Briefwechsel Georg Moritz Lowitz
Kurzinformation zum Brief | |
Autor | Lowitz, Georg Moritz (1722-1774) |
Empfänger | Beilage zum Zivilprozess gegen den Stallmeister |
Ort | Göttingen |
Datum | 6. Oktober 1763 |
Signatur | Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 657-688 |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
Kommentar | Diese Schrift legte Lowitz der Zivilklage gegen den Stallmeister bei. Man ließ sie aber als "ungeziemend" zurückgeben, hat aber eine Abschrift anfertigen lassen, die zuerst als Nr. 47 den Pasquillakten, später aber, da sie mit dem Pasquillenprozess wenig zu tun hat, einem "Fasciculum separatum" beigelegt wurde. Vgl. die Notizen von Pütter, Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 655-656. |
Anderweitige Betrachtung und Widerlegung
der exceptirischen Nothdurft des von mir bekla-
gten Stallmeisters Aÿrers[1],
wider meine des
Professoris Lowitz gegen ihn geführte Klage.
Da die meiner Klage entgegen gesetzte exceptirische Nothdurft[2] Hl. Stallmeisters aus lauter offenbaren Fehlern, oder wissentlichen Bosheiten und Verdrehungen, zusammen gesetzt ist, so sehe ich mich gedrungen diese Umstände ausser der Rechtsverhandlung meines Herrn Consulenten[3] in einer besondern Beÿlage zu entwickeln, und sie der Hochlöbl. Deputation zur Einsicht gehorsamst vorzulegen. Ich werde
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sie daher in abgesonderten Puncten betrachten,
um die Unwissenheit oder Bosheit
Hln. Concipienten[4] dadurch begreiflich zu machen.
I.
Pag. 4 der exceptirischen Nothdurft sagt der Hl Verfasser ausdrücklich: Was den ersten Punct betrift, so leugne ich das Vorbringen pp
Leügnen heißt in unserer teutschen Muttersprache: einer gewissen offenbaren Wahrheit wissentlich und mit Vorsatz gegen seine eigne Überzeugung zu widersprechen. Dieses ist der wahre Begriff, den ein jeder vernünftiger Mensch mit diesem Wort verknüpfet. So bald also jemand das Wort leügnen ausspricht, so bald bestätiget derselbe auch die Wahrheit
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des widersprochenen Satzes; er mag es
von einem andern oder selbst von sich sagen.
Da nun dieses Wort mit der Lüge
in genauer Verwandschaft stehet, indem
durch das Lügen nichts anders verstanden
wird, als nur offenbare Unwahrheit für
eine Wahrheit behaupten, so ist gewiß
daß so wenig jemand von sich, ausser
im Scherz sagen werde; er lüge, wenn
er sich nicht auch also gleich dadurch für
einen offenbaren Betrüger erklären
will: eben so wenig darf man von sich
selbst sagen: ich leügne, wenn man sich
nicht auch alsobald mit diesem Ausdruck
selbst einer offenbaren Bosheit beschuldigen
will. Ich weiß es wohl,
[S. 4]
daß sich Hl. Verfasser dieser Schrift
damit ausreden werden, er nehme dieses
Wort in juridischen[5] Verstande, als wie negiren.
Aber mein Hochgeehrter Herr! Sie schimpfen
durch diese Ausflucht die Rechtsgelehrsamkeit
auf das äusserste, wenn sie selbige im Ernst
nehmen wollten. Diese Ausflucht kann
man etwan nur, wiewohl ungerechter Weise
auf einem Dorf beÿ Bauern ergreifen:
aber auf einer berühmten Academie,
wie Göttingen ist, fordert man von Ihnen,
daß sie die Sprache verstehen darinnen
Sie schreiben wollen. Da auf einen
Rechtsspruch öfters Leib und Leben, ja sogar
Ehre und guter Nahme ankommt;
so glaube ich nicht, daß einem gerechten
Richter, die beÿden Wörter leügnen, und
[S. 5]
negiren gleichgültig sind. Zu diesem Falle
könnte also Hl Stallmeister gar wohl
mit gutem Gewissen schwören, er leügne
die Sache. Nach dem Begriffe des
Negirens sollte der Richter glauben, er
hätte sie abgeschworen; und hingegen
in seinem Herzen würde er die Wahrheit
derselben nach dem rechten Begriff des
Wortes leügnen würklich beschworen
haben.
