Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief  
Autor Zumbach von Koesfeld, Lothar (1661-1727)
Empfänger Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Ort Kassel
Datum 15. Juli 1724
Signatur UB Basel: L Ia 730 Bl. 214r-216r (Abschrift)
Transkription Hans Gaab, Fürth

HochEdler, Hochgelehrter, Insonders
Hochgeehrter Herr Professor,

Ich hatte mir fürgenommen auf dero voriges de dato 17 Junii eher zu antworten,[1] wann nicht inzwischen von einer Betrübnis durch das Absterben meines lieben Töchterleins wäre verhindert worden.[2] Ich bedancke inzwischen Ew. HochEdl. freundlichst für die communicata: Was das experiment motus penduli in vacuo betrifft, habe ich nicht anders erwartet, als daß es in vacuo müßte langsamer gehen, weilen dieses auß meiner hypothesi herfließet: aber was die Ursach dieses phaenomeni betrifft, bin ich dißfalls nicht eins mit Derham;[3] dann solte die resistentia aeris verursachen, daß die arcus oscillationis müßten kürtzer werden, und also geschwinder, so wird die resistentia aeris vielmehr verursachen, daß das perpendiculum langsamer oscilliren, welches

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darauß offenbar wird, wann man ein perpendiculum innerhalb des Waßers läßet oscilliren, und solche Bewegung mit der oscillation eines andern perpendiculi von gleicher Länge in der freyen Lufft vergleichet: dann ich bin vielmehr der Meinung, daß wann ein vacuum möglich wäre, worin auch keine materia subtilis oder aether fürhanden wäre, daß alßdann in einem solchen vacuo die Bewegung eines Corporis nicht länger könte währen, alß die vis movens in das Corpus würcket: contra Legem recemptam: Wie Hl. Prof. Wolff[4] bey mir Abschied nahm, kame unter andern philosophischen Materien dises auch vor, und ich zeigete ihm auß seinen eigenen Principiis, daß keine Ratio sufficiens fürhanden wäre, warum ein Corpus in perfecto vacuo semel in motum dedectum perpetuo debeat moveri, und Er mußte es gestehn, daß ihm in dem ersten Anblick keine Ratio sufficiens dazu bekandt wäre: Vielmehr sage ich, daß die Corpora crassiora ihren motum continuieren mit Hülffe der Materiae fluidae, motae

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agitatae, oscillatae, länger oder kürtzer pro diversitate rationis materiae; corporis crassi vel solidi ad materiam fluidam magis vel minus subtilem, aber hievon zu einer andern Zeit.

Die Sonnen-Finsternis auf den 22ten Maji habe ich hier nicht nach Wunsch observiren können, ob es schon gar hell Wetter gewesen, dann dieweilen das sogenannte Observatorium einer sicheren[5] fräulein /: welche bey Serenissimo in höchster gnade stehet :/ zu bewohnen gegeben ist, habe ich einen andern Ort dazu müßen außsuchen, welcher ist der Zwehrener Thurm,[6] welcher oben ganz umbdrehet, der boden aber davon bey geringer Bewegung sehr schüttert, und weilen damahlen bey der Observation S. Durchl. der Printz Maximilian,[7] und Printz von Meinungen[8] nebst den fürnehmsten Hoff-Cavaliers und Generalis Personen, auch andern Officirs-beamten und Studiosi in großer Menge gegenwärtig waren, daß also der gantze Thurm oben erfüllet war, so habe nicht nach meinen Genügen observiren können: das Mo-

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mentum Initii ist das aller-accurateste.[9]

Initium Eclipseos Solaris T. A. Cassellis Hora 6. 21.' 40.''
I. Digitus Hora ................................................... 6. 26. 25.
II. Digit. Hora ................................................... 6. 31. 10.
III. Digit. Hora ................................................... 6. 35. 30.
IV. Digit. Hora ................................................... 6. 40. 10.
V. Digit. Hora ................................................... 6. 44. 30.
VI. Digit. Hora ................................................... 6. 49. 40.
VII. Digit. Hora ................................................... 6. 54. 25.
VIII. Digit. Hora ................................................... 6. 59. 16.
IX. Digit. Hora ................................................... 7.   4. 16.
XI. Digit. circa Hora ................................................... 7. 21. 40.
XII. Digit. Hora ................................................... 7. 45. 35.
Sol occidit adhuc eclipsatus inter nubes eclipticae figurae.

