Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Beilage zum Zivilprozess gegen den Stallmeister
Ort Göttingen
Datum 6. Oktober 1763
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 657-688
Transkription Hans Gaab, Fürth
Kommentar Diese Schrift legte Lowitz der Zivilklage gegen den Stallmeister bei. Man ließ sie aber als "ungeziemend" zurückgeben, hat aber eine Abschrift anfertigen lassen, die zuerst als Nr. 47 den Pasquillakten, später aber, da sie mit dem Pasquillenprozess wenig zu tun hat, einem "Fasciculum separatum" beigelegt wurde. Vgl. die Notizen von Pütter, Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 655-656.


Anderweitige Betrachtung und Widerlegung
der exceptirischen Nothdurft des von mir bekla-
gten Stallmeisters Aÿrers[1], wider meine des
Professoris Lowitz gegen ihn geführte Klage.



Da die meiner Klage entgegen gesetzte exceptirische Nothdurft[2] Hl. Stallmeisters aus lauter offenbaren Fehlern, oder wissentlichen Bosheiten und Verdrehungen, zusammen gesetzt ist, so sehe ich mich gedrungen diese Umstände ausser der Rechtsverhandlung meines Herrn Consulenten[3] in einer besondern Beÿlage zu entwickeln, und sie der Hochlöbl. Deputation zur Einsicht gehorsamst vorzulegen. Ich werde

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sie daher in abgesonderten Puncten betrachten, um die Unwissenheit oder Bosheit Hln. Concipienten[4] dadurch begreiflich zu machen.

I.

Pag. 4 der exceptirischen Nothdurft sagt der Hl Verfasser ausdrücklich: Was den ersten Punct betrift, so leugne ich das Vorbringen pp

Leügnen heißt in unserer teutschen Muttersprache: einer gewissen offenbaren Wahrheit wissentlich und mit Vorsatz gegen seine eigne Überzeugung zu widersprechen. Dieses ist der wahre Begriff, den ein jeder vernünftiger Mensch mit diesem Wort verknüpfet. So bald also jemand das Wort leügnen ausspricht, so bald bestätiget derselbe auch die Wahrheit

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des widersprochenen Satzes; er mag es von einem andern oder selbst von sich sagen. Da nun dieses Wort mit der Lüge in genauer Verwandschaft stehet, indem durch das Lügen nichts anders verstanden wird, als nur offenbare Unwahrheit für eine Wahrheit behaupten, so ist gewiß daß so wenig jemand von sich, ausser im Scherz sagen werde; er lüge, wenn er sich nicht auch also gleich dadurch für einen offenbaren Betrüger erklären will: eben so wenig darf man von sich selbst sagen: ich leügne, wenn man sich nicht auch alsobald mit diesem Ausdruck selbst einer offenbaren Bosheit beschuldigen will. Ich weiß es wohl,

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daß sich Hl. Verfasser dieser Schrift damit ausreden werden, er nehme dieses Wort in juridischen[5] Verstande, als wie negiren. Aber mein Hochgeehrter Herr! Sie schimpfen durch diese Ausflucht die Rechtsgelehrsamkeit auf das äusserste, wenn sie selbige im Ernst nehmen wollten. Diese Ausflucht kann man etwan nur, wiewohl ungerechter Weise auf einem Dorf beÿ Bauern ergreifen: aber auf einer berühmten Academie, wie Göttingen ist, fordert man von Ihnen, daß sie die Sprache verstehen darinnen Sie schreiben wollen. Da auf einen Rechtsspruch öfters Leib und Leben, ja sogar Ehre und guter Nahme ankommt; so glaube ich nicht, daß einem gerechten Richter, die beÿden Wörter leügnen, und

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negiren gleichgültig sind. Zu diesem Falle könnte also Hl Stallmeister gar wohl mit gutem Gewissen schwören, er leügne die Sache. Nach dem Begriffe des Negirens sollte der Richter glauben, er hätte sie abgeschworen; und hingegen in seinem Herzen würde er die Wahrheit derselben nach dem rechten Begriff des Wortes leügnen würklich beschworen haben.

