Briefwechsel Georg Moritz Lowitz
Kurzinformation zum Brief | |
Autor | Bilderbeck, Rudolf Christoph von (1714-1786)[1] |
Empfänger | Landesregierung in Hannover |
Ort | Hannover |
Datum | 15. Mai 1763 |
Signatur | Universitätsarchiv Göttingen: D-23-2-1, Bl. 72r-77r |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
Hinweis | Der Text ist stark ausgeblichen und stellenweise kaum noch lesbar. |
P. M.[2]
Ich halte I das denunciirte Factum so beschaffen zu seyn, daß es eine genauere Untersuchung u. exemplarische Bestraffung voll verdienet. Es qualificiret sich solches meines Bedünckens, hinlänglich ad crimen[3] famosi libelli[4]. Denn gleichwie dieses nichts anders ist, als ein delictum quo alicui crimen famosum et notabile, ad ejus infamiam in suspeci in vulgus sparsit objicitur
art 110 C.[ode] C.[ivile] | |
Kress ad h. art. l. 1. | |
Lauterb. C. G. l. tit. de inj. et famos. lib 1. bb. | |
Böhm. juripr. Crim. S. II. §: 311. |
Also ist auch dem Stallmeister Ayrer[5] und deßen Köchin[6] ein nicht gar geringes Verbrechen, nemlich das Laster der Hurerey u. ein Concubinatus, in Schriften, um diese Personen, insonders ist aber erstern zu Beschimpffung vorgeworffen u. solche Schrifften in verschiedenen=mahlen u. an verschiedenen Orten öffentlich angeklebet, und unter die Leüte gebracht worden. Dem Doct. Falckenhagen[7], Prediger Kuhlenkamp[8] u. Profes. Köhler[9] aber ist
ad Num. Act. 14.[10]
[Bl. 72v]
zu gleich, zu ihrer nicht geringen
Verunglimpfung, bey gemeßen,
daß sie dergleichen Caßus
billigten u. genehmigten.
Zwar wird in gedachten 110
art. C. C. auch eines solchen Lasters gedacht, welches aus
Liebe, Leben oder Ehren peinlich gestraffet werden
mag, u. es hält daher Kress
l. c. n. 3 zweifelhaft, ob
einer sich des ciminii famosi
libelli schuldig gemachet,
der einer Frauens=Person ein stuprum[11] in
scriptii vorgeworffen, da dieses delictum moribus
nostris nicht infamirte,
noch peinlich bestraffet wurde: Allein, da ob
erwehnte Worte des 110 art. nur in Rücksicht der
Bestrafung angefuhret zu seyn - nicht aber schlechterdings auf die
requisita eines famosi libelli zu gehen scheinen, und dann die
Ehre u. das Glück einer Person, zumahl einer Frauens=Person,
wenn sie auch noch gleich so gering ist, öffters
mehr Gefahr läuffte, wenn man dieselbe eines stuprum
bezüchtiget, als wenn man ihr ein größers Laster aund
Verbrechen bey wiße; da
[Bl. 73r]
bin ich mit Böhm l. c. § 312 der Meinung, daß auch der Vorwurff
eines stupri, wenn die übrige requisita hinzukommen, einen libellum famosum
ausmachen können: Aber dem wird in dem Scripto quaest. ein stuprum saepius
iter usum u: ein Concubinatus vorgeworffen, desgleichen heutiges Tages billig
criminaliter bestraffet werden solte.
Lauterb. C. P. l. tit. de concub. § 4 | |
Carpz. Pr. crim. quaest. 70 N. 41 seqq |
Ubrigens ist bekandt, daß das crimen famosi libelli, nach vorgängiger Untersuchung, dem Befinden nach, scharff zu bestraffen. Es erhellet dieses nicht nur aus oberwehnten 110 art C: C: als woselbst, außer der infamia, die poena talionis[12] auf diese Verbrechen gesetzet, sondern es behaupten auch solches alle DD. gestalten dann selbige darin ubereinkommen, daß, obgleich heutiges Tages die poena talionis nicht statt haben, dennoch nach Beschaffenheit der geschmäheten Person nach Gelegenheit der aus der Schmehung entstandenen Folgen
[Bl. 73v]
und auch der Größe des vorgeworffenen Verbrechens, außer der infamia, eine
schwere poena arbitraria[13] erkandt werden möge.
Bohm. l.c. § 316. | |
Lauterb. cit. tit. de inj. d. fam. lib. S. 68 in den §: 69 u. 70 | |
Kress l. c. § 3. 4. b die rot. |
Zu geschweigen, daß sogar einige vermeinen, was maßen nach heutiges Tages die poena talionis; mithin in gewißen Fallen sogar die Todesstraffe anwenden müßen.
