Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Gedächtnisprotokoll
Ort Göttingen
Datum 30. Januar 1764
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 403-434
Transkription Hans Gaab, Fürth


A       Beÿlage zu N. actorum[1]


Montag am 30. Jenner 1764. um 10. Uhr zeigte mir der Pedell Willig[2] an, daß ich Nachmittag um 4. Uhr auf der Concilien-Stube[3] vor der Deputation erscheinen sollte. Ich stellete mich genau um die bestimmte Zeit ein, mußte aber bis nach halb 5. Uhr warten, da ich endlich vorgelaßen wurde. Es waren gegenwärtig:

  1.) der Hl. Prorector Magnif: Vogel[4]
  2.) der Hl. Doct: und Prof: Förtsch[5]
  3.) Hl: Hofrath, Pütter[6]
  4.) Hl: Profess: Meister[7]
  5.) Hl. Prof: Weber[8], und
  6.) Hl. Profess: Riccius[9]

Nach gemachten Complimenten mußte ich mich neben den Hl. Prorector auf einen

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Stuhl setzen und derselbe eröfnete mir, daß wegen meiner letztern Vorstellung an die Deputation ein gnädiges Rescript von der Königl. Landes-Regierung de dato Hannover d. 19. Jan:[10] angekommen wäre, welches mir hiemit sollte bekannt gemacht werden.

Der Herr Prorektor las dieses Rescript laut ab: und ich war über deßen unerwarteten Inhalt gantz erstaunet. Nach Ablesung schwiegen wir alle eine zeitlang stille und sahen einander an. Endlich unterbrach der Hl. Profeßor Meister diese Stille, und redete mich mit folgenden Worten an, die uns in das weiter Gespräch einleiteten

Hl. Prof: Meister /:hob seine Hand auf, und streckte sie gegen mich her, und sprach :/ Ja Hl. Prof. Lowitz, Sie werden vernommen haben, daß Ihnen das, was Sie suchten, abgeschlagen, und das, was wir Ihnen ver=

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sagten, accordiret worden ist. Sie bekommen also nunmehr die gantzen Acten, wie Sie solche verlangt haben.

Lowitz. Ich erstaune darüber, daß man mir die allerwichtigsten Stücke abschläget, die ich zu meiner Vertheidigung nöthig habe. Es erscheinet wahrhaftig so viel daraus, daß man sehr starck auf die Seite meiner boshaften Feinde geneigt ist; weil man deren niederträchtige Verläumdungen, und folglich dern Schande zurück halten, und sie mir verheelen will.

Hl. Prof. Meister: Wie können Sie dieses sagen, Hl. Profeßor Lowitz? Man giebt Ihnen ja nunmehr die gantzen Acten: und gegen das, was nicht darinnen enthalten ist, haben Sie ja nicht nöthig zu defendiren.

Lowitz: Das können Hl. Prof. Meister

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unmöglich im Ernste, oder aus Hertzensgrunde sprechen ! Sie haben doch die Acten gelesen? Vermuthlich: da Sie einen Richter in diesem Schandproceße vorstellen sollen: und da Sie selbst nach denen rechtlichen Bedencken, die Sie mir zur Einsicht vorzutragen decretirten, dirigiret haben. Die Vernunft, und die natürliche Billigkeit würde mir schon die Versicherung geben, als auch die berufenen dringenden Vorstellungen der beÿden Hofräthe Aÿrer[11] und Michaelis[12] mit höchstem Rechte fordern könnte, und daß man Sie mir nicht abschlagen darf: wenn es mir auch nicht von unterschiedlichen berühmten Rechtsgelehrten wäre überzeugend versichert worden. Das Judicium würde äuserst unrecht verfahren, wenn es mir mei=

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ne defension vorschreiben oder einschranken wollte.

Hl. Prof. Meister: Die dringenden Vorstellungen sind so wenig als die Rechtlichen Bedencken,[13] partes actorum geworden: ich sehe also nicht ein, mit was für einem Rechte sie Hl. Prof. Lowitz fordern wollen? Denn die dringenden Vorstellungen sind beständig auser den Acten, und in Hannover geblieben, und sind niemahl hier gewesen: Die Rechtlichen Bedenken aber hat das Ministerium nur für sich privatim machen, und zur Einsicht und deswegen mittheilen laßen, damit wir hier desto unpartheÿischer darnach verfahren konnten. Es sind also diese Schriften niemahlen partes actorum geworden.

Lowitz: Es ist nicht gnug, daß man diese Schriften nicht zu den Acten gelegt

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hat, da sie doch nothwendig, und unwidersprechlich dazu gehören. Ich habe mit allen andern vernüftigen Leuten diesen Begriff: daß alle Schriften, worauf sich andere Theile der Acten beziehen, und fürnehmlich diejenigen, die den Proceß dirigiret haben, gleichfalls partes actorum sind, die daher beÿgelegt werden müßen. Nun haben sich ja die beÿ den Acten liegende Rescripte ausdrücklich auf die Rechtsgutachten bezogen, den Proceß darnach zu führen: und diese müßen gantz gewiß die Ursachen in sich enthalten, warum man so, wie geschehen ist, und nicht anderst verfahren habe; folglich sind dieselben von aufrichtigen und unverfälschten Acten unzertrennlich. Eben so haben die dringenden Vorstellungen

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gemacht, daß die Königl. Regierung ihr vorhergehendes Rescript, darinnen so deutlich befohlen worden ist: diesen Proceß mit Verbrennung der Schandschriften durch des Henckers[14] Hand zu endigen; weil keine Apparenz vorhanden ist, daß sich die Thäter auf diese Art werden entdecken laß; wiederum aufheben, und diesem Rescripte eine gantz andere und gar nicht darin befindliche Meÿnung, beÿlegen mußte. Diese dringenden Vorstellungen müßen also gantz neue Gründe, oder Spuren, oder Anzeigen wider mich enthalten: die deswegen sehr wichtig seÿn werden, da sie die Königl. Regierung so schleunig wiederum auf die Seite meiner niederträchtigen Feinde gezogen haben. Es ist also höchstwahrscheinlich, daß sie die boshaften Verlämdungen wi=

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der mich sind, von denen ich schon zimlich genau bin unterrichtet worden. Diese ungerechte Abschlagung bestärket mich nunmehr in meiner Muthmaßung vollkommen, daß man nur die ofenbahre Schelmereÿen dieser beÿden Elenden dadurch unterdrücken will. Ich werde aber gewiß nicht ruhen; ja ich will Haab und Guth, Leib und Leben darauf setzen, und sie aufopfern, diese verdamte Bosheiten zu entdecken, und mir die gerechteste Genugthuung verschaffen.

Hl. D. Förtsch: /: wurde sehr roth im Gesicht, und find sehr heftig an gegen mich zu reden :/ Aber Hl. Profeßor! Sie haben ja selbst Privatvorstellungen an Ihre Excellenz Hl. Cammer-Präsidenten[15] abgehen lassen; warum wollen Sie es denn andern so sehr übelnehmen, wenn selbige ein Gleiches thun?

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Lowitz: Herr Doctor! Wer saget dieses von mir? Wann habe ich wegen dieser verhaßten Sache ein Privatschreiben an Ihro Excellenz abgehen laßen? Ich gebe Ihnen hiemit die Versicherung, daß dieses noch nicht einmahl geschehen ist, sondern - - -

Hl. D. Förtsch: /: fiel mir in die Rede :/ So haben Sie doch dergleichen an die Königl. Regierung geschrieben, und eben diese Freÿheit kann niemand andern benommen werden.

Lowitz: Das ist etwas anders, mein Hl. Doctor! Es scheinet, daß Sie von diesen Sachen noch nicht unterrichtet sind, und daß Sie noch nicht wißend, was in denen Schandacten enthalten ist. Sie waren aber auch noch nicht oft genug beÿ unsern Verhandlungen. Mich dückt, daß ich Sie heute erst zum zweÿten mahle dabeÿ sitzen sehe. Ich muß Ihnen also wohl

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die Beschaffenheit der Sache, davon wir reden, ein wenig erklären.

Ich würde keinen Buchstaben dieser Schandsache wegen an das Königl. Ministerium geschrieben haben, wenn mich nicht Ihr Hl. Schwager hier, der Hl. Prof. Meister dazu überredet hätte, um mir Commissarien, und die Einsicht der Acten vor der Special-Inquisition zu erbitten. Denn damahls sagte man mir immer vor, daß nicht die Deputation, sondern die Königl. Regierung, mein Richter in dieser Sache wäre. Ich machte daher eine Vorstellung: bekam aber in langer Zeit keine Resolution. Ich machte noch eine andere; endlich bekam ich ein Decret, darinnen mir alles abgeschlagen wurde, was mir doch Hl. Professor Meister versicherte, daß es mir nicht könnte abgeschlagen werden. Nach diesem schrieb

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ich noch etliche Vorstellungen dahin, und am Ende wieß mich die Königl. Regierung wiederum an die hiesige Deputation, als meinen künftigen ordentlichen Richter, zurücke. Zwoo meiner Vorstellungen sind denen Schandacten beÿgelegt worden; und nun verlange ich, daß man auch die übrigen denenselben beÿfüge: damit nicht allein die Deputation, sondern insbesondere der zukünftige Urtheils Verfaßer sehen könne, was ich für Schritte gethan, und was ich wider das hiesige Judicium eingewendet habe: Zumahl, da sich die beÿden verläumderischen Hofräthe nachher von diesem Proceß, und zwar ohne mein Ansuchen, entfernen mußten. Eben deswegen fordere ich auch die dringenden Vorstellungen dieser beÿden Leute ab, damit sie denen Acten beÿgelegt,

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und mir zum Erkänntniß mitgetheilet werden. Sehen Sie mein lieber Hl. Doctor daß sich die Sache anders verhält, als Sie sichs vorgestellet haben.

/: Hl. D. Förtsch sahe immerfort Hl. Prof: Meister an, als wenn er wünschte, daß dieser ihm beÿstehen sollte :/

Ueberhaupt, mein Hl. Prof. Meister! muß ich mich noch einmahl dahin erklären, wie ich schon so oftmahlen gethan habe, daß ich niemahlen abstehen werde, alle diese Blätter zu meiner Defension, und zur Widerlegung zu fordern: und ich erwarte von der Deputation, daß Sie selbige herbeÿ schaffen, und mir abschriftlich mittheilen, wenn Sie nicht durch die fernere Verweigerung beÿ allen vernünftigen und rechtschaffenen Leuten in den äusersten Verdacht der Partheÿligkeit setzen will. Denn das sagt ein jeder Rechtsgelehrter,

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der mich kennet, und den ich um Rath frage, daß es unmöglich seÿ zu vermuthen, oder zu dencken, das Judicium hätte nur allein auf die elenden, unordentlichen, und lächerlichen Anzeigen des Stallmeisters die Inquisition über mich verhängen, und mich so schlecht mißhandeln können: sondern es müßen gantz andere Gründe, und Verschwärtzungen heimlich diese Anzeigen begleitet haben. Die Folge zeigt es nunmehr gantz offenbahr; und ich suche diese Lästerschriften zu erlangen, sollte ich auch mein Leben darüber verlieren.

Hl. Hofrath Pütter: Ich habe aber Hl. Prof. schon mehrmahlen gesagt, daß wir diese Schriften nicht in unserer Gewalt haben. Es wäre gut, wenn Sie deswegen unmittelbahr an Königl. Landes Regierung eine gelaßene Vorstellung ma

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cheten, und ihre Gründe darinnen ordentlich vortrügen: vielleicht würde man Ihnen endlich willfahren.

Lowitz: Mein Hl. Hofrath! habe ich nicht schon ofte gesagt, und zeigen es nicht selbst die Acten, daß mich die Königl. Regierung mit meiner künftigen Vorstellungen unmittelbahr an die Deputation, als meiner ordentlichen Richter, zuruck gewiesen hat? Damit ich Ihnen beweise, daß man mich dort nicht mehr hören wil; so muß ich sagen, daß mir die Königl. Regierung, auf mein letztes flehendes Bitten: daß doch wenigstens das Pasquill, welches, am 9. 8br: wider mich zum Vorschein kam öfentlich durch den Nachrichter verbrennet werden mögte, keine Resolution ertheilet habe. Wie soll ich es also noch einmahl wagen? Ich halte mich gantz allein an die Deputation als meine ordentlichen

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Richter. Sie sind es doch? Oder nicht?

Herr Prof. Meister: Wir sind Richter: aber die Königl. Landes Regierung ist der Oberste Richter. Dieselbe hat einmahl die Hand über diesen Proceß; deswegen können wir jetzt nichts ohne deren Befehle thun.

Lowitz: Mein Gott! was ist das für ein Verfahren? wo soll ich mich denn hinwenden? wenn die Königl. Regierung mein Richter ist, und mich auf diese Art an der gäntzlichen Erweisung meiner Unschuld, und Entdeckung der schwärtzesten Bosheit hindert? Ich habe also zweÿerleÿ Richter! Was der eine mir öffentlich durch ein Decret, als wie das Letztere von der Deputation ist, verspricht, das entreißet mir der andere wieder ! Ist das die Beschaffenheit des Königl- Privilegii? Da es darinnen ausdrücklich heiset: Die Universität soll völlige Jurisdiction in Civilibus, und Criminalibus haben, und die Appellation soll erst an die Königl.

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Regierung gelangen. Nun hat man mir aber mittelst diesem Verfahren die Appellation dadurch benommen, daß man also bald diesen Schandproceß wider mich zur zwooten Instanz, wo man meinen Gemühts-Character und meine Lebens Art nicht einmahl kennet, hingespielet. Dort kann mich die Bosheit gantz getrost, mittelst allen möglichen Lügen verschwärtzen, zu mahl, da solche Ertzbösewichter /: damit ich mich des Favorit-Wortes meines gottloscen Pasquillanten bediene :/ wie die gegenwärtige Folge zeiget, gänzlich versichert sind, daß man ihre niederträchtigen Papire verborgen halten werde. Wo kann ich mich nun in diesem Falle hinwenden, um zu meinem Rechte zu gelangen?

Hl. Prof. Meister;: Hl. Prof. Lowitz! ich will Ihnen dieses sagen: wenn Sie glauben, daß Ihnen die Königl. Regierung das Recht denegiret, so können Sie selbige in Celle belangen.

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Lowitz: Wie? ich soll den König beÿ dem König, beÿ sich selbst verklagen? Ist nicht die Appellation von hieraus unmittelbahr an die Königl. Regierung, als die des Königes allerhöchste Person vorstellet, zu richten !

Hl. Prof. Meister: Die Königl. Regierung handelt in diesem Proceß nicht im Nahmen des Königs, sonder blos als Oberrichter über die hiesige Universität: Sie können selbige gantz wohl in Celle verklagen. Sprechen Sie nur deswegen mit ihrem Advocaten: der wird es Ihnen schon erklären.

Lowitz: Das wäre gewiß wieder eine solche Falle, als wie die mit der Commission, und der Communication der Acten gewesen ist.

Hl. Prof. Weber: Hl. Profeßor ! glauben sie dem Hl. Prof. Meister, glauben Sie ihm es ist gewiß, man kann die Regierung gar wohl in Celle verklagen. /: Er nickte immerfort, so lange er sprach, mit seinem Kopfe gegen mich,

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und bekräftiget es mit seiner rechten Hand :/

Lowitz: Das wäre hübsch, wenn ich die Königl. Regierung um ein paar Schandbriefe von meinem elenden Feinden beÿm Könige verklagen sollte! Nein! Die Deputation ist schuldig sie herbeÿ zu schaffen, Sie, meine Herrn! haben mir ja angerathen, ich sollte deswegen Vorstellungen an die Deputation eingeben, und man wollte sie selbst mit einer Recommendation in dem Berichte nach Hannover begleiten. Sie haben diese Sache der Königl. Regierung gewiß schön empfohlen! Diesen Bericht muß ich mir nebst dem Rescripte ausbitten: damit ich die nöthige Vergleichung anstellen kann. Vielleicht sind Sie mir sogar darinnen entgegen gewesen, damit nur die Schande ihrer guten Freunde nicht entdecket werde.

/: Hl. Prof. Riccius, welcher am Tisch gantz unten saß fing an zu sprechen; da ich aber nichts

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davon verstanden hatte, so fragte ich ihn? Was er wollte? :/

Hl. Prof: Riccius: Ich sagte: daß in denen dringenden Vorstellungen die Deputation auch angegriffen ist: darum wird Königl. Regierung sie nicht communiciren mögen.

Lowitz: Desto beßer! so ist es Ihre Pflicht, meine Herren! mir um so kräftiger beÿzustehen, auf daß, diese Schandblätter zu denen Acten kommen, damit sich auch die Deputation von ungerechten Auflagen befreÿen könne. Sie haben also dem Michaelis nicht gnug nach seinem Gefallen in dieser Schandsache gearbeitet. Allein ich glaube dieses nicht. Da alles nach seinem Kopfe ging, so hatte er keine gerechte Ursache sich zu beschweren. Ich sage also noch einmahl, so wohl die Rechtsgutachten, als auch diese dringenden Vorstellungen meiner verläumderischen Feinde müßen herbeÿ geschaffet, und mir so wohlzu ihrer Widerlegung, als auch zur

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Erweisung meiner Unschuld, und zur genauern Entwickelung der verdamtesten Bosheit, abschriftlich mitgetheilet werden. Nur ein partheÿisches Judicium, welches die Unschuld mit Vorsatz unterdrucken will, kann dem Beklagten die Beschuldigung seiner Feinde vorenthalten: und ihm den Weg zur gerechten Gnugthuung versperren.

Hl. Prof. Meister: Herr Prof. Lowitz! ich kann Ihnen keinen beßern Rath geben, als daß Sie die Acten auf eine auswärtige Universität, blos auf die Frage: ob man Ihnen diese streitigen Stücke mit Recht abschlagen könne? verschicken laßen.

Lowitz: Wißen Sie es denn hier nicht, was Recht oder nicht Recht ist? da Sie es doch andern lehren! Mich dünckt, man sucht damit nichts andres, als nur die Zeit zu verlängern, und mich an meiner Defension zu hindern. Das ist eine schöne Inquisition, wo der Inquisitor beständig fort um scharfe Fortsetzung der Untersuchung,

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und um die Bekanntmachung der Beschuldigungen flehen und bitten, ja endlich um die Acten selbst noch Proceße führen muß! Ich werde eine genaue Zeitrechnung und Geschichte dieses vortrefflichen Proceßes halten, und meiner künftigen Defension beÿfügen: damit das Publicum sehen könne, wie man hier mit mir umgegangen ist. Aber, mein Hl. Prof: Meister! und, so wie die Acten gegenwärtig sind, wollten Sie selbige verschicken?

Hl. Prof: Meister: Warum nicht?

Lowitz: In der Confusion, darinnen sich die Acten befinden, ist es nicht rathsam, sie zu versenden, wenn nicht alles auseinander gesetzt, und beßer mit einander verknüpft wird. Die Deputation hat diese Acten vorsetzlich dunkel gelaßen. Wo sind alle meine Erläuterungen, die ich Ihnen mündlich gegeben habe? /: Zu Hl. Prof: Riccius :/ Was haben Sie, Hl. Prof. Riccius! für elende Protocolle gemacht? die ich sämtlich verwerfen, und für falsch erklären muß!

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Hl. Prof. Riccius: Sie haben immer an den Protocollen etwas auszusetzen.

Lowitz: Ja ich habe alles, sogar die Aufrichtigkeit daran auszusetzen. Ich gab dem Hl. Hofrath Pütter schon längst Nachrichten davon.

Hl. Hofr. Pütter: Ich habe schon Ihnen, mein Hl. Profeßor! öfters gesagt: daß diese Dinge in ihre Defension gehören.

Lowitz: Es soll nur alles in meine Defension kommen! Als denn, wenn ich sie einreiche, so muß ich erwarten, daß man mir sie ebenso wie dem Hl. von Selchow wiederum zuruck geben werde,[16] um sie nach den Geschmack der Deputation einzurichten. Ich will mich aber schon zum Voraus dafür verwahren.

Hl. Prof. Meister: Sie urtheilen ebenso von der Deputation, als wie alle andere, die auser derselben sind. Diese stellen sich alle Dinge anders vor, als sie würklich darinnen stehen. Ihre guten Freunde sagen vielleicht, daß man

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ihnen nicht genug beÿstehet: und es könnte seÿn, wenn ich nicht in der Deputation wäre, daß ich Ihnen eben dieses sagte. Alleine, da ich darinnen bin, so sehe ich alles gantz anders ein.

Lowitz: Das ist besonder! also wird der Verstand erleuchteter, so bald man in die Deputation kommt? Die auser diesen Amte sind, haben also weniger Einsicht in die Rechte? Aber, Hl. Prof. Meister! Hier ist die Rache von der würcklichen Arbeit, die beÿ der Deputation gemacht worden ist. Die Acten zeigen das Verfahren, nebst denen Absichten dieses Verfahrens genugsam an. Man hat nichts anders gesuchet, als den Proceß zu verderben, damit sich die rechtliche Untersuchung nicht weiter ausbreiten möge. Man hat keine andre Absicht gehabt, als mich zu blamiren, und die Acten confus zu machen, damit mir die Denfension schwer werde.

Hl. Prof. Meister: Das meÿnen Sie nur so, Hl. Profeß Lowitz!, fragen Sie doch ihren Advo=

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caten;[17] oder ihren Herrn Schwager, Hl. D. Cassius[18] darüber.

Lowitz: Glauben Sie denn, daß ich Sie noch nicht gefragt habe? Ich laße mir von allen rathen, und keiner urtheilet anders von ihren Acten, als wie ich urtheile. Es ist mit nicht gnug, daß ich mich mit denen hiesigen Rechtsgelehrten bespreche: denn gegen diese bin ich, ich gestehe es, deswegen etwas mißtrauisch, weil sie hier bleiben, wenn ich hinweg ziehe, und die sich folglich einigermaßen, wegen ihrer Connexion moderiren müßen. Ich frage dahero gleichfalls auswärtige Juristen um ihren Rath: und zwar solche, die gewiß in Criminal Gerichten unendlich mehr zu thun haben, als beÿ der hiesigen Universität, so lange sie dauren wird, nimmermehr vorfallen kann. Sollten diese große Männer den Criminal-Proceß nicht kennen? Sie, meine Herren! werden zu seiner Zeit

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alle diese Privatbedencken, die ich über diesen Vorfall einsamle, zu lesen bekommen. Alle diese Rechtsgelehrte behaupten einstimmig, daß jene, mir nun abgeschlagene, Stücke würcklich partes actorum sind: und daß mir solche niemand als ein partheÿischer Richter absprechen kann?

Hl. Prof. Meister: Hl. Prof. Lowitz machen ja diese Sache viel weitläuftiger, als Sie nöhtig haben. Sie hätten ja schon längst von diesem Proceß abkommen können!

Lowitz: Das weiß ich sehr wohl mein Hl. Profeßor! aber wie nicht wahr? durch den Reinigungs Eÿd[19], den man mir widerrechtlich, und widernatürlich angesonnen hat? Das war ein auserordentlicher Fehler des Judicii, welches kein Urtheil in diesen Sachen fällen darf. Mir deferirte man das Purgatorium[20] noch ehe ich völlig summarisch abgehört war![21] Und warum? Gewiß nur darum, damit man

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mich geschwind vom Hofe bringen, und daß ich auser Stand gesetzt werde, die niederträchtigen Acten einzusehn, womit man mich mißhandelt hat. Nein! so einfältig war ich nicht, daß es mir hätte an der Einsicht fehlen sollen, alle Absichten zu erkennen. Ich muß für diese Poßen öffentliche Gnugthuung erlangen: sollte ich auch mein Leben darüber aufopfern.

Hl. Prof. Meister: Ich sehe nicht ein, warum sich Hl. Prof. Lowitz beständig über Mißhandlungen beschweren, da man Ihnen bisber alle nur mögliche Achtung erwießen hat?

Lowitz: Das ist mir eine schöne Achtung, indem man mich in dem Verdacht haben kann, als wenn ich Theil an niederträchtigen Handlungen hätte, die ich doch in meinem gantzen Leben verabscheut habe. Man hat mich also diese neun Jahre über, da ich hier in Göttingen wohne, noch nicht beßer kennen lernen? Ist, auser diesem verschwornen Complott, wohl jemand

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hier in der gantzen Stadt, oder in der gantzen Welt, der jemahls wegen einer Beleidigung Ursach hätte, sich über mich nur im geringsten zu beschweren? Ich biethe jedem Trotz! mir das geringste Vergehen, oder die geringste Ungerechtigkeit zu erweisen. Man gebe mir nur diese elenden dringenden Vorstellungen heraus: ich fürchte mich nicht dafür. Ich will deren Beschuldigungen, die von zweÿen hierin gantz Göttingen verabscheuten unruhigen Köpfen kommen, bis zu ihren Quellen verfolgen, und entwickeln. Kennen Sie diese zween Menschen noch nicht? Haben Sie nicht schon gleiche Erfahrungen von ihnen erlebet? Vielleicht, wenn dieser Vorgang mit mir nicht entwickelt wird, ist keiner von Ihnen in Zukunft für ähnliche Verfolgungen sicher: Denn die Bosheit wird immer frecher, jemehr sie erste Schlupfwinkel findet, sich dahinter zu verbergen.

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Was die mir vorgerückte Achtung betrifft, so sind Sie mir entweder eine schuldig oder nicht? Sind sie mir solche nur einigermaßen schuldig; so ist überflüßig, da ich sie nicht gefordert habe, mich daran zu erinnern. Ist man mir aber keine schuldig; so gehöre ich nicht hieher auf den Stuhl neben Ihro Magnificenz: sondern ich müßte eben auf dem Carcer sitzen. /: Ich zeigte mit der Hand gegen den Ort, wo die Gefängniße sind :/ Aber als dann würde der Proceß schon längstens geendet seÿn; und meine beÿden Verläumder würden ihre in dem bekannten Rescript versprochene rechtliche Satisfaction schon erhalten haben. Ja aus dieser dem Hofrath Aÿrer versprochenen Satisfaction, der doch im keine einzigen, derer beÿ denen Acten liegenden Pasquillen, nur mit einem Worte beleidiget ist, erhellet die rechtmäße Pflicht der unpartheÿischen Richter, deßen Vorstellung

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heraus zu geben: um zu ermeßen, welche Beleidigung eine Gnugthuung erfordert. Ich werde also niemahlen davon abstehen, die mir widerrechtlich abgeschlagenen Papiere, als nothwendige Theile der Acten zu erklären, und sie zu Widerlegung und zu meiner Vertheidigung abzufordern. Kein unpartheÿischer und christlicher Rechtsgelehrte kann mir dies Gerechtigkeit absprechen.

Hl. Prof. Meister: Deswegen wäre es sehr nützlich, mein Herr Profeßor Lowitz! wenn die Acten über diesen Umstand versendet würden; so könnten Sie vollkommen beruhiget werden.

Lowitz: Der Hl. Profeßor Meister wißen es schon, daß ich jetzt sehr mißtrauisch bin, und daß ich noch immerhin den Einfluß der Hofräthe Aÿrer und Michaelis zu befürchten habe. Ich kenn nun=

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mehr die Kette, die Michaelis hier in den Händen hält, und die bis nach Hannover an den Verfaßer der Rechtsgutachten, reichet, allzuwohl, als daß ich Hoffnung haben sollte, sie so bald zu zerreißen. Ich bin schon zu genau davon unterrichtet, auf was für Arten alle die, welche an dieser Kette hängen, regiret werden. Wäre man nicht überzeugt, daß diese beÿden hier verrufenen unruhigen Köpfe beÿ der Communication ihrer Vorstellungen Noth leiden würden; so ist gewiß daß diese Schandblätter schon längst eben so wohl beÿ denen Acten liegen, als wie der niederträchtige Koelerische Brief[22], den er an die Deputation geschrieben hat. Aber solche Verläumder will man schonen, und dafür lieber einen ehrlichen Mann aufopfern. Was diese beÿden Hofräthe sind, das bin ich auch; und ich laße mich nicht

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einmahl mit solchen schwartzen Seelen in Vergleichung setzen, deren Gemüths-Character, und öffentliche Aufführung so niedrig ist.

Hl. Hofrath Pütter: Hl. Profeßor Lowitz! wir entfernen uns schon wiederum zu weit von der Hauptsache. Wißen Sie was? Weil Sie nicht gerne Vorstellungen nach Hannover thun, so wäre Ihnen ein anderer Rath zu geben: Laßen Sie ihrem Advocaten eine neue Vorstellung an die Deputation machen, so wollen wir sie wieder nach Hannover senden.

Lowitz: Diesen guten Rath will ich mir zu Nutze machen: allein ich muß doch vorher die mir ausgebetenen, und von der Königl. Landes-Regierung accordirten Actenstücke haben. Fürnehmlich aber muß ich mir fordersamst sowohl

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dieses Rescript, als wie auch den Bericht der Deputation an das Königl. Ministerium, und was dazu gehöret, copeÿlich ausbitten! Man wird mir doch den Bericht mitzutheilen keinen Anstand nehmen wollen?

Hl. Prof. Meister: Gantz und gar nicht, Hl. Profeßor Lowitz! Sie sollen nunmehro alles bekommen, was Sie verlangt haben; auser dem, was die Königl. Regierung Ihnen abgeschlagen hat.

Lowitz: Gut! so werde ich bald wieder mit einer neuen Vorstellung beÿ der Hochlöbl. Deputation erscheinen.

Hiemit stand ich auf, und nahm Abschied.

Georg Moritz Lowitz



Fußnoten

  1. Dieses Gedächtnisprotokoll über sein Verhör am 30.01.1764 fügte Lowitz seinem Schreiben an die Landesregierung vom 30.04.1764 bei.
  2. Johann Christoph Willig (1726-1810) war Pedell der Universität in Göttingen. Vgl:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien. Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996, S. 512.
  3. Die Concilienstube befand sich bis 1764 im Kollegiengebäude. Sie diente der Universität als Sitzungszimmer der Concilienversammlungen sämtlicher dazu gehöriger Professoren und auch für Verhandlungen des akademischen Gerichts. Vgl. Mittler, Elmar; Purpus, Elke; Schwedt, Georg: "Der gute Kopf leuchtet überall hervor": Goethe, Göttingen und die Wissenschaft. Göttingen: Wallstein-Verlag 1999, S. 118
  4. Rudolf Augustin Vogel (1724-1774) war seit 1753 Professor für Medizin in Göttingen. Vom 3. Januar 1764 bis zum 3. Juli 1764 war er Prorektor der Universität.
  5. Paul Jacob Förtsch (1722-1801) war seit 1751 Professor für Philologie in Göttingen.
  6. Johann Stephan Pütter (1725-1807) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
  7. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  8. Andreas Weber (1718-1781) war seit 1749 Professor für Philosophie in Göttingen.
  9. Christian Gottlieb Riccius (1697-1784) war seit 1747 Universitäts-Secretär und seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  10. Reskript der Landesregierung vom 19-01.1764, präsentiert am 22.01.1764, Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 8213: Bl. 75r-76r (Entwurf); D-23-9-2: Sc. 344-345 (Reinschrift).
  11. Georg Heinrich Ayrer (1702-1774) war seit 1736 Juraprofessor in Göttingen, 1743 ernannte man ihn zum Hofrat. Siehe dessen Brief vom 20.06.1763.
  12. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung. Siehe dessen Brief vom 20.06.1763.
  13. Die beiden rechtlichen Bedenken stammen hannoveranischen Hofrat Rudolf Christoph von Bilderbeck (1714-1786). Das Erste stammt vom 15.05.1763, Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-1: Bl. 72r-77r; das Zweite vom 18.08.1763, Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-1: Bl. 78r-87r.
  14. Im Rescript ist hier von des Nachrichtes Hand die Rede, nicht von des Henkers Hand.
  15. Gerlach Adolph von Münchhausen (1688-1770) war Minister des Kurfürstentums Hannover. 1734 war er einer der Begründer der Georg-August-Universität in Göttingen. Ab 1753 war er als Kammerpräsident für das Ressort Finanzen zuständig.
  16. Selchow war seine Defension zurückgegeben worden, da sie nach Meinung der Deputation Beleidigungen gegen einige Personen enthielt.
  17. Der Advokat von Lowitz war Heinrich Christian Jaep (ca. 1718-22.07.1788), der in Göttingen ab 1737 studiert hatte und hier Jurist wurde. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 258.
  18. Der Jurist Georg Andreas Cassius (1716-1791) hatte am 24. November 1750 die Schwester der Ehefrau von Lowitz, Charlotte Margaretha Catharina Riepenhausen (1727-1809) geheiratet.
  19. Bei unvollständiger Beweislage wird die Unwahrheit einer behaupteten Tatsache durch einen Reinigungseid beschworen. Der Reinigungseid wird einem Angeklagten auferlegt, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Unschuld durch eine Eidesleistung zu bezeugen.
  20. Purgatorium: Fegefeuer, gemeint ist hier der Reinigungseid
  21. Ein summarisches Verhör ist ein formloses Verhör, wie es in aller Regel zu Beginn einer Untersuchung geführt wird.
  22. Johann Tobias Köhler (1720-1768) war Professor für Philosophie in Göttingen. Die Geschichte zu dessen Brief hat Lowitz in seiner Stellungnahme vom 30.04.1764 an die Landesregierung dargestellt.