Ich denke nicht, daß Hl. Stallmeister in der That so boshaft seÿe, sich hinter diese elende Rabulistereÿ zu verstecken, sondern ich sehe dieses vielmehr für ein Bollwerk seines Hln. Consulenten an, indem derselbe hier das leügnen vollkommen gut
[S. 6]
zu seiner Absicht angebracht hat: Da die Sache
selbst an und für sich gewiß, und in dem
Protocolle des Verhörs seiner
Köchin[6] klar bewiesen
ist. Aber Hl Verfasser dieser Schrift
muß nicht denken, daß unsere Herren
Richter so schwach seÿn sollten, diese
Bosheit zu übersehen. Dann das kann man
von einem so gelehrten und berühmten
Mann nicht vermuthen, daß er sich erst
noch wollte in die teutsche Schule verweisen
lassen.
II.
Pag. 5. sagt Hl Verfasser:
daß er nach der Niedersächsischen Mundart keine strafbare Verfolgung, oder Ablockung genannt werden kann. Als dann aber würde es ehender diesen | |
[S. 7] |
|
Namen verdienen, wenn ich ein zu gelehrten Observationen bestimmtes Gebäude zum Rendezvous mit einer Dienstmagd gemacht, und daselbst durch allerleÿ Mittel zu bereden gesucht hätte, den Dienst ihres jetzigen Brodherrn zu verlassen. |
Diesen Artickel haben Sie, mein lieber Herr Stallmeister gewißlich selbst geschrieben. Aber um der Sprachkunst willen, sagen Sie mir doch ! ist denn strafbare Verfolgung und Ablockung die Niedersächsische Mundart? Wo haben Sie hingedacht? es ist ja Hochdeutsch und zwar so allgemein, daß man weder in Coburg noch in Wien[7] anders sprechen kann, wenn man Hochdeutsch spricht, und nicht die Worte des Seel. Lutheri aus sei-
[S. 8]
ner Erklärung des zehnten Gebothes:
Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht sein Weib, Gesinde, oder Vieh abspannen, abdringen, oder abwendig machen, sondern dieselben anhalten, daß sie bleiben, und thun, was sie schuldig sind: |
gebrauchen will. Sie kennen doch unsern Lutherischen Catechismum noch?
Der angebrachte Rendezvous auf den zu gelehrten Observationen bestimmten Gebäude, das man sonst in der Europäische= Ober= und Niedersächsisch=Oesterreichischen Mundart Observatorium nennet, zeiget ihren bis zum stärksten Publico erhabenen Witz in einer sehr eifersüchtigen Ironie. Seit wenn ist denn dieses zu ge-
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lehrten Observationen bestimmtes Gebäude
zum Rendezvous mit ihrer so betitelten
Dienstmagd, die Sie doch im Hause ihre
Jungfer nennen, gebraucht worden? Antworten Sie!
Nicht wahr, nur seitdem als
Sie derselben aus Eÿfersucht mein Haus
beÿ Strafe des Ausjagens aus
Ihrem Stalle verbothen haben ? Ich hätte
freÿlich nicht mehr mit ihr, und sie mit mir
reden sollen, weil Sie es ihr so nachdrücklich
zu verbiethen, und deswegen Aufsehens zu
bestellen, beliebten: Allein ich nur war Ihnen
ungehorsam. Woher wüßten Sie denn
etwas von diesem Rendezvous, wenn ich
Ihnen nicht in meinen Schriften davon Nachricht
gegeben hätte? Sie würden außer=
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dem ganz gewißlich nichts davon erfahren
haben. Dort war es ganz und gar unnöthig
Ihre Jungfer abzuspannen. Dieselbe war
schon im October vorigen Jahrs gemiethet.
Sie war seit verschiedenen Jahren mit
meiner Frau verbunden, und uns dahero
nicht so unbekannt, als wie sie ihnen
ehedem war. Sie kam beÿnahe täglich
in mein Haus: und Sie, mein lieber Herr
Stallmeister! wißen es aus einem andern
Umstand, daß dieselbe auch noch zum Trotz
ihres Verbothes zu mir ins Haus gieng,
und sogar für den Reitstall Geld entlehnte,
welches ich ihr gerne und willig
gab; ob ich damahls schon überzeügt
war, daß Sie dieses Mädgen wider mich
zum Hauptzeügen eingeflochten hatten.
