Briefwechsel Johann Leonhard Rost
Kurzinformation zum Brief | Zum Original |
Autor | Rost, Johann Leonhard (1688-1727) |
Empfänger | Kirch, Christfried (1694-1740) |
Ort | Nürnberg |
Datum | 17. August 1720 |
Signatur | UB Basel: L Ia 720, Bl. 64r-65v |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
HochEdler und Hochgelahrter
Hochgeehrtester Herr
und Hochgeschätzter Gönner.
Auf Ew. HochEdl. geliebtes vom 4. Junii, habe ich die Antwort wieder meinen Willen, biß hieher aufschieben müßen, maßen ich an deren Ausfertigung, durch allerhand Hindernißen bin gestöhret worden. Was Sie nun dazumahl in puncto der letzten Mondfinsterniß[1] gemeldet, darinnen begehre Ew. HochEdl. ich nichts zu wiedersprechen, und bleibe mit Ihnen ich alle Zeit der Meinung, daß es schwer wo nicht gar unmöglich fällt, die differentias meridianorum dergestalt daraus zu deduciren, wie es die eigentliche Beschaffenheit der Sache erfordert. Indeßen mus man es nehmen so gut als es geschehen kan: und wäre wohl zu wünschen, daß sich viele fleißige observatores fänden, welche das was der ☽ versaget, aus den Satellitibus Jovis herleiteten.[2] Es ist sich für wahr zu verwundern, daß diese Eclipses so sehr negligiret werden, maßen ja gar wenig solcher Observationum zum Vorschein kommen; wie wohl auch vielleicht einige wo nicht die mehreste Observatores selbst Schuld daran, wenn sie, wie ich muthmaße, Geheimniß daraus machen, und denn gesammlete Schätze, nur erst nach ihrem Tode, oder auf andere Conditiones mittheilen wollen. Gewißlich es gereichet solches der Astronomie, Geographie u. Schifffahrt zu großem Schaden, und ist es meines Erachtens vor eine Sünde zu halten, wenn diejenige so mit der Astronomie umgehen, mit dem publico nicht aufrichtiger handeln. Ew. HochEdl. werden über diesen Eÿffer wohl lachen: allein ich zweifele deßen ohnerachtet doch nicht daran, daß Sie mir recht geben, und bin auch gewiß versichert, daß Sie mit mir einerleÿ Wohlmeinende Absichten hegen, wenn sichs nun so tuhn ließe wie man gerne wolte. Wir liegen vielleicht in einem Spital und an einer Maladie krank, und es fehlet uns etwan auch einerleÿ Medicin, die aber heunt zu tage so raar als der Lapis philosophorum[3] zu seÿn scheinet. Indem aber aus eigenen Kräften keine hinlängliche Hülfe zu verhoffen, so mus man dem Verhängniß seinen Lauf laßen, und erwarten ob sich die Zeiten nicht verändern
Des Herrn M. Gauppens[4] Ephemerides anbelangend, so hat wohl Hl Wagner neulich eine kleine Hofnung zu einem Verleger gemacht, und ich bin bißhero täglich in der Hofnung gestanden, daß Er mir auf des Hl Auctoris Erklärung, eine Antwort ertheilen würde, damit man etwan die Sache bald in den Stand bringen könte: allein es heißt vielleicht beÿ ihm: Ich habe ein Weib genommen, darüm kan ich nicht schreiben.[5] Wenn er mir es zu lange machet, maßen ich schon den 25 Maji deßwegen an Ihn geschrieben, so verklage ich Ihn beÿ Seiner Liebsten, und getraue es mir wohl dahin zu bringen, daß Sie ihn nicht eher zu sich ins Bette läßt, biß er meinem Verlangen ein Genügen
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geleistet hat. Weil Ew. HochEdl. die publication dieser Ephemeridum selbsten wünschen: so
seÿn Sie doch von der Güte und unterstützen Herrn Wagnern in Seinem guten Vorhaben,
damit er es nicht etwan gar in Vergeßenheit stellet. Ist dem Verleger, Hl M. Gauppens
Proposition nicht anständig, so endecke er nur seine Einwendungen, oder was er sonsten zu
tuhn gesonnen: Vielleicht läßt sich schon ein Mittel treffen, daß jeder Theil mit zu frieden seÿn
kan. Wenn indeßen Hl M. Gaupp gleich seine Ephemerides nicht unterbringet, so kan er sie doch
zu seiner Calender Arbeit gebrauchen: und es ist gewiß, wenn keine Ephemerides ferner
herauskommen, deren sich die gemeinen Calender Schreiber zu ihren Schmierereÿn bedienen
können, so wird man alsdann die Calender Arbeit nur beÿ solchen Leuten theuerer bezahlen
müßen, die mit dem Calculo selber umgehen. Manfredi seine lauffen allmählich zu
Ende,[6] und ist der Zeit nach keine Continuation von ihm zu hoffen.
