Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief  
Autor Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Empfänger Allgöwer, David (1678-1737)
Ort Leiden
Datum April 1701
Signatur Gottfried Wilhlem Leibniz Bibliothek Hannover: LBr 971, Bl. 60r-v (Abschrift)
Transkription Hans Gaab, Fürth

Msr Doppel majer aus Leiden[1]

- - - Mein quartier u: Tisch ist bey Hl. D. Zumbach,[2] welcher einer von den besten Mathematicis, die wir anitzo in Holland haben, ist. Es giebt dern von hier sehr wenig, und ist allso die Mathesis in keinem solchen großen flor mehr, als sie zu unsers Herrn Prof. Sturms Zeiten gewesen.[3] Kein pars in der Mathesi specialiori gehet hier mehr in Schwang, als die fortification; was die Mathesin universalem anlanget, so ist die Analysis allhier noch in sehr gutem Stand, und haben wir hier auch ziemlich viel gute Analysten, des Hl de Volders[4] Collegia Mathematica sind meistens von der Analysi; Mrs Hl Hospes machet auf den selbigen ziemlich Etat; vornehmlich aber excelliret Er allhier, was die Musique et Astronomie belangt. Die Musii weiset Er per certas regulas cum fundamento, auch Mathematice, so man es verlangt.[5] In der Astronomie zeiget Er die loca et motus planetarum proprios,[6] die sonst oft große difficultaten verursachen, ad quodcunque datum tempus ludibundo modo,[7] auf seinen von Ihm erst kürtzlich erfundenen planetolabio,[8] zu determiniren, auch alle phaenomena in coelo accurat zu praesentieren, worunter vornemlich die Eclipses, wie bekandt, zu rechnen, die von dem langwirigen calculo Astronomico, nicht über evt. minuten, wenn man solche auf dem planetolabio suchet, differiren, wie ich selbst oculatus testis sagen kan, als der ich anitzo in Eclipsibus determinandis eben in seinem collegio begrifen bin. Wie ich inzwischen schon seinen gantzen Tractat, den Er von dem planetolabio in 4to edirt, mit gutem vergnügen durchgegangen. Wird allso das Collegium künftige woche zu ende gehen. --- Wann ich nechsten Monath nach England überschiffe, so verhoffe daselbst einen schönen Englischen Tubum zu bekommen,[9] hier in Holland kann man nichts gutes mehr von dergleichen haben. Mein meisterstück in glas schleifen habe ich schon gemacht,[10] und habe mein erstes glaß in 5 lectio eben zu meinem guten vergnügen verfertiget, verhoffe es bald in guten stand zu bringen: vornehmlich trachte ich gute objectiv gläßer, die sehr weit hinaus tragen, zu schleifen, (welches die große kunst ist). Man hat iezt erfunden, wie man objectiv gläßer, die auf 20. 30. 50. 100. etc. Schuh hinauswerffen, ohne Schüßel verfertigen kan, die noch besser als die in Schüßeln seyn sollen. Es wohnet ein privatus in Amsterdam,[11] welcher darinnen excelliret, und schöne observationes mit seinen tubii machet, mit deme ich, so bald ich aus England werde zurückkommen, in gute Bekandtschafft auff gute Recommendation gelangen werde, in vielleicht auch zu dieser kunst --- Von der courieusen observation des Herrn Eimmarts möchte ich wohl beßer nachricht haben, u. wißen,[12] ob solche nicht vermittelst eines penduli et perpendiculi geschehen, dergleichen observation auch ein Frantzoß, nahmens Alexander Calignon ao. 1642 in Dauphine gehabt, da Er observiret, daß das perpendiculum zu gewißer zeit von seinem alten puncto abwiche, welches aber ein anderer Johannes Caramuel Lobkowits examiniret, und für falsch befunden, ob es nun deme so seye, müßen die oftmahlige acurat angestellte experimenta darthun.[13] --- Hr. Dr. Hofmann in Halle, hat, wie ich per literas berichtet, die Observationes Barometrico meterologicas Epidemicas cum dissertatio de origine ventorum edirt, in welchen Er per experimenta darthut, daß nach dem sich der wind befindet auch constanter ein ascensus oder descensus Mercurii in Barometro geschehe.[14] Hl. M. Beßelin hat neulich in Hall eine Disputation de Triplici Algebra Cartesiano Algorithmo gehalten,[15] unter anderen corolariis hat Er auch dieses mathematische enigma (welches ich monfrere pp. zu solvieren überlassen will) beygefüget:

Bis tria sunt septem, bis sex tantummodo sex sunt
Haec bene si numeres quatuor dant millia quinque[16]

[60v]
--- Noch eines fält mir bey zu vermelden, daß gantz neue globi werden in Amsterdam (weilen inzwischen die stellae fixae motu suo propria a principis ♈ um ein grad weiter vortgegangen,[17] und allso die alte nicht mehr so accurat seyn) von den Valken ex observationibus Hevelii accurate gemacht worden;[18] der diameter ist 10 Zoll. Es wird aber eben dieser Mann bald einen von 22 Zoll in diametro versetzen, da auf den höltzernen Horizons vielmehr noch stehen werde, als in den alten globis. Hen. Poiret habe ich inzwischen als ich mich in Leiden befunden etlich mahl in Rhynsburg,[19] so eine stund vor Leiden liegt, besuchet. Er ist ein Mann, von dem ich mehrern aestim, als von diesen manche, weilen Er mit einer wahren und soliden Erudition gegabet[!] ist. Sein Judicium von der Mathesi ist nun beßer, als vor diesen, welches Er in seinem buch de Er. solida[20] gab. Eben dieses buch wird bald vermehrter wieder aufgeleget werden, so zu guter nachricht dienen kann.

