Briefwechsel Peter Kolb
Kurzinformation zum Brief | Zum Original |
Autor | Kolb, Peter (1675-1726) |
Empfänger | Krosigk, Bernhard Friedrich von (1660-1714) |
Ort | Kap der Guten Hoffnung |
Datum | 13. April 1709 |
Signatur | UB Basel: L Ia 700:Bl. 68r-69r |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
Hochwohlgebohrner Herr,
Gnädiger Herr.
Es gehet nun bereits in das andere Jahr, daß ich keinen einigen Buchstaben von Ew. Excellence Hohen Hand zusehen bekommen habe, welches, wie wohl eine solche probe auszustehen ganz schmerzlich fället, dennoch noch wohl ein zuschicken seÿn solte, als ich nur die minste[1] nachricht von Ew. Excellence hohen Wohlwesen theilhafftig wäre. Dann so ich Ew. Excellence hohe Belobungen überdencke, und dabeÿ meinen gegenwärtigen Stand vergleiche, so finde ich mich, in Betrachtung derselben, so unsicher, daß billich zweifeln muß, ob auch Ew. Excellence noch beÿ guten Wohlstand sich befinden. Betrachte ich deroselben Generosité, und erinnere mich dabeÿ, daß so lange Zeit sonder Geld, sonder briefe, ja sonder die wenigste Nachricht lebe, so beginnet mein Gemüth mit so viel Schwermütigkeit überfallen zuwerden, daß schier keinen Winckel weiß zufinden, wo mich sicher verbergen könne. Kommen endlich noch Menschen dabeÿ, die mir trachten weiß zumachen, daß Ew. Excellence von Gott seÿ aus dieser Welt geruffen worden, mein Gott! welche grausame Angst, Sorge, Kummer, Schmerzen und betrübnis jagen Sie mir dadurch an! Beginnet mein Gemüth zu überlegen, daß es wohl seÿn könne, um daß niemand von diesen allgemeinen Geseze der Natur befreÿet ist; dann schmelzet es, so zu sagen, in Thränen, Seuffzen und Schreÿen. Diese considerationes, Hochwohlgebohrner Herr, hat das Sagen von einem Halberstätter, (der sich auf den Compagnies-Buche den Nahmen Johannes Lentz[2] gegeben, wie wohl ich vermuthe, daß Er anders heißet, und auch von einer andren und höheren Familie ist, als Er hier wohl scheinet[3]) zu wege gebracht, welcher mich in solche Niedergeschlagenheit gesezet, daß nun gänzlich nicht weiß, was davon zuglauben seÿ. Er kennet wohl die Illustre und Hohe Familie der Herren von Kroßick; weiß mir auch zu sagen,
[Bl. 68v]
daß derselbe, welcher in Berlin in so hohen Gnaden stünde, (davon mir nicht bewust, ob es ein andrer,
als Ew. Excellence Selbsten seÿn könne) gestorben seÿ; jedoch Er weiß
mir weder den Nahmen, noch das Stamm-Hauß
dieses Verstorbenen bekant zu machen. Habe ich nun nicht rede[4]
genug, an Ew. Excellence Wohlwesen zu zweifelen! Habe ich
dabeÿ nicht vor meinen gänzlichen ruin zu fürchten? Sicherlich ich darff daran nicht länger gedencken,
will ich nicht haben, daß mein Gemüthe, Augen und übrige Leibes Glieder nicht ungeschickt werden,
um diesen Brief zum Ende zubringen. Unterdeßen verhoffe, daß es nicht alleine anders seÿn soll, als es mir
Monsieur Lentz trachtet weiß zu machen,
sondern ich erwarte auch, daß mir die nächsten Schiffe was
gewißes davon werden mitbringen. Vornehmlich hoffe, daß mir wegen meiner vor zweÿ Jahren gethanen
unterthänigsten Ansuchung, etwas gewißes werde zuhanden kommen, wodurch ich werde Versicherung haben,
weßen mich zu erfreuen, oder zu betrüben haben werde. Es kommet meres[?] Ew. Excellence auf 2000 Rlhlr nicht an,
