Briefwechsel Johann Heinrich Müller


Kurzinformation zum Brief  
Autor Müller, Johann Heinrich (1671-1731)
Empfänger Rat der Stadt Nürnberg
Ort Nürnberg
Datum Ca. 20. Januar 1705[1]
Signatur Staatsarchiv Nürnberg: Reichsstadt Nürnberg, Losungamt Akten S I L 108/19 (5)
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdelgebohrne und Hochweise,
Hochgebietende, gnädige Herren!

Nachdem ich vernommen, daß Ein Hoch-Edler Rath nicht ungeneigt seÿe, die Eimmartischen Instrumenta Astronomica an sich zu erkauffen, so habe meine Schuldigkeit zu seÿn erachtet, dasjenige, was von dem Seel. Hln. Eimmart zu vollkommener Erörterung dieses Vorhabens noch wäre beÿzutragen gewesen, an dessen statt, als Theilhaber der hinterlassenen Erbschaft, nach wenigem Vermögen zu vollführen, und mit gegenwärtiger Schrifft vor dero Hoch-Edel Herrlichkeiten unterthänigst zu erscheinen.

Ich zweifle keineswegs, es werde die hiesige Republique von Alters her angestammte sonderbahre hohe Neigung zu Beförderung aller, und insonderheit Mathematischer Künste und Wissenschafften die vornehmste Bewegungs-Ursach zu beÿ Behaltung solcher Instrumenta seÿn, in Erwegung, daß die alhier so hoch getriebene Mechanischen Künste und daher erwachsende flor der Commercien der Mathesi unstrittig ihre Aufnahme zu dancken haben:

Und wann Ein Hoch-Edler und Hochweiser Rath über dieses in reiffe Erwegung zu ziehen belieben wird, wie sich hirmit die schönste Gelegenheit prasentire, das gesamte studium mathematicum, auf einen solchen gründlichen, realen und vortheilhaften Fuß zu sezen, auf dergleichen es bißher beÿ keiner Universität oder Gymnasio, weder in - noch außer Teutschlands, meines Wissens gestanden;

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und solcher Gestalt der gelehrten Welt aus hiesiger Stadt, eine neue Leuchte und Vorbild zu weiterer Nachfolge aufzustecken, so wird an einem glücklichen Entschluß und Vollführung der vorhabenden hohen intension desto weniger zu zweiffeln seÿn.

Dann, daß ich mich erkühne, wegen der besagten neuen Methode, des mathematische Studii meine geringe Meÿnung etwas deutlicher zu entdecken, so habe allbereit in der eingehändigten Verzeichnus der Eimmartschen Instrumenten kürzlich angezeiget, wie sich dieser apparatus zu allen partibus Matheseos auf eine ganz ungemeine Manier anwenden lasse.

Zu würcklicher Ausführung dieses Vorhabens könnten Wochentlich zu gewißen zweÿen Tägen allezeit, wenigstens ein paar Mittags-Stunden angewendet, und darbeÿ eine gewiße disciplin, z.E. erstlich die Geometrie, dann die Mechanic, Optic Astronomie, Gnomonic etc. eine nach der andern vorgenommen, und dergestalt ausgeführt werden, daß man erstlich die discentes[2] mit Vorzeigung derer auf dem Plaz befindlichen Instrumenten in denen nöthigsten terminis und definitionibus auf eine ganz leichte, lustige und vortheilhaffte Manier vorbereitete. Hernach von denen in das Werck zu richtenden Praxibus und Aufgaben die nöthigsten Risse auf dem Papier vorzeigete, und daran alsobald mit würcklicher Hand-Anlegung an die Instrumente in die Praxis selbst brächte, und als dergestalt ausführete, daß vom Anfang biß zum Ende, von der Theorie biß auf die Praxin nicht hinterstellig bliebe, auf eine dermassen nüzliche methode, welche wol nicht besser wird zu erdencken seÿn; wovon jedoch die Zeit und Erfahrung selbst viel mehr zeigen wird, als man alhier mit Worten vorstellen kan.

