Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Balck, Heinrich Eberhard (1705-1769)[1]
Ort Hannover
Datum 2. September 1765
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 8213, Bl. 134r-149r
Transkription Hans Gaab, Fürth


Königlich Groß Britannische zur Chur=
fürstlichen Braunschweig-Lüneburgischen Re-
gierung Hochverordnete Herren geheimte Räthe.

Hochgebohrne Freÿherren
gnädigste und Hochgebietende Herren !

Ew: Hochgebohrnen Excellentzien wundern sich nicht, daß ich mich unterfange, um meiner Sache willen, die höchst Dero äußerstes Mißfallen auf die gerechteste Art verdienet, abermahls meine unterthänigste Vorstellung einzureichen. So unwürdig und niedrig auch der Gegenstand dieser unangenehmen Sache ist, und so nahe Sie auch ihrem Ende zu seÿn scheinet;[2] so verdienet solche dennoch, wegen ihrer außerordentlichen Beschaffenheit, und wegen deren wichtigen Folgen, vor deren Endigung, alle mögliche Aufmercksamkeit und Überlegung. Es ist diese der schon seit dritthalb Jahren in Göttingen beÿ der Georg-Augustus-Universität dauernde verhaßte Pasquillen=Process,[3] der mich nicht allein um Ew. Hochgebohrnen Excellentzien höchste Gnade: um die Gesundheit meines Leibes: um meine Gemüthsruhe: sondern auch, welches mir das beste und liebste in der Welt ist, um meine Ehre und um meinen guten Nahmen gebracht hat.

Ew. Hochgebohrnen Excellentzien haben in einem höchst zu verehrenden Rescripto an die Universitaets Deputation in Göttingen, vom 10ten Maÿ 1764 zu befehlen geruhet, mir eine kurtze peremtorische[4]

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Frist, zur Einbringung meiner Defensions-Schrifft zu bestimmen; in einem Decreto von eben diesem Dato aber mir die Mittheilung derer, zu denen Acten gehörigen vornehmsten und wichtigsten Stücke, nemlich: die beÿden Rechtlichen=Gutachten,[5] und die gerichtlich rubriciten dringenden Vorstellungen derer Hoff=Räthe Aÿrer[6] und Michaelis[7] die sämtlich nach aller Rechtsgelehrten ihren Erkenntnißen Haupttheile dieser Pasquill-Acten sind, auf das ungnädigste abgeschlagen, und mir dadurch den Weg zu meiner gründlichen Defension mit Gewalt versperret. Denn da ich ohne dieselben meine Feinde nicht leichte rechtlich verfolgen, und sie zur gerechten Genugthung zwingen kan; so ist es mir unmöglich von meiner Forderung abzustehen; sondern ich muß solche nach dem Wege Rechtens so weit suchen, als es die Gesetze erlauben. Der HoffRath Meister giebt mir im Zweyten Theile seiner Einleitung in den Peinlichen Process[8] § 51. selbst das Recht diese zu fordern, wenn Er also schreibt:

  ....... findet der Defensor die Acten unvollständig, so muß er auf die Ersetzung der Mangelnden Stücke dringen, hat der Richter unbefugter Weise einige Blätter verschloßen, welches bisweilen geschiehet, so ist er verbunden sie eroffnen zu laßen.
  Thoenicker C. S. S. 19[9]

Ich will den schon einmahl geführten Beweiß, der nunmehr durch die Gnade Ew. Hochgebohrnen Excellentzien wieder mein Hoffen zu denen Acten gekommen ist, hier nicht wiederholen: sondern nur so viel anführen, daß die Entschuldigungen; die Rechts=

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gutachten, wären nicht partes Actorum geworden, und hätten nur bloß zur Information einer berühmten Universitaet gedienet; ferner die dringenden Vorstellungen, derer Hoff=Räthe Ayrer und Michaelis wären nur privat Briefe deren communication niemand verlangen kan, mehr für als wieder mich sind. Denn daraus würde erhellen, daß man Bedencken träget, die Vorschrifft des gantzen Verfahrens, und den Grund derselben, worauf sich die damit gesendeten Königl. Regierungs Rescripta so wohl als alle die wichtigsten Registraturen in den Pasquill Acten beziehen, und worauf auch die Richter selbst stets beÿ mir und andern Personen mündlich sich gestützet, daß sie keinen Schritt ohne diese Rechstsgutachten gethan haben, einsehen und beurtheilen zu laßen. Es scheinet daraus, daß diese Rechtliche Bedencken auf verschiedene privat Briefe, und insbesondere das Letztere von diesen, auf die so berüchtigten dringenden Vorstellungen derer Hoff=Räthe Ayrer und Michaelis begründet sind, die solche wichtige Unwahrheiten und Verschwärtzungen in sich enthalten müßen, welche den Verfaßer dieser Rechtsgutachten, und auch selbst Ew: Hochgebohrnen Excellentzien davon überzeugen solten, daß ich ein Mensch von bösen Leumuth; ein Mann zu dem man sich der That versehen könne, u. d. g. seÿn. Die mir erst am 15ten Maÿ dieses Jahres laut der Vidimation[10] des Profess. Riccius[11] mitgetheilten Königl. Regierungs Rescripta in dieser Sache, an die Universitaets Deputation, und unter andern das Post Scriptum vom 10ten Maÿ 1764. überzeuget mich vollkommen davon, indem Ew: Hochgebohrnen Excellentzien folgender Gestalt sich auszudrücken geruhet haben;

  auch günstige gute Freunde haben Wir um
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  alle Gelegenheit zu queruliren zu benehmen zwar nach Innhalt der den Profess. Lowitz ertheilten Resolution verstattet, daß dem Profess. Lowitz von denen Vorstellungen der HoffRäthe Ayrer und Michaelis extractus, mitgetheilet werden könne. Es ist aber aus denselbigen, wie Ihr selbst Ermeßen würdet, alles dasjenige was darinnen anzügliches enthalten, oder zu seiner Wißenschaft zu bringen unvonnöthen ist, um desto mehr weg zu laßen, da diese Vorstellungen eigentlich privat Briefe sind, deren Communication niemand verlangen kan. Ut in Rescripto[12]