Carpz qu. 98 n. 5 seqq. | |
Clasen ad art. 110 C. C. § 6 |
insonderheit aber giebet das Duell=Edict für die Universität Göttingen von ao. 1735 klares Maaß u. Ziel wie es mit den dasigen Universitäts=Verwandten die sich das crimen famosi libelli zu Schulden kommen laßen, gehalten werden soll, wenn es art. 7 also heißet:
Wenn Pasquille assigiret[14] gefunden werden, oder sonst zum Vorschein kommen, sollen solche durch des Nachrichters Knecht öffentlich verbrandt, auf den Urheber ex officio inquiri | |
[Bl. 74r] |
|
ret, u. derselbe, nach Wichtigkeit des dem andern zugefügten Schimpffs, mit 3 oder 4 monathl. Gefängniß, auch woll mit ein oder 2 monathl. Festungsbau oder Zuchthauß bestraffet werden. |
Da nun fernere nicht aus der Acht zu laßen 1) daß der Stallmeister Ayrer keine geringe Person ist, sondern bey der Universität in einem Professorem Amt stehet, u. bey seinen Scholaren durch die erlittene Beschimpffung leicht in Verachtung kommen kann, 2) verschiedene andere Personen, u. un...[?] wie Prediger mit beschimpffet u. herdurch gezogen auch mit dem 6. Gebot gedrohet worden 3) Die Sache bey einem mahl nicht gelaßen, sondern öfters wiederholet 4) der Vorfall wenn er ungeahndet bliebe, leicht ein böses Exempel geben, u. andren zur Nachfolge verleiten könte 5) nach dem vorangezogenen 7 art. des Götingl. Duell-Edicts, sogar auch andren schrifftl. Verunglimpffungen welche die Form eines Pasquills nicht haben, außer einer Ehren=Erklährung oder Abbitte od. Wiederruff, dem Befinden nach, mit 14 tägiger 4, 6 u. mehrwöchiger
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Gefängniß geahndet werden sollen, ja ! in dem 6 art. sogar in Ansehung aller
injurien verordnet, daß darauf ex officio scharff inquiriret, dem injuriirten
Satisfaction verschaffet u. die That recht u. bedeutungsmäßig bestraffet werden solle,
endlich
b) das Einwerffen der Fenster noch hinzu komt, u. solches, vermutlich von den Pasquillanten auch verursachet,
dergleichen aber nach dem §. 2 vorgedachten Edicts ebenfalls ex officio scharff
untersuchet u. exemplarisch bestraffet werden soll; so wird es um so weniger Zweiffel
haben, daß das factum quaest. wie vorerwehnet, eine Untersuchung u. Bestraffung
verdiene.
II) Scheinen mir die Denunciaten, die beyden Professores Lowitz u. von Selchow, insonderheit aber erster, des facti halber ziemlich graviret. Zu sagen, dergestalt, daß sie darüber zufoderst zu vernehmen u. wenn sie, die wieder sie streitende Anzeigen nicht ablehnen solten, zum Rei=
[Bl. 75r]
nigungs=Eyd schuldig vertheilet werden können, falls auch nichts weiter, als was bisher
wieder dieselben vorgekommen, herausgebracht werden solte. Denn, wenn man den Lowitzschen
Brief
sub n. act. 3, u. die Außage der abgehörden Leüte und Zeügen zusammen nimt,
so ergiebet sich, daß die Denunciaten dem Stallmeister Ayrer und deßen Freunden
nicht gar zu gewogen seyn müßen, daß der Prof. Lowitz von deßen
Köchin viel zu halten, u. solche demselben zu mißgönnen scheinet, u. daß
endlich beyde Denunciaten zu verschiedenen verfänglichen Reden u. einigen verdächtigen Betragens theilhaftig
gemachet? Nicht zu gedencken, daß die Schriften so woll wegen ihres styli, als
wegen der in den einem Stück gebrauchten griechischen Buchstaben, von keinem
schlechten oder ungelahrten Menschen aufgesetzet seyn können. Zwar sind einige
Zeügen verdächtig, auch solche zum theil nicht eydich abgehoret
[Bl. 75v]
worden: allein in Fällen, da von keinen schweren Verbrechen die Rede ist, thun dergleichen
Mangel nichts zur Sache, zumahl wenn, wie hier, verschiedene Umstände u.
Indicia zusammen kommen.