Ich denke nicht, daß Hl. Stallmeister in der That so boshaft seÿe, sich hinter diese elende Rabulistereÿ zu verstecken, sondern ich sehe dieses vielmehr für ein Bollwerk seines Hln. Consulenten an, indem derselbe hier das leügnen vollkommen gut

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zu seiner Absicht angebracht hat: Da die Sache selbst an und für sich gewiß, und in dem Protocolle des Verhörs seiner Köchin[6] klar bewiesen ist. Aber Hl Verfasser dieser Schrift muß nicht denken, daß unsere Herren Richter so schwach seÿn sollten, diese Bosheit zu übersehen. Dann das kann man von einem so gelehrten und berühmten Mann nicht vermuthen, daß er sich erst noch wollte in die teutsche Schule verweisen lassen.

II.

Pag. 5. sagt Hl Verfasser:

  daß er nach der Niedersächsischen Mundart keine strafbare Verfolgung, oder Ablockung genannt werden kann. Als dann aber würde es ehender diesen
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  Namen verdienen, wenn ich ein zu gelehrten Observationen bestimmtes Gebäude zum Rendezvous mit einer Dienstmagd gemacht, und daselbst durch allerleÿ Mittel zu bereden gesucht hätte, den Dienst ihres jetzigen Brodherrn zu verlassen.

Diesen Artickel haben Sie, mein lieber Herr Stallmeister gewißlich selbst geschrieben. Aber um der Sprachkunst willen, sagen Sie mir doch ! ist denn strafbare Verfolgung und Ablockung die Niedersächsische Mundart? Wo haben Sie hingedacht? es ist ja Hochdeutsch und zwar so allgemein, daß man weder in Coburg noch in Wien[7] anders sprechen kann, wenn man Hochdeutsch spricht, und nicht die Worte des Seel. Lutheri aus sei-

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ner Erklärung des zehnten Gebothes:

  Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht sein Weib, Gesinde, oder Vieh abspannen, abdringen, oder abwendig machen, sondern dieselben anhalten, daß sie bleiben, und thun, was sie schuldig sind:

gebrauchen will. Sie kennen doch unsern Lutherischen Catechismum noch?

Der angebrachte Rendezvous auf den zu gelehrten Observationen bestimmten Gebäude, das man sonst in der Europäische= Ober= und Niedersächsisch=Oesterreichischen Mundart Observatorium nennet, zeiget ihren bis zum stärksten Publico erhabenen Witz in einer sehr eifersüchtigen Ironie. Seit wenn ist denn dieses zu ge-

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lehrten Observationen bestimmtes Gebäude zum Rendezvous mit ihrer so betitelten Dienstmagd, die Sie doch im Hause ihre Jungfer nennen, gebraucht worden? Antworten Sie! Nicht wahr, nur seitdem als Sie derselben aus Eÿfersucht mein Haus beÿ Strafe des Ausjagens aus Ihrem Stalle verbothen haben ? Ich hätte freÿlich nicht mehr mit ihr, und sie mit mir reden sollen, weil Sie es ihr so nachdrücklich zu verbiethen, und deswegen Aufsehens zu bestellen, beliebten: Allein ich nur war Ihnen ungehorsam. Woher wüßten Sie denn etwas von diesem Rendezvous, wenn ich Ihnen nicht in meinen Schriften davon Nachricht gegeben hätte? Sie würden außer=

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dem ganz gewißlich nichts davon erfahren haben. Dort war es ganz und gar unnöthig Ihre Jungfer abzuspannen. Dieselbe war schon im October vorigen Jahrs gemiethet. Sie war seit verschiedenen Jahren mit meiner Frau verbunden, und uns dahero nicht so unbekannt, als wie sie ihnen ehedem war. Sie kam beÿnahe täglich in mein Haus: und Sie, mein lieber Herr Stallmeister! wißen es aus einem andern Umstand, daß dieselbe auch noch zum Trotz ihres Verbothes zu mir ins Haus gieng, und sogar für den Reitstall Geld entlehnte, welches ich ihr gerne und willig gab; ob ich damahls schon überzeügt war, daß Sie dieses Mädgen wider mich zum Hauptzeügen eingeflochten hatten.