Mein Sohn[10] hat mir aus Holland geschrieben, daß er sampt dem Hl. Professor s'Gravesande[11] diese Finsternis observiret habe aufs höchst 11¼ Zoll, der Anfang war umb 6. 6.' 16.'' Der Herr Collega Thummig[12] ist jetzmehr beschäftiget die Wolffianische Philosophiam auß dem Teutschen ins Lateinische zu übersetzen,[13] doch alio ordine, und

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wird hier in Cassel gedruckt impensis Rengerianis.[14] Von Hl. d'Isle habe nimmer kein Schreiben erhalten,[15] welches mich um so viel mehr schmertzet, dieweilen ich zuvor gern von ihm einiges Judicium von dem Saturnilabium hätte wollen vernehmen, bitte meine dienstl. Empfehlung an ihn zu vermelden, und dieses an ihn zu berichten. Bey Vermeldung des operis Rothmanni[16] scheinet wohl, daß ich ein Wort außgelaßen habe, hat sollen seyn, in qua Hypotheses Ptolemaicae ex hypothesibus Copernicanis corriguntur.[17] Beygelegte Tabellam habe schon vor diesem einmahl an Sie communiciret, bitte derohalben Sorge zu tragen, daß sie nicht wiederum verlohren werden


Ew. HochEl.

Cassel, 15. Julii
    1724

Ergebenster diener
L. Zumbach de Koesfeld


Fußnoten

  1. Der Brief Doppelmayrs vom 17. Juni 1724 ist nicht überliefert.
  2. Zumbach ging am 20. März 1722 in Kassel seine zweite Ehe mit Maria Elisabeth, Tochter des Apothekers Heinrich Stirn ein. Im folgenden Jahr wurde die Tochter Henriette Christine geboren, deren Tod Zumbach hier beklagt. Vgl. Strieder XVII, 1819, S. 373.
  3. William Derham (1657-1735): Experiments about the Motion of Pendulums in Vacuo. Philosophical Transactions Nr. 294, Vol. 24 (1704), S. 1785-1789.
  4. Christian Wolff (1679-1754) war einer der wichtigsten Philosophen der Aufklärung zwischen Leibniz und Kant.
  5. sicher bedeutet hier: ohne Sorgen leben.
  6. Der bis heute existierende Zwehrenturm war ursprünglich ein Bestandteil der Stadtmauer. 1709 wurde in dem oberen, drehbaren Teil eine Sternwarte eingerichtet. 1714 zog die Sternwarte ins Palais Bellevue um. Heute werden die Räume des Turmes von der Kunsthalle Fridericianum benutzt.
  7. Prinz Maximilian von Hessen-Kassel (1689-1753) war der Sohn des Landgrafen Karl I. und seiner Gemahlin Marie Amalia (1653-1711).
  8. Möglicherweise der in Meiningen geborene Anton Ulrich, Herzog von Sachsen-Meiningen (1687-1763).
  9. In der folgenden Tabelle fehlt "Digit. X". Beim letzten Eintrag steht "VI Digit.;, was oben zu XII ausgebessert wurde.
  10. Conrad Zumbach von Koesfeld (1697-1780) wurde wie sein Vater Professor der Mathematik in Leiden.
  11. Willem Jacob's Gravesande (1688-1742) lehrte seit 1717 an der Universität Leiden Astronomie und Mathematik.
  12. Ludwig Philipp Thümmig (1697-1728) war seit 1724 Professor für Philosophie am Collegium Carolinum in Kassel und damit Kollege von Zumbach. Thümmig war ein Anhänger von Christian Wolff.
  13. Thümmig, Ludwig Philipp: Institutiones Philosophiae Wolfianae: In Usus Academicos Adornatae, Band 1. Frankfurt, Leipzig: Renger 1725.
  14. Johann Gottfried Renger (1696-1718) war ein bekannter Verleger und Buchhändler in Leipzig. Nach 1718 wurde die Handlung vom Schwiegersohn unter dem Namen Rengers Erben weitergeführt.
  15. Laut dem Brief vom 1. November 1723 an Doppelmayr war Joseph-Nicolas Delisle (1688-1768) an einem Kontakt zu Zumbach interessiert. Mit Brief vom 1. März 1724 bedankte sich Delisle für den Brief von Zumbach, der in Doppelmayrs Brief eingeschlossen war. Er wolle bald antworten.
    Tatsächlich schrieb Delisle Zumbach noch am gleichen Tag einen Brief, den er einem Paket an Doppelmayr beigefügt hatte. Offenbar kam dieser Brief nicht an, denn in einem erneuten Brief vom 7. Juni beklagt er, dass er keine Antwort erhielt: "je ne doute pas que vous n'aiez reçu la lettre que je me suis donné l'honneur de vous écrire du 1er mars de cette année, & que j'ai mise dans un paquet que j'ai envoié à M. Doppelmayr. Tuoi que je n'aie point encore reçe votre reponse [...]" (Observatorium Paris/Meudon: B1/2-114, Bl. 1r). Offenbar kam auch dieser zweite Brief nicht an.
  16. Christoph Rothmann (zwischen 1550 und 1560- um 1600) trug durch seine Arbeiten wesentlich dazu bei, dass Kassel damals ein wichtiges Zentrum für die Astronomie war.
  17. In der Universitätsbibliothek in Kassel findet sich ein Manuskript Rothmanns mit dem Titel: Astronomia: In qua hypotheses Ptolemaicae ex hypothesibus Copernici corriguntur et supplentur: et imprimis intellectus et usus tabularum Prutenicarum declaratur et demonstratur. Vgl. Doppelmayrs Historische Nachricht von 1730, S. 85, Fußnote ee.