Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Selchow, Johann Heinrich Christian von (1732-1795)[1]
Empfänger Pütter, Johann Stephan (1725-1807)[2]
Ort Göttingen
Datum 11. Oktober 1763
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 5756, Bl. 226r-239v
Transkription Hans Gaab, Fürth
Hinweis Der gesamte Text umfasst 28 Seiten. Davon wurden hier nur die ersten 8½ Seiten transkribiert, da nur hier Lowitz betreffende Vorgänge angesprochen werden. Ab Blatt 230r diskutiert Selchow die dort vorgestellten Fragen nur noch unter juristischen Aspekten, zur Klärung der Vorgänge wird hier nichts mehr beigetragen.
Datierung Diese Stellungnahme von Selchow ist nicht datiert. Laut vorliegendem Brief wurde die erste Pasquille im April [1763] angeschlagen. Selchow schreibt über seine Vernehmung, die Mitte Juli stattfand. Demnach dürfte die vorliegende Stellungnahme im Hochsommer oder Herbst 1663 geschrieben worden sein.


Königlich Großbritannische zur Churbraunschweig lüneburgischen Georg
Augustus-Universität bestallten Deputation hochverordnete Herren,
Prorector und Adsessores
Magnifice
Hochwürdige, Wohlgebohrne Herren,
Hochzuverehrende Herren,


Es ist eine Eurer Magnificenz pp so wohl als dem halben Deutschland eine bekannte Sache, daß seit dem Anfang des Monates April, an dem Reitstall, und an vielen Häusern, sogar der Professoren und Bürger, hieselbst, schändliche Aufsätze angeschlagen sind, welche man so gleich von Seiten des academischen Gerichts für Pasquille angenommen,[3] und, in diesem Gesichtspuncte auf den Verfasser derselben zu inquiriren angefangen hat.

Die Hauptveranlassung zu diesem bürgerlichen Kriege, hat, wie aus den ad acta N. I. II. vorkommenden Aufsätzen selbst erhellet, nemlich die bey dem hiesigen Universitäts-Stallmeister Ayrer[4] dienende Köchin, Marie Elisabeth Beckerin,[5] gegeben, welche, nach Inhalt der ersteren schändlichen Aufsätze als ein Beyschläferin des Stallmeisters ausgegeben wird.

Zu gleicher Zeit wird in dem ersten Aufsatz behauptet, der Stallmeister habe seine Räthe, die Professores Kulenkamp[6] und Köhler[7], ingleichen den D. Falkenhagen[8], in dieser Sache zu Rathe gezogen, und sich von selbigen theologisch, juristisch und historisch die Rechtmässigkeit und Unschädlichkeit des Beyschlafs mit seiner Köchin beweisen lassen. Er ladet daher diejenigen, welche ihn in diesem Vergnügen stören würden, vor das Tribunal seines angeblichen General-Fiscals[9], des Hofrath Michaelis[10], um sie daselbst zur Strafe zu ziehen.

Diese Erdichtung ist in der Folge so weit ausgedehnet, und durch so vielerley Aufsätze vervielfältiget worden, daß es ekelhaft seyn würde, den Inhalt der lezteren zu erzählen, zumahl das sie fast insgesamt Erklärungen und Folgen des ersteren Aufsatzes sind.

[Bl. 226v]
Da indessen der damalige Prorector magnificus, Hf. D Walch[11], natürlicher Weise bemühet war, den Verfasser dieser an sich schändlichen Aufsätze zu entdecken; und man, nach der löblichen Göttingischen Denkungsart, sogleich an den Rath verschiedene Personen nannte, welche man als Verfasser dieser Aufsätze ansahe: so wurde in der Nacht vom 16-17 April eine, N. 2. Actorum befindliche, mit griechischen Buchstaben geschriebene Instruction für den Hf. D. Walch in dessen Bibliothek geworfen, und ihm darin der Rath gegeben, behutsam zu verfahren, und nicht sogleich, ohne gegründeten Beweis, auf gewisse Personen, als Verfasser, Verdacht zu werfen; noch auch diese Aufsätze als Pasquille zu betrachten.