Dieses P.S. gantz alleine überzeuget schon einen jeden, daß in denen dringenden Vorstellungen würcklich Anzüglichkeiten enthalten sind, und daß auf sie das Rechtsgutachten welches mit dem Königl. Regierungs Rescripte vom 22ten August 1763 an die Universitaets Deputation

zum Behuef des weiteren Verfahrens

gesendet worden, muß gegründet seÿn. Denn die dringenden Vorstellungen sind am 20ten Junii geschrieben worden.[13] Die Einrichtung der Registraturen und übrigen Beschaffenheiten der gantzen Gerichtlichen Acten beweisen also, es seÿn das gantze Verfahren der Deputation beÿ diesem Processe in denen besagten Rechtsgutachten, die doch nun mehr gäntzlich unterdrückt werden wollen, vorgeschrieben. Allein es ist unmöglich zu glauben, daß einen Richter als so vorzüglich berühmten Leute, die sich Lichter und Lehrer der Welt nennen, die gantze Quartanten[14] vom Criminal-Processe schreiben; die das Heil. Römische Reiche überreden wollen, ein Römischer König müße, ob er schon einmahl gecrönet ist, wenn er Kaÿser wird, noch einmahl

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gecrönet werden, u.s.w. daß, sage ich diese berühmten Männer einer Vorschrift solten gefolget sein, die so offenbahr wieder die Peinliche Halß-Gerichts Ordnung Caroli V, und noch mehr wieder die Königl. Criminal Instruction lauffe, welche letztere ich nur für die eintzige und wahre Vorschrift der unpartheÿischen Justitz Chur Hannöverischen Gerichten zu halten und zu erkennen schuldig bin. Es sind also diese Rechtlichen Bedencken entweder nicht denen Gesetzen gemäße abgefaßet, oder die Universitaets Deputation hat denen darinnen enthaltenen Vorschrifften gantz und gar nicht gefolget. Das Erstere ist unmöglich zu vermuthen. Das letztere aber ists was man zu glauben gezwungen wird, so bald man nur die Pasquillen Acten mit flüchtigen Augen durchgewandert hat. Es komt also in meiner künftigen Defension nicht so wohl auf den Beweiß meiner reinen Unschuld an: sondern vielmehr darauf, die Gottlose und straffenswürdige Bosheit, meiner wieder mich verschworenen Feinde zu entdecken: das ungerechte Partheÿische und ungetreue Verfahren der Universitaets Deputation gegen mich zu entwickeln; die sämtlichen Nullitaeten[15] dieses Processes auseinander zu setzen und den Quellen derselben nach zu spüren: insbesondere aber die Actio de Syndicatu contra judicem[16] zu begründen. Denn ich bekümmere mich wenig darum, von einem so elenden Verdacht den meine Feinde gegen mich erreget haben los gesprochen zu werden; da gewiß kein eintziger vernünfftiger Mensch der mich persönlich kennet, und keiner der die Anzeigen gelesen hat, den geringsten Argwohn

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gegen mich in seinem Hertzen faßen werde: denn in diesem Betracht könte ich getrost die Acten so wie sie da liegen von meinen Richtern zum Spruch Rechtens verschicken laßen; und von dem ausfallenden Urtheile bin ich schon verschiedentlich überzeuget. Aber darum bekümmere ich mich Ew: Hochgebohrnen Excellentzien Einestheils dasjenige Ungeheuer in Göttingen kuntbar zu machen, welches einen jeden Ehrlichen Mann der sich nicht mit Füßen untertreten läßet, auf das grausamste verfolget und unter dem Schein des Rechtes in das größte Unglück zu stürzen immer fort bereitet ist: Anderntheils aber, zu beweisen, daß meinen Richtern gantz und gar nicht daran gelegen war, den Verfaßer derer unwürdigen Schand Schrifften zu entdecken: sondern vielmehr nur mich ex officio zu beschimpfen und zu reitzen, meinen Abschied aus Göttingen zu nehmen, damit sie ihre Absichten in Gesellschaft meiner Feinde erreichen können. Denn ich bin verschiedenen von ihnen schon lange ein Dorn in den Füßen gewesen. Fürnemlich bin ich gezwungen mathematice zu beweisen daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, es seÿen alle bis jetzt noch fortdaurende Pasquillen selbst aus dem Mittel der beim Anfange diese Unfuges bestandenen Richtern hergefloßen: oder doch zum wenigsten daraus veranstaltet worden. Das sind in der That, sehr harte Beschuldigungen gegen Männer, welche

