Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Vogel, Rudolf Augustin (1724-1774)[1]
Ort Göttingen
Datum 25. Mai 1764
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, unpaginiert [Scan 449-458]
Transkription Hans Gaab, Fürth


praes. d. 26. Maÿ 1764


Königl. Großbritansche und Churfürtl.
Braunschweig-Lüneburgische zur Hochlöl. De=
putation der Georg-Augustus Univer=
sität Hochverordnete Herren Prorector,
Decani und Professores,
Magnifice,
Hochwürdige, Wohlgebohrne, Hochgelahrte, Höchst- und Hochzuehrende Herren!



Ew. Magnificenz, Hochwürd. und Wohlgebohren werden aus dem mir von Hannover zu gefertigten, und vor der versamleten Deputation publicirten, und im Original mitgetheilten letzterm Decreto vom 10. Maÿ überflüßig ersehen haben: daß die Königl. Landes Regierung mich aber=

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mahls mit meinen Vorstellungen in der Pasquillen-Sache an das hiesige Judicium Academicum verwiesen hat. Da mir nun im besagten Decreto neuerdings die Mittheilung derer, beÿ denen hiesigen Pasquillen Acten liegenden rechtlichen Bedencken[2] abgeschlagen; von denen dringenden Vorstellungen der Herren Hofräthe Aÿrer[3] und Michaelis[4] aber nur Auszüge[5] zugestanden worden sind, davon ich diese letztern am 21.sten dieses Monaths durch des Herrn Prorectoris Magnificenz auch richtig empfangen habe: so kann ich mich damit unmöglich befriedigen, wenn mir nicht wollständigere Auszüge dieser dringenden Vorstellungen mitgetheilet, und dabeÿ die Originale selbst vor die Augen gelegt werden. Denn, daß andere Materien, die mich nichts angehen, und die mir in nichts nachtheilig sind, in diesen Briefen enthalten seÿn sollen, ist

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um so viel weniger zu vermuthen; da mir die Sentiments, welche diese Herren Hofräthe zur selbigen Zeit öfentlich wider mich geäuseret haben, allzu gut bekant sind. Es würde dieses, dem hier in gantz Göttingen bekanten Gemüths Character dieser beeden Herren, wie auch dem listigen Entwurf ihrer ofenbahren Verschwörung wider mich, die sich täglich mehr entwickelt, gewaltig widersprechen, wenn sie eine solche verwerfliche Gelegenheit nicht nach ihrer Art bestens genutzet, und diese mir nunmehro mitgetheilten allgemeine kläglichen Vorstellungen, mit persönlichen alten oder neuen Beschuldigungen nicht sollten tröstlich unterstützet, und wichtig gemacht haben.

Ew. Magnificenz, Hochwürden und Wohlgebl. werden in sich selbst, ebenso vollkommen, als wie andere Rechtsgelehrte überzeuget seÿn, daß meine, sich mit Unrecht

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so nennende Denuncianten, keine Denuncianten, sonder vielmehr würckliche Ankläger sind: indem die Handlungen der Personen, und ihre Verknüpfung an dem Proceß die man nur aus denen abgehandelten Acten erkennen muß, ihre Eigenschaften, und folglich ihre Benennungen bestimmen. Es ist also die über mich verhängte Inquisition keine Inquisitio ex officio[6]; sondern es ist dieselbe vielmehr ein wahrer, und förmlicher Anklage Prozeß, der vielleicht wegen seiner Besonderheit, wie auch wegen seiner erstaunlichen Weitläuftigkeit, und Verwirrung noch kein Beÿspiel vor sich hat.

In einem solchen Proceß befehlen die Gesetze ausdrücklich, daß der Richter dem Angeklagten, der zur Defension gezwungen wird, kein einziges beÿ Ge=

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richt eingekommenes Papier vorenthalten soll, wenn auch allenfalls das Judicium beÿ der Inquisition keine Rucksicht auf daßelbe genommen hätte. Würde auch schon eine solche Schrift dem Angeklagten nicht zu einigen Nachtheil gereichen; so könte vieleicht dieselbe etwas zu seiner Vertheidigung, oder zu beßerer Erweisung seiner Unschuld beÿtragen. Die Vorschrift der Rechte erinnert sehr dringend, daß die Richter auf die Unschuld eines Angeklagten eben so sehr, ja noch stärker, als auf die Entdeckung des Verbrechens selbst sehen, und für die Mittel, die Unschuld zu erweisen, besorgt seÿn sollen: Zumahlen, wenn sich einige Spuren davon zeigen. Die Königl. Criminal-Instruction ist voll von solchen Erinnerungen:

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  Cap. I. §. 1.
  Cap. VII. §. 9.
  Cap. VIII. §. 6. und 11.