Eine Reihe von Aufsätzen dieser Art, reizte die Aufmerksamkeit des ganzen Goettingischen Publici ausserordentlich; zumahl da selbiges, bey den kleinen Kriege insgemein auf die lebhafteste Art Parthey zu nehmen pflegt.

Es wurde daher diese Sache das Aprilmährchen der ganzen Stadt; und vom Professor zum Pedell, vom Oberpoliceycommissarus bis zum Rathsdiener; ja selbst vom Bürgerhauptmann bis zum Scherenschleifer, ist niemand in der Stadt, welcher nicht mit gleicher Neugierigkeit den Inhalt derselben erzählet, oder wenigstens selbigem nachgespüret, ihn angehöret und mit seinem Urtheile beehret haben sollte.

Und gewiß, es war nicht anders möglich, als daß in den langen Osterfeyertagen, und den darauf folgenden academischen Ferien, bey den häufigeren Besuchen eine Neuigkeit dieser Art im Ober= und Unterhause bestritten und beurtheilet werden mußte. Da die gewöhnlichen Wettergespräche bald erschöpfet, und selbst die angenehmsten Lieblingsneuigkeiten bereits aus der Mode gekommen waren.

Einige Tage vorher war ich mit dem in meiner Nachbarschaft wohnenden Prof. Lowitz, welcher mir vorhero ganz fremd war, auf dessen Aufmunterung, bekannt geworden, und ich bediente mich der damaligen Ferien, ihn einigemahl in seinem Hause zu besuchen, welches er auch ein einziges mahl in dem meinigen erwiederte.

Nun war der erste Aufsatz unter andern auch auf der Wehnder Strasse[12] angeschlagen worden, woselbst ihn der P. Lowitz selbst abgenommen hatte, und mir den Inhalt desselben erzählte. Eine unschuldige Neubegierde bewog mich, in der Gegenwart des Prof. Hamberger[13], beym Prof. Lowitz, eine Abschrift von diesem Aufsatz zu nehmen, welchen ich aber sogleich, ohne ihn irgend jemand mitzutheilen (und selbst die niederträchtigste Bosheit meiner Feinde hat mich dessen nicht beschuldiget), aus blosser Achtung gegen die beleidigten Personen verbrannte.

[Bl. 227r]
Es war indesen nichts natürlicher, als daß auch in solchen Gesellschaften, denen ich in den Osterfeyertagen beywohnte, von diesen Aufsätzen gesprochen, und den Inhalt derselben mit den, bey solchen Gelegenheiten, gewöhnlichen Veränderungen vermehret, verbessert, beurtheilet und getadelt wurde.

Diese tägliche, ja fast augenblickliche Gespräche von einer neuen Materie, welche in allen möglichen Gesellschaften vorkamen, haben also auch mich nothwendig hinreissen müssen, oft davon zu reden, ob ich schon gleich anfänglich das gerechteste Mißfallen an der That überhaupt äusserte.

Hierin steckt also etwas so wenig ausserordentliches, daß man vielleicht ein Stillschweigen, bey dem allgemeinen Feldgeschrey der Stadt, für ebenso gezwungen würde ausgegeben haben, als man nachgehends meine Theilnehmung an diesen Discursen vergiftet hat.

Habe ich indessen hierin gefehlt, so wird man keinen Unschuldigen in der Stadt, und auf der ganzen Universität finden. Und unter vielen anderen Personen hat der Hl Hofrath Michaelis diesen Fehler mit mir vollkommen gemein, welcher in dem Hause des Herrn Prof. Meister[14] das ganze so genannte Pasquill, fast von Wort zu Wort, mit einer bewunderungswürdigen Fertigkeit hergesagt hat, welches mir sein eigner Schwager, der Hf. Schröder[15], auf das Glaubwürdigste versichert hat.

Nun lebte ich mit dem größten Theil der beleidigten Personen theils in offenbarem guthem Vernehmen, theils in einer wenigstens gleichgültigen Entfernung. Mit dem Stallmeister Ayrer, welcher mich, und ich ihn, kurz vorher besucht hatte, hatte ich eben ein gutes freundschaftliches Vernehmen zu stiften angefangen, und war bereits im Begriff, meiner Gesundheit wegen, in dem nun abgewichenen Sommer, von ihm Unterricht im Reiten zu nehmen.

