Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief  
Autor Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Empfänger Liebknecht, Johann Georg (1679-1749)
Ort Nürnberg
Datum Mitte 1723[1]
Signatur SB Berlin / Handschriftenabteilung: Slg. Darmstaedter F1e 1744, Bl. 1r-2r
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler und Hochgelährter,[2]
sonders Hochgeehrter Herr Collega
und Hochwerther Göner!

Ich habe mich sehr erfreut nachdeme ich mich vor wenig Tagen wiederum, nach einem langen Stillschweigen, mit einem Schreiben von meines hochgeehrten Herrn Collegae E. Hand beehret gesehen,[3] und dabey sehr gern vernommen daß meine allbereit vor einem Jahr abgeschickte Magnete: zu sichren Händen gekommen,[4] indeme schon lang eine Nachricht davon zu haben gewünscht. Die wie ich sancte contestire, mit denen observationibus acus magneticae[] auch die Nachricht von dem neuen Stern bey dem Alcor[6] (davon ich nichts weiters weiß als was mir vor einigen Wochen Herr Rost referiret[7]) bis dato, wie Sie selbige gegeben, an mich noch nicht gelanget, und allem Ansehen nach gar verlohren gegangen seyn wird, deßwegen solche nebsten andern observationibus magneticis mir nochmahl frl. ausgebetten haben wollte. Inmittelst aber und zuförderst vermelde was die bekandte desideria mathematica, und zwar in specie, die ad gnomonicam gehören, anlanget, wie ich in dieser Scienz lange Zeit her wahrgenommen, daß der allgemeine Methodus geometrica um die Sonnen=Uhren zu verzeichnen absonderlich aber die große auf etwas rauhen planis, da ich nicht den methodum sondern dessen application nicht vor also richtig befunden, in Ansehung der erforderten Accuratesse nicht zulänglich genug seye, indeme sich die auf die Contingenz:Linis gezogene Linien, nit so accurat ergeben um die verlangte Tangente vor die Stundenwinkel zu finden, dahero dann vielmehr solche in meinem gnomonischen wercke arithmetice besser aus zufinden und dann aus einer Scala geometrice auff zutragen gelehrt, darauff sich dann das andere alles besser ergibt, zumahlen da ich alle uhren unter eine classe reduciret, und solche als lauter horizontale uhren consideriret,[8] dabey man das andere in einer weit größern uniformitaet hat tractiren mögen, als man sonsten nach gemeiner Arth hat thun können, wer diesen und den gemeinen methodum inne hat, der wird gar leicht den unterschied sehen. Inzwischen rechne unter desiderata zur weitern Ausübung meines methodi daß wo man nach dem letzten Capitel des ersten Theils eine uhr, wie sie an einem weit entlegenen orth zeiget, auch bey mir also vorzustellen erlanget, man des weit entlegenen orths differentiam longitudinis nebst der

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Latitudine wissen müsse, dern man aber nicht gar zu viele von denen Astronomischen Observationen hergehohlt darlegen kann, dahero dann bey Ermanglung solcher die Uhren von dergleichen Arth das erforderte nicht so richtig praestieren mögen. Unterdessen mag ich wohl durchgehends sagen, daß solche observationes Astronomicae die Basis u. das Fundamentum, so ich den situm parallelum horizontalem determinire, und sehe wo er hin fällt, und dann diesem oder jenem Orth nahe kommet, in dieser meiner Methode seye, da ich dann auch den Abstand von dem nächsten Orth, so er recht gestellet ist, andeuten kan.