vornehmlich da dieselbe noch so große glorie dadurch bekommen, und sich dadurch einen eigenen diener machen können,
der noch dabeÿ bereit ist, dieses Geld cum foenore[5]
wieder zu restituiren. Solten aber Ew. Excellence dazu nicht
resolviren können, mir dadurch zu einem stücklein brods zu helffen, so wünschte ich wohl beÿ Zeiten
davon nachricht gehabt zuhaben, als welche schon vor einem Jahr hätte hier seÿn können; oder daß mir
ein ander Mittel an die Hand gegeben würde, wodurch ich ehrlich mein brod gewinnen und dieses studium continuiren
könte. Dann ich gebe Ew. Excellence unmaßgeblich zu bedencken, ob ich nicht, da so lange Zeit von allen andern
studiis abgesondert gewesen, und auf dieses alleine alle meine Gedancken habe richten müßen, wieder in Teutschland
kommende, wieder von neuen solle beginnen müßen, so ich anders einige
bedininge[6] mit recht ambiren will?
Wo soll ich aber an Mittelen kommen um dieses zu thun[?] Beÿ
gevolge[7] sehe ich nicht, wie und auf was weise
in der Welt an Lebensmitteln kommen könne, so Ew. Excellence die Hände von mir abziehet. Ich hoffe darum
noch in Unterthanigkeit, daß Ew. Excellence meinem auf
Rede[8] gegründeten unterthänigsten Ansuchen,
ein gnädiges Ohr lehnen [= leihen], und die That effective zu stehen werden. Wären davon Briefe angekommen, oder
hätte mich Ew. Excellence nur von denen vor einen Jahr und auch schon vor zweÿ: Jahren
gespecificierten[9] Schulden gerettet,
so solte dieses Jahr (welches mir länger gefallen, als alle die vorigen meines Lebens) nicht vorbeÿ gelauffen seÿn,
sonder einige observationes zu verrichten; welches jedoch hat geschehen müssen, theils weil kein Geld hatte,
um die gebrochene instrumenta wieder zu repariren, theils auch weil meine creditores, sehende, daß ich nicht
länger secundiret werde, mir nichts mehr wolten creditieren. Ew. Excellence
pardonieren gnädigst mein freÿes Sprechen,
die Sache liegt mir zu nahe an dem Herzen, ich kan sie nicht verbergen; und überlegen dabeÿ, in welchem Zustande ich
gegenwärtig lebe? Ich habe dieses verwichene Jahr, um nur diese Kost zu haben, alles thun müßen, was ich
anders in Africa nicht zu thun gesinnet war. Hierbeÿ kommet noch, daß mir der Edle Herr Gouverneur,
Louis von Assenburg[10], meinen
Coobservatorem[11] hat abgenommen,
und mich also volkommen außer dem Stande gesezet,
um etwas zu verrichten. Zwar habe ich dargegen par request um denselben
versuchet[12], auch mit einem angewisen,
auf welche condition ich denselben von der Illustren Societet bekommen habe, jedoch es mochte nichts helffen.
Nun bin ich geresolviret, noch so lange zuwarten, biß die Schiffe auß Holland angekommen seÿn, um zusehen,
welche Ordre mir Ew. Excellence werden zusenden: bekomme ich dann wiederum keine briefe
[Bl. 69r]
so werde nicht übel thun, daß dem Herrn Gouverneur alle instrumenta, mit der instruction übergebe,
gleich mir Ew. Excellence darzu ordre gegeben haben, damit sie auf Kosten von die Edle Compagnie mögen wieder im Stande
und brauchbar gemacht werden. Will Er mich darum in Dienst der Edlen Compagnie nehmen, und mit einer honorablen Chargie
begifftigen[13], ich entziehe mich nicht solches anzunehmen.