Weil ich nun nicht anders vermuthen kann, als daß diese dringenden Vorstellungen, würckliche Beschuldigungen, sie mögen neu oder alt seÿn, wider mich in sich enthalten müßen: und weil ich zweifele, ob fremde, mich gantz und gar nichts angehende Materien, darinnen sich befinden werden: so nehme ich mir die Freÿheit Ew. Magnificenz, Hochwürden und Wohlgebohren gehorsamst zu ersuchen, zum besten der baldigen Endschaft dieser verdrüslichen Sache, mir in diesem meinen Bitten, durch einen neuen Vortrag an Königl. Landes Regierung zu statten zu kommen, und allenfalls zur Hebung

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aller Schwierigkeiten, die wegen eines, in diesen dringenden Vorstellungen etwann sich befindlichen Geheimnißes, gemacht werden könnten, folgenden äuserst billigen Vorschlag zu thun:

  daß die Königl. Landes Regierung zur Beförderung der Endschaft dieses Proceßes sich gnädigst gefallen laßen möge, zu verfügen, damit so wohl eine beglaubte vollständigere Abschrift dieser dringenden Vorstellungen, darinnen aber nur diejenigen Stellen fehlen dürfen, die mich oder diesen Proceß gantz nicht angehen, als auch die beÿden Originalen; und damit diese um des Geheimniß willen
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  in keinen andern Hände kommen können, mittelst der Post unmittelbahr an mich gesendet werden: vorher aber mir über die, in denen besagten Vorstellungen enthaltene, mich, und den Proceß gantz nichts angehende Dinge, den Eÿd der Verschwiegenheit nach beliebiger Vorschrift beÿ der Hochlöbl. Deputation öffentlich ablegen laße. Dieser Eÿd kann, und muß mich auch zugleich verbinden, die in Augenschein genommenen und mit deren Abschriften verglichene Originale also bald wiederum an die Königl. Landes Regierung zuruck zu senden.

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Auf diese Art könnte ich in diesem Puncte vollkommen beruhiget werden, ohne Theil an Geheimnißen zu nehmen, die mich nichts angehen; und die ich auch wegen meines geleisteten Eÿdes sehr wohl verwahren müßte. Es würde mir als denn nichts mehr übrig bleiben, als nur wegen derer beÿ denen Acten liegenden, und mir bisher noch vorbehaltenen rechtlichen Bedenken, und meines andern gerechten Verlangens, den mir von Ew. Magnificenz, Hochwürden und Wohlgebohren ertheilten guten Rath in Ausübung zu bringen: indem ich von meinen gerechten Forderungen niemahls weder abstehen darf oder kann, bis ich zu mei=

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ner Defension complette Acten in den Händen habe. Der ich mit aller möglichsten Ehrfurcht, und Hochachtung verharre

Ew. Magnificenz
Hochwürden und Wohlgebohren

Göttingen
am 25. Maÿ
        1764.

gehorsamster Diener
Georg Moritz Lowitz



Fußnoten

  1. Rudolf Augustin Vogel (1724-1774) war seit 1753 Professor für Medizin in Göttingen. Vom 3. Januar 1764 bis zum 3. Juli 1764 war er Prorektor der Universität.
  2. Beide rechtliche Bedenken wurden von Rudolf Christoph von Bilderbeck (1714-1786) verfasst. Das Erste stammt vom 15.05.1763, Universitätsarchiv Göttingen: UAG D-23-9-1: Bl. 72r-77r, das zweite vom 18.08.1763, Universitätsarchiv Göttingen: UAG D-23-9-1: Bl. 78r- 87v.
  3. Georg Heinrich Ayrer (1702-1774) war seit 1736 Juraprofessor in Göttingen, 1743 ernannte man ihn zum Hofrat. Mit Brief vom 20.06.1763 wandte sich Ayrer nach Hannover, um die Fortsetzung des Pasquillenprozesses zu fordern.
  4. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung. Mit Brief vom 20.06.1763 wandte sich Michaelis nach Hannover, um die Fortsetzung des Pasquillenprozesses zu fordern.
  5. Die Extrakte der dringenden Vorstellungen von Ayrer und Michaelis wurden am 18.05.1764 versandt. Sie finden sich unter Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 444-447.
  6. ex officio: von Amts wegen.