Und weil die vornehmsten Theile der Mathesis, als die Astronomie, Optic, Mechanic, Hydraulic etc. keine geringe Wissenschaft der Natur, insonderheit des Lichts, Luffts, Wassers ect. erfordern, so kön-

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te in denen kältesten Winter-Monathen, als Januario, Febr., da sich unter freÿem Himmel, oder auf dem Feld, zumal beÿ tiefem Schnee, nicht viel besonders practiciren läst, (auch wol öffters) entweder zu Hauß privatim, oder in dem Auditorio publico die Principia Physices in Teutscher oder Lateinischer Sprach dociret, und solcher Gestalt ein Studium, wie es beÿ einer florisanten Republ. befindlich, eingeführet werden; Wie dann die beede berümte Gymnasia zu Ulm[3] und Stutgard[4] hierinnen albereit ein Beÿspiel geben können, als in welchem nebst den Mathematischen und andern Künsten auch die Professio Physices eine Stelle behauptet.

Die Observationes Astronomicae, welche sich an keine Zeit binden lassen, sondern nach Beschaffenheit der Himmels Conjuncturen, bald Morgens, Abends, Mittags oder Mitternacht anzustellen sind, könnten anbeÿ nach des Seel. Hln. Eimmarts Methode continuiret werden, doch daß man dabeÿ in Absicht auf die Verbesserte Zeit-Rechnung des Calenders zuvorderst auf das Frühlings-Aequinoctium, ob es allezeit auf den 20 Martii fiele, und den darauf folgenden Oster-Vollmond, fleissige Achtung hätte, u. so bald man in den Calendern eine Abweichung von dem Himmels Lauff verspührete, solche der gelehrten Welt, durch einige gedruckte Bögen, oder durch die Leipziger Acta Eruditorum, oder in Ephemeridibus und Calendern kund machete, und damit verhütet, daß nimmermehr ein mercklicher fehler begangen würde. Welches gleichfalls mit denen Finsternißen und andern wichtigen Himmels-Begebenheiten könnte beobachtet werden. Beÿ solcher Veranstaltung erkühne mich unterthänigst zu bitten, daß dero Hochedel. Herrlichkeiten hierbeÿ auf meine Wenigkeit gnädigste reflexion zu machen, und mir dermal einst Gelegenheit zu geben geruhen, meine in die 10 Jahre auf verschiedenen Universitäten mit Hören, disputiren u. lehren zugebrachte studia, dem lieben Vatterland zum besten an zu wenden, und ein austrägliches Salarium gnädigst angedeÿen zu lassen.

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Ich versuche solche hohe Gnade mit allem einem redlichen Patrioten anständigen Gehorsam, Treue, Demut und Fürbitte zu Gott, daß Er hiesige Republic, und insonderheit Einen Hoch-Edlen und Hochweisen Rath in beständigem Flor und glücklich-gesegneter Regierung erhalten; und alle widrig gesinnte Anschläge kräfftig zu vernichten, uns aber einer so erwünschten u. gesegneten Regierung biß auf unsere Nachkommen ohne Ende erfreulich geniesen lassen wolle

Euer HochEdel Herrlichkeiten

unterthänigst gehorsamst
M. Joh. Henr. Müller


Fussnoten

  1. Dieses Memorial wurde am 27. Januar dem Rat präsentiert. Wann es geschrieben wurde, ist nicht vermerkt. Es stammt aus der Zeit nach Eimmarts Tod, der am 5. Januar 1705 starb und am 9. Januar 1705 beerdigt wurde. Von daher dürfte dieses Memorial um den 20. Januar herum verfasst worden sein.
  2. die discentes: das zu lernende.
  3. Die Ulmer Lateinschule war 1622 zu einem Gymnasium Academicum erhoben worden.
  4. 1686 wurde in Stuttgart das Gymnasium illustre gegründet. Es ist heute das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium.