Briefwechsel Johann Leonhard Rost
Kurzinformation zum Brief | Zum Original |
Autor | Rost, Johann Leonhard (1688-1727) |
Empfänger | Kirch, Christfried (1694-1740) |
Ort | Nürnberg |
Datum | 2. Juni 1724 |
Signatur | UB Basel: L Ia 720, Bl. 108r-109v |
Transkription | Hans Gaab, Fürth |
HochEdler und Hochgelahrter,
Hochgeehrtester Herr,
Hochgeschätzter Gönner.
So begierig als ich schon längsten gewesen, von Ew. HochEdl. einige Zeilen zu entsiegeln, habe ich Sie doch gleichwol vor entschuldiget gehalten, daß Sie mir dieses Vergnügen nicht befördert, weil ich leicht erachten konte, wie Dero Angelegenheiten, Ihnen die benöthigte Zeit darzu nicht verstattete. Zudem ich aber doch dabeÿ immer in der Hoffnung gestanden, es würde meine Sehnsucht ohngefehr erfüllet, und mir dadurch die Gelegenheit zur Antwort verschaffet werden: so bin ich hierunter so unhöflich gewesen, daß ich die Dancksagung schuldig geblieben, die gegen Ew. HochEdl. wegen Uberschickung der II Continuation Miscel. Berolin.[1] abzutragen, mich verpflichtet erachte. Ich verrichte es dannenhero itzt erst, und bitte mir Gelegenheit zu verschaffen, ein so angenehmes present, darinnen absonderlich Dero großer fleiß so schön herfür leuchtet, mit etwas anders zu erwidern. Vor dieses mal habe zwar vermeinet, mit einer tauglichen Observation, der letzten großen Sonnenfinsterniß[2] aufzuwarten, worzu hier der Himmel sehr geneigt war: allein sie ist nicht so ausgeschlagen, wie ich wünschte, ohnerachtet dreÿerleÿ Observatores an dreÿerleÿ Orten damit beschäftiget waren. Ich, befand mich bey dem Hl von Wurzelbau, der zwar sonsten herrliche Proben von Observationibus abgeleget: aber der Augenschein hat mich gelehret, daß sein immer höher steigendes Alter, und die Unvermöglichkeit, die zu solchen Jahren kömmt, ihn dasjenige nicht mehr will tuhn laßen, was ihm sonst gar was leichtes gewesen ist. Der Wolstand erfordete es, daß ich mich gelaßen dabeÿ bezeigen muste, und nicht selber Hand anlegte, außer wenn er es selber begehrte: drum ist weiter nichts observiret worden, als was auf beÿliegenden Zedle enthalten, welches er mir erst etliche Tage her-
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nach zugestellet hat. Ew. HochEdl. werden selber wißen, daß man in dergleichen dingen
nichts rechtes tuhn kan, wenn man nicht allein, nach freÿen willen operiren darf, sondern eines
andern Gutdüncken blindhin folgen mus, auch die Erlaubnis nicht hat, eines andern seine
Instrumenta, so zu gebrauchen, wie es die Umstände erfordern. Es mag also nun die Observation
gut oder schlimm ausgefallen seÿn, so seÿn sie doch nun versichert, daß keines von mir herrühret,
und weis ich am besten, mit was vor einem Verdruß ich dieser observation beÿgewohnet.
Auf hiesigem Observatorio publico, wo viele 100 Menschen hohen u: niedren Standes
zu gegen waren,[3] ging es so zu, daß es mir unglaublich gefallen wäre,
wenn mir nicht
verschiedene Leute, die alles gesehen, die Warheit bezeiget hätten. Der Herr
Director[4], ließ weder
vor noch währender Observation, nicht eine einige ☉ Höhe nehmen, sondern notirte die momenta
wie sie die nach einer falschen Meridiana gerichtete Uhr zeigete, die er aber nun aus der
Wurzelbauischen Observation zu verbeßern beflißen. Hernach fehlte ihm die Fertigkeit den
circulum Observatorium in die Digitos zu theilen, welches einer meiner guten freunde,
ein guter Mahler und Kenner der Mathematischen Wissenschaften[5] verrichten,
ja was noch mehr
zu großen Bewunderung der Zuschauer, alle Phases zeichnen muste, die aber, weil er dieses
dinges unwißend war, und niemal dergleichen gesehen, mehr mahlerisch als Astronomisch
ausgefallen. Mit einem Worte: der Genius des berühmten Hl. Prof. Sagittarii
(nosce illum?)[6] observirte hier diese Sonnenfinsterniß auf dem
Observatorio publico
infima cum laude,[7] und wird er wie verlautet, eine description davon publiciren,
welche, so bald sie fertig, und der Verfaßer anderst das Licht nicht scheuet, ich übersenden
will. Die 3te Observation, hielte mein Bruder, gantz allein, auf einem Thurm,
die ich hiemit getreulich communicire, und woraus erhellet, daß er in dem momento
Initii, mit dem Hl von Wurzelbau trefflich einstimmet.[8]
Ew. HochEdl. ärgern sich
aber nicht daran, wenn Sie die Scrupula defectus und Quantitates phasium betrachten,
darinnen eine so große Ungleichheit enthalten ist. Ich habe sie nach dero eigenen Anleitung
in der Contin. II. Miscel. Berol.
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aus den Chordis calculiret, und
darzu den Diam. ☉ et ☽ adhibiret, wie ihn der Hl. von Wurzelbau observiret hat.
Die Quantitas e partibus ☉ lucidis, mochte ich gar nicht beÿfügen, denn diese tuhn noch
seltsamere Sprünge. Soll aber nun gleichwol diese Observation unrichtig und unnützlich
seÿn, da doch mein bruder allen ersinnlichen fleiß angewendet? Meine brüderliche
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Liebe kan solches Urtheil nicht fällen: und es will mich düncken, Ew. HochEdl. tuhn deßgl.
in dem Sie mir vielleicht beÿpflichten, daß das was, falsch deduciret u: observiret zu
seÿn scheinet, sich auf die elliptischen diametros ☉ et ☽ beziehet, wie aus den chord VIII et IX
gar deutlich erhellet, als welche die größe des verticalen diametri ☉is übertreffen. Ist
denn aber nun kein Hülfs Mittel übrig, den deductis durch einige correctiones auf
zu helfen? Ew. HochEdl. haben eine, loco citato in dergl. fall gebrauchet, dahero Sie
mich und meinen Bruder, über die maßen obligiren werden, wenn Sie uns bald dero
Gutachten und Instruction darüber eröfnen mögen. Laßen sich die chordas corrigiren, so
wird es wol auch beÿ den partibus lucidis angehen: nur scheinet es mir nicht begreiflich zu
seÿn, wie man die diametros ellipticos beÿ jedem momento bestimmen soll, weil
sie meines Erachtens, in keiner gleichen proportion sich verändern. Mit einem Worte
die Sache ist intricat,[9] solte man aber ihr nicht rahten könen,
so dürften die horizontal
Eclipses wol außenbleiben. Inzwischen, habe ich über die letzte Eclipsin, einen
Buchführer, über Hals und Kopf eine Beschreibung machen müßen, die erst den 20 Maji
zu Abends aus der Preße kommen ist.[10] Ein Exemplar davon,
soll nächsten par Couvert
folgen, weil Ew. HochEdl. mit einer so schlechten Sache auf der Post, keine Kosten
verursachen mag. Ich werde zu gleiche eine weitläufigere Beschreibung von dem letzten
Transitu ☿ii per solem[11] beÿlegen, welche Hl. de l'Isle
zu Paris observirt, und davon
er einen geschribenen Tractat von 7 biß 8 bögen, ohnlängst an den Hl. von Wurzelbau
überschicket, daraus ich das nothwendigste, doch auch das meiste vertiret, daß ich alles
auf ein paar bögen zu bringen getraue; wie ich denn schon über einen bogen
abgeschrieben, und mus ich nun noch einen ½ bogen Tabellen, und etwas materi hinzu tuhn
auch die Figuren darzu aufreißen; Hoffe aber doch ehestens damit aufzuwarten.
Der Mann, hat sich große Mühe gegeben, und überaus viel calculiren müßen, ehe er
die Longitudines et Latitudines ☿ herausgebracht, daß ich zweifle, ob jemals einer
auf dergl. Observation, so viel Zeit u: Fleiß verwendet. Er hat alles mit seinem
teleskopischen Quadranten observiret, außer den ingressum ☿ii, darzu er einen 20 schuhigen
Tubum gebrauchet.[12] Weil die methode wenigen bekand,
will ich sie künftig Hl. Dr.
Kanold[13] die Breßlauischen Sammlungen communiciren. Gestern abends,
erhielt ich die
2 nächsten Theile,[14] darinnen Eine Observatio Eclips. ☉ 1706.