Was M. Thümigen angehet,[9] so ist mir selbiger als eine Wolfische Creatur aus seinen Observationibus, davon ich nur 2 piecen gesehen, bekandt, es scheint wo Hl. Wolff nicht anbeißen will, daß er solchen zu seinem Instrument gebrauchet, der ohne ihn nichts thun darff, die guten Hhl. Hallensis nehmen sich zum Theil sehr viel aus, eben als wenn man alle Weißheit von Ihm herhohlen müßte; allein man zeiget Ihm auch wie solches nicht deme so seye, es sollte billich ein geschickter Anatomicus dem guten M. Thünning die Augen besser auffthun, und zeigen, wie ungereimt er mit dem Auctore diejenige observation defendire daß eine Mannspersohn durch die Nase gesehen, worüber verschiedene Verständige in der Anatomie gelachet. Es wäre wohl guth daß mein Hochgeehrter Hl. Collega einige Defension bey Gelegenheit wieder Thümmingen abgehen liese,[10] und seine ungereimte Vorstellung zeigte, ich kann einen Stern noviter detectam heißen, so lang man vorhero nichts von selbigen gemeldet, hat doch Hevelius die Sidera P. Rheitae[11] urbano-octaviano, weil er sie zu erst und als Erster gesehen Sidera Uladislaviane benennet (vid. Hevel. Selenogr: in Proleg. 42 ct. 63)[12] mit Messung der Sterne von kleinen Distanzen mag es füglich nicht allzu richtig seyn, es hat Mr. dela Hire[13] gefunden, wie die Determinierung der kleinen Sterne in denen Plejadibus (wo ich mich nicht irre) von derjenigen des Riccioli[14] zimlich differiret, welches wohl seyn kan, weil Ricciolius die adminicula[15] nicht so guth, als man sie jezt hat, dazu gehabt und dieses gibet mir auch Anlaß von dem Micrometer hiebey auch was zu

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gedencken, was nemlich vor eines verlanget werde, indeme noch nie dergleichen machen zu lassen in Commissis gehabt, von den simpelsten wird wohl eines um den gesezten Preiß seyn müssen, wie das kirchische mit zweyen schrauben,[16] oder das Dela Hirische mit einem der alten Zeuckel ist, welches in dene französ. Memoires p. 76 A. 1717[17] verbesserter zu finden; wie groß die Magnetnadtel seyn müsse wird man in den nächsten Schreiben mit der Feder anzudeuten sich belieben lassen. Auff die messinge Capseln zu den Magnetnadeln will de la Hire nicht viel halten, wie ich denen obbesagten memorien geleßen wird er selbsten bey einer Capsel von messingen Blechen fourniret gefunden, daß die nadeln nicht accurat zeigen, also werden wohl die von Bein die beste seyn, darein man auch ein Eintheilung der Grade machen kan. Der Mechanicus hat so geschwind nicht Zeit das verlangte zu liefern indeme er noch ein uhrwerck gar aus zu fertigen hat. Das Grande Instrument von einem halben Circkel will er, s o keine Nuß dabey erfordert wird mit einer einzeln Wendung und einer Stellschrauben, vor 2 Thl. wohlfeiler machen. Ich entsinne mich auch daß mein Hochgeehrter Hl. Collega vor einigen Jahren auch von Globis was verlangte, weil aber mit Hl. Homann nicht allzu stellig dazumahl gewesen, so kan jezo damit desto besser dienen, die blechern Rohre zum Tubo sind freylich je weniger Sterne es sind, desto besser, allein zum führen wird es um desto incommoder seyn, so die Rohre lang bleiben; bitte mich in allen Umständen wohl zu informieren, damit ich nichts wieder die Intention thue; wenn was vor mich gehöret, so weiß ich schon wie ich mich zu verhalten habe, was aber vor andrr Leuth gehöret da lebe ich dem Verlangen gemäß. Leztens komme auch mit einer Bitte an Sie mir beÿ nächster Antwort ohnbeschwerdt zu berichten, ob denn Hl. Dr. Zumbach in Cassel vor wenigen Wochen gestorben,[18] welches sehr ungern hörte, weil Er einer von meinen ältesten und werthesten Correspondenten ist, man wird solches gar leicht, weil Cassel nicht gar weit von Ihnen entfernt ist, erfahren können. Womit unter Erlassung Göttl. Protection verharre

P.S. Eben vernehme daß Hl. Wolff zu Hall in Czarische dienste sich nach Petersburg unfehlbar bald begeben werde, wie er sich in einer Dedication an den Zaren vor kurzem hat vernehmen lassen.[19] E. Hochehrn meines hochgehrten  
Hl. Collegae.      

