Briefwechsel Johann Philipp von Wurzelbau


Kurzinformation zum Brief  
Autor Wurzelbau, Johann Philipp (1651-1725)
Empfänger Junius, Ulrich (1670-1726)
Ort Nürnberg
Datum 6. Juni 1699
Signatur Universitätsarchiv Leipzig: Ms 01322, Bl. 394r-395v

[Bl. 395v: Anschrift]
Monsieur
Monsieur Ulric Juni
Mathematicién tres excellent
à Leipzig
franco
Beÿ Fr. Wunderlichin
im Kupfergäßchen
abzugeben.

[Bl. 394r]
HochgeEhrter Herr


Daß mein HochgeEhrter Herr Zeit wehrender anwesenheit in Guben beÿ Herrn Kirchen[1] soviele sonderbahre Gunstbezeugung genossen auch in dessen werther Gesellschaft die am 5:ten Martij geweßene Mondfinsternuß observirt, habe billich zu gratuliren, auch beede à l'Observatoire Royal à Paris gehaltene observationes derselben zu verlangter collatur hiebeÿ communiciren nicht unterlassen sollen.[2]   Vor dero gehabte bemühungen einige opera astronomica in verschiener Leipziger Messe einzuhandeln finde mich abermahlen sehr obligirt, bleibe solche von Hl Dörfflern[3] zu erhalten auch was noch ferner von Keplerianis zu haben seÿn möchte, nicht weniger des Catalogi seel. Hl. Prof. Knorrens verlassener Bibliotheca et Instrumentorum seiner Zeit gewärtig.[4] Hevelii tractatum de nativa Saturni facie[5] habe beÿ keinem alhiesigen buchführer erfragen können, ist selbiges auch in Leipzig nicht zu haben, so wird auch dieses scriptum forthin zu erhalten schwehr fallen. Das pacquet so die Jenische Kutsche am freÿtag überbracht, habe sobald an erfolgtem Sonnabend in die Guldene Ganß alhier dem Ulmer booten einhendigen auch beÿgelegtes an Hl. Schultheiß[6] überliefern lassen, über die 6 Exemplaria welche MHHl. bedencken über des seel. Hl. Weigelii proponirte Calender Vereinigung[7] wie auch Hl. Prof. Meÿers[8] darüber verfassete anmerkungen und darauf erstattete Gegenantwort begreiffen, erwarte fernere disposition. Ich habe mit der Calendersache mich wohl ein sonders verwirren mögen, zumahlen beÿ selbiger der Astronomia und deren richtigkeit in tantum die Hand gebunden werden will, daß obschon Gott der HERR Sonn und Mond, ohne Zweiffel nach ihren sichtbaren und wahren Lauff die Zeiten zu unterscheiden geschaffen, auch seinem Volck im alten Testament zu richtiger celebrirung des Passah die observation des ersten Neumonden (welcher nach einiger meinung auf einem berg durch einen Priester mit erwartung der ersten phaseos post conjunctionum wircklich gehalten und vermittels Trompetenhalls angekündiget worden) anbefohlen, die Kirche (wie Clavius cap. IV. pag. 66. 67. redet)

[Bl. 394v]
an der Luminarium wahren Lauff gar nicht gebunden seÿe, den nur der motuum mediorum sive fectorum welche manchmahlen à veris valdè differiren sich bedienen will, und das unter anderen praetendirten ursachen darumben, ne universus populus Astronomiam cog[unt?] perdiscere, quod novum atque inauditum et facta foret impossibile [...] und dahero sich lieber mit einem Celo sich behelffen will, vermittels dessen man das Aequinoctium, Novilunium et Plenilunium Paschatas per regulas faciles quae sine magno labore à quodlibet Astronomiae etiam omnino rudi et ignaro percipi ac teneri possint sine cognitione tabb: astronomicarum taliter qualiter errathen möge. Gleich alß ob die gesambte Christenheit der Astronomia so unerfahren alß in denen ersten seculis wäre und nicht etliche Astronomos welche durch ihre unbetrügliche observationes (wann man ja den tabulis extantibus,[9] die doch wenigst auf Ein Seculum hierzu suffisant sind, nicht trauen wollte) auf etliche Jahre vorhero das wahre Aequinoctium et Lunationes sicherlich ankündigen möchten unterhalten, mithin der von Zeit zu Zeiten offenbahr mangelhaften cyclorum (deren gebrauch beÿ den Astronomis mich eben gemahnte alß wann man einem fürtrefflichen Arithmetico den gebrauch der Zahlen u. schreibens benehmen und ihn seine weitläuffigte operationes nur mit den fingern zu expediren obligiren wollte) gar entbehren könnte. Es wäre alhier noch von mehreren zu reden welcher gestalten der ganze Calender der Christen in schönster harmonie der himmlischen Bewegungen angeordnet und so lange diese wehren, paralleleos erhalten werden könnten, wer wird aber soviele hierunter waltende auctoritates conciliren, durch fabulae narrabitur. Meine wenige meinung wäre indessen es gereiche künfftig seculum mit dem Calenderwesen wie es war so sollten auch doch die Astronomi den Julianischen cyclum beÿbehalten und ihre tabulas fort und fort darnach einrichten. Herrn Kirchen bitte mich abermahlen schönstens zu befehlen und, biß ich dessen gratificationes mit wircklicher reconnoissance erwieder, indessen meintwegen schuldigsten danck ab zustatten.[10] Ich verharre nebst Göttlicher Gnaden ergebung