Des Ms. Desplaces seine, gehen
auch nur noch auf wenige Jahre,[7] und die von der Pariser Societaet
versprochenen auf 50 Jahre
sind meines Wißens weder heraus noch zu hoffen, oder doch auf allnen fall in Teutschland
gantz was unbekandtes. Daß Ew. HochEdl. beÿ der Societaet etwas von den Ephemeridibus
gedencken wollen, solches wird meines Erachtens wenig fruchten, gestalten Sie ja ihre Meinung
hierüber, allbereit an dem Herrn M. Gauppen selber, schriftlich gelangen laßen. Doch kan am
Ende die Wiederholung nicht schaden; zum wenigsten könte sie durch Ihre Auctoritaet und
Erklärung, dem Verleger in Berlin, einige Vorstellungen tuhn, daß er sich desto eher zur
Aufwendung der Unkosten bequemte. Ich bin nicht in Abrede, Hl M. Gaupp hat respectu
der gewöhnlichen materien viel pro labore gefordert: ich glaube aber, wenn man ihm
vernünftig dartuht daß es zu viel seÿ, er werde nicht zu eigensinnig seÿn: wie er denn gewiß
ein Mann ist, den man nicht eigennützig nennen darf. Solcher gestalt geruhen Ew. HochEdl.
mit Hl Wagner aus der Sache zu sprechen, und Ihn nebst meiner gehorsamsten Begrüßung
zu vermelden, daß er mich bald einiger Zeilen würdigen möge.
Daß hier der Mercurius auch nicht in der ☉ erschienen, werden Ew. HochEdl. etwan bereits wißen[8] und bedauere ich die große Mühe, so Sie sich seinetwegen gegeben. Es stehet zu untersuchen ob hierinnen nicht ein Versehen fürgegangen, daß man die nodos ☿ii diametraliter oppositos statuiret wie Keppler selber getahn hat, welches doch die Eccentricitaet nicht allerdings zu geben will. Hugenius, ni fallor[9] in Tractatu de Horologio Oscillatorio,[10] hat solches schon ehemals nicht zu geben, und an einem andern Orte, wie er daselbst meldet, davon handeln wollen, ich weis aber nicht ob und wo es geschehen. Weil die Untersuchung dieses Puncts mir zu schwer scheinet, so will ich sie auch noch etwas auf die Seite setzen, und indeßen andere hievon urtheilen laßen, welche sich höher als ich, im Himmel verstiegen haben. Gott gebe, daß Mons. Mercurius uns A.° 1723 nicht von neuen in April schicket,[11] welches ich aber deßwegen nicht vermuthe, weil er alsdenn um ein merckliches tiefer in die ☉ rücken soll.
