Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Pro Memoria
Ort Göttingen
Datum 12. Juni 1763
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 105-113
Transkription Hans Gaab, Fürth

Praes. d. 12. Jun. 1763

P.M.[1]

Die Deputation der hiesigen Hochlöblichen Universität ließ mir am 7. Junÿ durch den Pedellen Fricke[2], folgendes versiegeltes und hier copiertes Schreiben einhändigen:

  Dem Professori philosophiae ordinario Herr George Mauritius Lowitzius wird hiermit zu vernehmen gegeben, was massen die Universitäts Deputation einen von Königl. Landes Regierung erhaltenen besondern Auftrage zu Folge demselben über einen gewißen Vorfall zu sprechen nöthig findet; dahero wird derselbe sichs gefallen lassen vor dem Prorectore und der Deputation auf der Concilien=Stube[3] heute den 7 Junii nach Mittags 4 Uhr sich mans bleibend ein zu finden, und der Anzeige des Vorfalls zu gewärtigen. Wornach derselbe sich zu achten. Göttingen den 7 Junÿ 1762
  Christian Wilhelm Franz
Walch[4]
zeitiger Prorector.

Ich stelte mich genau zur bestimten Zeit ein; und als ich vorgelassen wurde, so traf ich Ihro Magnif. den Herr D und Prorector Walch, den Hl Hofrath Pütter[5], den Hl. Prof. Meister[6], und den Herrn Prof. Riccius[7] an. Man sagte mir, es bestünde der besondre Auftrag darinnen; von mir zu begehren, daß ich eine mündliche Erzählung und Erläuterung von denen Umständen geben solte, die mir von dem Stallmeisterischen Pasquillenwesen bekant seÿn mögen: in dem ich selbst eines von diesen angeschlagenen Pasquillen abgenommen hätte.

Da mir freÿlich verschiedenes von diesem Muthwillen bekant geworden ist, so wie das ganze Göttingen eine Erkäntniß davon bekommen hat: und da der Hofrath Michaelis[8] sichs gefallen ließ, mich alsobald als die Hauptpersohn dieser Niederträchtigkeiten aus zu schreÿen: so war es kein Wunder, daß mir meine guten Freunde, die meinen wahren Character kennen, und die eine Abscheu für dieser schändlichen Beschuldigung äußerten, frühzeitig von der arglistigen Bosheit eines Mannes, Nachricht gaben, den ich bis hieher für einen wahren guten Freund gehalten habe, und der mir, wie ich beweisen werde, sehr vielen Danck schuldig ist.

Auf diese Nachricht folgte also bald eine andre, daß der Hofrath Michaelis den Stallmeister[9] überredet habe, diese Schandsache vor die Deputation zu bringen und auf meine Persohn inquiriren zu lassen. Da er meine Ungeschickligkeit im Schreiben, zu kennen vorgab, so gesellete er mir einen Gehülffen zu: und dieses Unglück betraf den Herr Prof. v. Selchow[10], der um eben dieselbe Zeit, als das erste Pasquill bekant wurde, mit dem Hofrath Michaelis in einen Streit gerieth, welcher in Hannover so wohl bekant ist, daß ich seiner nicht gedencken darf.[11] Eben so wurde mir die eÿfrige Bemühung der Deputation, alles mögliche zu sammlen was man nur wieder mich erfahren konte, um dem Soupçon[12] der Kläger zu bestärcken, bekant gemacht. Man sagte mir, daß so gar Dienstmädgen anderthalb Stunden lang des wegen sind abgehört worden: und daß man auch den Göttingischen Ausruffer, welcher den Herr v. Selchow bedienet, wegen seines Herrn vernommen habe. Zu gleicher Zeit erfuhr ich auch den größten Theil der Antworten dieser abgehorten Leute, wie auch die wichtigsten Puncte, worauf die Kläger ihren Verdacht wieder mich, gegründet haben. Es ist unnöthig davon eine Erzählung zu machen, da ich mich schon darüber vor der Deputation erklärt habe. Denn was würde es nutzen? Da man alles schon aus denen Acten weiß, wenn ich sagte: daß man die Köchin[13] des Herr Stallmeisters zum Hauptgrund angebe um deren willen ich an diesem Pasquillen-Lärmen Antheil haben soll.

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Daß der Stallmeister einen Brief an ihn, von meiner Hand denen Acten beÿgeleget hat: daß ich vorher niemahls einen Umgang mit dem Hl von Selchow gehabt habe, als um dieselbe Zeit da das erste Pasquill erschienen ist: daß ich die ein geworffenen Fenster in des Stallmeisters Wohnung angesehen habe: daß von mir ein Pasquill an des, gegen meinem und D. Falckenhagens[14] Fenster über befindliches Thore des Riemenschneiders[15], zu einer ausserordentlichen Zeit ist abgenommen worden: daß ich mich weigerte dieses Schandpapier dem Hl Prorector auszuliefern, als er es durch den Pedellen am andern Tage, gerade zu, von mir abfordern ließ u. s. f. Der Aussage der Mädgens u. des Ausruffers u. andrer, nicht gedencken: worüber ich mich deutlich genug erklären werde. Alles dieses konte ich schwehrlich glauben, wenn es mir nicht von so guten Freunden versichert worden wäre: und wenn ich von der Wahrheit dieser Nachrichten nicht jezt aus denen Folgen uber zeüget würde. Endlich kam mir noch die aller unglaublichste Nachricht vor die Ohren: man habe die sämtlichen Acten zur Untersuchung nach Hannover übersendet; und die Zeitung lief durch ganz Göttingen. Daß die Verfasser dieser Schandschriften glücklich entdecket sind, und nun werden sie bald den Lohn ihres Verdienstes empfangen: wobeÿ man nicht unterließ mich insbesondere, wehemüthig zu beklagen u. zu bedauern!

Da ich von diesen mir äußerst schimpflichen Unternehmungen eines vermeinten treuen Freundes, vollkommen überzeugt war, so konte ich als denn leicht die trüben Quellen entdecken, woraus sie floßen. Ich prüfte alle mögliche Umstände mit allem Fleiße, und fand daß dieses eine höchst subtille Rache seÿn soll, mich auf eine verborgene Art zu bestraffen; weil ich mich niemahlen unter das eiserne Joch dieses meines falschen Freundes, habe schmiegen wollen. Den armen Stallmeister gebrauchet er, wie der Affe die Katze, um die gebratenen Kastanien aus dem Feuer zu langen.[16]

Diese äußerste Bosheit, und noch viele andre damit verwandten Dinge werde ich beÿ der Entwicklung dieses Processes, zu entdecken und zu beweisen, überflüssige Gelegenheiten finden: und ich bin überzeugt daß ein jedes rechtschaffenes Gemüthe den nemlichen Abscheu darwieder empfinden werde, den ich empfinde.

In diesem beschriebenen Zustande meines Hertzens, erschien ich vor der Deputation. Und da man mir sagte, was man von mir wissen möchte; so erklärte ich mich dahin: daß ich mündliche Erläuterungen zu geben, weder könne, noch wolle. Ich forderte die Fragen schriftlich; und erboth mich, eine jede derselben, so viel mir davon bekant ist, schriftlich zu beantworten und zu erläutern. Denn ich weiß es, daß man in keinem Protocolle zu mahl in dieser häßlichen Ehren=Sache, den wahren Zusammenhang der Gedancken, des, der da redet, so genau bestimmen könne, als es nöthig ist. Und da mir ohne dem mein Herz auf der Zunge sitzet, und mein Gemüthe durch die Einsichten der Michaelischen Verschwörung wieder mich, auf das heftigste erreget ist; so würde beÿ einer mündlichen Erzählung, Dinge dazwischen vorkommen, welche die verlangten Erläuterungen öfters unterbrechen, oder nur mehr verwirren könten. Es wäre am besten geweßen, wenn man mir also bald die sämtlichen Acten hätte einhändigen lassen; so würde ich

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eine vollkommene Einsicht in alle Kleinigkeiten der Umstände und derer Soupçons erlanget haben. Durch dieses Mittel wäre ich vielleicht in den Stand gesetzet worden, mich mit einem mahle von dießem mir auf die ungerechteste Art aufgebürdeten Verdacht zu befreÿen. Aber das wäre freÿlich wieder die Absicht des Hofrath Michaelis geweßen. Denn ich kann es unumstoßlich beweißen, daß der Stallmeister zweÿmahl im Begriff war mit mir freundschäftlich von dieser Sache zu sprechen: und der Hofrath Michaelis hat es wieder verhindert. Ich ließ es dem Stallmeister durch seine Köchin, bald nach der Bekantwerdung des ersten Pasquilles wissen, daß ich ihm die Entdeckung der niederträchtigen Pasquillanten sehr erleichtern könte, wenn er meinen gegründeten damals gehabten Argwohn, in geheim untersuchen wolte, den ich ihm nicht zurücke halten könte.

Wenn es demnach ein wahrer Ernst ist, daß diese Schandsache wenigstens für meine Persohn, auf das geschwindeste zu Ende gebracht werde; so muß ich unterthänigst bitten! mir die sämtlichen Acten, kein Blat davon ausgenommen, so bald als es nur immer möglich ist, mit zutheilen. Ich will augenblicklich daran arbeiten, um alles was mich betrift, in das Reine zu bringen. Denn ich bin jezt ohne hin wegen meines durch diese niederträchtige Aufbürdung eines schändlichen Lasters aufgebrachten Gemüthes, zu andern wichtigen Arbeiten unfähig gemachet.


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Erzahlung was mir von dieser Pasquillen Geschichte
bekant geworden ist.


Am Ostermontage oder am 4. April frühe noch vor der Kirche, schickte die Köchin des Hl Stallmeisters ihr Nebenmädgen zu uns in das Haus, und ließ bitten, eines von unseren Dienstmädgen zu ihr in den Reitstall zu senden. Es wäre ihr etwas ungemein schmerzliches begegnet, wovon sie uns Nachricht geben, und um guten Rath bitten wolte. Meine Frau sendete unser damahliges Kindermädgen zu ihr, und diese brachte uns folgende Nachricht: Die Köchin des Hl Stallmeisters wolte sich eben anziehen und in die Kirche gehen. Unterdessen verlangte die Hausjungfer des Herrn Prof. Kulenkamps[17] den Herr Stallmeister, der noch im Bette lag zu sprechen. Man ließ diese hinauf zu ihm auf die Kammer gehen. Als sie hinweg war, wurde die Köchin von ihrem Herrn gefordert, der ihr zween große Zettel wieß, und sagte, daß dieses zweÿ Pasquille wären die wieder ihn und Sie, eines an das Tor des Reitstalles, das andere aber beÿ dem Hl Hofrath Aÿrer[18] angeschlagen war. Die Magd des Hl Prof. Kulenkamps hätte sie beÿde sehr frühe abgenommen, und ihrem Herrn nach Hause überbracht: der sie wie oben erwähnet, dem Hl Stallmeister zustellen ließ. Die Köchin ließ uns dabeÿ bitten ihr zu rathen wie sie sich in diesem Falle zu verhalten hätte: in dem sie nicht wüste was sie thun oder lassen solte. Sie wäre selbst zu uns gekommen, allein sie schämte sich zu sehr beÿ Tage auf der Strasse zu erscheinen.

Ich ließ ihr wieder zur Antwort sagen: daß mir alles dieses sehr sonderbahr vorkomme: und daß ich höchst begierig wäre, die ganze

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Erzählung von ihr zu hören: und wenn es möglich wäre, eines von denen Pasquillen zu sehen. Sie versprach, Abends, wenn es dunkel ist, zu uns zu kommen. Gegen 8 Uhr abends kam sie würcklich mit zerstöhrtem Gemüthe. Sie erzählte uns das obige, etwas umständlicher und deutlicher; und fügte beÿ, daß in diesem Pasquille der Hofrath Michaelis, der Hl Prof Köler[19] der Hl D. Falckenhagen, und der Herr Meÿenberg[20] genannt seÿn [NB. den Hl Prof. Kulenkamp erwähnte sie nicht.][21] Sie konte sichs aber nicht erinnern auf was für eine Art diese Herren in dem Pasquille angebracht sind: weil sie aus Schmertz Schaam und Argerniß, auf andere Dinge die sie nichts darinnen angingen nicht aufmerksam seÿn konte, als ihr der Hr. Stallmeister das Pasquill vorgelesen hatte. Ich und meine Frau bedauerten dieses Mädgen sehr, die in der Welt sonst nichts als unsere Freundschaft und ihre Ehre hat: und wünschten aufrichtig daß dieser Zufall nicht geschen wäre: oder daß er wenigstens für ihr zukünftiges Glück keine nachtheiligen Folgen haben möchte. Ich sagte dabeÿ: ein ehrlicher Mann verliehrt durch den Muthwillen eines boshaften und unbekanten oder versteckten Verläumders nichts von seiner Ehre; aber einem armen Dienstmädgen kan dadurch sehr leichte ein solcher Schandflecke angehängt werden, der ihre ganze zeitliche Glückseeligkeit zerstöre. Ich versprach dem beleidigten Mädgen, alle Mühe anzuwenden, den Verfasser zu entdecken, und ihr als denn eine Genuthuung zu verschaffen.

Am andern Tage als am 5. April erzählte ich diese Begebenheit meinem besten Freunde[22], einem rechtschaffenen und bekanten Manne, als er mich wie gewöhnlich besuchte. Es ist dieses nicht der Herr von Selchow, den ich erst seit am Grünen Donnerstage kennen lernte. Ich bath diesen meinen Freund inständig, seine Bemühung zur Entdeckung dieser Sache, mit der Meinigen zu vereinigen. Ich erzählte Ihm meine wahren Absichten: denn die ganze Connexion der Köchin des Hl Stallmeisters in unserem Hauße war ihm schon vorhin vollkommen bekant. Ich entdeckte ihm so gar schon meinen voreiligen, sehr wahrscheinlichen, aber am nächsten Tage falsch befundenen Argwohn. Wir wünschten beÿde sehr, den rechten Inhalt des Pasquilles zu wissen um meine Nachforschungen in der Stille anfangen zu können.

An diesem Abend studierte ich auf meiner Stube, wie öfters wenn ich müde bin, auf meinem Ruhebette, vor welchem ein Tischgen mit der Segnerischen Lampe[23] stand. Es war etwan 11 Uhr als ich einschlief, und nicht ehe aufwachte, als bis mich eine vorüber fahrende Post, durch dessen Gerassel auf dem Pflaster so wohl, als auch durch das Blaßen des Postillons ermunterte. Ich hatte kein Licht, weil der Lampe unter dessen das Oel mangelte. Begierig stund ich auf, die Post zu sehen, die gegen das Postamt zu fuhr. Es war aber zu dunckel etwas deutliches zu erkennen. Während daß ich eine Weile zum Fenster hinaus schaute, so entdeckte ich gegen mir über, auf der andern Seite der Strasse, an des Riemenschneiders Thore, einen weißen Flecken, den ich lange betrachtete, ehe ich urtheilen konte, was es seÿn möchte. In dessen schrie der Wächter 2 Uhr, und dankte ab. Ich ging aus der Stube in meine daran stehende Bücherkammer, aus deren Fenster der weise Flecke deutlicher

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zu erkennen war. Es fiel mir also bald ein: dieses konte vielleicht ein anderes Pasquill seÿn, welches man mir zur Ehre, meinem Fenster gegenüber, angeheftet habe. Ich ging in die 2te Etage hinunter, wo unsere Schlafkammer ist, und machte mir ein Licht. Ich erzählte meiner Frau was ich bemerckte, und bath sie, ehe ich ein Lärmen mit Öfnung unsere Hausthür machte, dere ganz oben angehängte Glocke sich nicht dämpfen lässet; daß sie doch aus denen vordere Fenster an des Riemenschneiders Thore sehen möchte. Sie bemerckte eben das was ich gesehen habe und ich nahm die Schlüssel von unserm Bette, und öfnete die Hausthüre. So bald als ich an das Thor kam, so sahe ich das fest angeleimte Papier mit einem Siegel, so wie es mir die Köchin des Hl Stallmeisters beschrieben hatte. Ich konte es nicht von dem Tore abbringen ohne es zu zerreißen. Daher ging ich schleunig auf meine Stube und holte mein Federmesser, während daß meine Frau das Licht vor dem Fenster hielt, und schnitte es so denn ab, so weit als ich fühlte das er loos war. Der obere Theil war so hoch, daß ich ihn nur mit Mühe erlangen konte. Die übrig gebliebene Rahme stund noch lange Zeit an demselben Tore, und man kan heute noch die Spuren davon deutlich erkennen. Als ich dessen Inhalt sahe, war ich sehr frohe, daß es mir glückte, dieses Pasquill so frühe zeitig zu entdecken, und dene Augen des Volckes zu entziehen. Ich ging zu Bette.

Als ich am 6ten April wieder aufgestanden bin, so schickte ich zur Köchin des Hl Stallmeisters, und ließ sie zu mir ruffen. Sie kam nach 8 Uhr und erzählte also bald, daß diesen Augenblick der Hl Prof. Köler ihren Herrn wissen ließ, es wäre an seinem Hauße ein Pasquill wie das vorige am Reitstalle war, angeheftet worden. Ich wieß ihr das abgenommene, und sie erkante es dene beÿden ähnlich, die ihr Herr besaß. Nach dem ich ihr auch den Inhalt vorlaß (denn sie kann nicht selbst geschrieben lesen), gestand sie ein, daß es eben so lautete als die ander. Hierauf bath sie mich um Gottes Willen, diese Pasquill niemand zu geben! Ich versprach es; ihren Herrn ausgenommen, der es haben soll, wenn er es verlanget. Als denn erzählte ich ihr die ganze Beschaffenheit der Entdeckung und des Abnehmens, um solches ihrem Herrn zu berichten.


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Da ich hier die Gelegenheit habe, den Punct wegen der außerordentl. Gelegenheit zu berühren, welcher meinem Feinde so sonderbar vorkomt, und der beÿ ihm, den Verdacht so sehr bestärcken soll; so will ich ihn näher erläutern. Es ist wahr die Zeit des Abnehmens scheinet denen die mich nicht kennen, oder kennen wollen, sonderbar zu seÿn. Ich habe nicht nöthig, beÿ der Wahrheit der Umstände die ich angeführet habe, und die ich eÿdlich erhärten kan, auf etwas zu dencken welches das Abnehmen viel bequemer erläutern könte. Meine ganze Nachbarschaft weiß es, daß ich nicht erst seit Ostern, sondern so lange als ich in meinem Hauße wohne, welches über 7. Jahre sind, sehr selten vor Mitternacht zu Bette gehe. Wenigstens dreÿmahl in der Woche bleibe ich bis 2: bis 3 Uhr, ja oftmahls ganze Nächte auf, um entweder zu studieren, oder zu observiren. Meine

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Freunde wissen meine Arbeiten und die Absichten meiner Bemühung: und meine Bücher worinnen meine Observationes am Himmel eingetragen sind,[24] können jeder man davon überzeugen, wer sie einsehen will, daß ich sie nicht im Bette, habe machen können. Und dennoch schlaffe ich niemahls beÿ Tage! Die Madame van der Hoek[25], damit ich nur jemand nenne, die meine Fenster sehen kan, hat diesen Umstand selbst schon oftmahls andern Leuten erzählet: und diese Frau kan deswegen allezeit gefraget werden. Auf diese Erläuterung wird das Wunderbahr der Zeit verschwinden. Freÿlich ist es einem Michaelis unbegreiflich, daß ein Mann wie Lowitz ist, der keinen Wein trinkt, ohne schändliche Absichten zu haben, so frühe auf seÿn soll. Es war aber dieses just eine solche Nacht, in welcher ich nicht entschlossen war, ausser meinem Bette zu bleiben; sondern es geschahe ganz zufälliger Weise. Genug hier von! Ich werde diesen Punct in der künftigen Folge, noch ein mahl, aber auf eine andere Seite zu berühren, Gelegenheit haben.