Meines HochgeEhrten Herrn

Nürnberg 6. Junij
1699.

Dienstergebener
JPWurzelbaur


[Bl. 395r]
[Es folgen die Daten Cassinis zur Mondfinsternis vom 05./15.03.1699[11]]



Fussnoten

  1. Zu Gottfried Kirch (1639-1710) siehe
    • Herbst, Klaus-Dieter: Gottfried Kirch. Astronom, Kalendermacher, Pietist, Frühaufklärer. Jena: HDK 2022
  2. Vgl. hierzu den vorigen Brief von Wurzelbaur an Junius.
  3. Der Handelsmann Peter Dörffler (?-1708) wurde 1686 Genannter des Größeren Rats der Stadt Nürnber.
    • Roth, Johann Ferdinand: Das Verzeichnis aller Genannten des Größeren Rats zu Nürnberg. Nürnberg: Milbradt 1802, Reprint Neustadt an der Aisch: Verlag für Kunstreproduktionen, S. 142
  4. Martin Knorre (1657-1699) war Professor für niedere Mathematik in Wittenberg gewesen. 1691 hatte ihm Christoph Jacob Glaser (1662-1722) eine epistola gewidmet, in der er die Geräte der Eimmart-Sternwarte vorstellte. Nach seinem Tod am 23.03.1699 wurde seine Büchersammlung versteigert. Der zugehörgie Katalog ist nicht auffindbar. Zu Glaser siehe.
    • Gaab, Hans: Zur Geschichte der Eimmart-Sternwarte. Spezialausgabe des Regiomontanusboten. Nürnberg: März 2005, S. 31
  5. Hevelius, Johannes (1611-1687): Dissertatio, De Nativa Saturni Facie, ejusque Variis Phasibus, Certa Periodo Redeuntibvs: Cui Addita est, tam Eclipseos Solaris anni 1656 Observatio, quam Diametri Solis apparentis accurata dimensio. Danzig 1656
  6. Es handelt sich möglicherweise um den Maler Erhard Schultheiß, der auch als Kunsthändler bezeichnet wurde.
    • Grieb, Manfred: Nürnberg Küstlerlexikon, Band 3. München: Saur 2007, S. 1394-1395
    • Roth, Johann Ferdinand: Geschichte des Nürnbergischen Handels. Dritter Theil. Leipzig: Adam Friedrich Böhme 1801, S. 130-131
    • Tacke, Andreas: "Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürnberg". München, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001, S. 568-569
  7. Junius, Ulrich: Unpartheyisches Bedencken Uber die von Tit. Herrn Prof. Weigelio Dem höchst-ansehnlichsten Reichs-Collegio zu Regenspurg proponirte Calender-Vereinigung. Leipzig: Lanckische Erben 1699
  8. Johannes Meyer (1651-1719) war Mathematikprofessor in Regensburg. Nach Weigels Tod versuchte u.a. er dessen Vorschläge zur Kalendervereinigung weiter voranzutreiben.
  9. den tabulis extantibus: den bestehenden [astronomischen] Tafeln.
  10. Diesen letzten Satz zitiert Junius im Brief vom 1./11.07.1699 an Kirch.
    • Herbst, Klaus-Dieter: Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch, 2. Band: Jena: IkS Garamond 2006, S. 326
  11. Mit Brief vom 1./11.07.1699 gab Junius diese Daten an Kirch weiter. Die Daten sind abgedruckt in:
    • Herbst, Klaus-Dieter: Die Korrespondenz des Astronomen und Kalendermachers Gottfried Kirch, 2. Band: Jena: IkS Garamond 2006, S. 326-327

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