Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Euler, Leonhard (1707-1783)
Ort Nürnberg
Datum 15. Oktober 1745
Signatur UB Tartu: Epistolae autographae CC eruditorum celeberrimorum. III, F 3, Mrg CCCLIVb, Bl. 223r-224v
Transkription Hans Gaab, Fürth


Hoch Edelgebohrner, Hochgelehrter,
    insonders Hochzuehrender Herr Professor !

Daß mir die Freÿheit nehme Euer Hoch Edelgebohren durch dieses geringe zu belästigen, hat keinen andern Grund als diesen: das hohe Glück zu erlangen mit denenselben bekand zu werden; dieses würde aber niemals unternommen haben, wann nicht vor einem Jahr, von den, Euer Hoch Edelgebohren sehr wohl bekanden S. T.[1] Herrn Prof. Krafft[2] dero ungemeine Gütigkeit, und allerschönste Leutseeligkeit rühmen zu hören, das besondere u. unverhoffte Vergnügen überkommen hätte. Dieser obgemelde Herr Prof. Krafft, gaben beÿ Ihrer Rückreise aus St. Petersburg nach Tübingen, den S.T. Herrn Franz Geographo und Consort der hiesigen berühmten Homännischen Landkarten Officin, beÿ welchem mich vor dieses mahl aufzuhalten die Ehre habe, eine angenehme Visite, in welcher Gelegenheit ebenfalls solches Zuspruchs gewürdiget wurde.

Diesem nach glaube, daß Euer Hoch Edelgebohren desto geneigter gegen mich heißen werden, wann dieselbe vernehmen, daß in der Mathematik ein völliger Autodidactus bin, u. durch Gottes Gnade u. Hülffe doch ganz alleine so weit gekommen, daß nicht nur diejenigen von denenselben auf das gelehrteste und gründlichste aufgesezte Schrifften mit den aller grösten Vergnügen lesen, sondern auch aus selbigen ungemeine Vortheile in Algebraischen Rechnungen ziehen kan. Da mich aber hier an einem solchen Ort befinde, in welchem an nichts wenigers als an Analÿtischen Sachen gedacht wird, indeme sich kein einiger rechtschaffener Rechner hier befindet; so können E. H. E. gebohren leicht erachten, daß auch von solchen Schrifften wenig oder gar nichts zu erfahren ist. Dieses ist ebenfalls ein Stück meines Unvermögens, daß bis jezo noch nicht wißen kan, was für Schrifften schon aus dero gelehrtesten Feder geflossen seÿn, außer was in gelehrten Zeitungen recensirt angetroffen habe. Diejenigen so schon besize, sind: Die unvergleichliche Theorie der Musik[3]. Der Methodus de Maximis & Minimis[4]. Die Theoria motum Planetarum & Cometarum[5]. Die erläuterte Artillerie[6]. Das schöne Mechanische

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Werk aber erwarte von der jezigen Leipziger Meße. Außer denen Gründlichen Dissertationen welche hier und da in denen Petersburgischen Comentariis[7] gefunden, ist mir weiters nichts bekand. Solte aber die gelehrte Welt von E. H. Edelgebohren schon mit mehreren Schrifften bereichert worden seÿn, so bitte ganz gehorsamst um eine Specification u. wer solche verleget; weil dieses wohl von niemandem besser als durch dieselben erfahren kan. Zwahr machen mich die schönen Werke der Gelehrten Herren Johann Bernoulli, welche ebenfalls besize, glauben, daß mir vermöge des 4ten Tomi pag. 57 u. 293 noch ein edles Werk verborgen seÿn müsse, welches aber nirgends in Gewißheit bringen kunte.

