Briefwechsel Johann Heinrich Müller


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Müller, Johann Heinrich (1671-1731)
Empfänger Scheuchzer, Johann Jacob (1673-1733)
Ort Altdorf
Datum 9. August 1723
Signatur ZB Zürich: Ms H 299, S. 283-285
Transkription Hans Gaab, Fürth

  Vir Celeberrime!

Dessen werthes Schreiben vom 8 Maj. ist mir wol zu Handen kommen, und wegen der unverhoften u. angenehmen rarität von Sr. Exc. Hln. Grafen Marsigli[1] sehr annehmlich gewesen. Ich bedaure aber, daß ich wegen unsres damals bevorstehenden Jubilaei Academici primi,[2] da ich das Decanat in unserer Facultät hatte, mich nicht so gleich in Nürnberg wegen der Ungarischen Land-Charte[3] erkundigen konte, wiewol ich schon zum voraus sahe u. auch hernach in der That erfuhr, daß sie nicht mehr zu haben wäre, u. hätte ich schon vor einigen Jahren gerne was darum gegeben, wenn ich sie nur wenigstens um meines Bruders Seel. Angedenken willen,[4] vor mich hätte haben können. Denn daß ermelter mein Bruder, der gewesene Kaÿserl. Ingenieur-Hauptmann, schon vor 2 Jahren, des a. 1721 d. 21. Jun. eben am Solstitio[5] zu were verschieden, muß leider mit neu-

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widerholter Betrübung hiemit berichten, wenn es inzwischen nicht schon bekandt worden. Er hatte eben damals die mappirung des Königreichs Böhmen glücklich absolviert, u. war im Begriff mit Schlesien ein gleiches vorzunehmen, wozu er schon das Kaÿserl. allergnädigste Patent erhalten hatte; allein nachdem er von den vielen Strapazzen schon viele Jahre gekränkelt, u. sich nie recht erholen können, so wurde er endlig zu Wien völlig danieder geworfen, u. muste im 48ten Jahr seines Alters daselbst sein Leben beschließen. Die Mappa Bohemia bestehet in 12 Platten oder Segmentis, u. nachdem dieselben beÿ einer deßwegen angestelten Versamlung aller Kraÿs- Hauptleute des Königreichs Böhmen die härtteste censur auch in minutissime ausgestanden, u. richtiger u. accurater befunden worden, als die Hln. Kreiß- Hauptleute gewust oder geglaubt hätten, so ist sie hierauf einem Augspurgischen Kupferstecher Nahmens Kauffer[6] zur Ausfertigung übergeben worden, u. wird wie ich vernehme, bald zum Stand kommen.[7] Ich hoffe das Wohlseÿn des Hln. Grafen

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Marsigli wird etwas gutes wegen seines Operis Danubialis[8] nach sich ziehen, da zumal die zu merkante[??] Zeitung, welche von ihm aus Constantinopel alhier erschallen, keinen Grund hat, wie ich dann, als sie eben um Peter Pauli[9] alhier ausgebreitet wurde, derselben allezeit kräfftig widersprochen, weil ich die von M. hochgeehrtesten Hln. kurz vorher von ihm erlangte Nachricht auf keine Weiße damit zusammen reimen kunte. Kurz vor unserem Jubiläo hielt ich unter andern ein paar Disputationes, darinnen ich etl. selectae observationens,[10] welche ich auf hiesigem Observatorium von der Zeit dessen neuer Instauration a. 1711[11] bis auf gegenwärtiges annum Jubilaeum 1723 gehalten, publiciret u. mit einigen annotationes erläutert, wovon ich gerne ein oder das andere Exemplar communiciert hätte, wenn solches mit füglicher Gelegenheit hätte geschehen können, doch werde solches noch zu thun trachten. Dnn. Baieri, quorum junior Medicus nuper demum reiteratum Acad. deposuit, bene valent. Tibi plurima salute impertiet.[12] Vale.

Altorf d. 9. Aug. 1723   Celeberr, Nom. T.

Cultor Studiosuß
J.H. Müller P.P.

P.S. S. Excell. dem Hln. Grafen Marsigli bitte beÿ Gelegenheit meine gehorsamste recommendation zu machen. Ich habe mein größtes plaisir wenn zur untersuchung des hinterlassenen Schedarum Eimmart. Memorium Marsihl. venerire.


Fussnoten

  1. Luigi Ferdinando Marsigli (1658-1730).
  2. Damals stand die 100-Jahr-Feier der Universität Altdorf an.
  3. 1709 stellte Johann Christoph Mü,ller, der Bruder von Johann Heinrich Müller, seine Karte von Ungarn fertig (Mappam Hanc Regni Hungariae), die von den Augsburgern Johann Andreas Pfeffel (1674-1750) und Christan Engelbrecht (1684-1756) gestochen wurde. Johann Baptist Homann (1664-1724) verwendete sie als Vorlage für seine Ungarnkarte (Regni Hungariae Tabula Generalis).
  4. Johann Christoph Müller (1673-1721) war einer der wichtigsten frühen Kartographen von Österreich und Ungarn.
  5. Solstitium, die (Sommer-)Sonnenwende am 21. oder 22. Juni.
  6. Der Augsburger Kupferstecher Michael Kauffer (1673-1756) arbeitete auch für Christoph Weigel d.Ä. in Nürnberg.
  7. Mappa Geographica Regni Bohemiae In Duodecim Circulos Divisae: Cum Comitatu Glacensi Et Districtu Egerano Adiunctis Circumiacentium Regionum Partibus Conterminis ex accurata totius Regni perlustratione et geometrica dimensione Omnibus, Ut Par Est, Numeris Absoluta et ad usum commodum nec non omnia et singula distinctius cognoscenda XXV. Sectionibus exhibita.
    Die Karte ist auf 1720 datiert, scheint aber dem Brief zu Folge erst 1723/24 herausgekommen zu sein.
  8. Marsigli, Luigi Ferdinando: Danubius Pannonico-Mysicus: Observationibus Geographicis, Astronomicis, Hydrographicis, Historicis, Physicis. Den Haag, Amsterdam 1726.
    Für das Hauptwerk von Marsigli hatte Eimmart zahlreiche Stiche angefertigt, die nach dessen Tod von Müller vollendet worden waren.
  9. Das Fest Peter und Paul war in Altdorf der Semesterbeginn (29. Juni).
  10. Müller, Johann Heinrich: Observationes Astronomico-Physicae selectae in Specula Altorfina ab anno novae Eius instaurationis MDCCXI usque ad praesentem annum Academiae Secularem MDCCXXIII habitae et cum interspersis passim annotationibus elucidatae. Pars Prior. Altdorf: Jobst Wilhelm Kohles 5. Juni 1723. Respondent: Johann Ignatius Michahelles (1702-1741).
    Müller, Johann Heinrich: Observationes Astronomico-Physicae selectae in Specula Altorfina ab anno novae Eius instaurationis MDCCXI usque ad praesentem annum Academiae Secularem MDCCXXIII habitae et cum interspersis passim annotationibus elucidatae. Pars Posterior. Altdorf: Jobst Wilhelm Kohles 1723. Respondent: Johann Albert Spies (1704-1778).
  11. 1711 war der Baubeginn für das neue Observatorium auf dem Dach des Kollegiengebäudes.
  12. Hier grüßen der Altdorfer Stadtarzt Johann Jacob Baier (1677-1735), mit dem Scheuchzer im Briefwechsel stand, und sein Sohn, der Mediziner Ferdinand Jacob Baier (1707-1788), der 1724 in Altdorf eine öffentliche Rede hielt und anschließend seine Studienreise antrat.

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