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das unendlich große Glück sich zu erwerben wusten, Ew. Hochgebohrnen Excellentzien gnädigstes Zutrauen sich rühmen zu dürffen. Allein was kan ich dafür, daß sich die Sache würcklich also verhält! Warum haben meine verblendeten Feinde theils aus Übereilung, und theils aus Zuversicht daß diese Sache nicht so weit kommen werde als sie gekommen ist, mich so weit getrieben? Warum haben sie nicht alle Regeln der falschen Klugheit angewendet, ihre Handlungen stärcker zu übertünchen und alles aus dem Wege zu räumen, welches die Ursache derselben verrathen konte? Warum haben sie endlich nicht eine noch stärckere Mauer davor gebauet, damit das Licht der Wahrheit nicht darauf zu dringen vermögend gewesen wäre? Meine Feinde haben sich also alles selbst zuzuschreiben was auch für Folgen daraus entstehen werden. Denn da ich in diesem Processe alle mögliche Beschimpfungen und Mißhandlungen, dergleichen gewiß noch niemahls einem Köngigl. Bedienten ist angethan und erwiesen worden, auf Ew. Hochgebohrnen Excellentzien Verfügungen geduldig und gelaßen ausgehalten habe; und da meine Feinde wie die Acten zeigen, überflüßig weitläuftig auch immerfort und sehr lange sind gehöret worden; so können Ew: Hochgebohrnen Excellentzien unmöglich so ungnädig seÿn, und mich nicht auch eben so lange, und eben so umständlich und genugsam anzuhören. Meine Feinde haben ihre Zeugen beeÿdigen und mit mir confrontiren laßen. Jetzt ist die Reÿhe an mir, daß ich auch Zeugen wieder sie, aber keine so wiedrigen Creaturen, sondern Männer ihres gleichen dem Stande nach: ja sie selbst zu meiner Defension aufführen und eÿdlich abhören laßen darf.

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Ew. Hochgebohrnen Excellentzien sind, wie es durchaus die Pasquillen Acten zeigen, theils durch die mit feindseeligen vergalleten Gemüthe abgefaßten falschen Partheÿischen und ungetreuen Berichten der Universitaets Deputation /: doch ich wil diesen Ehrwürdigen Nahmen, beÿ Benennung meiner rasenden Feinde und ihren Helffers Helffern nicht mehr mißbrauchen und beschimpfen :/ und derer dringenden Vorstellungen der Hoff=Räthe Ayrer und Michaelis gegen meine Persohn dergestalt praeoccupiret worden, daß Hochdieselben für gut befunden haben, mir die zwar unjuristisch aber doch deutlich erbetene Defension pro avertenda[17] inquisitionis specialis, wie auch ferner die Commission wegen meines gleichfalls unjuristisch eingewendeten Verdachts gegen meine Richter, auf das ungnädigste abzuschlagen; und mich dadurch gezwungen, in einen Process einzutreten, darinne ich mich ohne Gnade und Barmherzigkeit von meinen verschworenen Feinden recht nach ihres Hertzens Wunsch und Lust mißhandeln laßen muste. Wenigstens suchten diese, so öffentlich unruhigen Köpfe durch das ungestühme wiederrechtliche Zudringen an Ew. Hochgebohrnen Excellentzien, zu wiederholten mahlen, Vorstellungen zu thun, mir, ohne mich zu hören, /: denn man hat mich bis hieher noch nicht gehört :/ das purgatorium[18] an zu befehlen, und damit dem Verfahren meiner Feinde einen Schein des Rechtes zu geben, und mich wenigstens dadurch zu beschimpfen, daß sie alsdenn sagen könnten, ich hätte mich loß geschworen, weil ich mich nicht Defendiren kan. Ferner auch darum damit mir die Eingefä-

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delte Bosheit meiner Feinde unbekandt bleiben solte, auf daß ich ihnen am Ende nicht zu Leibe gehen könte. Denn sie sahen sehr geschwinde ein, daß sie so wohl an Ew. Hochgebohrnen Excellentzien gerechte und langmüthige auch gnädige Richter finden: als daß auch ich standhaft bleiben, und wegen meiner ihnen vorher schon selbst bekandt gewesenen Unschuld, vor einer Untersuchung nicht erschrecke die ich getrost aushalten wolte. Die Absicht meiner Feinde war, mich durch diese verläumderischen Anstalten beÿ Ew. Hochgebohrnen Excellentzien dergestalt verdächtig zu machen, um mir wenigstens in der ersten Hitze nichts geringers als eine bekandte fälliche beÿ Straffe des Stranges angekündigte schleunige Räumung des Landes zu Wege zu bringen. Diese Absicht ist ihnen nicht allein zu Waßer, sondern auch selbst ihr Process dadurch so sehr verdorben worden, daß sie selbigen nicht mehr ins Geleiße bringen konnten. Aus dieser Quelle floßen alsdenn alle unschicklichen und Rechtswidrigen Nullitaeten dieses Processes her, die nunmehr zur äußersten Verunglimpfung der hiesigen Königl. Justizpflege in denen Acten so offenbar liegen, daß man solche mit den Händen greiffen kan.

Ew. Hochgebohrnen Excellentzien geruhen gnädigst diese harten Ausdrücke gegen meine Richter mir nicht als einen Mangel der Hochachtung gegen das Judicum selbst, anzurechnen. Ich kenne die Pflichten eines rechtschaffenen Mannes viel zu genau, als daß ich eine so niedrige Gedenckungs Art äußern solte, wie diejenige

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wäre, wenn ich meine Richter mit Ungrund da die Acten, welches ihre Arbeit ist, vor Augen liegen, so grober Fehler beschuldigen wolte. Ich kan das Gerichte von dem Richter, oder überhaupts, das Amt von seinem Verwalter sehr wohl unterscheiden. Ich bin dem Gerichte alle mögliche Hochachtung und Unterwerffung schuldig: und ich verehre auch daßelbe von Hertzens-Grunde. Denn durch die Hülfe des Gerichts muß ich in dieser verdrießlichen Sache zu meinem Rechte und zu meiner Genugthuung gelangen. Für den Richter aber kan man von mir kein größere Hochachtung fordern, als die der Beschaffenheit und Richtigkeit seiner ausgeübten beschwornen Pflichten gemäß ist. Wenn derjenige eines strafbahren Mangels der Hochachtung gegen das Gericht zu beschuldigen wäre, welcher von dem Richter beweiset daß derselbe einem Amte und seiner Pflicht kein Genüge geleistet habe; zumahl wenn er noch dazu durch ihn selbst in den Stand gesetzet wird es aus denen gerichtlich abgehandelten Acten außer Widerspruch zu setzen; wie viel straffälliger würde selbst der in Göttingen so genanndte große Criminaliste HoffRath Meister seÿn welcher ohngeachtet der guten Vermuthung, die ein Richter, aber nur im Zweiffel vor sich hat, daß er seinem Amte oder Pflicht nie Genüge geleistet habe, dennoch nicht nur von der Möglichkeit, sondern gantz offenhertzig von der Würcklichkeit solcher Richter im 2ten Theile 1 Sect

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8 Cap: § 36[19] seines Peinlichen Processes mit trockenen Worten schreibet:

  Es beruffet sich zwar der Herr von Leyser[10] auf die Schuldigkeit des Richters alles dasjenige so dem Inquisiten zu statten komt, sorgfältig zu bemercken und Gebrauch zu machen: allein umsonst. Der Richter ist ein Mensch; er kan sich also durch Affecten beherrschen laßen die dem Inquisiten zum größten Nachtheil gereichen: Er kan ihm aus Bosheit die Mittel zur Vertheidigung abschneiden: er kann zu unwißend am Verstande zu schwach seÿ, die Vertheidigungsgründe, zu sammlen, um zu sehen, zu gebrauchen.
  Der Einwurf: daß die Acten von dem Unterrichter, an ein höheres Dicasterium[21] oder an auswärtige Rechts=Gelehrten zum Spruch gelangen, hebt die Sache nicht auf. Man räume ein, daß die künftigen Urtheiler aus lauter gründlichen Rechts=Gelehrten bestehen; werden diese wohl im Stande seÿn über die Unschuld des Inquisiten gehörig zu urtheilen, wenn der Unterrichter diejenigen Gründe zur Defension, welche in facto vorhanden sind nicht zu den Acten gebracht hat?

In eben diesem Thone spricht der HoffRath Meister in § 53 dieses zweÿten Theiles:

  Es ist nicht nur möglich, sondern es geschiehet auch öffters, daß die zu des Inquisiten Vertheidigung hauptsächlich dienenden Umstände entweder gar nicht oder doch nur unvollständig in den Acten liegen. So wohl der Richter als der Beschuldigte können zu diesem Mangel Ge-
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  legenheit geben. Jener kan aus Unverstand oder Bosheit sich nur um dasjenige bekümmern, so den Inquisiten beschweret; von welchen ungerechten Verfahren, die Verhöre der Zeugen und des Beschuldigten nicht selten deutliche Merckmahle geben. Er kan ferner die im Gerichte würklich vorgekommenen vor den Inquisiten vortheilhafften Umstände nicht registriren laßen: er kan andere Nullitaeten begehen, davon aber in den Acten keine Spur zu finden ist.

Daß ist eine vortreffliche Beschreibung meiner Richter! Es ist nur schade daß der HoffRath Meister nicht an noch mehrere Vergehungen gedacht hat, die ich aus meinen Acten anzeigen werde. Er kan in Zukunft diese beÿden Absätze seines Criminal Processes bei der zwoten Auflage mercklich erweitern: Zumahl da auch von mir ein eigenes Capitel von solchen vorzüglichen Eigenschafften eines würcklichen Actuarii,[22] aus eben diesen Acten für meine Defension deduciret wird.

Ew. Hochgebohrnen Excellentzien glauben nicht, daß ich meinen Richtern, oder beßer meinen Feinden zu viel thue. Es liegen beÿ denen Pasquill Acten von mir schon so viele Schrifften, darinnne ich ihnen unterschiedliche Vergehungen wieder die allgemeinsten Gesetze, und wieder die Ordnung des Proceßes, vorrücken muste; welche sämtlich anzeigen daß sie die gerichtlichen Handlungen entweder nach eigenen Gefallen die ihren Absichten gemäße waren; oder aber aus Nachläßigkeit; oder gar wegen würcklichen Mangel deren Erkentniße also vorge-

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nommen haben. Es ist in der That eine wahre Schande für meine Richter, daß sie sich beständig von einem der Rechten gäntzlich unerfahren Inquisiten musten erinnern; aufreiben; und zu Rechte weisen laßen. Und dennoch ist einer oder der andere von diesen Männern ein Beÿsitzer in der Hochlöblichen berühmten Juristen Faculatet !

