Briefwechsel Johann Jacob Schübler


Kurzinformation zum Brief  
Autor Schübler, Johann Jacob (1689-1741)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 16. Dezember 1734
Signatur UB Basel: L Ia 722, Bl. 71r-72r
Transkription Hans Gaab, Fürth

Nürnberg d 16 December 1734.

HochEdler
   Insonders Hochgeehrtester Herr!

Ew. HochEdl. werthgeschätztes Schreiben vom 13 October habe zu recht erhalten, und von denen Herrn Endters[1] das zurück gesandte auf beygefügte Erklärung wiederum in Empfang genommen, um den eröffneten Befehl gehorsamst nach zu leben. Was die Architectonischen Anmerckungen belanget, welche bey dem neuen Tomo Miscellaneorum die Ehre haben solten ans Licht zu kommen so berichte, wie ich damit von Hertzen gerne meine schuldige Observanz abstatten wolte, wann selbige nur nach Ew. HochEdel Wunsch hätten so kurtz und ohne viele Figuren können abgefaßet werden. In Betrachtung aber, daß ich von andern Doctrinen ebenfalls ein und andere Erfahrungen erlanget, und unter selbigen auch die Perspectivum Mechanicum untersuchet, ja, bey mancherley Gebrauch der Instrumenten verschiedenes gutes und schlechtes auseinander zu setzten angetroffen; also habe vor diesmahl der Hochlöbl. Societaet meine Willfährigkeit mit einem optischen Instrument bezeugen, und dieses begefügte Dessein nebst der Beschreibung derselben, zu fernerer Verbeßerung wohlmeinend übergeben wollen. Allermaßen aber bey dem Gebrauch dieses Instruments mancherley Vortheile zu allerhand Zeichnungen sich äußern werden, und viel mehr als mit Wilhelm Halfpenny Instrument,[2] so 1732 in London ans Licht gekommen auszurichten stehet, so lebe der Hoffnung, daß da über Haupts von der Perspectiva mechanica und derselben anhangenden geometrischen Verhältnißen noch vieles zu untersuchen nöthig ist, daß dieses Instrument seine Liebhaber finden soll. Absonderlich, weil es leicht und ohne allzumercklichen Kosten von Holtz kan gemacht werden und ich dermahlen, auf Veranlaßung verschiedener Ingenieurs ersuchet ein Perspectivisches Fortifications Werck dergestalt einzurichten, daß junge angehende Ingenieurs nicht so unnatürlich ihre objecta vorstellen, welche sie kürzerlich scheinend abbilden wollen. Besagtes Werck wird unter Gottes Beystand auf künfftige Oster=Meße zum Vorschein kommen, und sollen 34 Tabellen den ersten Theil ausmachen.[3] Indeme aber bey solchen vorgestellten Figuren durch wesentliche geometrische Linien die optischen Größen bestimmet, und keine mechanische Instrumenta dermahlen beygefüget werden; sondern wer Lust zu solchen Gebrauch bezeugen solte, auf dieses Instrument gewiesen wird, welches ich gegenwartig gantz gehorsamst zur Approbation übergeben; so habe für gut angesehen, das beykommende Dessein also einzurichten, daß man mit diesem Instrument auf 4ley Weise verfahren, und universal anwenden kan: Wie ich zu seiner Zeit unter vielen andren Instrumenten mit Exempeln erweißen werde. Inmittelst aber der Hochlöbl. Societaet hochschätzbahren Wohlwollen meinen geringen Entwurf samt meiner fernern dienste empfehle, und unausgesagt ergebend verharre

   Ew. HochEdl.

meines Hochgeehrtesten Herrns.

ergebenster diener
J. J. Schübler.

[Bl. 72r]