III. Glaube ich auch, daß die Denunciaten noch stärcker gravirt, u. woll gar überführet werden könten, u. zwar durch das Zeugniß derjenigen, welche die Pasquillen geschrieben, als welche meines Erachtens, mit der Zeit nach woll ausfindig zu machen seyen. Die Hand scheinet nicht verstellet zu seyn, sie ist vielmehr geübet u. gefast, insonderheit scheinet die Anl. N. 2 ad n. ads. 2 von einem SchreibMeister oder geübeten Copiisten geschrieben zu seyn, ja mir ist fast sinnlich, solche in acten bey der Samlung gesehen zu haben. Wenn man also aus Göttingen u. aus einigen in der Gegend belegenen Acten, die Hand der daselbst sich aufhaltenden SchreibMeister u. Copiisten, durch die Obrigkeiten jeden b..[?] zu erhal
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den suchete; so würde sich darunter vermutlich eine Hand finden, die mit eine
von den Schriften quaest. ähnlich wäre. Die Pasquille selbst denen Obrigkeiten
in den Göttingischen Gegend zu zuschicken, um sie hiernach den
Copiisten ausfündig zu machen, wird woll bedencklich seyn, weil dadurch die
Sache noch mehr verbreitet würde.
Ich schließe also III dahin: daß zufoderst, wie just erwehnet, wo möglich diejenige, welche die Pasquille abgeschrieben, ausfündig zu machen u. abzuhören: hiernächst aber die Denunciaten, wenn jene selbige nicht frey sprechen u. andere Authores angeben sollten, desgleichen auch, wenn die Copiisten, welche gar nicht ausfündig gemachet werden könten; wegen der Sache selbst zu vernehmen, und causa satis instructa[?] ein Erkenndniß abzufaßen. Ein förmliches articulates Verhör halte nach Beschaffenheit des delicti nicht nöthig, zumahl, wenn die Denunciaten nicht
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weiter graviret werden solten, u. nichts eingestehen solten. Wenigstens könte zu
foderst nebst Beyfügung der abgehaltenen Protocolle von der Sache nochmahls
an Königl. hohe Landes=Regierung berichtet werden.
Sollten jedoch die Denunciaten sehr geschickte u. brauchbare Männer seyn, mithin der Universität einen großen Nuzen schaffen; so gebe V. noch anheim: Ob nicht der Stallmeister Ayrer, wo nöthig, dahin zu bereden, daß er die Sache nicht weiter betreiben möge? u. ob nicht, wenn er sich solches gefallen laßen solte, von seiner Untersuchung abzustehen, denen Denunciaten unter Hand eine Bedäutung zu thun, dieselbe auch allenfalls also verzögen, sie dem Stalmeister u. denen übrigen Beleydigten gewißermaßen eine Ehren Erklährung thäten, u. sich mit selbigen versöhnten. Denn ich sehe nicht ab, wie die Denunciaten, falls die Sache fortgesetzet werden
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solte, und sie woll gar überführet würden, mit Ehren und Nuzen zu
Göttingen bleiben können, mehrer wegen wenn man ihnen auch gleich ihre
Ehre vorbehallten wolte, solches dennoch bey vielen keine sonderliche
Würckung haben würde. Uberdem würde die Sache durch
eine weitere Untersuchung und Bestraffung noch ruchtbarer werden, u. könten
dadurch der Universität vielleicht eine üble Nachrede, mithin mehr
Schaden, als Vortheil zu gezogen werden. Zugeschweigen, daß bey dieser
Gelegenheit dem Denuncianten selbst noch mehr Schimpf u. Unlust verursachet
werden könte, wenn nemlich die Denunciaten veritatem delicti imputati
vorschüzen u. erweisen wolten, als womit sie nicht zu enthören[15]
seyn würden, weil solches den Process[?] in etwas mildern könte.
Art. 110 C. C. verb. unschuldiges | |
Kres ad h. art. l.1. N. 5 | |
Lauterb. l. c. § 70 | |
Carpz l. c. n. 40 |
den 15 May. 1763
Fußnoten
- ↑ Bilderbeck war Hofrat in Hannover. 1780 wurde Kanzleidirektor in Hannover, 1783 wechselte er in gleicher Stellung nach Celle.
- ↑ P.M.: Pro Memoria.
- ↑ crimen: Verbrechen, Beschuldigung.
- ↑ libellus famosus: Pasquill, Schmähschrift.
- ↑ Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760
Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte. Vgl.:
Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075. - ↑ Maria Elisabeth Becker war seit 1762 beim Stallmeister
Ayrer als Köchin angestellt. Vgl.:
Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472. - ↑ Johann Heinrich Falkenhagen (1720-1784) war Privatdozent der Rechtswissenschaften in Göttingen.
- ↑ Lüder Kulenkamp (1724-1794) war Professor für Philosophie in Göttingen.
- ↑ Johann Tobias Köhler (1720-1768) war ebenfalls Professor für Philosophie in Göttingen.
- ↑ Nummer des Dokuments in der Designatio Actorum.
- ↑ stuprum: Nötigung zum (außerehelichen) Beischlaf.
- ↑ poena talionis: Vergeltungsstrafe.
- ↑ poena arbitraria: Eine willkürliche Strafe, die nach dem Ermessen des Richters verhängt wird.
- ↑ assignare: zuweisen.
- ↑ enthören: abweisen.