[S. 11]
Das letztere mahl war mir sehr viel daran
gelegen Ihre Köchin zu sprechen, und es aus
ihrem eigenen Mund zu hören, ob sie selbige
würklich neüerdings gemiethet haben?
Sie wissen es nun, was ich damahls deswegen
that: aber glauben Sie nur, es ist alles mit
guten Bedacht geschehen, und ich werde meine
Handlungen vollkommen rechtfertigen.
Da Sie einmahl das Obseruatorium ein zu
gelehrten Observationen bestimmtes Gebäude
nennen, so ist es nützlich, die Ursache dieser
Benennung zu ergründen. Wer Noten
über Bücher schreibt, oder Anmerkungen
dazu verfertiget, von dem sagt man, er mache
gelehrte Observationen. Hiezu, mein
lieber Herr Stallmeister, ist dieses Gebäude
gewißlich nicht bestimmet. Die gelehr=
[S. 12]
ten Observationen auf diesem Gebäude sind
ganz anders beschaffen. An dem auf dem
Observatorio befindlichen westlichen steinern
Pfeiler ist ein gelbes Thier, welches
Quadrant muralis heisset angebunden,
das mit einem sieben Fuß langen Schwanz
versehen ist, den man in die Höhe heben,
und auch wieder niederlassen kann. Will
ich nun, Ihre so betittelten gelehrten
Observationen damit anstellen, so hebe
ich dieses Thieres Schwanz in die Höhe,
und gucke hinten hinein, um etwas zu
sehen. Ich weiß es wohl, was ich als denn
sehe. Da sie nun in Ihrem Stalle gleichfals
Thiere angebunden haben, die mit
Schwänzen versehen sind, und da ich überzeugt
bin, daß Sie, eben so wie ich, des
Sehens wegen öfters Observationes davon
[S. 13]
machen, ohne daß ich wissen mag, was Sie alsdann
sehen, so könnte man gleichfalls aus der
Aehnlickeit unserer beÿden Beschäftigungen
den Reitstall ein zu gelehrten Observationen
bestimmtes Gebäude nennen. Rendezvoux werden
auch gnug, und überflüssig da gehalten,
mithin kommt der Reitstall und das Observatorium
in Ansehung der gelehrten Observationen
gänzlich mit einander überein:
ergo ist der Reitstall auch zugleich ein Observatorium,
und das Observatorium ein
Reitstall. Q. E. D. Es ist gut, daß Ihre Köchin
kein solches Thier ist, sonst würden
Sie mir künftighin, eine Parodie auf mein
Haus machen können. Das, mein lieber Herr
Stallmeister ist der Lohn für ihren feinen
Witz.
III.
[S. 14]
Pag. 6 am Ende heißt es:
Da nun dieses erste von Klägern vorgebrachte Factum ungegründet ist, und durch beÿ Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebl. verhandelten Acta publica bereits widerleget wird pp |
Was sind denn dieses für acta publica? Hat das ein vernünftiger Jurist geschrieben? Wer giebt denn jemahls Schandacten, Pasquillacten den Namen acta publica? Wenn man diesen Dingern noch viele Ehre, wegen der darinnen benannten Personen, erzeigen will, so werden sie mit den Namen acta judicialia belegt: und das noch dazu erst alsdenn, wenn die Richter sie mit ihren Rechtsaussprüchen bekräftiget, oder geendiget haben. Sonst hat man von actis publicis den Begriff, daß sie
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ganze Länder und Staaten betreffen, als wie
Friedensschlüsse, Hausverträge, Handlungstractaten,
Capitulationen, und dergleichen sind.
Ich begreiffe endlich wohl, was Hl. Verfasser
unter diesem Namen verstehet. Auch hier
zeigt er abermahl seine vorsetzliche Verdrehungen.
Es weiß gewiß alles vorige viel
zu gut, als daß ich ihm solches erst lehren
müste: sondern er versucht vielmehr hier
abermahl die Aufmerksamkeit unserer Richter.