da einer Löcher im Monde
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gesehen, wodurch die ☉ geschienen.[15] Der ☽ muß darzumal
vielleicht Löcher in Strümpfen
gehabt haben, sonst weis ich nicht, wie die ☉ durchscheinen können. Ich will gerne hören
was Ew. HochEdl. zu diesem seltsamen Einfall sprechen, und mir darneben auch einmal
dero Meinung über Hl. Dr. Alischers[16] Feindschaft gegen die
Atmosphaeram Lunarem
ausbitten, die der Hl. Observator der ☽ Löcher auch zu erkennen giebt. Wenn doch diese beede,
ihren Meinungen den Zügel nicht gleich so schießen ließen, und andre Umstände beßer
behertzigten, die ihnen oft einen Nebel in dem Verstande verursachen. Gedachter Hl. D. Alischer
ließ mich schon längst inständig durch Hl. Dr. Kanold bitten, ich solte ihm meine Meinung von
den Atmosphaerum planetarum entdecken, da ich ihm dann selbige kurtz vorgetragen
und endlich gesagt, Ich glaube eine Atmosphaeram, weil sie ihm aber unglaublich vorkomme,
so solte er sie nicht glauben. Darauf hat er mir noch nichts geantwortet,
ohne daß ich mich deßwegen betrübe. Kriege ich mehr observationes von der Eclipsi
☉ so will Ew. HochEdl. ich sie fleißig communiciren: und auch sonsten in allen Fällen
dartuhn, daß ich warhaftig seÿ.
Ew. HochEdl.
Nürnberg
d. 2 Junii 1724.
gantz ergebenster diener.
Joh. Leonhard Rost.
P.S.
Von meinem bruder, habe noch ein ergebenstes Compliment zu überschreiben, und wünscht er Gelegenheit z uhaben, Ihnen sein wolmeinendes Gemüthe, durch Recte Dienstbezeugungen an den Tag zu legen, weil er von Ihnen jederzeit größten estim gemacht hat und auch beständig hegen wird. Ich bitte meines Ortes, wenn es ohne dero Beschwerniß geschehen kan, mir bald wieder eine gute portion Stahlischer Pillen zu procuriren.
Fußnoten
- ↑ 1723 erschien der zweite Band der Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum. Berlin: Papen 1723.
- ↑ Gemeint ist die Sonnenfinsternis vom 22. Mai 1724, bei der die Sonne zu über 94% bedeckt war. Zu den Beobachtungen von Rost und Wurzelbau vgl. den 28. Versuch der Breslauischen Sammlungen, erschienen 1725, S. 521f.
- ↑ Dies ist eine der Belegstellen dafür, dass man die Eimmart-Sternwarte als erste Volkssternwarte der Neuzeit bezeichnen kann.
- ↑ Direktor der Sternwarte war Johann Gabriel Doppelmayr.
- ↑ Es handelt sich um Johann Jacob Schübler, vgl. den Brief vom 24. September 1726.
- ↑ Professor Sagittarius ist eine Anspielung auf Johann Georg Schütz (?-1730), der 1720 neben Kirch als Observator der Sozietät angestellt wurde. Kirch sollte ihn einarbeiten. Das "nosce illum" (Kennen sie ihn?) ist hier also eine rhetorische Frage. 1725 ging Schütz als Professor für Mathematik nach Frankfurt an der Order. Rost hielt wenig von dessen Fertigkeiten, vgl. den Brief an Kirch vom 17. Oktober 1720.
- ↑ Infima cum laude: hier: nicht mit dem geringsten Lob.
- ↑ Johann Carl Rosts Beobachtungen sind in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen Nr. 103 vom 25. Dezember 1724, S. 1075-1078 abgedruckt. Der erwähnte Turm befand sich demnach "zwischen dem Observatorio publico und dem Hause des Herrn von Wurzelbau, gegen Norden".
- ↑ Intricare (Lat.) bedeutet: In Verlegenheit bringen. Intricat steht hier also für kompliziert.
- ↑ Rost, Johann Leonhard: Curieuse Vorstellung und Beschreibung der grossen sichtbaren Sonnen- oder Erd-Finsterniß Anno 1724. [Montag] d. 22. May. Nürnberg: Adam Jonathan Felßecker 1724.
- ↑ Der Merkurtransit vom 9. November 1723 war von Nürnberg aus wegen schlechten Wetters nicht zu beobachten gewesen.
- ↑ Vgl. hierzu: Von der Erscheinung des Mercurii in der Sonne. Breslauische Sammlung 26, Herbst-Quartal 1723, erschienen 1725, S. 504-521, darin S. 510-521 Rosts Wiedergabe der Beobachtungen von Delisle.
- ↑ Der deutsche Mediziner Johann Kanold (1679-1729) war der Herausgeber der sog. Breslauischen Sammlungen.
- ↑ Vermutlich der 21. und 22. Versuch der Breslauischen Sammlungen.
- ↑ Luna perforata. Breslauische Sammlungen, Herbst-Quartal 1722, erschienen 1724, S. 510-532. Verfasser war der ungarische Mediziner Friedrich Liefmann (?-1743), der in Bautzen praktizierte.
- ↑ Sebastian Alischer war Mediziner in Jauer. Von ihm finden sich zahlreiche Beiträge in den Breslauischen Sammlungen, u.a. beobachtete er Sonnenflecken.