Der D. Falkenhagen war mein Wirth, und ich hatte ihn seit der Zeit, da ich bey ihm wohnte, solche Proben einer aufrichtigen Freundschaft gegeben, daß ich Ursachen zu haben glaubte, ihn würklich für einen Freund zu halten.

Mit dem Professor Kulenkamp, den ich jeder Zeit sehr hoch geschätzet hatte, lebte ich zwar in keinem vertrauten, aber doch wenigstens collegialischem guten Vernehmen; den Prof. Köhler aber verlangte ich weder als Freund, noch als Feind zu kennen.

Was endlich den Hl. Hofrath Michaelis anbetrifft, welcher am allerwenigsten angegriffen ist: so hatte mich selbiger zwar würklich beleidiget, jedoch nicht persönlich, sondern in Rücksicht auf mein Arbeiten an den Göttingischen gelehrten Anzeigen. Es war also natürlich, daß ich, dergleichen künftige Beleidigungen zu vermeiden, ihm meine Arbeit aufkündigte; und wenn dis nun Rache zu nennen ist: so ist sie dem Verhältniß der empfangenen Beleidigung wenigstens angemessen und kann unmöglich eine Vermuthung gemachter Pasquille erwecken

[Bl. 227v]
[16] gemacht zu haben, daß man den Hofrath Michaelis nicht zärtlich liebt: So möchten wenige Personen in der Stadt seyn, welche nicht in gleichem Verdacht, in Ansehung eines Mannes stehen müsten, dessen Lieblingsgrundsatz ist: infelix est, quem nemo odit.[17]

Kurz vor dieser Zeit war indessen der Stallmeister Ayrer wegen der berüchtigten Köchin, mit dem Prof. Lowitz, in Streit gefallen; indem sich beyde über den Besitz derselben zankten, welche Untersuchung ich aber, als ein neutraler Zuschauer, den beyden Fechtern selbst überlassen. Der Stallmeister, welcher die persönlichen Verdienste dieser Person, so wohl als der Prof. Lowitz zu kennen scheinet, suchte sich im Besitz zu erhalten; und der Prof. Lowitz bemühte sich, selbigen wieder zu bekommen.

Diese unglückliche Streitigkeit, welche würklich lis, non de tribus capellis, sed de une tantum capella, ist,[18] hat zu dem ganzen gegen den P. Lowitz eintretenden Verdacht Gelegenheit gegeben, und zugleich den armen Prof. von Selchow, ob torto collo[19] in selbigen hinein gezogen; ohnerachtet er niemahls Theil an diesem Streit genommmen.

Hier möchte man mit dem Horaz sagen
  Est quoque post Helenam mulier deterrima belli caussa;[20]

Ich hatte nemlich das Unglück, von der ganzen Streitigkeit dieser beyden Männer nichts zu wissen, und sezte daher meinen, kurz vorher mit dem P. Lowitz angefangenen Umgang, auf einige Tage fort, weil ich unmöglich glauben konnte, daß es ein Staatsfehler sey, mit einem keiner Uebelthat bishero überführten Professor ein freundschaftliches Vernehmen anzufangen.

Allein eben dieser unschuldige und höchst gleichgültige Umgang von einigen Tagen hat zu meinem nachherigen Verdruß Gelegenheit gegeben.

Denn als kurz darauf der erste berüchtigte Aufsatz zum Vorschein kam: so war der Stallmeister der erste, welcher den P. Lowitz in Verdacht zog, als ob er der Verfasser davon sey; und sein fidus Achates[21], und Wein= und Tischgenosse, der D. Falkenhagen, hat ihn ohne Zweifel in diesem Verdachte gestärket; indem diese ganze Zeit hin durch beständig öffentliche Versammlungen der beleidigten Personen beym D. Falkenhagen angestellt; die Gründe des von ihnen selbst geschmiedeten Systems abgewogen, und der Aufsatz hiervon verfertiget wurde. Hierzu hat der D. Falkenhagen dem Stallmeister unstreitig seine Feder geliehen; indem es sonst unbegreiflich seyn würde, daß ein Stallmeister von indiciis proximis, von einem Myops[22] u. d. g. reden, aber wissen sollte, daß das Wort council englisch sey.