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Das letztere mahl war mir sehr viel daran gelegen Ihre Köchin zu sprechen, und es aus ihrem eigenen Mund zu hören, ob sie selbige würklich neüerdings gemiethet haben? Sie wissen es nun, was ich damahls deswegen that: aber glauben Sie nur, es ist alles mit guten Bedacht geschehen, und ich werde meine Handlungen vollkommen rechtfertigen. Da Sie einmahl das Obseruatorium ein zu gelehrten Observationen bestimmtes Gebäude nennen, so ist es nützlich, die Ursache dieser Benennung zu ergründen. Wer Noten über Bücher schreibt, oder Anmerkungen dazu verfertiget, von dem sagt man, er mache gelehrte Observationen. Hiezu, mein lieber Herr Stallmeister, ist dieses Gebäude gewißlich nicht bestimmet. Die gelehr=

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ten Observationen auf diesem Gebäude sind ganz anders beschaffen. An dem auf dem Observatorio befindlichen westlichen steinern Pfeiler ist ein gelbes Thier, welches Quadrant muralis heisset angebunden, das mit einem sieben Fuß langen Schwanz versehen ist, den man in die Höhe heben, und auch wieder niederlassen kann. Will ich nun, Ihre so betittelten gelehrten Observationen damit anstellen, so hebe ich dieses Thieres Schwanz in die Höhe, und gucke hinten hinein, um etwas zu sehen. Ich weiß es wohl, was ich als denn sehe. Da sie nun in Ihrem Stalle gleichfals Thiere angebunden haben, die mit Schwänzen versehen sind, und da ich überzeugt bin, daß Sie, eben so wie ich, des Sehens wegen öfters Observationes davon

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machen, ohne daß ich wissen mag, was Sie alsdann sehen, so könnte man gleichfalls aus der Aehnlickeit unserer beÿden Beschäftigungen den Reitstall ein zu gelehrten Observationen bestimmtes Gebäude nennen. Rendezvoux werden auch gnug, und überflüssig da gehalten, mithin kommt der Reitstall und das Observatorium in Ansehung der gelehrten Observationen gänzlich mit einander überein: ergo ist der Reitstall auch zugleich ein Observatorium, und das Observatorium ein Reitstall. Q. E. D. Es ist gut, daß Ihre Köchin kein solches Thier ist, sonst würden Sie mir künftighin, eine Parodie auf mein Haus machen können. Das, mein lieber Herr Stallmeister ist der Lohn für ihren feinen Witz.

III.

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Pag. 6 am Ende heißt es:

  Da nun dieses erste von Klägern vorgebrachte Factum ungegründet ist, und durch beÿ Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebl. verhandelten Acta publica bereits widerleget wird pp

Was sind denn dieses für acta publica? Hat das ein vernünftiger Jurist geschrieben? Wer giebt denn jemahls Schandacten, Pasquillacten den Namen acta publica? Wenn man diesen Dingern noch viele Ehre, wegen der darinnen benannten Personen, erzeigen will, so werden sie mit den Namen acta judicialia belegt: und das noch dazu erst alsdenn, wenn die Richter sie mit ihren Rechtsaussprüchen bekräftiget, oder geendiget haben. Sonst hat man von actis publicis den Begriff, daß sie

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ganze Länder und Staaten betreffen, als wie Friedensschlüsse, Hausverträge, Handlungstractaten, Capitulationen, und dergleichen sind. Ich begreiffe endlich wohl, was Hl. Verfasser unter diesem Namen verstehet. Auch hier zeigt er abermahl seine vorsetzliche Verdrehungen. Es weiß gewiß alles vorige viel zu gut, als daß ich ihm solches erst lehren müste: sondern er versucht vielmehr hier abermahl die Aufmerksamkeit unserer Richter. Da ihm bekannt ist, daß diese Schandacten nicht allein hier in der Stadt, sondern auch außerhalb derselben in das Publicum verbreitet sind: und da er selbst sehr vieles dazu beÿgetragen hat; so glaubt er ein Recht zu haben, sie also zu benennen, auf daß, wenn man ihn einmahl über kurz oder lang we=

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gen seines Bezeigens auf die Finger klopfen wollte, er sich damit ausreden könnte: das Judicium habe diese Pasquillacten ohne Widerspruch acta publica benennen lassen, und deswegen hätte er so viel in seinem Vermögen stand, beÿtragen wollen, ihnen diesen erhabenen Namen verdienen zu helfen.

