Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief  
Autor Zumbach von Koesfeld, Lothar (1661-1727)
Empfänger Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Ort Leiden
Datum 11. November 1706
Signatur UB Basel: L Ia 730 Bl. 206r-208r
Transkription Hans Gaab, Fürth

WohlEdel= Hochgelehrter, Insonders
    Hochgeehrter Herr Professor,

Die weil der Herr Freher[1] /: welcher Mhhl. freundlich begrüßen läßet :/ vor 8 Tagen einige Kaufmanns=Wahren an Herrn Blomart[2] nach Nürenberg überschicket hat, so hat er zugleich die Astronomiam D. Gregori[3] und den Tractatum Opticum Newtonii[4] /: welche ich ihm schon vor zwey Monath behandiget hatte :/ darbey gepacket: Er hat mir auch die beyde Bücher bezahlet, wie auch die Fortification Coehorns,[5] und die Blätter de Antlia etc. Zusammen 18 gl. 18 st. Es wird Mhhl. auch dabey bekommen des H. Hartsoeker Tractatum Physicum, oder Conjectures Physiques Erster Theil,[6] welche gemeldter Herr mir zugeschicket hat, auf daß ich sie an Mhhl. in seinem Nahmen verehren und überschicken solle, mit freundlichster Empfehlung: Er hat mir auch gesaget, daß ich Mhhl. abrathen solle von dem Gebrauch der sehr langen Te-

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lescopien pro Usu terrestri, auß Ursach, daß ein Tubus mittelmäßiger Länge zu dem Ende viel beßer dienet, wie ich ihm dann gerne darin beyfalle, weil ichs selbst auf unsrem Observatorio unterschiedliche mahl probiret habe: Gemeldter Herr hat neulich in dem Monath Augusto seine beyde Söhne auf hiesige Universität gebracht, und sie in meinem Hause bestellet umb einen Cursum Mathematicum zu tradiren.[7] Ich erfreue mich unterdeßen sehr des großen Fleißes, den Mhhlr pro bono Mathematico et Physico anwendet und wünsche anders nicht, als daß ihre Conamina[8] mögen in Gloriam Dei et proximi salutem[9] gereichen: Hl. Muschenbroek[10] machet zweyerley Größen Antlias pneumaticas, wovon die kleinste Soort 100 Reichsthaler kostet. Die übrige verlangte Bücher habe bißhin noch nicht können bekommen. Übrigens sage ich Mhhl. freundlichen Danck vor die Communication der generale Observations Eclipsis Solaris, und erwarte mit Verlangen die spezialere Observation.[11] Unsere Holländische Post-Zeitungen haben uns nach der Zeit ge-

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schrieben, daß diese Sonnen-Finsterniß totalis gesehen ist zu Barcelona in Catalonien zur Zeiten des Aufbruchs der Belägerung cum mora '6 minut: ohngefehr eine Viertel Stunde nach 9 Uhren,[12] ferner hat mir der junge Hl. Tschirnhaus[13] (welcher hier studiert) gesaget, daß diese Finsterniß in der Lausnitz woselbst sein Hl. Vater[14] wohnet und daselbst durante Eclipsi varias observationes physicas et acusticas instituiret hat:[15] totalis cum mora 6. minut gewesen sey: die Observationes Berolinenses, Vratislavienses und andre sind mir von Hl. Hoffmann[16] communiciret worden: auch hat der Baron von Krosigk[17] verwichenen Sommer mir die Ehre angethan [mich] zu besuchen. Die Eclipsis Lunae Diei 21 Octobris so wie ich sie observiret habe ich aus meinem Diario ausgeschrieben folgender gestalt:[18]

Die 21 Octobris in meridie Horologium pendulum ostendebat horam 11. 59.' 40.'' Altitudo ☉ meridiana 27.o 14.'[19] stabat Notopeliotes, Aura valde serena et calidiuscula.

Vesperi hora 6. 95/6' /: in pendulo :/ initium

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Eclipsis: hora 6. 46.' Immersio Grimaldi. Hora 6. 53.' 8.'' erat altitudo Capitis Andromedae 46.o 8.' 30'': iterum hora 6. 58.' 43.'' ejusdem Altitudo 46.o 57.' 50.'' circa medium Eclipsis, partes micrometri Eclipsata 10½ /: quarum una facit 65'' :/ subtensa segmenti Umbrae et Lunae Eclipsati partium 30¾; hora 7. 40.' 11.'', erat Limbi occidentalis Lunae Azimuth a Merid. versus Ort. 76.o 6.½'. Altitudo inferioris Limbi 21.o 52.' 30.'' Emersio Maris faecunditatis hoar 8. 41.' 18.'' Mare griseum emergebat hora 8. 48.' 26.'' Finis Eclipsis hora 8. 52.' 8.'' sed incertum propter nubes. Mox post finem Diameter Lunae apparens observata 31 partium. Alta capella erat in pendulo hora 9. 9.' 29.''