ergebenster Diener     
J G Doppelmayr mpp


Fußnoten

  1. Der Brief ist nicht datiert. Am Ende erkundigt sich Doppelmayr, ob es stimme, dass Lothar Zumbach von Koesfeld gestorben sei. Zumbach starb am 29. Juli 1727 in Kassel. Die im Brief angesprochene Kontroverse um den Ludwigsstern und der Streit zwischen Thümmig und Liebknecht datiert aber auf das Jahr 1723. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Liebknecht noch 1727 darüber schreibt. Zudem existiert der Brief vom 30. März 1723, worin sich Doppelmayr nach dem Verbleib übersandter Magnetnadeln erkundigt. Hier spricht er nun von dem "allbereit vor einem Jahr abgeschickte Magnete". Am Briefende bezieht er sich auf Wolffs Physik von 1723, deren Vorrede auf den 20. März 1723 datiert ist. Dieser Brief dürfte somit Mitte 1723 geschrieben worden sein. Der Tod von Zumbach war ein nicht haltbares Gerücht.
  2. Der Brief ist am oberen Rand mit Textverlust eingerissen. Die Anrede wurde sinngemäß ergänzt.
  3. Dieser Brief ist nicht überliefert.
  4. Im Brief vom 30. März an Liebknecht schrieb Doppelmayr: "Es ist allbereit ein halb Jahr und wohl noch länger, daß deren Verlangen gemäß eine Magnetnadel über Franckfurt an meinen werthen Herrn Collegam habe gelangen lassen". Damit sollte der vorliegende Brief Ende 1723 geschrieben worden sein.
  5. acus magneticae: Magnetnadel.
  6. Liebknecht meinte bei diesem Stern eine Bewegung gegenüber den benachbarten Fixsternen festgestellt zu haben und hielt ihn deshalb - fernab der Ekliptik! - für einen neu entdeckten Planeten. Seine vermeintliche Entdeckung veröffentlicht er in der folgenden Schrift:
    Liebknecht, Johann Georg: Sidus boreale stella noviter detecta stipatum. Gießen: Witwe von Johann Reinhold Vulpius 1723.
  7. Vgl. hierzu den Brief von Rost an Christfried Kirch vom 30. März 1723 sowie den entsprechenden Brief vom 2. November 1723.
  8. Vgl. Doppelmayrs Sonnenuhrbuch:
    Neue und gründliche Anweisung wie nach einer universalen Methode grosse Sonnen-Uhren auf jeden ebenen Flächen als lauter horizontale, und zwar diejenige / die in dem Meridiano eines vorgegebenen Orths ohne Abweichung sich befinden / als eigentliche / die aber davon abgehen / als reducirte Horizontal-Uhren So wohl aus einem Arithmetischen Fundament auf verschiedene Arth accurat zu beschreiben / als auch gantz Geometrisch / nach der sphaerischen Geometrie, richtig zu verzeichnen / Dann aber auf solchen allerhand astronomischen Vorstellungen / Als die Paralleli des Aequatoris vor die XII. Himmels-Zeichen und Tag-Längen / die Paralleli des Horizonts, oder die Almucantharat, die Azimutha, endlich die Stunden-Linien der Babylonischen / Italiänischen / Nürnbergischen und Jüdischen Uhr / so wohl aus einem Arithmetischen als Geometrischen Grund gehörig zu ziehen / Zur weitern Erklärung der neuvermehrten Welperischen Gnomonique in vier Theilen dargeleget. Nürnberg: Johann Christoph Weigel; Druck: Johann Michael Spörlin seel. Wittib. 1719.
  9. Ludwig Philipp Thümmig (1697-1728) war ein Schüler von Wolff und lehrte in Kassel. 1723 brachte er eine Schrift heraus, in der er Liebknechts vermeintliche Entdeckung eines neuen Planeten scharf kritisierte:
    Thümmig, Ludwig Philipp: Uberior Stellae Ludovicianae noviter detectae consideratio, nonnullorum dubiis et iniquis praesertim scommatibus Lvdov. Philip. Thummigii opposita. Gießen: Müller 1723.
    Zur Auseinandersetzung zwischen Tümming und Liebknecht siehe: Siebert, Harald: Die große kosmologische Kontroverse. Stuttgart: Franz Steiner 2006, S. 179 Fußnote 42.
  10. Liebknecht hat noch 1723 eine Gegenschrift verfasst:
    Stellae Ludovicianae Noviter Detectae Et cum nuper Serenissimus Princeps ac Dominius Dn. Ludov. Joh. Guil. Gruno Landgravius Hassiae, Princeps Hersfeld. Comes in Cattimeliboco &c. &c. Dominus Meus Clementissimus Ludovicianae Rector Magnificentissimus sceptra clementissime susciperet Publicatae Consideratio: Nonnullorum Dubiis Et Iniquis Praesertim Scommatibus Lvdov. Philip. Thvmmigii Inter Hallenses A.O.P. Novi Cuiusdam Rerum Naturalium Tentatoris Opposita. Gießen: Müller 1723.
    Bei der im Titel angesprochenen Person handelt es sich um Ludwig Johann Wilhelm Gruno von Hessen-Homburg (1705-1745), Erbprinz von Hessen-Homburg und später russischer Generalfeldmarschall, der damals Rektor der Universität war.
    Vgl. auch die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen, Nr. XCIX, 13. Dezember 1723, S. 974f. mit Verweis auf S. 663f.
  11. Anton Maria Schyrleus de Rheita (1604-1660) war Priester und Astronom.
  12. Vgl. Hevelius: Selenographia. Danzig: Hünefeld 1647, S. 63.
  13. Philippe de la Hire (1640-1718) war ein bekannter französischer Mathematiker.
  14. Der italienische Jesuit Giovanni Battista Riccioli (1598-1671) schuf bedeutende Werke zur Astronomie.
  15. adminucula: Hilfsmittel.
  16. Gottfried Kirch (1639-1710) hat ein Mikrometer entwickelt.
    Vgl. dazu: Hamel, Jürgen: Die Instrumente der Berliner Sternwarte, 1700 bis um 1780. In: Hamel, Jürgen (Hrsg.): Gottfried Kirch und die Berliner Astronomie im 18. Jahrhundert (= Acta Historica Astronomiae Vol. 41). Frankfurt a.M.: Harri Deutsch 2010, S. 65-111, hier S. 78-83.
    Dort auch weitere Literaturhinweise.
  17. De La Hire; Philippe: Recherche des dates de l'Invention du Micrometre, des Horologes à Pendule, & des Lunettes d'approche. Memoires 1717, S. 78-87.
  18. Lothar Zumbach von Koesfeld (1661-1727) war in Leiden Doppelmayrs wichtigester Lehrer gewesen. 1708 wechselte er nach Kassel, wo er am 29. Juli 1727 starb. Sei Tod 1723 ist ein nicht haltbares Gerücht.
  19. 1723 erschienen bei Renger in Halle Christan Wolffs Vernünfftige Gedancken Von den Würckungen der Natur, die er dem Zaren Peter dem Großen (1672-1725) gewidmet hatte. Darin heißt es:
    "Euer Kayserl. Majestät suchen eine Person denen Sie die Bewerckstelligung eines so glorwürdigen Unternehmens [nämlich die Einrichtung einer Akademie der Wissenschaften] anvertrauen und haben das allergnädigste Vertrauen, daß es durch mich am füglichsten geschehen könne. Ich erkenne solche hohe Kayserliche Gnade mit dem allerunterthänigsten Danck, und damit ich Gelegenheit hätte, dieselbe öffentlich zu preisen, so lege mit aller unterthänigster Devotion zu den Füssen Euer Kayserlichen Majestät diese meine Schrift nieder" (Widmung, Bl. 7v-8r).
    Diese Widmung fehlt allerdings in manchen Exemplaren. Die Vorrede im Buch ist auf den 23. März 1723 datiert. Eine verbindliche Zusage von Wolff nach Petersburg zu gehen, findet sich hier allerdings nicht.