Aber mein Hochgelehrter Herr Consulent! wie kann man denn schon an Ostern eine Schrift widerlegen, die doch erst ein halbes Jahr darauf, nemlich diese Michaelis[8] geschrieben worden ist? Erhellet nicht hieraus ihre Bosheit, und ihr Dessein? Sie haben es also an Ostern schon gewust, und vorhergesehen, daß ich mich an Michaelis darauf regen und melden werde? Und Sie haben deswegen die Einrichtung zu machen nöthig

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gehabt, mich in Ihren actis publicio schon zum voraus zu widerlegen. Mithin kennen Sie also diese schöne acta so gut, die man mir doch bis jetzt vorenthalten hat? Sie haben also selbige von allen finstern Oertern selbst zusammen schleppen und schmieden helfen? Wann diese Schand= und Schmäh=Blätter eben so voll Weisheit sind, so will ich bald damit fertig werden, wenn ich sie einmahl in meine Hände bekomme. Freuen Sie sich indessen nur in voraus darauf.

IV.

Pag. 7. der 2te Klagpunct bestehet darinnen, daß ich Hl Kläger die Köchinn qu. vorenthalte. Hierwieder will ich blos dieses anführen: Scaevola ait, agendum ante diem usus

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fructus nihil facere, quamvis alias, qui ante diem agit, male agit.[9]

Mein lieber Herr Stallmeister! Hier hat Sie ihr Hl. Consulent bedächtlicher Weise selbst zum besten. Er bezieht sich hier auf ein Gesetz de Usufructu[10], welches sich zu dieser Sache eben so wie eine Faust auf ein Auge füget. Überlegen Sie doch nur um alles in der Welt willen, was einem jeden lebhaften Mann für Gedanken einfallen müßen, der die Vorenthaltung einer Köchinn, und das Gesetz de Usufructu beÿsammen findet, und ich durch dasselbige widerleget werden soll! Ich mag es hier nicht weitläuftiger ausführen. Sie werden die Absicht ihres guten Freundes wohl selbst daraus errathen können. Er hat ihnen schon mehr dergleichen mittelbare Gefälligkei=

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ten erwiesen: und Sie sollen künftighin durch mich davon überzeuget werden. Übrigens ist die Fabulistereÿ, die hiemit vorsetzlich begangen wird, so helle als der Tag. Ist denn nicht die künftige Vorenthaltung mit der Miethe ausdrücklich verbunden? Haben Sie denn die Beckerin deswegen wiederum gemiethet, damit Sie selbige mir nicht vorenthalten wollen? Das ist ja widersprechend, wenn ich es auch nicht lächerlich nennen will. Aber, wenn hätte ich mich denn beÿ Ihnen melden sollen? Etwan nach Michaelis? Sodann hätte wiederum ein alter Tröster eine elende Ausflucht herbeÿschaffen müssen, die Wahrheit und Gerechtigkeit damit zu blenden. Warum streiten Sie dann nicht aus denen hiesigen Landes-Constituionen wider mich? Und warum sie=

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het denn Ihr Hl. Consulent nicht ein, daß in dem Verstande er auch den Scaevola wider mich gebrauchen will, derselbe vielmehr vollkommen wider Ihn ist? indem er ja oben (III.) beÿ der Berufung auf die acta publica behauptet, ich seÿ schon darinnen vor einem halben Jahr widerleget worden: da ich doch gewiß weiß, wenn ich mich anders nicht irre, daß damals diese jetzt erst geschriebene Klage noch nicht gegen Sie eingegeben war. Ist das Unverstand oder Bosheit? Fällen Sie mein lieber Herr Stallmeister selbst ihr unpartheÿisches Urtheil darüber.

V.