Ich lebte indessen mit meinem Wirthe, so wohl, als mit dem ihn oft besuchenden Stallmeister, auf eben dem freundschaftlichen Fuß fort; und der Doctor, welcher so wohl als der Stallmeister in dem Aufsatze beleidiget war, nahm von diesem Augenblick gegen mich die Person eines

[Bl. 228r]
Kundschafters an, und suchten dabey meinen Besuch bey dem P. Lowitz zu vergiften. Denn beyde schäumten für Wuth, und machten Himmel und Hölle rege, um ihren Beleidiger zu entdecken, und ihre Rache an ihm auszuüben.

Ehrliche Leute sind leicht zu betrügen. Als daher der D. Falkenhagen mir selbst, wenn ich ihn besuchte, oftmalige Gelegenheit gab, von der Sache zu sprechen: so ermangelte ich nicht, ihm meinen guten Rath zu geben, und ihn anzumahnen, die erlittene Beleidigung mit Verachtung zu bestrafen, zu mahl da sich die schändlichen Aufsätze, in rechtlichem Verstande, nicht zu Pasquillen machen liessen.

Diese in der besten Absicht geführte Reden wurden sogleich, auf eine mehr als niederträchtige Art, auf dem Reitstall wieder erzählet; und in der boshaftesten Absicht vom Stallmeister denunciired, auch von seinem Original, dem D. Falkenhagen, im Gericht mit einer scheinheiligen Judasmine bekräftiget. Ist es möglich, die Verrätherey gegen einen Freund und Hausgenossen weiter zu treiben? Und verdient ein Mann von einer so erklärten Niederträchtigkeit die Achtung eines rechtschaffenen Mannes?

Wie mußte ich also in Erstaunung und Verwunderung gerathen, als ich noch im April in gewisse Erfahrung brachte, daß man nicht nur in der Stadt, sondern selbst im academischen Gerichte, auf die niederträchtigen Einstreuungen meines Wirthes, mich mit in den schändlichen Handel zu ziehen anfing! und zwar unter dem allerliebsten Vorwand:

Die Schrift sey aus der Feder eines Juristen geflossen
daher es der Prof. von Selchow seyn müsste, welcher dem P. Lowitz die Feder dazu geliehen hätte.

Ich gerieth natürlicher Weise über diese empfindliche Nachricht in eine ausserordentliche Hitze; und ich schäne mich der gegen meine Diffamanten gebrauchten Schimpfreden so wenig, daß ich vielmehr wünschte, eine Sprache zu verstehen, in welcher ich härtere Schimpfwörter für meine Ehrenschänder entdecken könnte.

Weil ich mir indessen damahls noch nicht vorstellen konnte, daß mein sauberer Wirth, der D. Falkenhagen würklich seine Niederträchtigkeit so weit getrieben haben würde, daß er selbst einen Denuncianten gegen mich abgeben würde: so gab ich mir alle ersinnliche Mühe, von ihm meine schändlichen Diffamanten zu erfahren. Denn da ich Vermuthung hatte, daß der Stallmeister mich auf eine ehrenrührige Art ins Gespräch zu bringen suchte: so war meine Absicht, von dem Doctor, den ich noch nicht gern völlig verdammen wollte, ob es wahr wäre, zu erfahren; um den Stallmeister so dann ex lege diffamari,[23] als einen schändlichen Diffamanten zu provociren.

Die bey der Deputation hierein vorkommende Sachen wurden damahls mit solcher Verschwiegenheit practiret, daß ich noch derselben Tag, als der D. Falkenhagen citirt war, die Sache erfuhr, und in meiner Nachricht noch vielmehr durch seine einfältig geheimnißvolle Manir bestärkt wurde. (Denn eine Plauder Sache sieht würklich einfältig aus, wenn sie die manir eines Verschwiegenen annehmen will).