Sonsten habe Nomine des Hl von Wurzelbau, so wohl an Ew. HochEdl. als an Hl Wagner ein Compliment zu machen, und soll ich ihn entschuldigen, daß er auf die empfangene Schreiben, die
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gebührende Antwort, noch nicht eingeschicket. Es hat auch beÿ Ihme wie beÿ Hl Wagnern geheißen:
Ich habe ein Weib genommen, darüm kan ich nicht schreiben; gestalten dieser 69jährige Astronomus,
verwichenen 5 Augusti, zum zweÿten mahl Beÿlager gehalten hat.[12]
Er wird nun
seine Schuldigkeit ehestens beobachten, wenn er nur ein wenig beÿ seiner neuen Gehülfin
gewohnet, und die etwas beÿseit gelegte Verrichtung, wieder in Ordnung gebracht hat.
Weil mir sattsam bekand ist, was Ew. HochEdl. sich in calculo Astronomico vor eine große Erfahrenheit und Fertigkeit beÿgeleget, und ich muhtmaße, daß Sie dasjenige, was in den praeceptis Tabularum gar nicht, oder doch sehr undeutlich enthalten ist, zu ihrem eigenen Gebrauch in Ordnung und Deutlichkeit gebracht haben: so würden dieselbige mir einen ungemeinen Gefallen erweisen können, wenn Sie mir die methode hochgeneigt communicirten wie ex loco planetarum ihr tempus ortus et occasus nebst der duratione apparationis zu berechnen ist.[13] Wegen der künftigen Zeiten, hätte ich dieses unter hiesigen meridiano nicht nöthig, weil solches jährlich in dero Astronomischen Wahrsager[14] enthalten: es hat sich aber bißhero etlich 6 mal, ja vielfältig ereignet, daß ich gerne auf die längst vergangenen Zeiten dergleichen berechnet, und eines und das andre examiniret hätte: allein es stunden mir die Ochsen am Berge, weil mir der modus procedendi unbekand war. So ferne es nun Ew. HochEdl nicht zu viel Mühe machet, so bitte meiner hierinnen eingedenck und versichert zu seÿn, daß ich auf alle ersinnlichen Gegen Gefälligkeiten, jederzeit bedacht seÿn werde
Vor die communicirte observationes, wolte ich gerne mit etwas anders von der gleichen Art aufwarten: allein wie ich schon neulich gedacht, so ist entweder das Wetter nicht gut, oder es fehlet hier und da an etwas, maßen unser Observatorium je länger je untauglicher und an keine Reparirung gedacht wird.[15] Weil ich nicht das Directorium darüber habe, so darf ich mich auch der Sache nicht ernstlich annehmen, und wenn ich gleich schon manchmal einen wohlmeinenden Vorschlag und gute Erinnerung tuhe, nutzet es doch eben so viel, als wenn ich stille schweige. Gott seÿ es geklagt, daß die Künste und Wißenschaften in solchen Verfall gerahten, und sogar vor was unnützes aus geschriehen werden. Ich wünsche von Hertzen, daß es in Berlin beßer stehen möge; dabeÿ zu Ew. HochEdl. unveränderlicher Wohlgewogenheit und geneigten Andencken, ich mich bester maßen empfehle und unabläßig beharre
Ew. HochEdlen
Nürnberg.
d 17. Augusti A.o 1720.
gantz ergebenster und verbun=
denster diner.
Johann Leonhard Rost
[Bl. 65v]
P. S. dt. 25 August.
Es hat gegenwärtiges Blat, schon vor 8 Tagen an Ew. HochEdl. abgesendet werden sollen; weil aber Hl P. Doppelmayr mich ersuchet, daß ich ein Briefchen an Hl Wagner von ihm mit einschließen sollte, und er mich mit deßen Ausfertigung so lang aufgehalten, als habe ich es biß heute aufschieben müßen; bitte indeßen von der Güte zu seÿn, erwünschtes Briefchen Hl Wagner zu zu stellen; Wie diesen Tagen in der öffentlichen Zeitung das erschreckliche Unglück in Berlin public gemacht worden,[16] bin ich heftig darüber erschrocken, und so wohl um Ew. HochEdl. und Hl Wagner sehr bekümmert gewesen: allein es sagte mir jemand vor einigen Tagen, daß ich deßwegen nicht besorgt seÿn sollte, weil das Observatorium von dem loco Infortunii weit entfernt wäre; welche Nachricht mich aber so nachdrücklich, als eine andre von dem neulichen Brand in Lindau[17] wieder aufgerichtet, da ich gehöret, daß selbige Hl M. Gaupp allda, nicht betroffen hätte. Gott behüte ferner jedermann vor allem Unglück. etc.