P.S.

Noch was neues muß ich vermelden, daß der Hl. Professor de Volder ein Tractat von dem Her. Hugenio von seinem Automate planetarum bald ediren werde.[21] Beÿ Hl. Volder ist sein Automaton zu sehen, so sehr courieus. Sonsten hat Hugenius Hl Volder unterschiedl: Scripta zum ediren hinterlaßen, die aber alle affecta sint.[22] Neul. habe in einer auction Habrechts Planiglobium coeleste et terreste, welches unser Hl. Professor Sturm edirt,[23] fast vor 5 Teutsche R. verkaufen sehen, die disputatio de Iride aber vor 1 R.   adieu


Ex responsione me ad Dn. Wagnerus 8. Julij 1701[24]


Fußnoten

  1. Diese Abschrift ist einem Brief von Rudolf Christian Wagner (1671-1741) an Leibniz beigelegt. David Allgöwer schrieb sich am 15. Juni 1701 in Helmstedt ein. Er hat wahrscheinlich den Brief aus Altdorf mitgebracht, von Helmstedt aus ging diese Abschrift über Wagner an Leibniz.
    Vgl. Mundhenke, Herbert (Bearbeiter): Die Matrikel der Universität Helmstedt, Band 3: 1685-1810. Hildesheim: Lax 1979, S. 61.
  2. Lothar Zumbach von Koesfeld (1661-1727) hielt ab 1692 medizinische und astronomische Vorlesungen in Leiden. 1708 übersiedelte er nach Kassel, wo er bis zu seinem Lebensende blieb.
  3. Sturm hatte sich 1660 ein Jahr in Leiden aufgehalten, wo er unter Johann de Raey (1622-1702) und Nicolai Goldmann (1611-1665) studierte.
  4. Burchard de Volder (1643-1709) war ein niederländischer Mathematiker.
  5. In seiner Historischen Nachricht von 1730 (S. 174) schrieb Doppelmayr, Zumbach gebe "denen Kunst-liebenden an die Hand / wie man vermittelst weniger Reguln / die er aus mathematischen Gründen deduciret und demonstriret / die musicalische Composition gantz richtig tractiren möge."
  6. loca et motus planetarum proprios: die eigentümlichen Orte und Bewegungen der Planeten.
  7. ad quodcunque datum tempus ludibundo modo: für jeden bestimmten Zeitpunkt auf eine spielerische Art und Weise.
  8. Zumbach von Koesfeld, Lothar: Paradoxum Novum Mechanico-Astronomicum Hoc est Planetolabium. Leiden: Daniel a Gaasbeek 1691.
    Tatsächlich hat Zumbach sein Gerät schon in seiner Köner Zeit entwickelt und es 1687 an Gottfried Kirch zur Begutachtung übersandt, aber anscheinend keine Antwort erhalten, vgl. Herbst, Klaus-Dieter: Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch. 3 Bände. Jena: IKS Garamond 2006, darin Brief 353 und 374.
    Wenn Doppelmayr davon spricht, dass Zumbach das Gerät "erst kürtzlich" erfunden habe, bezieht er sich auf dessen Schrift:
    Zumbach von Koesfeld, Lothar: Praxis Astronomiae Utriusque Ut Et Geographiae: Exercita Per Usum Globi Coelestis & Terrestris tum & Planetolabii. Amsterdam: Gerhard Valk 1700.
    Darin geht es aber nur um den Gebrauch des Planetolabiums, die Erfindung erfolgte deutlich früher.
    Doppelmayr hat das Gerät 1721 in seiner Dritten Eröffnung der mathematischen Werck-Schule Nicolai Bion (S. 85-97) beschrieben.
  9. Vgl. den Brief an Peter Kolb vom 6. Februar 1701.
  10. Wahrscheinlich lernte Doppelmayr das Glasschleifen in der Werkstatt des Johann Joosten van Musschenbroek (1660-1707), die zur damaligen Zeit die bekannteste Instrumentenwerkstätte in Leiden war.
  11. Mit dem "privatus" dürfte Nicolas Hartsoeker (1656-1725) gemeint sein.
  12. Dieses Experiment Eimmarts beschrieb Doppelmayr 1730 in seiner Historischen Nachricht (S. 128):
    "Ein anderes Experiment machte er weiter mit einem optischen Tubo, welchen er bey Tag auf ein weit entferntes unbewegliches Objectum, Z.E. auf die Spitze eines Thurns richtete, und dann auf das sorgfältigste bevestigte, wodurch ihme in wenigen Stunden die Erfahrung wiese, wie besagtes Objectum bald sichtbar, bald nicht mehr durch solche zu sehen war; die Ursach dieses Phaenomeni wollte Eimmartus anfänglich einem motui tremulo der Erden, der sich bey derselben stäten Umdrehung äussern mögte, attribuieren, er änderte aber nach mehr angestellten Untersuchungen seine Gedancken, und schriebe diese Variation vielmehr einer andern Ursach, und zwar der immer veränderlichen Refraction in der Lufft, vor welche sie auch Christ. Hugenius eine geraume Zeit zuvor wohl angegeben, zu."