Pag. 9 heißt es: Der 3te Klagpunct betrift

  die vermeÿntliche prioritaet, nach welcher er die Köchinn qu. Michaelis d. H.
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  in seinen Dienst verlanget. Ich bin nun zwar nicht gesonnen mich wegen der Priorität einer Köchinn mit Hl. Kläger in einen Rechtsstreit einzulassen, sondern Hl Kläger mag es mit dieser Person besonders ausmachen p.

Ist dieses nicht eine vortrefliche Disputation über die Priorität einer Köchinn? Sie wollen mit mir wegen der Priorität ihrer Köchinn keinen Rechtsstreit anfangen. Meinetwegen, ich bin es sehr wohl zufrieden, wenn Sie mir diese nicht anfechten. Ich will dafür so raisonabel seÿn, und Ihnen die Posterität dieses Mädgens gleichfalls unangetastet lassen: und Sie können dieselbe ohne Rechtseinsprüche von mir zu befürchten, sicher behaupten. Es ist nur schade, daß Sie dieser Entschluß schon so bald wiederum gereuet. Denn nur wenige

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Zeilen darauf setzen Sie mir schon wieder einen Herzensstoß durch folgende Worte:

  Ist dieser vorläufige Punct ausgemacht, so wird es darauf ankommen, ob ich als bisheriger Brodherr den Rechten nach verbunden bin die Köchinn zu welche Hl. Kläger auf so macherleÿ Art aus meinen Dienst zu bringen gesucht hat, ihm in Dienst zu überlassen. Andere beÿ derleÿ verhandelte acta publica werden demnächst zur Entscheidung dieser Sache gleichfalls gebraucht werden.

Kommt es denn nur auf Sie an, mein lieber Hl. Stallmeister, ob Sie das Mädgen wollen fahren lassen oder nicht? Glauben Sie denn, daß man Ihnen zu Liebe die gerechten Gesetze des weisesten Königs vernichten werde? blos deswegen weil Sie

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dieses Mädgen brauchen. Nein, so hochmüthig müssen Sie nicht von sich selbst gedenken. Alle Ihre Krümmungen, und Wendungen zielen nur auf Verlängerung der Zeit ab: und ich mache durch meinen Entschluß Ihnen und Ihren boshaften Advocaten einen Strich durch Ihre Rechnungen und damit der ganzen Sache auf einmahl ein Ende.

Herr Stallmeister! was beschuldigen Sie mich in diesen Satze für Niederträchtigkeiten, die ich in meinem ganzen Leben verabscheüet habe? Wissen Sie hiemit, daß ich Sie so lange, bis mir solches bewiesen werde, für den allerärgsten Bösewicht, und für den boshaftesten Verläumder erkläre und halte. Da Sie diese Beschuldigung vor Gerichte, und zwar schriftlich gegen

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mich auszustossen sich erkühnen; so nehmen Sie auch meine Erklärung durch eben diesen Weg und auf eben diese Art hin. Und da Sie noch dazu so frech und unverschämt sind, sich abermahl auf die von Ihnen so betitelten acta publica zu berufen; so frage ich Sie: von wem sind diese Acten? Sind sie nicht von Ihnen und Ihren Helfers Helfern, meinen verschworenen Feinden? Laßen Sie mich nur über ihre verdammte Papiere kommen, sie sollen über mich erschrecken. Leichte und unumstoßlich werde ich beweisen, daß Sie sich nicht allein wegen meiner Person sehr geirret, sondern vorsetzlicher Weise sowohl die hiesige Universität, als auch selbst, welches unvergnüglich ist, die hohe Königl. Landes=

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Regierung und das ganze Publicum betrogen haben. Merken Sie sichs mein lieber Hl Stallmeister: So wie oft Hl Hofrath Michaelis[11] Sie gegen mich als eine Katze brauchte, um mit Ihrer Pfote die gebratenen Kastanien aus dem Feuer zu langen, eben also brauchte er mich wie eine Klette, sie Ihnen in die Haare zu werfen. Ich habe mich schon so darein verwirret, daß Sie mich nicht eher losbringen werden, als bis Sie Ihren Kopf abscheeren lassen.