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Fortsetzung der Erzählung

Nachmittags besuchte mich der Hl Prof. von Selchow, u. sagte mir, daß er erfahren hätte: es wären beÿ Hl Prof. Köler u. beÿ dem Hofrath Michaelis gleichfalls Pasquille angeschlagen gewesen: und ich solte das beÿ dem Riemenschneider gestandene abgenommen haben. Er sprach mich darum an, es ihm zu zeigen, und denn bath er mich ferner es ihm anzuvertrauen, damit er es dem Hl Hofrath Böhmer[26] u. Hl. Hofrath Aÿrer weisen könte.[27] Ich schlug ihm die Auslieferung des Papieres ab: und sagte die wahre Ursache, warum ich es niemand mittheilen werde, als den, den es eigentlich betrift, nemlich dem Hl Stallmeister, wenn er es verlanget. Ich muste ihm aber doch zu dieser Absicht eine Abschrift nehmen lassen, die er zu Hl Hofrath Böhmer trug. Er kam abends wieder, zu eben der Zeit als mein bester Freund beÿ mir war: und erzählte in dessen Gegenwart, was er erfahren hatte. Er legte mir auch dabeÿ eine Danksagung vom Herr Hofrath Aÿrer ab, für das, weil ich dieses Pasquill noch zur rechten Zeit denen Augen des Volckes entrissen habe.

Am 7 April vormittags kam der Pedelle Fricke und forderte von mir im Namen des Hl Prorectoris das Pasquill ab, welches ich am vorigen Morgen soll abgenommen haben: ohne die Ursache dieser Forderung noch dessen Absicht zu erwähnen. Ich hielt dieses für eine Neugierde des Hl Prorectoris, und schlug es dem Pedellen mit dem Bedeuten ab: ich könte solches nicht aus den Händen geben, weil ich Ursache habe es zu supprimiren[28]: so wie ich zu andern auch gesagt habe. Der Pedell ging hin weg, und ich erfuhr weiter nichts mehr davon.

Nach einigen Tagen, ich weiß es nicht mehr eigentlich wann; brachte mir der Hl Pr. v. Selchow ganz frühe eine Nachricht, daß in derselben Nacht abermahl Pasquille angeheftet worden sind. Eines

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wurde an seiner Hausthüre beÿ Hl D Falckenhagen gefunden, und seine Aufwärter habe es in Stücken herunter gerissen, die der Herr v. Selchow doch wieder zusammen bringen konte. Ich sahe nichts davon; sonder er erzählte mir nur den Inhalt desselben. Ich muß hier erinnern daß es dasselbe war, wobeÿ des Hl D. Clärichs[29] Nahme ist mißbrauchet worden. Der Herr von Selchow bezeugte seine Abscheu so wohl, als ich, darüber. Eben diesen Vormittag erfuhr ich durch die Köchin des Hl Stallmeisters, daß eben dieses nemliche Pasquill auch beÿ dem Hofr. Michaelis, und beÿ dem Herrn Prof. Köler ist angeschlagen gewesen.

Aber mahl nach einigen Tagen, die Zeit ist mir jezt wieder unbekant, erzählte mir der Hl Pr. v. Selchow, daß er an einem sichern Orte erfahren habe, es seÿe dem Hl Prorector ein Pasquill gerichtlich geschrieben in das Haus geworffen worden. Es wäre eine Instruction an den Hl Prorector, und enthielte eine Protestation, über die einseitige Versendung der Acten in sich. Mehr, sagte er, hat ihm sein guter Freund nicht darvon entdecket: und ich habe auch weiter nichts davon erfahren. Von dieser Zeit an besuchte mich der Herr Prof. v. Selchow nicht mehr.