Ich würde alle diese Beschaffenheiten der in Göttingen verhandelten Acten nicht eingesehen und bemercket haben, wenn sie mir nicht von berühmten Rechtsgelehrten wären angezeiget, und Deductiones darüber mitgetheilet worden; die ich zu seiner Zeit wenn es die Umstände erfordern, bekandt zu machen habe. Es ist auch nicht zu verlangen daß Ew. Hochgebohrnen Excellentzien sich in solchen confusen und weitläufftigen Acten umsehen sollen, um das was ich wieder solche einzuwenden habe, selbst einzusehen. Noch unbilliger aber würde es seÿn, zu fordern, daß Ew. Hochgebohrnen Excellentzien mir unmittelbahren Glauben beÿmeßen solten. Da es nun aber an dem ist, daß ich meine Defension zu denen Acten bringen soll, und da mir die Rechte verstatten, nach der Criminal-Instruction Cap: 7, § 6.[23]

  den Inquisitions Proceß ex Nullitatibus und befundenen unrechtmäßen Verfahren anzufechten und zu disputiren ohne herbe und ungebührliche Antastung des Gerichts:

Da auch ferner die Acten so eingerichtet sind, daß daraus scheinet als wenn das gantze Verfahren in dieser Sache bloß allein von Ew. Hochgebohrnen Excellentzien vorgeschrieben und verfüget worden wäre: Mithin würden meine Feinde fortfahren, zumahl wenn die Rechtlichen Bedencken und die dringenden Vorstellungen länger zurück gehalten werden, sich hinter den Höchst verehrungswürdigen Nahmen Ew. Hochgebohrnen Excellen-

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tzien zu verstecken, um mir dadurch die Eröfnung des Weges zur Gerechtigkeit schwer zu machen. Deswegen hatte ich mir schon lange vorgenommen, aber meiner und meiner Familie langwierige Kranckheiten wie auch der Todt meiner Frau,[24] hinderten mich bis jetzt, eine Reise hieher vorzunehmen, um alles anzuwenden, damit Ew. Hochgebohrnen Excellentzien von der gantzen Beschaffenheit in dieser Sache unterrichtet werden. Zu gleicher Zeit wolte ich mir die Freÿheit nehmen Ew: Hochgebohrnen Excellentzien ohnmaßgebliche Vorschläge zu thun, wie in dieser unangenehmen Sache denen Rechten nach weiter zu verfahren wäre, damit dieser Proceß ein solches Ende gewinne, welches der Ehre Ew. Hochgebohrnen Excellentzien als Oberrichter in dieser Sache, gemäß seÿn wird. Ew: Hochgebohrnen Excellentzien waren so gnädig, durch einen in dieser Sache mündlich gemachten Vortrag mich an eine Persohn zu verweisen, die mich nicht allein gütiger aufnahm als ich zu vermuthen Ursache hatte, sondern sie ertheilte mir, nach dem Schluße meiner Erzählung derer Umstände, den guten Rath alles in eine schrifftliche Vorstellung zu bringen und solche unmittelbahr an Ew: Hochgebohrnen Excellentzien zu richten. Ich suche also darin nichts andres als den ungehinderten Lauf der Justiz: und ich hoffe in dem festestem Vertrauen, das mir diese Gerechtigkeit nicht abgeschlagen werde! Es wäre würcklich eines der grösten Verbrechen, nur zu dencken, daß Ew: Hochgebohrnen Excellentzien die Unschuld, welche sich unter der schwersten Last wider auf ihr liegenden großen und mächtigen Feinden hervor zu wältzen bemühet, und unter dieser Last seufzend erhalten und dagegen der offenbahren Bosheit beÿ stehen sollen ! Nein, daß ist von einer so weisen und gnädigen Regierung welche das Zutrauen unsers grösten und besten Königes in der Welt höchst würdig ist, nicht zu vermuthen. Die vielen und wichtigen Stattsbeschäftigun-

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gen und die glückseelige Regierung des Ruders am Regimente machet, das höchst dieselben keine Zeit übrig haben, solchen unangenehmen Streitigkeiten von dieser Art, einige Aufmercksahmkeit zu widmen: ob schon die Ehre der hiesigen JustizPflege genau damit verbunden ist.

Nachdem ich nun die Beschaffenheit des Pasquillen Processes überhaupt vorgestellet habe, so leitet mich dieses auf meine darauf gebaueten gerechten Bitten: Die ich mir die unterthänige Freÿheit nehme zur gnädigsten Erhörung vor Ew: Hochgebohrnen Excellentzien zu bringen.

I

Das Hauptwesen von meiner Defension ist die Abhörung meiner Defensional Zeugen, welche verschiedene Dinge in denen eingegebenen Anzeigen theils wiederlegen, theils beßer erläutern, und aus der Dunkelheit darine sie meine Feinde recht mit Vorsatz gestecket, ferner ziehen und ins helle Licht bringen müßen. Durch andere Zeugen sind Dinge zu den Acten zu bringen, die mit Fleiße sind heraus gelaßen worden, und die doch zur Entdeckung meiner Unschuld dienen. Andere Zeugen müßen verschiedene Vorgänge beim Gerichte, die man nicht zu denen Acten gebracht hat, beweisen, u. d. m. Da nun alle diese Anstalten unsren Theils meine Richter selbst angehen; und sie folglich alle Mühe anwenden würden um den Verdacht gegen mich, worauf sie so unbedachtsam mit der Special-Inquisition zu gefahren sind, in seiner Kraft zu erhalten damit sie sich mittelst demselben gegen die Verantwortung schützen können: so ist offenbahr daß ich diesen Männern meine Defensional Articul überhaupt, noch viel weniger diejenigen, worauf die beiden wieder mich beeÿdigten Zeugen zu meiner Defension abgehöret werden müßen, nicht

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anvertrauen kan: ob schon die Rechte erlauben, daß ich eine beeÿdigten Protocollisten für mich der Abhörung beÿfügen darf. Denn meine Richter verriethen ihre ungerechten und falschen Gesinnungen in diesen Puncten, schon längst in einem Berichte, welchen sie in der Civil-Sache, von dieser Pasquillen Sache ad Augustissimum[25] zu des Judicii äuserster Verunglimpfung abgefaßet haben. Um dieser gerechten Ursache Willen werden Ew: Hochgebohrnen Excellentzien unterthänigst von mir gebethen:

  Zu seiner Zeit wenn die Defensional-Articul zu meiner Deduction werden abgefaßet seÿn, in Göttingen eine Commission von zween oder mehrern Rechtschaffenen, derer Rechte Erfahrnen, und weder mit mir, noch mit meinen Feinden in einiger Verbindung stehenden Männern, nebst Beÿfügung eines geschickten Protocollisten, mit Zulaßung eines beÿ dem dortigen Gerichte immatriculirten und von mir bestellten Notarii, wieder setzen, und durch diese Commission alles was ich nöthig haben werde, zu den Acten bringen zu laßen.

Ich erkläre mich zum voraus hiermit, daß die etwa dadurch verursachten Kosten, die ich nicht verlange daß sie dem Judicio zur Last fallen sollen, entweder nach geendigter Commission auf Ew: Hochgebohrnen Excellentzien Ober=Richterliches Ermessen zu bezahlen, oder zum voraus mir zu bestimmende Summe wohin es verlanget wird, zu deponiren.[26] Da nach der Königlichen Criminal-Instruction die Inquisitionen zu allen Zeiten von dem Unter=Gerichten ab, und an die Königliche Justitz Cantzeleÿ gezogen werden können: und da dieser Proceß schon so weit geendet ist, daß der Unter=

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Richter nichts mehr in dieser Sache zu thun hat, als künftig einmahl die Urthel[27] zu publiciren: über diese auch nur einige Hülfs Mittel zu denen Acten durch den Weg der Commission zu bringen sind. So ist nicht zu vermuthen, daß Ew. Hochgebohrnen Excellentzien in der gnädigsten Gewehrung dieser gerechten Bitte einigen Umstand nehmen werden. Es hat die Universitaets Deputation ohnehin in dieser gantzen Sache wie die Acten zeigen, bald als Richter, bald als Commissarius, bald aber als keines von beiden gehandelt.

II.

Als ich beÿ meinem ersten Verhöre auf Articul vernommen wurde /: es war dieses kein summarisches Verhör,[28] wie daß elende und falsche sub Nro 33 liegende Protocoll vom 23ten August 1763. eingerichtet ist: denn ich bin von Articul zu Articul die mir der damahlige Prorector Magnificus von Papiere vorlaß, befraget worden :/ so erwehnten die Richter unter andern den Verdacht der aus denen Anzeigen blicken soll, als hätte ich dadurch die Köchin des Stallmeisters aus deßen Dienste zu bringen gesucht.[29] Auf dieses, antwortete ich, das dieser Verdacht deswegen ungegründet, ja unendlich lächerlich wäre; weil dieselbe Köchin auf so vielerleÿ Arten mit meiner Frau und mit mir verbunden ist, daß wenn ich es erzählen darf, die Richter selbst zuerst darüber lachen werden. Der Hoff=Rath Meister, verlanget es zu wißen. Ich erzählte darauf nur diejenigen Umstände die zur Erläuterung der Sache nothwendig schienen nemlich: daß dieses Mädgen an uns ihre einzigen guten Freunde habe; daß sie schon verschiedene Jahre Jahre beÿ uns diente; und daß sie würcklich schon wieder im damahls vorigen Octobr: Monath 1762 dieses Verhör auf Articul, geschahe am 23. August 1763. zu meiner

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Frau als ihre künfftige Haushälterin vermiethet ist, das Mieth Geld darüber in den Händen habe; und auf künfftiges Michaelis würcklich ihren Dienst antreten wird. Der HoffRath Meister sagte das ist nicht möglich; denn die Köchin hat anders gesagt. Ich wunderte mich darüber und bath die Richter inständigst, daß sie diese Sache also bald mit untersuchen sollten, nachdem ich ihnen alle nöthigen Erläuterungen darüber gegeben hatte. Der Herr HoffRath Meister schlug es mir mit dem mündlichen Bescheide ab: es wäre dieses eine Civil Sache, und sie gehörte nicht zum Peinlichen Proceße. Ich möchte also darüber nur mit einer Civil Klage einkommen: so würde diese Sache auf denselben Wege untersuchet und entschieden werden. Von dieser Unterredung befinden sich zum Glücke für mich, einige unverständliche und verdunckelte Spuhren indem mit Unrecht so genandten Summarischen Verhör vom 23ten August 1763. Ich überreichte also auf Befehle meiner Richter, dem damahligen Herrn Prorector, welches der HoffRath Pütter[30] war, am 3ten Sept: 1763. die mir aufgetragene Klage, und zum Überfluß stelte ich Ihm zu seiner nähern Erlernung, die für meinen Advocaten[31] zur Verfertigung dieser Klag=Schrift von mir aufgesetzte Species-Facti zu, die der HofRath Bitter[32] nachher mittelst einer Überschrift von seiner eigenen Hand ex officia zu denen Pasquill Acten sub Nro 37. geleget hat. Zu dieser Species-Facti ist nur so viel von der Verbindung dieses Mädgens mit meinem Hause ausgeführet als nöthig zu sein schiene die beÿden Fragen zu entscheiden: 1.) Ob diese Köchin schon zu Ende des Octobris vorigen Jahres, da sie noch nicht eine Wochen aus unseren Diensten in des Stallmeisters Diensten gestanden, als Haushälterin von meiner

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Frau gemiethet gewesen ist? und 2.) Ob diese Köchin schuldig und gehalten ist, künftigen Michaelis als dem auf die Klage folgenden, 29ten Sept: ihrer Verbindung nach wieder zu uns in den Dienst zu treten. Indem, es war also bald einzusehen, das meine Feinde diesen gantzen Pasquillen Unfug blos deswegen veranstaltet und fortgesetzt haben, um die ihnen nicht unbekandt gewesene Verbindung dieser Köchin mit meinem Hause zu zerreisen, und uns dadurch selbst in Feindschaft gegen einander zu setzen. Gleich wie nun an allen Orten wo ich je gewesen bin, dergleichen Klage als eine Policeÿsache angesehen, und stehenden Fußes summarisch vor der Schrancke in denen Policeÿ=Amtern entschieden wird, so machten vielmehr meine Richter einen weitläuftigen und Zeit und Geld versplitternden Proceß daraus, deßen Ende man zum grösten Verdruß und Schaden meiner Frau nicht sehen konte. Selbst dieser Umstand beweiset die Partheiligkeit meiner Richter denen Absichten meiner Feinde auf alle mögliche Arten zu Hülfe zu kommen, und beÿ zustehen. Der HoffRath Bitter rieth meiner Frau, die ihn persöhnlich um Rath fragte sie solte der beklagten Köchin lieber Eyde deferiren,[33] welches kürzer ginge, als das was die Köchin ableugnete, durch Zeugen zu erweisen. Dieser gut scheinende Rath, wurde befolget: und erst nach verschiedenen und beschwerlichen Verlängerungen folgte endlich am 15ten Nov: 1763 ein Decret von der Universitaets Deputation dessen Inhalts:

  daß gegenwärtige Civil-Klage bis zur Endigung der Pasquillen Sache als causae criminalis et praejudicialis,[34] in suspenso[35] zulaßen seÿ, worauf sodann in derselben p.

Hierauf wurde ad Augustissimum appelliret,

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und ohne mich weiter auf etwas mehr Erläuterndes als was zur Entscheidung der Haupt=Frage gehöret, einzulaßen, erfolgte auch von daher auf meine, allen andern oben schon characterisirten Berichten der Pasquillen Sache ähnlichen Bericht der Deputation, für die allerunterthänigst nachgesuchte Reformation dieses Decretes, eine Verweigerung. Da nun die Acten dieses Proceßes allen Umständen nach von denen Pasquillen Acten unzertrennlich sind, so hat die Deputation mir schon öffters privatim zugesaget, /: wie ich mich auch einige mahle in meinen eingereichten Exhibites die beÿ denen Pasquill Acten liegen, auf diese Zusage beruffen habe :/ daß sie denen letzteren sollen beÿgeleget werden, insonderheit aber hat mich dieses Gericht deswegen öffentlich in einem Decreto vom 5ten Novembr. 1764[36] welches beÿ denen Pasquill Acten anzutreffen ist an Ew: Hochgebohrnen Excellentzien mit folgender Resolution verwiesen:

  Was hiernächst deßelben Ansuch wegen herbeÿ Schaffung der Acten seiner wieder den Stallmeister Aÿrer und die Beckerin erhobenen Civil-Klage anbetrift, in welcher derselbe ad Augustissimum adpelliret, und deren Zurücksendung hat derselbe beÿ Königl. Landes-Regierung selbst gebührend nach zusuchen.

In Betracht das diese Acten schon selbst von dem mir aufgebürdeten Verdacht mich befreÿen, und mir also zu meiner Defension sehr viel an denenselben gelegen ist; so werden Ew. Hochgebohrnen Excellentzien unterthänigst von mir angeflehet!

  diese besagten, Lowitz contra Ayrer et consorten rubricirten Acten aufsuchen,
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  und denen in Göttingen vorhandenen Pasquill Acten beilegen; mir aber durch die Universitaets-Deputation in Göttingen, oder anderst woher, die Art dieser Beÿlegung anzeigen zu laßen; damit ich mich in meiner künftigen Deduction zur Bequemlichkeit des künftigen Referentens, Richtig darauf beziehen könne.

III.

Aus denen oben und auch schon anderswo in Actis angeführten Gründen ist klahr, daß die Eröffnung derer übrigen noch zurück behaltenen Acten Stücke des Pasquill Proceßes, als nemlich: die beÿden mit Königl. Regierungs Rescripten an die Universitaets Deputation gesendeten Rechtsgutachten, wie auch die beÿden dringenden Vorstellungen derer HofRäthe Ayrer und Michaelis, welche theils die Gründe des Verfahrens, theils aber die auf diese Gründe gebaueten Vorschrifften des Verfahrens in sich enthalten, der Gerechtigkeit gemäß ist: Daher ohne mercklichen Nachtheil der Ehre des Judicii nicht länger verschloßen bleiben können, deswegen nehme ich mir um dieser wichtigen Ursache willen, abermahls die Freÿheit Ew. Hochgebohrnen Excellentzien um höchst dero eignen Genuugthuung willen unterthänigst und dringend zu bitten:

  diese vier derer wichtigsten Acten Stücke, als nemlich die beÿden Rechtlichen Bedencken oder Rechtsgutachten, wie auch die beÿden dringenden Vorstellungen derer HofRäthe Ayrer und Michaelis nicht allein denen Gerichtlich verhandelten Pasquill Acten, sie damit vollständig zu machen, beÿ zulegen; sondern auch diese sämtlichen Acten Stücke von Gerichts wegen abschrifftlich zum nöthigen
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  Gebrauche bei meiner Defension mir mittheilen zu laßen.