VI.

Pag. 10 aus dieser kurzen Beantwortung

  lieget also klar vor Augen, daß die ganze Klage aus einer blossen Animosität wider mich angestellet worden.

Abermahl eine neüe niederträchtige Ver=

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läumdung! Schläget Sie doch selbst Ihr böses Gewissen. Da ich Sie gar noch nicht einmahl von Person kenne, wie kann ich denn eine Animosität in meinem Herzen gegen Sie hegen? Dieser Auffront setzet ja heftige Beleidigungen voraus. Sie sind also überzeuget, daß Sie mich gröblich beleidiget haben, weil Sie diese höchst unschuldige, und nothdringliche Rechtsansuchung einer Animosité zuschreiben wollen! Sie hätten gerne, daß man Sie in der Welt schalten und walten lasse, wie Sie wollen. Wer sich Ihnen widersetzt, der ist Ihr Feind. Aber zum Glück kehren sich die Richter nicht an Ihre elenden Ausflüchte und Beschuldigungen. Der Glanz der Wahrheit ist so stark,

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daß er die Augenbinde der Gerechtigkeit durchstrahlen werde, wenn Sie selbige auch mit massiven Golde überdecken wollten. Da sich nun die Zeit der Entwicklung Ihrer heßlichen Verschwörung gegen mich heranmachet, so tragen Sie freÿlich Bedenken Ihre Köchin, die Sie mit in Ihr Complott wider mich verwickelt haben, fahren, und in meinen Dienst kommen zu lassen. Ich versichere dagegen, daß, was auch unsere Richter dieserwegen beschliessen werden, sich nichts mehr in Ihren unglücklich angefangenen Pasquillen=Processe ändern kann. Hätte ich dieses ehemahls redliche Mädgen, zu dieser Absicht, die Sie vielleicht befürchten, mißbrauchen wollen, es wäre es mir sehr

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leicht gewesen. Allein ich werde dieselbe schon zu zwingen wissen, das, was ich bisher deswegen gethan habe, gerichtlich bekannt zu machen. Ich handle durchgängig als ein redlicher und offenherziger Mann, und man weiß es, daß die Unschuld keine Intrigen kennet. Bis hieher hat das Judicium nur Sie mit Ihren Verschworenen angehöret, und die Gründe ihres Verdachtes gesammlet. Alleine man hat mich noch nichts gegen Ihre Beschuldigungen einwenden lassen, da ich selbige noch nicht anders als durch das Publicum erfahren können. Die Folgen müssen fürwahr für Sie fürchterlich seÿn, wenn ich zur Defension komme, weil selbst die Natur mir

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Hindernisse in den Weg zu legen scheinet, damit ich langsamer dazu gelange. Es ist sehr leicht auf den allerehrlichsten Mann einen Verdacht zu wälzen: alleine um desto schwerer denselben zu begründen, und zu beweisen, je ehrlicher der verdächtig gemacht ist. Man kennet die alte Wahrheit, daß diejenigen Leüte, die mit der heiligen Religion ein Spiel treiben, den allergeringsten Glauben in Absicht ihrer Redlichkeit, und ihres guten Herzens verdienen. Die Größe Ihrer Einsicht in das Wesentliche ihres künftigen Zustandes ihrer Seelen bestimmet den Grad des Werths ihres guten Gewissens: dieses aber wiederum die Größe des Zutrauens, welches ein solcher Mensch würdig ist. Ich mag diese Lehre nicht weiter

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ausführen. Sie mein lieber Herr Stallmeister, können die Anwendung derselben leicht in aller Stille machen, und Ihr Herz darnach prüfen.