Da ihm bekannt ist, daß diese Schandacten
nicht allein hier in der Stadt, sondern auch
außerhalb derselben in das Publicum verbreitet
sind: und da er selbst sehr vieles
dazu beÿgetragen hat; so glaubt er ein Recht
zu haben, sie also zu benennen, auf daß, wenn
man ihn einmahl über kurz oder lang we=
[S. 16]
gen seines Bezeigens auf die Finger klopfen
wollte, er sich damit ausreden könnte:
das Judicium habe diese Pasquillacten
ohne Widerspruch acta publica benennen
lassen, und deswegen hätte er so viel
in seinem Vermögen stand, beÿtragen
wollen, ihnen diesen erhabenen Namen
verdienen zu helfen.
Aber mein Hochgelehrter Herr Consulent! wie kann man denn schon an Ostern eine Schrift widerlegen, die doch erst ein halbes Jahr darauf, nemlich diese Michaelis[8] geschrieben worden ist? Erhellet nicht hieraus ihre Bosheit, und ihr Dessein? Sie haben es also an Ostern schon gewust, und vorhergesehen, daß ich mich an Michaelis darauf regen und melden werde? Und Sie haben deswegen die Einrichtung zu machen nöthig
[S. 17]
gehabt, mich in Ihren actis publicio schon
zum voraus zu widerlegen. Mithin kennen
Sie also diese schöne acta so gut, die man
mir doch bis jetzt vorenthalten hat? Sie
haben also selbige von allen finstern
Oertern selbst zusammen schleppen und
schmieden helfen? Wann diese Schand=
und Schmäh=Blätter eben so voll Weisheit
sind, so will ich bald damit fertig werden, wenn
ich sie einmahl in meine Hände bekomme. Freuen
Sie sich indessen nur in voraus darauf.
IV.
Pag. 7. der 2te Klagpunct bestehet darinnen, daß ich Hl Kläger die Köchinn qu. vorenthalte. Hierwieder will ich blos dieses anführen: Scaevola ait, agendum ante diem usus
[S. 18]
fructus nihil facere, quamvis alias, qui ante
diem agit, male agit.[9]
Mein lieber Herr Stallmeister! Hier hat Sie ihr Hl. Consulent bedächtlicher Weise selbst zum besten. Er bezieht sich hier auf ein Gesetz de Usufructu[10], welches sich zu dieser Sache eben so wie eine Faust auf ein Auge füget. Überlegen Sie doch nur um alles in der Welt willen, was einem jeden lebhaften Mann für Gedanken einfallen müßen, der die Vorenthaltung einer Köchinn, und das Gesetz de Usufructu beÿsammen findet, und ich durch dasselbige widerleget werden soll! Ich mag es hier nicht weitläuftiger ausführen. Sie werden die Absicht ihres guten Freundes wohl selbst daraus errathen können. Er hat ihnen schon mehr dergleichen mittelbare Gefälligkei=
[S. 19]
ten erwiesen: und Sie sollen künftighin durch
mich davon überzeuget werden. Übrigens ist
die Fabulistereÿ, die hiemit vorsetzlich begangen
wird, so helle als der Tag. Ist denn nicht die
künftige Vorenthaltung mit der Miethe ausdrücklich
verbunden? Haben Sie denn die
Beckerin deswegen wiederum gemiethet,
damit Sie selbige mir nicht vorenthalten wollen?
Das ist ja widersprechend, wenn ich es
auch nicht lächerlich nennen will. Aber, wenn
hätte ich mich denn beÿ Ihnen melden sollen?
Etwan nach Michaelis? Sodann hätte wiederum
ein alter Tröster eine elende Ausflucht herbeÿschaffen
müssen, die Wahrheit und Gerechtigkeit
damit zu blenden. Warum streiten
Sie dann nicht aus denen hiesigen Landes-Constituionen
wider mich? Und warum sie=
[S. 20]
het denn Ihr Hl. Consulent nicht ein, daß in
dem Verstande er auch den Scaevola wider
mich gebrauchen will, derselbe vielmehr
vollkommen wider Ihn ist? indem er ja oben
(III.) beÿ der Berufung auf die acta publica
behauptet, ich seÿ schon darinnen vor einem halben
Jahr widerleget worden: da ich doch
gewiß weiß, wenn ich mich anders nicht
irre, daß damals diese jetzt erst geschriebene
Klage noch nicht gegen Sie eingegeben
war. Ist das Unverstand oder Bosheit?
Fällen Sie mein lieber Herr Stallmeister
selbst ihr unpartheÿisches Urtheil darüber.
V.
Pag. 9 heißt es: Der 3te Klagpunct betrift
die vermeÿntliche prioritaet, nach welcher er die Köchinn qu. Michaelis d. H. | |
[S. 21] | |
in seinen Dienst verlanget. Ich bin nun zwar nicht gesonnen mich wegen der Priorität einer Köchinn mit Hl. Kläger in einen Rechtsstreit einzulassen, sondern Hl Kläger mag es mit dieser Person besonders ausmachen p. |
Ist dieses nicht eine vortrefliche Disputation über die Priorität einer Köchinn? Sie wollen mit mir wegen der Priorität ihrer Köchinn keinen Rechtsstreit anfangen. Meinetwegen, ich bin es sehr wohl zufrieden, wenn Sie mir diese nicht anfechten. Ich will dafür so raisonabel seÿn, und Ihnen die Posterität dieses Mädgens gleichfalls unangetastet lassen: und Sie können dieselbe ohne Rechtseinsprüche von mir zu befürchten, sicher behaupten. Es ist nur schade, daß Sie dieser Entschluß schon so bald wiederum gereuet. Denn nur wenige
[S. 22]
Zeilen darauf setzen Sie mir schon wieder
einen Herzensstoß durch folgende Worte:
Ist dieser vorläufige Punct ausgemacht, so wird es darauf ankommen, ob ich als bisheriger Brodherr den Rechten nach verbunden bin die Köchinn zu welche Hl. Kläger auf so macherleÿ Art aus meinen Dienst zu bringen gesucht hat, ihm in Dienst zu überlassen. Andere beÿ derleÿ verhandelte acta publica werden demnächst zur Entscheidung dieser Sache gleichfalls gebraucht werden. |
Kommt es denn nur auf Sie an, mein lieber Hl. Stallmeister, ob Sie das Mädgen wollen fahren lassen oder nicht? Glauben Sie denn, daß man Ihnen zu Liebe die gerechten Gesetze des weisesten Königs vernichten werde? blos deswegen weil Sie
[S. 23]
dieses Mädgen brauchen. Nein, so hochmüthig
müssen Sie nicht von sich selbst gedenken. Alle Ihre
Krümmungen, und Wendungen zielen nur auf
Verlängerung der Zeit ab: und ich mache durch
meinen Entschluß Ihnen und Ihren boshaften
Advocaten einen Strich durch Ihre Rechnungen
und damit der ganzen Sache auf einmahl ein Ende.
Herr Stallmeister! was beschuldigen Sie mich in diesen Satze für Niederträchtigkeiten, die ich in meinem ganzen Leben verabscheüet habe? Wissen Sie hiemit, daß ich Sie so lange, bis mir solches bewiesen werde, für den allerärgsten Bösewicht, und für den boshaftesten Verläumder erkläre und halte. Da Sie diese Beschuldigung vor Gerichte, und zwar schriftlich gegen
[S. 24]
mich auszustossen sich erkühnen; so nehmen
Sie auch meine Erklärung durch eben diesen
Weg und auf eben diese Art hin. Und da
Sie noch dazu so frech und unverschämt
sind, sich abermahl auf die von Ihnen so
betitelten acta publica zu berufen; so
frage ich Sie: von wem sind diese Acten?
Sind sie nicht von Ihnen und Ihren Helfers
Helfern, meinen verschworenen Feinden?
Laßen Sie mich nur über ihre verdammte
Papiere kommen, sie sollen über mich erschrecken.
Leichte und unumstoßlich werde
ich beweisen, daß Sie sich nicht allein
wegen meiner Person sehr geirret, sondern
vorsetzlicher Weise sowohl die hiesige
Universität, als auch selbst, welches
unvergnüglich ist, die hohe Königl. Landes=
[S. 25]
Regierung und das ganze Publicum betrogen
haben. Merken Sie sichs mein lieber
Hl Stallmeister: So wie oft Hl Hofrath Michaelis[11]
Sie gegen mich als eine Katze brauchte,
um mit Ihrer Pfote die gebratenen Kastanien
aus dem Feuer zu langen, eben also
brauchte er mich wie eine Klette, sie Ihnen
in die Haare zu werfen. Ich habe mich schon
so darein verwirret, daß Sie mich nicht eher
losbringen werden, als bis Sie Ihren Kopf
abscheeren lassen.