Specification
meiner bereits zum Vorschein gekommenen Bücher

1. Perspectiva = Pes Picturae. Erster Theil 1719.
2. Perspectiva .................... Andrer Theil 1720.
  In welchem nicht allein das Sonn und Flammen Licht auf dreyerley Weise ist geometrisch abgehandelt; sondern die Vertical= und Horizontal Perspectivischen Cuppeln, und die fast gantz in Vergeßenheit gekommene Longimetrie=Optic; Diagonal und lateralischen antiquen Vorstellungen sind erkläret worden, damit man sich vorläuffig von meinen 12 versprochenen optischen Reguln kan einen Begriff machen, die aus folgenden Rubr. bestehend:
(1. Regula diagonalis duplicatae (2. Regl. ex linea fundamentalis perpendiculari composita. (3. Regl. simplex intersectionis. (4. Regl. adscendentis & descendentis distaniae. (5. Regl. concursus Ichnographiae opticae. (6. empatome graphiae opticae per sectionem opticam. (7. Regl. Sectionis rectangularis puncti concurrentis. (8. Regl. Longimetrie optiace planae. (9. Regl. quadrangularis verticalis. (10. Regl. generalis omnia objecta complectens. (11. Regl. artificialis analogiae corporis humani. (12. Instrumentum finitorium auf mancherley Weise eingerichtet, vermittelst derer man auch alle optischen Linien bestimmen kahn, wie selbige der berühmte Mathematicus Schickartus, ehemals Professor zu Tübingen, in dem Anno. 1624 edirten ferneren Bericht von der fliegenden Lufft=Kugel,[4] pag. 96 erfordert und in dem andern Theil der Perspectivae pag. 51 nach zu sehen ist.
3. Gründlicher und deutlicher Unterricht zur Verfertigung der vollständigen SäulenOrdnung, wie man sie in der heutigen Civil=Bau=Kunst zu gebrauchen pfleget, nebst einem Anfang von neu faconirten Fenster=Chören, Schräncken und Stuben=Öfen Erster Theil Anno 1721.
Dieses Werck wurde bald darauf von den Herren Holländern in ihre Sprache übersetzet,[5] und zum andern mal, mit 9 antignen Gebäden bey der zweyten Auflag [1723] vermehret.
4. Anno 1723 folgte der zweyte Theil des Gründlichen Unterrichts, von Sechs neu inventirten Portalen, Balcons, Parade Kutschen, Jagd Chaisen, Senfften und Lufft-Schlitten.
5. Anno 1724. muste auf Begehren Leonhard Christoph Sturms der Ordnungen zur Civil=Bau=Kunst von mir verfasset werden.[6]
6. Anno 1724. kam auch der Mathematische Lust= und Nutz=Garten zum Vorschein,[7] darinnen das Nothwendigste von der Aritmetica vulgari, Decimali und Sexagesimali; dergleichen von der Geometrie, Trigonometrie, Longimetrie und Planimetrie: oder Feldmessen; samt einer Anleitung zur Perspectiv enthalten, wie sie von Monsieur Desargues,[8] auf eine leichte Art mit dem Maas stab angezeiget werden; nebst noch einem Zusatz von Horizontal und sphaerischen Plafonds Zeichnungen, und andern Anamorphotischen Figuren.[9].
7. Anno 1726. wurde ferner eine neue und deutliche Anleitung zur practischen Sonnen-Uhr-Kunst; samt einem Unterricht in Fresco zu mahlen mitgetheilet, und der Königl. Societaet in gezimmender Veneration übergeben.
8. Über dieses folgten viele Ausgaben von Stücken, welche alle, als eine Vermehrung, des Goldmannischen Werckes von Leonhard Sturms Todt an, musten verfertiget werden, unter welchen nicht allein französische Betten, Cabinets und Alcores, Camin und Öefen, sondern aus Castris Doleoris, Mausoleis, Privat=Begräbnissen, Modernen-Grabsteinen, Schreib= Tischen, Frauen Zimmer Toiletten, Medailles und Comod=Schräncken, modernen Perpendicul= Uhren, faconirten Schlaff=Sesseln, geheimen Schreib=Tischen, Confectur=Aufsätzen, Cronen, Hang= und Wand=Leuchtern, Sommer=Häusern, Cascaden, Canzeln, Cathedris, Orgeln, Altären, Confessionaux, Borten=Portal, Attiquen, Vasen, Wasser Plumpen und Schöpff=Brunnen, und theilen andrer extraordinairen ordonanncen bestehet.[10]
9. Inmittelst dieser Ausgaben zum Vorschein gekommen, wurden noch andere Stücke von denen Liebhabern verlanget, daß also Portal nach denen Ordnungen folgten; Ja Perrons, Orengerien und Kirchen=Fenster, Grab=Steine nach den Reguln der Antiquen geometrischen Projection und Erfindungs=Kunst, Epitaphia, Camin, Orgel, Rangages, Panneaus, Corniche de placard, Modillons= und Consoles, und Beyzierden andere musten gemacht werden.
10. Anno 1728. erscheinende weitere Fortsetzung des gründlichen Unterrichts in der Civil-Bau-Kunst, von Lucarnen[11], wo selbst ich von der bißhero noch unbekanden geometrischen Projections-Regul, dem Goldmannischen Fundament gemäß, ein und andres vorstellig gemacht.
11. Anno 1730. eröffnete ich meine Gedancken, wie die bequemen Repositoria, compendiose Contoirs und neu faconnirte Medaillen=Schräncke in Studier= und Kaufmanns=Stuben mit Vortheil an zu wenden seyn.