Die 22 Altitudo ☉ meridiana inter tenues nubes capta 26.o 52.' 20.'' horologium in momento meridiei ostendebat horam 11. 59.' 28.'' Altitudo poli Leydensis in Observatorio 52. 10.'

Übrigens bin ich vollkommen Meister über das Observatorium, [...][20] Caracter und Traitament, das erste erwarte auch beschwerlich, weil es die Religion nicht zuläßet,[21] ferner möchte Mhhl wohl gebeten haben, daß

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Sie ohnbeschwert einige Eclipses primi Satellites Jovis wolten belieben zu observiren umb die Differentiam Meridianorum Leydensis et Noribergensis accurat zu wißen,[22] auch bitte mir umb die Communication der letzteren Eclipsis Lunae: Womit schließe nebst freundlichen Gruß von meiner Liebsten[23] und allen bekandten freunden an Mhl.


Mhhl. Professoris

Leyden, 11. Novembr.
    1706.

dienstwilligster freund
Lotharius Zumbach de
Koesfeld    


Fußnoten

  1. Wie aus Zumbachs Brief vom 24. Juni 1707 hervorgeht, heiratete der Kaufmann Freher am 23. Juni 1707 in Amsterdam Francoise Antonia van Beek. Er war bei der Hochzeit 30 Jahre alt, sie 20 Jahre. Nach den Kirchenbüchern von Leiden wurde am 29. Januar 1710 die Tochter Maria Johanna (1710-1717) und am 16. Mai 1714 der Sohn Nicolaas (1714-1782) getauft. Der Name des Vaters wird mit Christoffel Henrik Freher angegeben.
    Christoph Heinrich Freher war ein Enkel des Nürnberger Advokaten Paul Freher (1571-1625), der in zweiter Ehe Magdalena Camerarius, die Tochter von Philipp Camerarius (1537-1624) geheiratet hat. Mit ihr zeugte er eine Tochter und sechs Söhne.
    Der 1615 geborene Sohn Andreas heiratet 1646 Maria Magdalena Hardesian. Mit ihr zeugte er zwei Söhne:
    - Dionysius Andreas (1649-1728) wurde für seine Kommentare zu Jakob Böhme bekannt. Er lebte in London, wo er Kontakt zur Philadelphischen Gesellschaft um Jane Lead hatte. Hier traf in später Doppelmayr.
    - Carl Joachim (1655-1690) wurde Mediziner in Nürnberg.
    In zweiter Ehe heiratete Andreas Freher 1669 Margaretha Luther in Hamburg. Aus dieser Ehe ging Christoph Heinrich hervor, der am 11. November 1676 in Hamburg geboren wurde. Als sein Vater 1686 starb, war er 9½ Jahre alt. Carl Joachim Freher, der Sohn aus erster Ehe des Andreas Freher, nahm sich seiner an und holt ihn nach Nürnberg, wo er drei Jahre bei ihm wohnte. Er sollte Medizin studieren, wozu er aber keine Lust hatte. Stattdessen kam er, wohl nach dem Tod von Carl Joachim, zu seinem Vetter Jacob Blommart (1618-1697), einem bekannten Kaufmann in Nürnberg, wo er zehn Jahre blieb. Es folgte eine Ausbildung u.a. in Lyon, dann wanderte er in die Niederlande aus.
    Quelle: Stadtarchiv Nürnberg: E1/328, Nr. 1: Genealogie der Frehers.
  2. Das Handelshaus der Blommart wurde damals von Jacob Blommart d. J. (1659-1734) geführt.
    Zu den Blommarts und ihrem Handelshaus siehe:
    Seibold, Gerhard: Die Blommart und ihr Handelshaus. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 68 (1981), S. 164-220
  3. Gregory, David: Astronomiae physicae et geometricae elementa. Oxford: Theatrum Sheldonianum 1702.
  4. Isaac Newtons Opticks kamen 1704 in englischer Sprache heraus. Hier dürfte die überarbeitete lateinische Ausgabe von 1706 gemeint sein: Optice: sive de reflexionibus, refractionibus, inflexionibus & coloribus lucis libri tres. Authore Isaaco Newton, Equite Aurato. Latine reddidit Samuel Clarke, A. M. Reverendo admodum Patri ac Dno Joanni Moore Episcopo Norvicensi a Sacris Domesticis. Accedunt tractatus duo ejusdem Authoris de Speciebus & Magnitudine Figurarum Curvilinearum, Latine scripti. London: Sam Smith & Benj. Walford 1706.
  5. Coehoorn, Menno von: Nouvelle Fortification. Wesel: Wesel 1706. Auf Holländisch war das Buch bereits als Nieuwe Vestingbouw 1685 erschienen. Menno von Coehoorn (1641-1704) war niederländischer General der Artillerie und Festungsexperte.
  6. Hartsoeker, Nicolas (1656-1725): Conjectures Physiques. Amsterdam: Henri Desbordes 1706.
  7. Christianus Hartsoeker, 22 Jahre alt und Theodorus Harstsoeker, 20 Jahre alt, schrieben sich am 11. Oktober 1706 in Leiden ein. Bekannt ist nur der 1684 in Paris geborene Sohn Christian geworden, der 1714 Professor in Heidelberg wurde.
    Vgl. Album studiosorum Academiae Lugduno Batavae. MDLXXV - MDCCCLXXV. 1875, Sp. 795.
    Drüll, Dagmar: Heidelberger Gelehrtenlexikon: 1652-1802. Berlin et al.: Springer 1991, S. 54.
  8. Conamina: Bemühungen, Anstrengungen.
  9. in Gloriam Dei et proximi salutem: zur Ehre Gottes und zum Wohl der Nächsten.
  10. Johann Joosten van Musschenbroek (1660-1707) war für den Bau von Teleskopen, Mikroskopen und Luftpumpen berühmt.
  11. Die Sonnenfinsternis vom 12. Mai 1706 war die bislang letzte, deren Totalitätszone durch Nürnberg verlief.
  12. Die Belagerung Barcelonas durch französische und spanische Truppen endete am 12. Mai 1706. Nachdem sich der französische König als Sonnenkönig inszenierte und die Belagerung bei einer Sonnenfinsternis aufgehoben wurde, führte dies zu Spottgedichten wie dem folgenden:

    Die Sonne Galliens hat nun genug geschienen /
    Und da der Himmel selbst daür den Fürhang zieht /
    Muß sie dem Ludewig zu einem Bilde dienen /
    Auf welchem er anitzt sein eigen Unglück siht /
    Die Sonne / die er ihm zum Sinnbild hat erkohren /
    Vor deren Strahlen sonst die gantze Welt zu klein /
    Hat eben zu der Zeit den hellen Glanz verlohren /
    Als Franckreichs heller Glanz in Spanien gieng ein.
    Es läst die Finsternis ein grosses C zurücke /
    Die Sonne zeiget selbst des Siegers Nahmen an /
    So wird der Welt hiermit des grossen Carols Glücke /
    Und Franckreichs Untergang vom Himmel kundt gethan.

    Vgl. Das in dem Großmächtigsten Carl, als neu=erwählten Römischen Kayser / Neu belebte Durchlauchtigste Erz=Haus Oesterreich. Frankfurt 1711.
    Mayerhofer, Emil; Komers, Camillo: Spanischer Successions-Krieg. Feldzug 1706. Wien: Gerold's Sohn 1882, S. 468f.
    Müller, Johann Joachim; Riegel I, Christoph: Barcelona, d: 6. Maÿ 1706 von der Frantzös: belägerung, d: 12. Maÿ unter einer. / Sonnen=Finsternus erlöset. Frankfurt, Leipzig 1710 (Graphik)
  13. Gottlob Ehrenfried von Tschirnhaus (1684-1710) schrieb sich am 27. Mai 1704 in Leiden ein.
    Vgl. Album studiosorum Academiae Lugduno Batavae. MDLXXV - MDCCCLXXV. 1875, Sp. 780.
  14. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) war um 1700 einer der bedeutendsten deutschen Naturforscher.
  15. durante Eclipsi varias observationes physicas et acusticas instituiret: Die Dauer der Finsternis durch verschiedene physikalische und akkustische Beobachtungen ergründet.
  16. Johann Heinrich Hoffmann (1669-1716) war seit 1701 als Adjunkt der Preußischen Akademie der Wissenschaften angestellt. 1710 wurde er Nachfolger von Gottfried Kirch (1639-1710) als Direktor der Sternwarte.
  17. Bernhard Friedrich von Krosigk (1656-1714) war Geheimrat und Astronom. In seinem Auftrag reiste Peter Kolb ans Kap der Guten Hoffnung, um dort astronomische Vermessungen vorzunehmen. Auch Kolb hatte Kontakt zu Zumbach.
  18. Am Donnerstag, den 21. Oktober 1706 gab es eine partielle Mondfinsternis. Zumbach übermittelt im Folgenden seine Beobachtungsdaten.
  19. Der Brief wurde an dieser Stelle gefaltet, die Zahlen sind nicht mehr eindeutig identifizierbar.
  20. Der Brief wurde an dieser Stelle gefaltet, der Text ist hier nicht mehr lesbar.
  21. Zumbach war Katholik.
  22. Zur Festlegung geographischer Längenunterschiede hielt Doppelmayr später die Beobachtungen der Jupitermonde für am besten geeignet. Zumbach dürfte hierzu die Anregung gegeben haben.
  23. Zumbach war mit Dorothee Day (?-1719), der Tochter eines Weinhändlers aus Leiden, verheiratet.