VI.
Pag. 10 aus dieser kurzen Beantwortung
lieget also klar vor Augen, daß die ganze Klage aus einer blossen Animosität wider mich angestellet worden. |
Abermahl eine neüe niederträchtige Ver=
[S. 26]
läumdung! Schläget Sie doch selbst Ihr böses
Gewissen. Da ich Sie gar noch nicht einmahl
von Person kenne, wie kann ich denn
eine Animosität in meinem Herzen gegen
Sie hegen? Dieser Auffront setzet ja heftige
Beleidigungen voraus. Sie sind also überzeuget,
daß Sie mich gröblich beleidiget
haben, weil Sie diese höchst unschuldige, und nothdringliche
Rechtsansuchung einer Animosité zuschreiben
wollen! Sie hätten gerne, daß man
Sie in der Welt schalten und walten
lasse, wie Sie wollen. Wer sich Ihnen widersetzt,
der ist Ihr Feind. Aber zum
Glück kehren sich die Richter nicht an Ihre
elenden Ausflüchte und Beschuldigungen.
Der Glanz der Wahrheit ist so stark,
[S. 27]
daß er die Augenbinde der Gerechtigkeit
durchstrahlen werde, wenn Sie selbige auch
mit massiven Golde überdecken wollten.
Da sich nun die Zeit der Entwicklung
Ihrer heßlichen Verschwörung gegen mich
heranmachet, so tragen Sie freÿlich Bedenken
Ihre Köchin, die Sie mit in Ihr Complott wider
mich verwickelt haben, fahren, und in meinen
Dienst kommen zu lassen. Ich versichere
dagegen, daß, was auch unsere Richter dieserwegen
beschliessen werden, sich nichts mehr
in Ihren unglücklich angefangenen Pasquillen=Processe
ändern kann. Hätte ich dieses
ehemahls redliche Mädgen, zu dieser
Absicht, die Sie vielleicht befürchten, mißbrauchen
wollen, es wäre es mir sehr
[S. 28]
leicht gewesen. Allein ich werde dieselbe
schon zu zwingen wissen, das, was ich bisher
deswegen gethan habe, gerichtlich bekannt zu machen.
Ich handle durchgängig als ein redlicher
und offenherziger Mann, und man
weiß es, daß die Unschuld keine Intrigen
kennet. Bis hieher hat das Judicium
nur Sie mit Ihren Verschworenen angehöret,
und die Gründe ihres Verdachtes
gesammlet. Alleine man hat mich noch
nichts gegen Ihre Beschuldigungen einwenden
lassen, da ich selbige noch nicht
anders als durch das Publicum erfahren
können. Die Folgen müssen fürwahr für
Sie fürchterlich seÿn, wenn ich zur Defension
komme, weil selbst die Natur mir
[S. 29]
Hindernisse in den Weg zu legen scheinet,
damit ich langsamer dazu gelange.
Es ist sehr leicht auf den allerehrlichsten
Mann einen Verdacht zu wälzen: alleine
um desto schwerer denselben zu begründen,
und zu beweisen, je ehrlicher der verdächtig
gemacht ist. Man kennet die alte
Wahrheit, daß diejenigen Leüte, die mit
der heiligen Religion ein Spiel treiben, den
allergeringsten Glauben in Absicht ihrer Redlichkeit,
und ihres guten Herzens verdienen.
Die Größe Ihrer Einsicht in das Wesentliche
ihres künftigen Zustandes ihrer Seelen bestimmet
den Grad des Werths ihres guten
Gewissens: dieses aber wiederum die Größe
des Zutrauens, welches ein solcher Mensch
würdig ist. Ich mag diese Lehre nicht weiter
[S. 30]
ausführen. Sie mein lieber Herr Stallmeister,
können die Anwendung derselben leicht in aller
Stille machen, und Ihr Herz darnach prüfen.