Auf dem Fall aber, daß dieses nicht möchte geschehen,
und ich von Ew. Excellence kein Geld bekomme (welches jedoch nicht will hoffen) um meine Schulden zu bezahlen,
so werde gezwungen Kindern[?] zu lehren, um die Kost zu gewinnen, und
mit einem gleichzeitig meinen creditoribus satisfactie zu geben.
Ew. Excellence belieben doch gnädigst zu bedencken, in welchen miserablen Stande ich mich befinde, und laße
sich doch durch dero hohes Wort bewegen[?] mir zu helffen. Ich kann hier nichts mehr beÿ sezen,
theils weil mir die Wehmütigkeit
meines Gemüthes solches verhindert, theils auch, weil mich die viele Thränen darin verhindern; dieses füge
nur mit wenigem noch beÿ, daß als Ew. Excellence die hohe Gnade belieben zu haben,
mir mit vorgemeldetem Gelde zu helffen,
dieselbe noch dises belieben inbeÿ zu fügen, daß ich die vor einem Jahre gespecificierte feder zur Horologie,
den Canal zum Tubo, und dann die Tabulas Flamstedii oder Cassini Circumjovialium & circum
Saturninorum[14] möge empfangen.
Inmittels bitte ich Gott unaufhörlich, daß Er Ew. Excellence
beneffens[15] deroselben Hoch Adlichen Familie
in gesegneten hohen Wohlstand, lang [we]rende Gesundheit und allen Leibes und Seelen Vergnügen,
zum Wohlstand des [allge]meinen bestens, zum Aufnehmen [= Gedeihen] der HochAdel. Familie, und zum Trost vieler bedrückten lange Jahre
wolle erhalten, der ich nach gethaner unterthänigster beg ... an die Hochwohlgebohrne Frau Gemahlin und sämtl.
HochEdl. Familie mit tieffstem respect bin und ... verbleibe
Hochwohlgebohrner Herr,
Gnädiger Herr,
Ew. Excellence
Caab de goede Hoop
Den 13. April Ao.
1709
P.S: Obgemelde[16] Mons. Lentz hat mich inständigst versucht, diesen beÿligenden Brief an Seine Frau Mutter einzuschließen, darum ich auch Ew. Excell. inständig und unterthänigst bitte, diesen bestellen zu laßen.
Unterthänigster Diener
Peter Kolbe
Fussnoten
- ↑ Niederlandismus, "minste" = geringste.
- ↑ Diese Person konnte bislang nicht näher identifiziert werden und wird auch im Caput bonae spei hodiernum von 1719 nicht erwähnt.
- ↑ Der im Postskriptum erwähnte Brief an die Mutter von Lentz müsste aber eine reale Adresse aufgewiesen haben.
- ↑ Niederlandismus, "rede" = Grund.
- ↑ cum foenore (lt.): mit Zinsen.
- ↑ Niederlandismus, "bediening" = Bedienung.
- ↑ Niederlandismus, "by gevolg" = folglich.
- ↑ Niederlandismus, "rede" = Vernunft, Grund.
- ↑ Die Bildung des Partizips Perfekt mit dem Präfix ge- bei den Verben auf -ieren ist ein Niederlandismus.
- ↑ Louis van Assenburgh (um 1657-1711) war von 1708 bis 1711 Gouverneur am Kap.
- ↑ Zum Coobservator siehe die Anmerkung im Brief vom 15.04.1708.
- ↑ Häufiger Niederlandismus bei Kolb, "verzoeken" hat auch die Bedeutung "ersuchen".
- ↑ Niederlandismus, "begiftigen" = beschenken, ausstatten.
- ↑ Vgl. den Brief Kolbs vom 15.04.1708.
- ↑ Niederlandismus, "beneffens" = benebens, neben.
- ↑ Niederländische Partizipbildung.
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