Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Deputation der Universität Göttingen
Ort Göttingen
Datum 4. November 1766
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-2, Scan 323-334
Transkription Hans Gaab, Fürth


praes. d. 4. Nov. 1766  

Königl. Großbritannische, und Churfürstlich-
Braunschweig-Lüneburgische zur Georg-Augu-
stus-Universitäts Deputation höchstverordne-
te Herren Prorector, Decani und übrigen Assessores!
Magnifice,
Hochwürdiger[!], Wohlgeborne, Hochgelahrte Herren,
Insonders hochzuverehrende Herren !



Ew. Magnifice, Hochwürden und Wohlgebohren ließen mir vor einigen Tagen auf meine Schreiben vom 16.ten und 18.ten Junius d. J. eine am 18.ten Octobr. datirte Resolution in der bekannten Pasquillensache durch den Pedellen[1] einhändigen. Ich sehe mich genöthiget durch dieses Memorial meine Nothdurft dagegen vorzustellen.

Ehe ich den Inhalt dieser Resolution in Betrachtung ziehen kann, muß ich vorher deßen

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äuserliche Eigenschaften beschreiben. Es ist sich erstlich sehr zu verwundern, daß diese Resolution wiederum auf einem gestempelten Bogen Papier abgefaßet worden, da doch die Königlichen Gesetze deßen Gebrauch in Criminalsachen ausdrücklich verbieten. Ich habe schon längst in einer Schrift an die Hochlöbl. Universitäts-Deputation vom 12.ten September 1764. mit Anführung der Königl. Verordnung, dagegen protestiret, und es ist auch in dem darauf gefolgeten Decrete, was Recht ist, beobachtet worden.

Zweÿtens ersehe ich auch daran, daß, obschon in der Resolution selbst ein Termin von 6. Wochen von dem Empfang, unter Bedrohung, will bestimmet seÿn, dennoch die Insinuation[2] darauf nicht documentiret ist.

Es kan diese Unordnung allerdings dem Hochlöbl. Judicio Academico nicht zu gemeßen werden, da die Ausfertigungen der Resolutionen dem Universtitäts Syndico übergeben sind. Dem ohngeachtet aber ist es nöthig Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebohren die

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gebührende Anzeige darüber zu thun, damit der Herr Profeßor Riccius[3], welcher jetzt, bekannter maßen, ein alter, abgelebter und verdrüßlicher Mann ist, seines Amtes, und seiner Pflichten von Gerichts wegen erinnert werde. Denn es gereichen solche Unordnungen, die aus Vergeßenheit und Nachläßigkeit her zu rühren scheinen, der Ehre des Judicii zum Nachtheil: und Ew. Magnificenz Hochwürden und Wohlgebohren werden sich in Zukunft selbst wundern, wenn ich meiner künftigen Defensionschrift eine Menge solcher an mich gemachten Ausfertigungen des Herrn Prof. Riccius originaliter beÿlegen muß, die einen vollkommenen Beweiß dieser seiner wiedrigen Eigenschaften geben werden.

Sollte man sichs wohl vorstellen, daß ich in diesen Criminalproceß aus denen Händen des Herrn Prof. Riccius im Nahmen der Hochlöbl. Universitäts Deputation bald ungestempelte, bald aber gestempelte und ungesportelte[4] Decrete erhalten haben? Am allerwenigsten wird man ein Decret vermuthen, dar-

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innen das Datum ausgestrichen, und verändert, ein anderes, darinnen gar kein Datum befindlich ist! In einer andern Sache hat der Herr Prof. Riccius mir so gar mit einem Decrete das Original einer beÿ der Hochlöbl. Deputation wider mich eingereicheten Klagschrift anstatt der Copeÿ zuruck behalten, die Bezeichnung derselben mit eigener Hand ausgestrichen, und an deßen Stelle darauf geschrieben: Anlage ist best. bekannt. An andere Dinge dieser Art jetzt nicht zu gedenken. Mit welcher Canzleÿ- und Proceßordnung diese Ausfertigungen zu vergleichen sind? kann ich nicht bestimmen.

Was nun den Inhalt dieser Resolution selbst anbetrifft, so erkenne ich die gegen die Gebühr abschriftliche Mittheilung derer abgehaltenen Protocolle wegen des Caßelschen Kaufmannes Wichmanns[5], mit gehorsamsten Dank. Obschon beÿ allen andren Berichten, auch sowohl hier in Göttingen, als in Hannover, ja so gar beÿ denen höhern Collegiis es gewöhnlich und Rechtens ist, daß die erbetenen, und im Decrete zuerkannten Ab-

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schriften zugleich mit der Resolution dem Ansucher gegen die Gebühr in die Hände geschaffet werden: so wird doch dieses heilsame, und die Zeit verkürzende Hülfsmittel, durch den Herrn Prof. Riccius nicht angewendet. Es geschiehet nun schon zum öfternmahle, daß er mich selbst darum sorgen läßet, woher und wie ich die mir vom Hochlöbl. Judicio zuerkannten Abschriften verschaffen könne. Ich habe zwar schon am 27.ten Octbr. Ihro Magnificenz: dem Herrn Prorector und Hofr. Kästner[6] in einem Privatschreiben um die Beförderung dieser und anderer benöthigten Abschriften gehorsamst ersuchet:[7] und am vergangenen 1.ten Novbr. haben mir Ihro Magnificence mündlich versichert, daß mein Verlangen gehörigen Ortes bestellet ist: Allein es ist mir bis jetzt, da ich dieses schreibe noch nichts davon in die Hände gekommen, obschon die im Decrete bestimmte Frist indeßen fortlaufen soll.