Es ist wahr, Sie haben mich durch Ihre Unternehmungen sehr beschimpfet; aber gedulten Sie sich noch ein wenig, so kommt die Reÿhe auch an Sie. Hodie mihi, cras tibi.[12] Ich habe nun seit 14. Tagen meinen, von Ihren heßlichen Schritten äusserst besudelten Professor abgeleget:[13] und nun stehe ich nackt und blos ohne Amt und Titel vor Ihnen. Auf diese Weise laßen sich ihre Auswürfe gegen meine Person am leichtesten mit Gelaßenheit ertragen, und nach und nach wieder abwischen. Die Klugheit erfordert es, daß ich mich wohl vorsehe; damit so lange als ich genöthiget bin, micht mit
[S. 31]
Ihnen zu beschäftigen, weder mein neuer
Stand noch Titel entdecket werde. Denn ich
will ihn nicht, wie meinen Professor, mit Ihren
beschmutzen lassen. Aber als dann, wann ich
Gnugthuung von Ihnen fordere, werde ich
neu gekleidet erscheinen, und nach meiner
Sprache mit ihnen reden. Fürchten Sie sich nicht,
mein lieber Herr Stallmeister, ich fordere
Sie nicht heraus, wie mir schon einmahl
von Ihnen geschehen ist. Meine Feder ist
hier für Ihren Degen zu kurz. Da Sie einmahl
angefangen haben, schriftlich mit mir zu fechten,
so werde ich auch auf diese Art mich gegen
Sie wehren und vertheidigen. Und, da Sie mir
Blöße genug geben, so werde ich keine hinterlistigen
Fechterstreiche nöthig haben, Ihnen
den Rest zu geben. Meine Feder wächset. Ich
werde Sie damit erreichen, wenn ich zukünftig
[S. 32]
auch nach Pohlen versetzt würde.
Sehen Sie, mein lieber Hl. Stallmeister, so gehet es, wann man nicht vernünftig handelt. Wer eine nützliche Biene in ihren Beschäftigungen stören will, der muß zum voraus schon besorgen, daß sie ihn stechen werde. Ein andres mahl fangen Sie keine Händel ohne noth an; wenigstens prüfen Sie vorher den Schein, ehe Sie solchen für die Sache selbst halten. Folgen Sie nicht ferner Ihren Affecten, die Ihr Herz zu Schwachheiten verleiten, welche Sie sich selbst nicht verzeihen können. Wir werden deswegen noch öfters mit einander sprechen; und ich heisse Sie zu bekehren, und auf bessere Erkenntniß des sittlichen Lebens zu bringen.
G. M. Lowitz
[Bestätigung von Riccius]
Daß diese vorherstehende Abschrift mit dem
Original des Hl. Prof. Lowitz Betrachtungen pp
in allen Worten und Puncten völlig einstimmig
wird von mir facta collatione bezeuget.
actum den 8. Octobr. 1763 Riccius Synd. acad.
Fußnoten
- ↑ Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760
Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte. Vgl.:
Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075. - ↑ Diese Schrift des Stallmeisters ist nicht überliefert.
- ↑ Der Advokat von Lowitz war
Heinrich Christian Jaep (ca. 1718-22.07.1788), der in Göttingen
ab 1737 studiert hatte und hier Jurist wurde. Vgl.:
Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 258. - ↑ Concipient: Entwerfer, Verfasser.
- ↑ juridisch: ähnlich wie juristisch, nur dass sich hier das Recht aus moralisch-sittlichen Vorstellungen herleitet.
- ↑ Maria Elisabeth Becker war seit 1762 beim Stallmeister
Ayrer als Köchin angestellt. Vgl.:
Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472. - ↑ Dies ist eine Anspielung auf Ayrers Lebensstationen: Er war 1732 in Coburg geboren worden und hatte sich längere Zeit in Wien aufgehalten.
- ↑ Michaelis: Das Fest des heiligen St. Michael findet am 29. September statt.
- ↑ Zitat aus: Omini Nostri sacratissimi Principis Iustianiani Iuris enucleati ex omni vetere Iure collecti Digestorum seu Pandectarum, Buch 7, Satz 7.3.1.4: Scaevola sagt, Handeln vor der festgesetzten Zeit bringt keinen Ertrag, wie auch andere, die vorzeitig handeln, schlecht handeln.
- ↑ Usufructus: Nießbrauch.
- ↑ Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
- ↑ Hodie mihi, cras tibi: Heute ich, morgen für dich.
- ↑ Mit Brief vom 26.09.1763 bedankte sich Lowitz für seine Entlassung.