Schon vor diesem lezten Vorgange sprach man in Gesellschaften von dem vermutlichen Verfasser dieser elenden u. infamen Scartegen[30], und ich erfuhr es als dann noch über Zeugende, in dem der Herr Stallmeister seiner Köchin sowohl als dem Nebenmädgen beÿ Strafe des äußersten Verfahrens, daß keine einen Fuß mehr in mein Hauß setzen solte. Ich verlachte dieses unhöfliche Verfahren gegen mein Hauß. Gleich darauf erfuhr ich, daß die Deputation beÿde Madgen abgehöret und das Verboth des Hl Stallmeisters bestättiget habe.

Am 30 Aprill hatte ich ein Unglück, daß ich mir mittelst einem Stücke Holz ein gefährliches Loch in den Kopf stieß. Ich muste ausser der heftigsten Verblutung noch eine harte Operation des Schnittes ausstehen. Am 2ten Maÿ bekam ich ein heftiges Stundenfieber, und ich wurde sehr kranck. Am 4ten Maÿ abends da das Fieber noch fort dauerte wurde mir durch den Chirug. Tolle[31] der Lapis infernalis[32] in die Wunde gebracht, worauf ich dieselbe Nacht und die beÿden Täge unselige Schmerzen leiden muste. Am 5. Aprill[33] ließ der Hl Prof. Gatterer[34] durch sein Mädgen[35], die bis vergangene Ostern beÿ uns diente, nach meinen Umständen fragen. Ich ließ sie vor mein Bette kommen: und diese erzählte mir, daß in derselben Nacht wieder an verschiedenen Oertern der Stadt, Pasquill wieder die Köchin des Hl Stallmeisters sind angeschlagen worden. Von deren Inhalt konte sie mir aber nichts zusammenhängendes sagen. Eben dieses ließ mir denselbigen Abend auch die Köchin des Hl Stallmeisters sagen, in dem sie sich um mein Befinden erkundigen ließ. Bis jezo habe ich nichts mehr von Pasquillen erfahren: und ich weiß es nicht, ob seit der Zeit sont noch andre zum Vorschein gekommen sind, oder nicht.

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Das ist es alles was ich von dieser infamen Geschichte, ausser der Verfolgung die wieder mich gerichtet ist, erzählen kan. Meine Ausführung beÿ dieser ganzen Sache, werde ich als denn rechtfertigen wenn mir die sämtlichen Acten zur Einsicht mitgetheilet sind. Ich wünsche daß man diese Untersuchung nicht unnöthiger Weise verlängere, damit diese Sache bald entschieden, und meine verlezte Ehre und guter Nahme, die mir viel lieber als mein Leben sind, wiederum vollkommen hergestellet werden.

Georg Moritz Lowitz.