[Bl. 228v]
Zu diesem Ende beschwor ich ihn würklich den 28. April bey aller mir bisher versicherten Freundschaft mir zu sagen: Ob man mich als einen Theilnehmer des so genannten Pasquills von Seiten des Stallmeisters ansähe, und ich also meine gerichtliche Satisfaction vom Stallmeister fordern könne? Allein diese Schlange, welche ich zeithero zu meinem Verderben in meinem Busen genährt hatte, zog sich zurück und verdrehte noch dazu die dasfalls mit ihm gehabte Unterredung, wie ich aus dem N. 8 actorum befindlichen Verhör ersehen habe, auf die schändlichste Art, daher ich von dem Augenblick an seinen Umgang verabscheute.

So überzeugt ich aber auch von der Bosheit meines Wirthes war: so konnte ich doch von disen Muthmassungen noch keinen gerichtlichen Gebrauch machen; und erwartete daher den ersten Schritt von Seiten des academischen Gerichtes mit aller Unerschrockenheit eines guten Gewissens.

Nimmermehr aber hätte ich mir vorstellen können, daß eine hochlöbliche Universitätsdeputation, auf die blosse denunciation der beyden Beleidigten, von Rache schäumenden, und folglich nach allen göttlichen und menschlichen Rechten höchst verwerflichen Personen, eine gerichtliche Untersuchung gegen mich begründen würde. Es scheint zwar, als ob man selbst diese Unbequemlichkeit eingesehen, und daher im Eingang N. 6. Actorum sagt: Man habe nicht auf die blosse Narrata des beleidigten denunciirenden Stallmeisters in der Untersuchung fortfahren; sondern andren unverdächtigen Personen vernehmen wollen; da doch der D Falkenhagen in der That Beleidigter und folglich Parthey ist und doch als Zeuge in einer Sache produciret werden soll, worin er selbst interessirt und von Rache eingenommen ist. Wie dieser Widerspruch gehoben werden könne, und was für einen Eindruck er bey dem gegen mich beobachteten Verfahren machen müsse, ist leicht einzusehen, und behalte ich mir des falls und des übrigen Verfahrens quae ius competentia contra iudicium academuus[24] ausdrücklich bevor.

Endlich erschien den 16 Julius der fürchterliche Tag, an welchem man mich von Seiten des academischen Gerichts wegen dieser herrlichen Denunciationen vorladen ließ und ob man wohl sonst gegen Collegen die Achtung bezeuget, sie nicht auf der Concilienstube,[25] sondern in dem Hause des zeitigen Professors zu vernehmen: so muste ich doch auch diese Kränkung erfahren, und durch die en face[26] stehende Pedellen, Carcerknecht u.s.f.[27] im Triumpf zum Verhör an einen Ort aufgeführet werden, welchen ich vor meinem ersten Studentenjahren her, nicht anders als bey meiner Vereidigung, oder als patronus caussae gesehen hatte.

Was ich bey diesem Verhör für Aeusserungen gethan habe; ist aus N. 18 Actorum ersichtlich; ob ich gleich mich in der ausserordentlichen Hitze eines gerechten Aspects und Unwillens vielleicht nicht durchgehends bestimmt genug ausgedrückt haben mag, welches man einem ehrlichen und so empfinglich beleidigten Manne nicht übel nehmen kann.

[Bl. 229r]
Gleichwie mir nun an der Fortsetzung dieses, obschon widerrechtlich, gegen mich eröffneten Processes sehr gelegen ist: so bin ich würklich Eurer Magnificenz dafür verbunden, daß dieselben endlich hierin meinen Wünschen und sehnlichem Verlangen Raum gegeben haben. Indessen kann ich meine Verwunderung darüber nicht bergen, daß man mir die Zumuthung hat machen können, mittelst eines Reinigungseides[28] die gegen mich angebrachten indicia zu entkräften; da ich würklich weniger als ein Justinianeus nouus[29] oder Dupondius[30] seyn müßte, wenn ich glauben könnte, daß solche herrliche und allerliebste indicia einen Mann von meinen Umständen zum purgatorio graviren[31] könnten; man müßte dann sich vorgesetzt haben, mit Wegsetzung aller gesetzmässigen Vermuthungen jemand schuldig zu finden; welches ich mir doch bey einem illustri iudicio academico unmöglich vorstellen kann.