    Auf das Thema kam Doppelmayr nochmals ausführlich im Brief an Goldbach vom 15. April 1738 zurück.
  13. Juan Caramuel Lobkowitz (1606-1682) hatte sich 1643 dagegen ausgesprochen, dass diese Experimente die Erdbewegung beweisen würden, Pierre Gassendi (1592-1655) hatte dazu einen Kommentar beigesteuert:
    Caramuel Lobkowitz, Juan: Perpendiculorum inconstantia ab Alexandro Calignono Nobili Delphinate excogitata; Petro Gassendo bona fide tradita, & pulchro commentario exornata. Löwen: Bouveti 1643
    Die Experimente des französischen Edelmanns Alexander Calignonius aus dem südfranzösischen Dauphine sowie die Einwände von Lobkowitz hat Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) im dritten Band seiner Mathematischen Erquickstunden von 1653 vorgestellt (S. 306).
  14. Hofmann, Friedrich (1660-1742): Observationes barometrico-meteorologicae, et epidemicae Hallenses anni MDCC: praemissae sunt Curiosae Physicae meditationes circa ventorum caussas, vires & operationes in corpora humana ac barometron &c. &c. Halle: Zeitler 1701.
  15. Beselin, Lucas (Praeses, um 1663-1702); Schuckman, Hermann Albrecht (Respondent): Dissertatio De Triplici Algebrae Cartesianae Algorithmo. Halle: Krebs 1701.
  16. Dieses Rätsel ist nur eine Spielerei um die Anzahl von Buchstaben bzw. Ziffern: "bis tria" enthält sieben Buchstaben, "bis sex" sechs Buchstaben; die Anzahl der Ziffern in 5000 beträgt 4.
  17. weil inzwischen die Fixsterne durch ihre Eigenbewegung vom Anfang des Widders um einen Grad weiter fortgangen.
  18. Diese Globen sind in Amsterdam von Gerhard (1652-1716) und Leonard Valk (1675-1746) hergestellt wurden. Zumbach hatte dazu die bei Hevelius zu findenden Sternkoordinaten auf 1700 umgerechnet. Johann Leonhard Rost schrieb 1723 in seinem Atlas coelestis portatilis (S. 129) über diese Globen:
    "ob man in Teutschland bessere oder nur ihres gleichen findet / ist mir unbewust. Indessen wäre es wol möglich / daß man sie eben so gut nachmachen könnte."
    Für Doppelmayr waren diese Globen Vorbild für seine eigene Produktion ab 1728.
  19. Der französische reformierte Theologe und Mystiker Pierre Poiret (1646-1719) lebte damals in Rijnsburg wenige Kilometer nördlich von Leiden.
  20. Poiret, Pierre: De eruditione solida, superficiaria, et falsa, libri tres. In quibus ostensa veritatum solidarum via & origine, Cognitionum Scientiarumque Humanarum, & in specie Cartesianismi, Fundamenta, valor, defectus & errores deteguntur. Praemittitur tractatus de vera methodo inueniendi verum. Confutationem fundamentorum libri Belgici de Mundo fascinato in fine obiter exhibens. Amsterdam: Andreas Petri 1692.
  21. Volder, Burchard de (Hrsg.): Christiani Hugenii Zelemii, dum viveret, toparchae Opuscula postuma quae continent Dioptricam; Commentarios de vitris figurandis; Dissertationem de corona et parheliis; Tractatum de motu; [Tractatum] de vi centrifuga; Descriptionem automati planetarii. Leiden: Cornelium Boutesteyn 1703.
    Nach Anweisungen von Huygens stellte 1682 Johannes van Ceulen (ca. 1630-1715) ein Planetarium her. Es ist heute im Museum Boerhaave in Leiden zu sehen. Vgl. auch die Seite von Maria Trepp.
  22. affecta sind: die alle anregend/interessant sind.
  23. Sturm, Johann Christoph: Isaaci Habrechti Planiglobium Coeleste Ac Terrestre. Durch Johann Christoph Sturm verbessert, vermehret und allgemeiner herausgegeben. Nürnberg: Fürst 1666.
    Isaak Habrecht (1589-1633) war Arzt und Astronom. Sein gleichnamiger Vater (1544-1620) ist der Erbauer der berühmten Straßburger Uhr.
  24. Hier folgt die Antwort von Leibniz an Wagner. Vgl. hierzu Brief Nr. 274 (S. 712-714) in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Dritte Reihe: Mathematischer, naturwissenschaftlicher und technischer Briefwechsel, Band 8, 2015.