Euer Hoch Edel Gebohren nur etwas weniges von meinen Umständen zu erzehlen, so belieben Dieselbe zu vernehmen, daß mich in der oben gedachten Homännischen Officin befinde, welcher mit Zeichnungen derer Land Karten, u. anderer hierzu nöthigen Verrichtungen an die Hand gehe. Absonderlich aber habe eben jezo kleine Erd und Himmels=Kugeln unter der Arbeit, deren Diametri just 5 Pariser Zoll[8] groß sind; von diesem ist die Erd Kugel fertig, die Himmels Kugel hingegen noch beÿm Kupfferstecher, beÿ welcher mich des flämstädischen Catalogi Fixarum bedienet, u. auf das Jahr 1762 eingerichtet.[9] Daß diese die allerbesten seÿn werden, als jemals gemacht worden, sollen E. H. Edelgebohren bald gestehen, wann dieselben zu vernehmen belieben, daß solche umittelbahr auf die Kupfferplatte selbst gezeichnet, in deme sonsten, wo es aufs Pappier nach gemeiner Art getragen wäre, dieses von den Kupfferstechern durch das Aufdrucken oder Aufgraben wie sie es nennen, alles sehr verzogen würde. Sie sind zwahr nur eine Probe von größeren, welche mit gleichem Fleiß von mir nach und nach verfertigt werden sollen. So bald als die unter der Arbeit liegenden fertig sind, werde mir die Freÿheit nehmen Euer H Edelgebohren damit auf zu warten. Über dieses habe mir vorgenommen, in kurzem allhier ein Laboratorium Mechanicum auf zu richten, weilen die Vortheile

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in Verfertigung aller Instrumenten dergestalt besize, daß selbige nicht nur mit der größten Schärffe, Fleiß und Schönheit hergestellet, sondern auch einem jeden ja geringsten Stück seine gehörige proportionirliche Schwäche und Stärke mit raison gegeben werde. Eben des wegen habe mich beflißen die Grund-Geseze der Bewegung und ihrer Application, mir vollständig bekand zu machen, damit mich in dem Stand befinden möge, einen solchen Mechanicum abzugeben der würklich die Theorie mit der Praxin verknüpffe. Ich hoffe auch, daß meine Bemühungen nicht fruchtlos ablauffen werden, indeme mir noch zur weiterer Unterweisung in der tiefsinnigsten Theorie Dero unvergleichlichen Schrifften erwählet, von welchen gewiß versichert bin, daß solche beÿ mir eben das ausrichten, was sonsten viele andere Lehrer mündlich nicht zu stande bringen solten. Dieses Jahr werde noch ein Programma drucken laßen, in welchen die Herrn Mathematicos zur Observation der Magnetnadeln eingeladen werden. Ich werde darinen meine Art zeigen wie solche observationes auf das schärffste anzustellen, u wie das Maaß davon gehörig einzusenden seÿe. Da mir aber wohl bewust, daß wenn nicht einerleÿ Nadeln durchaus gebrauchet werden, die alle einerleÿ Größe u. Schwehre haben, nichts zuverläßiges zu hoffen ist: eben diese Nadeln müssen alle auf einerleÿ Stein gestrichen seÿn, dergestallt, daß solche in einerleÿ Ort alle mit einander einerleÿ Lage u. Neigung haben müßen. Dero wegen habe mich entschlossen, eine solche accuratu sauber verfertigte Nadel jedem Progammate beÿ zu legen, so die Inclination u. Declination zu gleich vollkommen zeigen möge. Dieses werde also jedem berühmten Mathematico ohne Entgeld überschiken, welcher so denn nichts als etwan das bloße Porto zu bezahlen hat; über dieses wird noch ein Maaßstab von Messing dazu gegeben, nach welchem jeder seine observation ein zu richten, ersuchet wird, damit eine vollkommene Übereinstimmung erhalten werde. In eben diesen Bögen, wird der fehler gewießen werden, welcher beÿ der gleichen observationen für zu gehen pflegen, die solche zur application in die Theorie unbrauchbar machen. Bald darauff aber soll eine geringe Dissertation