Fußnoten

  1. P.M.: Pro Memoria, zur Erinnerung bzw. Gedächtnisprotokoll.
  2. Johann Daniel Christoph Fricke (1735-1809) war Pedell (Hausmeister) an der Universität in Göttingen.
  3. Die Concilienstube befand sich bis 1764 im Kollegiengebäude. Sie diente der Universität als Sitzungszimmer der Concilienversammlungen sämtlicher dazu gehöriger Professoren und auch für Verhandlungen des akademischen Gerichts. Vgl. Mittler, Elmar; Purpus, Elke; Schwedt, Georg: "Der gute Kopf leuchtet überall hervor": Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Göttingen: Wallstein-Verlag 1999, S. 118
  4. Christian Wilhelm Franz Walch (1726-1784) war protestantischer Kirchenhistoriker und Professor der Theologie in Göttingen.
  5. Johann Stephan Pütter (1725-1807) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
  6. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  7. Christian Gottlieb Riccius (1697-1784) war seit 1747 Universitäts-Secretär und seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  8. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  9. Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760 Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075.
  10. Der Jurist Johann Heinrich Christian von Selchow (1732-1795) war seit 1757 außerordentlicher Professor der Rechte, 1762 dann ordentlicher Professor in Göttingen.
  11. In seiner eigenen Stellungnahme schrieb Selchow dazu, dass er an den Göttingischen gelehrten Anzeigen mitarbeitete, worüber es zum Streit mit Michaelis kam.
  12. soupçon: Verdacht.
  13. Maria Elisabeth Becker scheint seit 1762 beim Stallmeister Ayrer als Köchin angestellt gewesen zu sein. Vgl.:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472.
  14. Johann Heinrich Falkenhagen (1720-1784) war Privatdozent der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  15. Andreas Riemenschneider sen. wohnte in der Weender Straße 82. Vgl. Wellenreuther, Hermann (Hrsg.): Göttingen 1690-1755. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 476, Tabelle XV, Eintrag 434.
  16. Lowitz bezieht sich auf eine Fabel von Jean de La Fontaine (1621-1695): Eine Katze holt heiße Kastanien aus dem Feuer und verbrennt sich dabei die Pfoten. Der Affe frisst die Kastanien alleine auf, obwohl er vorher versprochen hat zu teilen. Darauf bezieht sich heute die Redewendung "sich die Pfoten verbrennen".
  17. Lüder Kulenkamp (1724-1794) war Professor für Philosophie in Göttingen.
  18. Georg Heinrich Ayrer (1702-1774) war seit 1736 Juraprofessor in Göttingen, 1743 ernannte man ihn zum Hofrat.
  19. Johann Tobias Köhler (1720-1768) war ebenfalls Professor für Philosophie in Göttingen.
  20. Georg Philipp Meyenberg (1732-1791) war Mitglied des Göttinger Magistrats und seit 1757 zweiter Stadtsekretär. Zu ihm siehe:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 268.
  21. Im ersten Pasquill wurde der Stallmeister des Beischlafs mit der Köchin bezichtigt. Die Professoren Kulenkamp, Köhle und Falkenhagen standen ihm dabei angeblich mit juristischem Rat zur Seite.
  22. Wie aus der Stellungnahme von Selchow hervorgeht, war dies Georg Christoph Hamberger (1726-1773), der seit 1755 außerordentlicher Professor der Philosophie, ab 1663 dann ordentlicher Professor in Göttingen war.
  23. Johann Andreas Segner (1704-1777) war Professor für Mathematik und Naturlehre in Göttingen, folgte aber 1754 einem Ruf nach Halle. 1744 hatte er in einer kleinen Schrift die von ihm erfundene Lampe vorgestellt:
    Beschreibung einer bequemen Lampe für Studierende. Göttingen: Gebrüder Schmid 1744.
  24. Diese Bücher sind nicht überliefert.
  25. Anna van den Hoeck geborene Perry (1709-1787), war die Witwe des Buchdruckers und Buchhändlers Abraham van den Hoeck (um 1700-1750). Sie wohnte in der heutigen Weender Straße 46, und damit unweit des Wohnhauses von Lowitz.
  26. Georg Ludwig Böhmer (1715-1797) war seit 1743 ordentlicher Professor der Rechte in Göttingen.
  27. Hier unterscheiden sich die Darstellungen von Lowitz und Selchow. Letztere behauptete in seiner Stellungnahme, daß er das Pasquill nur aus Neugierde abgeschrieben und dann aus Scham zu Hause verbrannt habe.
  28. supprimieren: unterdrücken.
  29. Friedrich Wilhelm Klärich (1721-1780) war seit 1759 Stadtphysikus, ab 1765 dann Hofmedikus.
  30. Scarteke: ein nichtswürdiges Stück Papier.
  31. Der Chirurg Tolle wohnte in der Weeder Straße 80.
  32. Lapis infernalis, auch Höllenstein genannt ist Silbernitrat. Es dient in der Medizin als Ätzmittel.
  33. Gemeint ist der 5. Mai, nicht der 5. April.
  34. Johann Christoph Gatterer (1727-1799) war Professor für Geschichte in Göttingen.
  35. Es handelt sich vermutlich um das "Mädgen", das Lowitz Ende 1759 aus Nürnberg mitgebracht hatte und die zunächst als Köchin, dann als Kindermädchen bei ihm diente.


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