 914 abgedruckt in Forbes, Eric Gray and (for Maria Forbes) Murdin, Lesley; Willmoth, Frances (Hrsg.): The Correspondence of John Flamsteed, the first Astronomer Royal. Vol. 3: 1703-1719. Bristol: Institute of Physics Publishing 2002, S. 29, hier S. 30 auch eine englische Übersetzung.