[Bl.72v]

12. Anno 1731. wurde meine Anweisung zur unentbehrlichen Zimmermanns=Kunst gemein, worinnen von den Antiquen und modernen proportionirten Dächern die nöthige Projection geometrisch vorgestellet, und daraus die Italiänische, französiche und Teutsche Heng- und Spreng-Werke mit vielen Figuren begreifflich gemacht, auch deutlich gewiesen worden, wie allerhand Widerkehr, Wercksäze, Schifftungen, Cuppeln, Heng= und Zuch=Brücken, und sehr vortheilhaffter Rameln, welche ich selbsten bequem ein und aus hängen, zu verfertigen seyn. Wie nun aber dieses Werck, so aus 44 Tabellen und 300 Figuren bestehet, die alle ihre geometrische Principia zur Erfüllung der Kunst=Reguln, bey sich haben, und die Verbündlichkeit zwischen dem Ansehrung eines dinges, und deßen Würckung, erkennen laßen: Also wurden nicht allein mit kurzen 18 Stücke, als neue Ausgaben; sondern 32 bereits völlig ausgezeichnete Tabellen mit getheilet worden, die so dan aus dem Weßen der geometrischen Eigenschafft völlig hergestellet, und gantz besondere Vortheile durch die Progressions- Quadrata angeben, und da das, damit verkürztte Diagramma Pythagoricum sich auf viele geometrische und Arithmetische Vortheile bezihet, die aus einerley angenommenen Elementis eine besondere Symetrie der Mathematischen Zeichnungs=Kunst gelehren, die alten Geometrae aber, welche die Verbindung des gantzen Umfangs in dem Fundamental Quadrat mit den innern Weßen der verborgenen Raison, nur als einen Special=Casum der Universal= Problematis hier und dar mit ein paar Worten gemein gemacht haben: Also wird aus derjenigen Collection, welche ich mir, um alles in der Praxi in gewünschter Mensur aus zu führen gemacht, und aus den Antiquen Kunstgriffen per diverentias radicales aufgelößet, nach und nach vieles unter Gottes Beystand, getreulich zum Vorschein kommen, und die Sechserley Geschlechter von krummen Linien die aus den xenogratischen Zollen 2. 4. 6. 8. 1. 3. 5. 7. 9. zu erzeigen möglich sind. Werden zugleich in einer Triangular Erläutnüß den Eingang zu einer geometrischen Zeichnung und Erfindungs=Kunst klar vor jeder manns Augen bringen.


Fußnoten

  1. Die Endters waren eine bekannte Nürnberger Buchhändlerfamilie.
  2. Halfpenny, William: Perspective made easy: or, a new method for practical perspective. Shewing the use of a new-invented senographical protractor. London: John Oswald 1731.
    William Halfpenny (nachweisbar 1723-1755) war ein englischer Architekt.
  3. Schübler, Johann Jacob: Perspectivae Geometricae Practicae, Theil. 1. Nürnberg: Chrisoph Weigel d.J. 1735
  4. Bei Schickard heißt es "Liecht-Kugel", nicht Lufft-Kugel.
  5. Grondige en duydelyke onderwyzing der volkomen kolommen-ordening, zoo als men dezelve in de heedendaagse-boukonst, gewoon is te gebruyken. Amsterdam: Petrus Schenk 1728
  6. Johann Jacob Schüblers Erste [-Fünffzehende] Ausgab, seines vorhabenden Wercks krafft dessen er gesonnen die von Leonhard Christoph Sturm neu herausgegebene, welt-berühmt-vermehrt- und verbesserte Goldmannische Bau-Kunst, oder den neuen und vermehrten Goldmann, welcher die ganzte Architectura civilis und einen guten Theil militaris vorstellt, auch die beste Handgriffe und Wissenschafften derselben getreulich an Tag legt, noch mehr zu amplificieren, mit Sachen oder Meublen, welche zur innwendigen Ausziehrung dienen können, und Paul Deckers Fürstlichen Baumeister ... vollkommen zu machen. Augsburg: Jeremias Wolff 1724-1729
  7. Bei dieser Arbeit wird häufig Johann Leonhard Rost als zweiter Autor angeführt. Diese Stelle ist einer der Belege dafür, dass Rost dieses Werk nicht mitverfasst hat. Rost stand zu Kirch in Briefkontakt, Schübler h&aauml;tte dessen Mitarbeit hier sicher nicht verschwiegen.
  8. Gerard Desargues (1591-1661) war ein französischer Architekt und Mathematiker.
  9. Anamorphotische Figuren sind verzerrte Figuren, die nur mittels bestimmter Spiegel oder Prismen wie z.B. einer Spiegelsäule zu erkennen sind.
  10. Vgl. oben Fußnote 6.
  11. Lucarne sind Dachfenster.