Fußnoten
- ↑ Die letzte Mondfinsternis fand am 23. Februar 1720 statt.
- ↑ Am 2. November 1724 schrieb Doppelmayr an Scheuchzer, dass er vorhabe die geographischen Koordinaten von Lindau und Zürich "aus neuern observationen zu corrigiren, wozu mir absonderlich die Eclipses Satellites primi Jovis sehr dienlich sind", ZB Zürich: Ms H 303, S. 347
- ↑ Lapis Philosophorum: Der Stein der Weisen.
- ↑ Johannes Gaupp (1667-1738) war Pfarrer in Lindau, der aber vor allem als Astronom bekannt wurde. Er war einer der wichtigsten Briefpartner von Rost.
- ↑ Auch Doppelmayr beklagt im Brief vom 12. April 1720 an Kirch, dass er von Wagner lange nichts gehört habe. Doppelmayr vermutete den Grund darin, dass "dieser gute Herr [...] anjezo was Liebes hat"; UB Basel: L Ia 688: Bl. 79,1r-v. Wagner hatte 1719/20 die Tochter von Johann Ernst Eßing geheiratet, der als Mechaniker bei der Berliner Akademie angestellt war.
- ↑ Manfredi, Eustachio (1674-1739): Ephemerides Motuum Coelestium ex Anno 1715-25. Bologna: Pisarii 1715.
- ↑ Desplaces, Philippe (1659-1736): Ephemerides des mouvemens celestes pour les annees 1715-1725: pour le meridien de la ville de Paris. Paris: Collombat 1716.
- ↑ Über das Nichterscheinen des Merkurs vor der Sonne am 8. Mai 1720 hat Rost in den Breslauischen Sammlungen berichtet: Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten, 12. Versuch, erschienen 1721, S. 541-557.
- ↑ ni fallor: wenn ich mich nicht irre.
- ↑ Huygens, Christiaan: Horologium Oscillatorium. Paris: Muguet 1673.
- ↑ Am 9. November 1723 zeigte sich der Merkur vor der Sonne. Wie Rost in den Breslauischen Sammlungen (Sammlung von Natur- und Medicin- wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literatur-Geschichten, 26. Versuch, erschienen 1725, S. 505) berichtet, war dieser Durchgang in Nürnberg wegen schlechten Wetters nicht zu beobachten.
- ↑ Wurzelbau ging am 06.08.1720 mit Sabina Dorothea Kreß (1658-1733) seine zweite Ehe ein.
- ↑ wie aus dem Ort der Planeten die Zeit ihres Auf- und Unterganges sowie die Dauer ihrer Sichtbarkeit zu berechnen ist.
- ↑ Der Warhafftige Himmels-Bothe / Oder Astronomischer Wahr-Sager erschien ab 1677 unter dem Namen von Georg Fabricius. Tatsächlich war aber von Anfang an Gottfried Kirch der Autor. Diese Reihe wurde von seinem Sohn Christfried weitergeführt. Vgl. den Eintrag zu Fabricius im Biobibliographischen Handbuch der Kalendermacher von 1550 bis 1750.
- ↑ Über die Zustände auf dem Observatorium beklagte sich Rost schon in den Briefen vom Dezember 1716 und April 1717.
- ↑ Am 12. August 1720 kam es in Berlin zur Katastrophe, als das Spandauer Tor mit dem Pulverturm in der Straße Am Wall abgerissen werden sollte. Während des Ausräumens explodierte der Turm. Dieses Unglück forderte 72 Todesopfer und ca. 50 Schwerverletzte.
- ↑ In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 1720 war in Lindau ein verheerendes Feuer ausgebrochen, bei dem u.a. das Zeughaus zerstört wurde.