Ew. Magnificence, Hochwürden, und Wohlgebohren beliebten ferner dieser Resolution folgendes beyzufügen:
" - - da übrigens aus vorgedachten Schreiben nicht ohne Befremdung zu ersehen gewesen, daß derselbe

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den Verzug der Sache dem Gerichte beÿzumeßen, sich nicht entsiehet, da doch die Verzögerung der Sache lediglich davon abhangt, daß denen vorlängst und mehrmahlen ergangenen Verfügungen, die Defension binnen vorgeschriebenen Fristen einzubringen, kein Genüge geschehen. So wird demselben nochmahls hiemit alles Ernstes anbefohlen, seine Defension innerhalb 6. Wochen, vom Empfang dieses anzurechnen, ad acta zu übergeben, oder zu gewärtigen, daß nach Verlauf dieser Frist, Acta prout jacent,[8] an ein auswärtiges Rechtscollegium, darüber zu erkennen, verschikt werde."

Da ich mich nichts mehr erinnern kann, als daß ich in einem meiner Schreiben an die Hochlöbl. Universitäts-Deputation von der langen Dauer dieses Pasquillenproceßes, deßen Ende ich durch alle meine Bemühungen bis hieher noch nicht habe erreichen können, nur überhaupts beÿ Gelegenheit der Wichmannischen Sache Erwähnung gethan habe; so ist es mir unbegreiflich, wie Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebohrl. in einen solchen hef-

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tigen Eifer gerathen, und mir abermahl eine Frist von 6. Wochen zur Einbringung meiner Defensionsschrift haben auferlegen, und zugleich den jetzigen Zustand dieser Sache ignoriren können? Alle Verfügungen, die in dieser Sche bisher wegen Einbringung meiner Defension geschehen sind, waren unmöglich Befehle, und von diesen allen ist kein einiger verbindlich. Denn, nicht zu gedenken, daß mir noch die zu meiner Defension benöthigten, und von dem Hochlöbl. Judicio Academico zuruckgehaltenen vier Hauptstücke wider mich in denen rechtlichen Gutachten, und dann ferner die beÿden, unter der Rubric bekannten dringende Vorstellungen der Hofräthe Aÿrer[9] und Michaelis[10], mangeln; so sind doch niemahls, wenn mir ein solcher Termin bestimmt worden ist, die mir doch erlaubten und stets zu erkannten Actenstücke, sämtlich in meinen Händen [gewesen]. Der Hl. Prof. Riccius, als Gerichts Actuarius sollte dieses billig wißen: und daher nicht früher einen solchen Bescheid machen, als bis er vorher, seinem

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Amte gemäß, denen dazu gehörigen Bedingnißen ein Genüge geleistet habe.

Ueber dieses kann Ew. Magnificence Hochwürden und Wohlgebohren nicht unbekannt seÿn, was ich noch im vorigen Jahre, dieser Sachen wegen beÿ der hohen Königl. Landes Regierung unterthänigst vorgestellet,[11] und was ich darüber für eine Resolution[12] erhalten habe. Beÿdes wird hieher zu denen Acten communiciret worden seÿn. Da ich unter andern in dieser meiner Vorstellung um eine Commißion zur künftigen Abhörung meiner Defensionalzeugen unterthänigst angesuchet habe; so ist mir solches nicht abgeschlagen worden: nur soll die Gewährung dieser meiner Bitte von der Beschaffenheit meiner einzuschickenden Denfensionalartikel abhängen, zu deren Einbringung mir aber keine Frist bestimmet worden ist.

Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebohren werden sich erinnern, und die Acten selbst zeigen es auch durchaus, daß ich mich stets erklärt habe, daß sich meine Defension ohne die fehlenden, und noch streitigen Actenstücke

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nicht vollkommen führen läßet, und der Richter ist auch nicht befugt, mir die Defension meiner Unschuld auf irgend eine Art einzuschränken: da aber, dem ohngeachtet, das Hochlöbl. Judicium ohne Nothwendigkeit fortfähret, mir die Mittheilung der Abschrift dieser mir äuserst wichtigen Actenstücke zu verweigern, ich aber von dieser meiner gerechten Forderung nicht abstehen kann; so sehe ich endlich nothgedrungen, den schon mehrmahlen von denen Herren Hofräthen Pütter[13] und Meister[14] beÿ dem Gerichte mündlich gegebenen guten Rath, welcher auch selbst im Protocolle vom 30.ten Jenner, das zu Nro: 64. derer Acten gehöret, befindlich ist, nähmlich:

  Auswärtige Rechtsgelehrte darüber erkennen zu laßen, ob mir solche Piecen, die mir abgeschlagen worden, de jure zu communiciren wären?

zu befolgen. Ich werde daher alsobalden an der Ausführung meines Rechtes, diese streitigen Actenstücke fordern zu dürfen arbeiten, und sie Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebohren mit der Bitte, sodann die sämtlichen Acten zum unpartheÿischen Erkäntniß, und

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zur Entscheidung an auswärtige Rechtsgelehrte zu verschicken.

Zu dieser Forderung, daß diese Nebensache von unpartheÿischen Gelehrten entschieden werde, bin ich jetzt umso viel mehr berechtiget, weil das Hochlöbl. Judicium durch deren Verweigerung würklich Partheÿ wird, mit deren Erkäntnißen in dieser Sache ich nicht zufrieden seÿn kann. Es darf also in der Hauptsache nicht fortgefahren werden, bis ich complette Acten habe, oder jetzt, bis diese Nebensache unpartheÿisch entschieden ist. Es ist deswegen das Recht auf meiner Seite, weil ich weder Ausflüchte, die gerichtliche Inquisition zu hindern, suche, denn diese ist vorbeÿ: noch verlange, daß einige Schriften, die nicht zu diesen Acten gehören, hinweg geschaffet werden sollen: sondern ich verlange Justiz in Vollständigmachung der Acten zu meiner völligen Defension, welches kein unpartheÿischer Richter, der keine versteckten Absichten habe, und dem nur die Verwaltung der Justiz angelegen ist, vorweigern darf.

Ich habe in dieser Sache mir seit nunmehro län-

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ger als dreÿ Jahren nur deswegen gedultige Mühe gegeben, diese Schandsache zu Ende zu bringen, weil ich aus Hochachtung gegen die Hohe Königl. Landes Regierung und die hiesige Universtität gerne vermeiden wollte, daß ein solcher elender Proceß, wie dieser ist, nicht so oft in der Welt herumgeschicket werde.

Schließlich nehme ich mir durch gegenwärtiges die Freÿheit, wider die mir angedrohete eigenmächtige, und gewaltthätige Verschickung dieser unvollständigen Pasquillenacten, bevor ich das, was ich noch wegen meiner freÿen Defension, und Begründung meiner übrigen Gerechtsamen, zu den selbigen gebracht haben werde, noch einmahl auf das feÿerlichste zu protestiren. Denn ehe diese Acten vollständig sind, oder ehe mir die streitigen Stücke von einer unpartheÿischen Juristen Facultät aberkannt werden, ist es mir unmöglich einen Schritt zur Einleitung meiner Defension zu thun.

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Zur Beförderung dieser Absicht belieben Ew: Magnifice, Hochwürden und Wohlgebohren diese Sache gerechtest zu erwägen: und mir zur Einbringung der oben gedachten schriftlichen Ausführung, einen billigen und möglichen Termin gütigst zu bestimmen, damit sodann die Acten an ein unpartheÿisches Juristencollegium zum Spruch Rechtens in dieser streitigen Sache versendet werden können.

Uebrigens habe ich die Ehre mit aller möglichen Ehrfurcht und Hochachtung zu seÿn


Ew. Magnificence, Hochwürden und Wohlgebohrnen



Göttingen am 4ten Novbr.
            1766.

unterthäniger und gehorsamster
Diener            
Georg Moritz Lowitz



Fußnoten

  1. Das geschah durch den Universitätspedell Johann Jobst Christoph Willig (1726-1813). Zu ihm siehe: Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien. Göttingen: Vandhoeck & Ruprecht 1996, S. 512.
  2. Insinuation: Datum der Eingabe des Schriftstückes. Auf dem Dekret vom 18.10.1766 steht der 22.10.1766 als Termin der Einlieferung. Vgl. hierzu die Annotationes von Riccius zu diesem Brief.
  3. Christian Gottlieb Riccius (1697-1784) war seit 1747 Universitäts-Secretär und seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  4. Sporteln: Entgeld, das den Betreffenden für gerichtliche Handlungen zu verrichten war.
  5. Zu der Affaire um Wichmann siehe das Schreiben von Lowitz vom 16.06.1766.
  6. Abraham Gotthelf Kästner (1719-1800) war seit 1756 ordentlicher Professor der Naturlehre und Geometrie in Göttingen. Von 03.07.1666-03.01.1767 war er Prorektor der Göttinger Universität.
  7. Dieses Schreiben ist nicht überliefert.
  8. Acta prout jacent: Die Akten, sowie sie liegen bzw. die Akten, sowie sie vorhanden sind.
  9. Georg Heinrich Ayrer (1702-1774) war seit 1736 Juraprofessor in Göttingen, 1743 ernannte man ihn zum Hofrat.
  10. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  11. Vgl. den Brief von Lowitz an die Landesregierung vom 02.09.1765
  12. Vgl. das Schreiben der Landesregierung an Lowitz vom 16.10.1765, Universitätsarchiv Göttingen: D-23-9-1. Bl. 22r-v.
  13. Johann Stephan Pütter (1725-1807) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
  14. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.