Es ist wahr, Sie haben mich durch Ihre Unternehmungen sehr beschimpfet; aber gedulten Sie sich noch ein wenig, so kommt die Reÿhe auch an Sie. Hodie mihi, cras tibi.[12] Ich habe nun seit 14. Tagen meinen, von Ihren heßlichen Schritten äusserst besudelten Professor abgeleget:[13] und nun stehe ich nackt und blos ohne Amt und Titel vor Ihnen. Auf diese Weise laßen sich ihre Auswürfe gegen meine Person am leichtesten mit Gelaßenheit ertragen, und nach und nach wieder abwischen. Die Klugheit erfordert es, daß ich mich wohl vorsehe; damit so lange als ich genöthiget bin, micht mit

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Ihnen zu beschäftigen, weder mein neuer Stand noch Titel entdecket werde. Denn ich will ihn nicht, wie meinen Professor, mit Ihren beschmutzen lassen. Aber als dann, wann ich Gnugthuung von Ihnen fordere, werde ich neu gekleidet erscheinen, und nach meiner Sprache mit ihnen reden. Fürchten Sie sich nicht, mein lieber Herr Stallmeister, ich fordere Sie nicht heraus, wie mir schon einmahl von Ihnen geschehen ist. Meine Feder ist hier für Ihren Degen zu kurz. Da Sie einmahl angefangen haben, schriftlich mit mir zu fechten, so werde ich auch auf diese Art mich gegen Sie wehren und vertheidigen. Und, da Sie mir Blöße genug geben, so werde ich keine hinterlistigen Fechterstreiche nöthig haben, Ihnen den Rest zu geben. Meine Feder wächset. Ich werde Sie damit erreichen, wenn ich zukünftig

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auch nach Pohlen versetzt würde.

Sehen Sie, mein lieber Hl. Stallmeister, so gehet es, wann man nicht vernünftig handelt. Wer eine nützliche Biene in ihren Beschäftigungen stören will, der muß zum voraus schon besorgen, daß sie ihn stechen werde. Ein andres mahl fangen Sie keine Händel ohne noth an; wenigstens prüfen Sie vorher den Schein, ehe Sie solchen für die Sache selbst halten. Folgen Sie nicht ferner Ihren Affecten, die Ihr Herz zu Schwachheiten verleiten, welche Sie sich selbst nicht verzeihen können. Wir werden deswegen noch öfters mit einander sprechen; und ich heisse Sie zu bekehren, und auf bessere Erkenntniß des sittlichen Lebens zu bringen.

G. M. Lowitz


[Bestätigung von Riccius]
Daß diese vorherstehende Abschrift mit dem Original des Hl. Prof. Lowitz Betrachtungen pp in allen Worten und Puncten völlig einstimmig wird von mir facta collatione bezeuget.
actum den 8. Octobr. 1763 Riccius Synd. acad.




Fußnoten

  1. Johann Heinrich Ayrer (1732-1817) war seit 1760 Stallmeister in Göttingen, wobei er den Rang eines ausserordentlichen Professors hatte. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 162, Fußnote 1075.
  2. Diese Schrift des Stallmeisters ist nicht überliefert.
  3. Der Advokat von Lowitz war Heinrich Christian Jaep (ca. 1718-22.07.1788), der in Göttingen ab 1737 studiert hatte und hier Jurist wurde. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 258.
  4. Concipient: Entwerfer, Verfasser.
  5. juridisch: ähnlich wie juristisch, nur dass sich hier das Recht aus moralisch-sittlichen Vorstellungen herleitet.
  6. Maria Elisabeth Becker war seit 1762 beim Stallmeister Ayrer als Köchin angestellt. Vgl.:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472.
  7. Dies ist eine Anspielung auf Ayrers Lebensstationen: Er war 1732 in Coburg geboren worden und hatte sich längere Zeit in Wien aufgehalten.
  8. Michaelis: Das Fest des heiligen St. Michael findet am 29. September statt.
  9. Zitat aus: Omini Nostri sacratissimi Principis Iustianiani Iuris enucleati ex omni vetere Iure collecti Digestorum seu Pandectarum, Buch 7, Satz 7.3.1.4: Scaevola sagt, Handeln vor der festgesetzten Zeit bringt keinen Ertrag, wie auch andere, die vorzeitig handeln, schlecht handeln.
  10. Usufructus: Nießbrauch.
  11. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  12. Hodie mihi, cras tibi: Heute ich, morgen für dich.
  13. Mit Brief vom 26.09.1763 bedankte sich Lowitz für seine Entlassung.