Ich habe daher mich des, nach den Gesetzen, mir zustehenden beneficii defensionis,[32] nothwendig bedienen, und inspectionem actorum[33] mir erbitten müssen; für deren hochgeneigte Verstattung Eurer Magnificenz meine Danksagung abzustatten, für nöthig erachte.

Zu gleicher Zeit lebe ich aber der gerechtesten Hochachtung, daß mein zukünftiger Herr Urtheilsfasser die Gründe meiner Vertheidigung natürlich und stringent finden, und mich von der ungebührlichen Klage nicht allein völlig freysprechen, sondern zugleich quaevis competentia contra denunciatores, et ipsum illustre iudicium academicum impente indicans (quod saluo eius honore du[...?]) vorbehalten werde.

Uberhaupt ist der Proceß, in welchem mich die niederträchtige Denkungsart meiner Feinde zu verwikeln gesucht hat, und in welchem ich jetzo die Feder zu ergreifen genöthigt bin, von der Beschaffenheit, daß man schwerlich ein Beyspiel davon in der ganzen gelehrten Geschichte der deutschen hohen Schulen, und viel weniger in den hiesigen Landen antreffen wird.

Ein Bedienter des Königs, dem selbst seine Feinde den Ruhm eines unlasterhaften Lebenswandels, und der genauesten Beobachtung seiner Amtspflichten nicht absprechen können, wird, ohne die geringsten mit der Sache zusammen hängenden Gründe eines ehrenrührigen Verbrechens beschuldiget, auf Anzeigen, durch welche man die halbe Stadt zu Mitverbrechern machen kann, und welche in den öffentlichen Versammlungen der beleidigten Personen, auf dem Reitstall und beym D. Falkenhagen durch die Mehrheit der Stimmen festgesezt, einem Denuncianten, dem Stallmeister, in die Feder dictiret, von dem andern Denuncianten aber, dem D. Falkenhagen und seinem dazu gesinnten Hausgesinde im Gerichte wiederholet, und in dem halben Deutschlande verbreitet worden sind.

Gewiß ein Verfahren, welches in der ärgerlichen Geschichte der Deutschen hohen Schulen vorzüglich aufgezeichnet zu werden verdienet!

[Bl. 229v]
Die verwerflichen Verunglimpfungen meines guten Namens geben mir ein natürliches Recht, gegen meine schändlichen Verläumder auf eine nachdrückliche, und der Sache angemessene Ahndung zu dringen. Diese behalte ich mir in Ansehung des unfläthigen N. 28 der Actorum vorliegenden Schreibens des Prof. Köhler insbesondere vor; welches er vermuthlich in der Begeisterung seiner geheimen Räthin, der Weinflasche, aufgesetzt hat, indem sonst ein vernünftiger Mann, welcher nicht seinen Titel durch eine niedrige Aufführung schänden will, unmöglich solche Schimpfwörter brauchen würde, welche man kaum in dem Munde eines Boufs Knechtes[34] vermuthen sollte.

Ich werde daher, mit Eurer Magnificienz Erlaubniß, die gegen mich angeblich vorkommende indicia, welche man mit diesem Manne zu freygebig besehen hat, in ihrer natürlichen, das ist, lächerlichen Gestalt zeigen, denn - - ridendo dicere verum quid vetat?[35]

Ohne mich übrigens auf die den Prof. Lowitz betreffende Beschuldigungen ein zu lassen; welche mich nichts angehen, und von ihm selbst entkräftet werden müssen.

Eben so wenig werde ich jezo in die Untersuchung des bishero gegen mich beobachteten Verfahrens eindringen, da ich den ganzen Proceß als mich nicht angehend, noch zur Zeit betrachte, mir aber dem ohnerachtet in omnem eventum,[36] die deductionem nullitatum[37] vorbehalte, um sie dereinst öffentlich darzustellen.

Zu gleicher Zeit lebe ich der gerechtesten Hofnung, daß Euer Magnificenz eine lebhafte und empfindliche Schreibart um desto weniger als einen Mangel der Ehrfurcht gegen meine Aechter auslegen werden, da sie bloß meine rasend-witzigen Denuncianten in einer höchst empfindlichen Ehrensache betrifft, und bey dem Schandschreiben des Prof. Köhlers, welches ärger als alle Pasquille ist, und dem der Büttel verbrannt werden müßte, kann ein ehrliebender Mann nicht hitzig genug schreiben.

So viel ich nun aus den sämtlichen Acten errathen habe: so erstreckt sich der Verdacht, welchen man auf eine zwar sehr freygebige, aber ehrenrührige Art auf mich geworfen hat, auf das N. 1 et 11 Actorum vorliegende erste und dritte Pasquill. Ich würde vielleicht auch diese Vermuthung nicht auf einen geringen Grad der Wahrscheinlichkeit, bey den gegen mich geschehenen dunkeln und unbestimmten Aussagen, haben bringen können, wenn nicht Eurer Magnificenz selbst in dem N. 13 actorum vorliegenden Brief an eine höchstpreisliche Landesregierung, meiner geringen Gabe zu rathen zu Hulfe gekommen wären, in den Worten:[38]

  Da sich nun einige starcke indicia, gegen den Prof. Lowitz und einige etwas schwächerere gegen den Prof. iuris ordinarium von Selchow äussern (denn der Entwurf des ersten und dritten Pasquills scheint aus der Feder eines Juristen geflossen zu seyn).

[Bl. 230r]
Ich folge daher diesem wohlgemeinten Worte, und werde mit Eurer Magnificienz gütigen Erlaubniß untersuchen:

  1) Ob würklich eine Pasquill vorhanden sey?
  2) Ob die gegen mich von Seiten dieser Denuncianten so begierig ergriffene indicia vel quasi[39] zur Sache gehörig und erwachsen sind?

......

[Bl. 230v-239v]

......




Fußnoten

  1. Der Jurist Johann Heinrich Christian von Selchow (1732-1795) war seit 1757 außerordentlicher Professor der Rechte, 1762 dann ordentlicher Professor in Göttingen.
  2. Das Schreiben wendet sich offensichtlich an den Prorektor der Universtität: Der war vom 04.07.1763 bis zum 03.01.1764 Johann Stephan Pütter (1725-1807) Prorektor. Er war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
  3. Im folgenden, nicht transkribierten Teil beginnt Selchow eine spitzfindige juristische Untersuchung, ob es sich bei diesen "Aufsätzen" überhaupt im juristischen Sinne um eine Pasquille handelt.
  4. Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760 Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075.
  5. Maria Elisabeth Becker war seit 1762 beim Stallmeister Ayrer als Köchin angestellt. Vgl.:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472.
  6. Lüder Kulenkamp (1724-1794) war Professor für Philosophie in Göttingen.
  7. Johann Tobias Köhler (1720-1768) war ebenfalls Professor für Philosophie in Göttingen.
  8. Johann Heinrich Falkenhagen (1720-1784) war Privatdozent der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  9. Nach Zedlers Universallexikon ist ein Fiscal "ein Fürstlicher Beamter, der der Obrigkeit bestes in Acht nimmt. Ein peinlicher Fiscal wird der genennet, der einen wegen eines Lasters, an Stat des Fürsten oder Amts peinlich anklaget, entweder gar auf den Tod, oder zu einer grossen Geld=Busse. Ingleichen wird derjenige also genennet, welcher einer Obrigkeit Interesse wahrnimmmt".
  10. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  11. Christian Wilhelm Franz Walch (1726-1784) war protestantischer Kirchenhistoriker und Professor der Theologie in Göttingen.
  12. Die Wehnderstraße (heute Weender Straße) war eine von Nord nach Süd verlaufende Hauptstraße von Göttingen. Lowitz bewohnte hier das Haus Nr. 68, das ist die heutige Weender Straße 37. Vgl. den Grundriss von Göttingen.
  13. Georg Christoph Hamberger (1726-1773) war seit 1755 außerordentlicher Professor der Philosophie, ab 1663 ordentlicher Professor in Göttingen.
  14. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  15. Michaelis heiratete 1759 in zweiter Ehe Louise Philippine Antoinette Schröder (12.06.1739-05.02.1808). Ihr Vater, der Oberpostmeister Johann Eberhard Schröder (22.07.1704-09.07.1761), stammte aus Hannover und hatte am 5. Juli 1740 in Göttingen das Bürgerrecht erhalten. Bei dem angesprochenen Schwager muss es sich um einen Bruder der Ehefrau von Michaelis gehandelt haben.
    NDB XVII, 1994, S. 427-429 (Verfasser: Christoph Bultmann)
    Wellenreuther, Hermann (Hrsg.): Göttingen 1690-1755. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 393, Tab. IV, Nr. 741.
  16. Der erste Abschnitt auf dieser Seite ist durchgestrichen. Der Text passt auch nicht zum Schluss der vorhergehenden Seite.
  17. Infelix est, quem nemo odit: Unglücklich ist, wen niemandem hasst.
  18. welche würklich lis, non de tribus capellis, sed de une tantum capella, ist: welche wirklich Streit, nicht um drei Ziegen, sondern nur um die eine Ziege ist.
  19. obtorto collo: widerwillig.
  20. Est quoque post Helenam mulier deterrima belli caussa: Es ist auch nach Frau Helena der schlechsteste Grund für einen Krieg.
  21. fidus Achates: treuer Freund. Achates ist in Vergils Aeneis der beste Freund und Gefährte des trojanischen Helden Aeneas.
  22. Myopia ist die Kurzsichtigkeit. Wer daran litt, war ein Myops. Vgl. Zedlers Universallexicon 22, 1739, Sp. 1718.
    In seiner Anklageschrift gegen Lowitz hielt es der Stallmeister für nicht glaubhaft, das der zu nächtlicher Zeit ein Pasquill an dem seinen gegenüber liegenden Hause abgenommen haben soll, denn es sei unglaublich, "daß der Hl. Professor Lowitz als ein Mÿops zur nächtlichen zeit, wo kein Mondschein gewesen einen solchen Anschlag aus seinem Zimmer habe bemercken können".
  23. Ex lege diffamari: Der die Beschuldigung erhebt, muss sie beweisen oder stillschweigen.
  24. Einspruch gegen die Eignung des Akademischen Gerichts.
  25. Die Concilienstube befand sich bis 1764 im Kollegiengebäude. Sie diente der Universität als Sitzungszimmer der Concilienversammlungen sämtlicher dazu gehöriger Professoren und auch für Verhandlungen des akademischen Gerichts. Vgl. Mittler, Elmar; Purpus, Elke; Schwedt, Georg: "Der gute Kopf leuchtet überall hervor": Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Göttingen: Wallstein-Verlag 1999, S. 118
  26. en face: davor, gegenüber.
  27. Lowitz hat sich darüber nicht aufgeregt.
  28. Bei unvollständiger Beweislage wird die Unwahrheit einer behaupteten Tatsache durch einen Reinigungseid beschworen. Der Reinigungseid wird einem Angeklagten auferlegt, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Unschuld durch eine Eidesleistung zu bezeugen.
  29. Der Codex Iustinianus ist Teil des röischen Zivilrechts. Wenn Selchow also ein "Justinianeus nouus" wäre, wäre er Vertreter eines völlig neuen Zivilrechts.
  30. Der Dupondius war eine römische Münze, deren Masse mit der Zeit immer mehr abnahm.
  31. zum Purgatorio graviren: Zum Fegefeuer verdammen.
  32. beneficii defensionius: Wörtlich die Wohltat der Verteidigung, gemeint ist hier das Recht auf Verteidigung.
  33. inspectonem actorum: Akteneinsicht.
  34. boufs: Ochsen (frz.). Der Boufs Knecht ist also der Ochsenknecht oder der Viehhirte.
  35. ridendo dicere verum quid vetat?: Was hindert, dass einer lachend die Wahrheit sagt?
  36. in omnem eventum: für alle Fälle.
  37. deductionem nullitatum: Aufzeigen der Nichtigkeit.
  38. Diese Feststellung stammt nicht von Pütter, sondern von dessen Vorgänger als Prorektor Walch. Vgl. Walchs Stellungnahme vom 7. Mai 1763.
  39. Indicia vel quasi: Indizien oder dergleichen.