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der Welt vor Augen geleget werden, in welchem man Regeln giebet wie zu jeder Zeit u. an jedem Ort auf der Erde die lage der Magnetnadel zu bestimmen seÿe; wenn man vorhero durch richtige observationes die Geseze der Veränderung derselben genau erfunden haben wird; wovon nächstens geliebt es Gott, weitläufftiger seÿn werde. Hiebeÿ aber wird man sich der Figur der Erden bedienen, welche der berühmte M. de Maupertuis[10] entdecket oder besser observiret hat. Dieses habe also Euer Hoch Edelgebohren ganz gehorsambst eröffnen wollen, um von denenselben eine Meÿnung zu erhalten, ob es rathsam wäre oder nicht, der gleichen zu unternehmen;[11] die weil schon längst erkannt, daß dieselben am allermeisten um die Verbesserung der nüzlichen Wissenschaften bekümmert sind; u. daß dero Gütigkeit sich auch auf meine geringe Persohn erstreken mögte, welche mir hierzu der allergrösten Hülffe u. Recommendation versichert.

Beÿ dieser Gelegenheit habe auch nicht entbrechen können[12] E. H. Edelgeb. an zu fragen, obs nicht möglich wäre, in die dortige berühmte Königliche Academie der Wissenschafften, als ein geringes Mitglied an u. aufgenommen zu werden;[13] mit dem Versprechen, auf das fleissigste zu correspondieren, u. beständig etwas neues von Instrumenten oder sonsten nüzlichen Ausführungen verschiedener Sachen, ein zu senden. Wolten dieselben hierzu behülfflich seÿn, u. mir davon gütigste Nachricht ertheilen, wornach mich zu achten habe, u. wie das gebührende zu entrichten seÿe; so werde mit unendlichen Dank verpflichtet, beständig zu verharren


Euer Hoch Edelgebohrnen

meines HochZuehrenden Herrn Professors

Nürnberg den 15 October
        1745.

Unterthäniger u Gehorsamster
Diener        

Georg Moriz Lowiz    



Fußnoten

  1. S. T.: salvo titulo, mit Vorbehalt des richtigen Titels. Damit wurde ein freundschaftliches Verhältnis zu dem Benannten angedeutet.
  2. Georg Wolfgang Krafft (1701-1752) war ein deutscher Physiker, der sich ab 1725 in St. Petersburg aufhielt. 1744 kehrte er nach Tübingen zurück, bei dieser Heimreise machte er auch in Nürnberg Station.
  3. Gemeint ist wohl: Euler, Leonhard: Tentamen Novae Theoriae Mvsicae. St. Petersburg 1739
  4. Euler, Leonhard: Methodus inveniendi lineas curvas maximi minimive proprietate gaudentes. Lausanne, Genf 1744
  5. Euler, Leonhard: Theoria Motuum Planetarum Et Cometarum. Berlin: Haude 1744
  6. Euler, Leonhard: Neue Grundsätze der Artillerie. Berlin: Haude 1745
  7. Comentarii Academiae Scientiarum Imperialis Petropolitanae, 1728-1751
  8. 1 Pariser Zoll = 2,71 cm. Die Globen hatten also eine Durchmesser von ungefähr 13,5 cm.
  9. Der Sternkatalog von Flamsteed war für das Jahr 1690 eingerichtet. Nachdem die Präzession in 72 Jahren um 1 Grad vorrückt, hat Lowitz einfach auf die ekliptikalen Längen ein Grad aufaddiert. Daher kommt die etwas merkwürdige Wahl des Jahres 1762.
  10. Pierre-Louis Moreau de Maupertuis (1698-1759) hatte die Expedition nach Lappland geleitet, bei der die Figur der Erde näher bestimmt werden sollte.
  11. Vgl. hierzu den Brief von Lowitz an Euler vom 08.10.1746.
  12. nicht entbrechen können: veraltet für nicht umhin können
  13. Seinen Himmelsglobus hat Lowitz 1747 der Berliner Akademie gewidmet, aufgenommen wurde er aber nicht.

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