Ew: Hochgeborne Excellentzien erweisen beÿ dem Zustande dieser schlimmen Sache, durch die erbethene Mittheilung dieser Schrifften, in Wahrheit sich selbst die eigene Gerechtigkeit: und es wird dadurch der Proceß vielmehr abgekürtzet als verlängert; indem ich ohne meinen grösten Nachtheil von dieser unterthänigsten Bitte und Forderung nach gestalt der Sachen nicht ablaßen darf noch kan. Die fernere ungnädige Abschlagung meiner gerechten Bitten würde mehr als eine Verweigerung der unpartheÿischen Justitz, als für eine Beförderung derselben anzusehen und zu erklähren seÿn: Da sich es meine Feinde und insbesondere die beÿden unruhigen HofRäthe Ayrer und Michaelis selbst zuzuschrieben haben, wenn aus den von Ew. Hochgebohrnen Excellentzien beÿ einer wahren unpartheÿischen Justiz Pflege freÿ gelaßenen Laufe der Justiz, etwas wiedriges auf sie zufließen solte: da es ihnen nicht befohlen war in dieser Sache das Amt eines Fiscals[37] zu verwalten, und auf die Fortsetzung eines Proceßes zu dringen, deßen schimpflichen Fortgang, Ew. Hochgebohren Excellentzien aus wichtigen und gerechten Ursachen zu unterbrechen gnädigst befohlen haben.[38] Die Universitaets-Deputation hat ja das niederträchtige und boshafte Schreiben des Armen Professor Koelers[38] sub Nro 28. denen Acten beÿ geleget und ihn also dadurch mir auf Discretion übergeben. Warum sollen meiner andern beÿden Feinde, die gewiß in Göttingen durch ihre Aufführung sich unendlich verhaßter als jener, gemacht haben, ihre Specimina prudentiae et Christianae[40] nicht auch die Acten zieren? Wird durch diesen Umstand die Ehre meiner Feinde verletzet, so bin ich noch

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viel weniger Schuld daran, als der Dornstrauch an der Verwundung einer Hand ist, die ihn mit einer flüchtigen Verwegenheit, heftig und geschwinde aus zu rotten suchet.

IV.

Da meine Erste unterthänigste Bitte auf die im Eingange angeführte Beschaffenheit des Proceßes, und den wahren Innhalt der Acten gegründet ist; von dem ich aber nicht fordern kan, daß meiner eigenen Relation geglaubet werden müße: so wollen Ew: Hochgebohrnen Excellentzien mir gnädigst Erlauben einen unmaßgeblichen Vorschlag wagen zu dürffen, wie, und auf was für eine Art, Höchst dieselben ohne viele Umstände kürtzlich zur Richtigen Erkenntniß der Beschaffenheit des Proceßes und der Acten gelangen können.

Es ist 1.) höchst erforderlich, weil der Proceß zur Satisfaction des Publici, und zur Ehre des Judicii sich enden soll, daß vor allen Dingen die sämtlichen Gerichtlichen Acten cum annexis von der Universitaets Deputation in Göttingen abgefordert und hieher zur Königl. Hohen Landes Regierung gebracht werden. Nach diesem wäre 2.) einem allhiesigen Rechtschaffenen und berühmten Rechtsgelehrten, der niemahls etwas mit diesem Proceße zu thun gehabt, noch auch weder mit meinen Feinden noch mit mir in einiger Verbindung stehe, aufzutragen in meiner Gesellschaft die gesamten Acten durch zu gehen, und sich alle merckwürdigen Umstände die darinnen vorkommen; alle Nullitaeten; alle Verdrehungen und Verfälschungen; alle Vergehungen, wieder die Königl. Criminal-Instruction als der eintzigen Vorschrift dieser Proceße; wie auch alle die Fehler wieder anderer Könige Landes Gesetze, und wieder

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die Proceß Ordnungen; die Partheylichkeiten, und offenbahre Feindseeligkeiten in denen Berichten; die auf einander Folgung der bis jetzt noch fortdauernden Pasquille, und der dabeÿ geführten gleichlauffenden Treibereÿ meiner Feinde, zur Inquisition; und tausend dergleichen andern aber eben so wichtige schöne Stücke; ferner, meine Gründe zur Defension und Anfechtung des gantzen Verfahrens, von mir zeigen zu laßen. Denn das ist nicht zu hoffen daß ohne mich auch der gröste Rechtsgelehrte diese confusen und weitlauftigen Acten in 3 Wochen durch studiren und alles selbst aus denselben einsehen und finden solte, was auf diese vorgeschlagene Art durch eine Beÿhülfe in zween oder höchsten in dreÿ Tagen mit Bequemlichkeit geschehen kan. Denn mir sind nunmehr diese Schand Acten durchaus so gut bekandt, als einen alten Professor sein Compendium ist, welches er selbst geschrieben und schon 10 Jahre darüber gelesen hat. Ich bin überzeugt meine Richter in Göttingen sehen diese Acten auf den Tisch liegend so gleichgültig an, als ich das Corpus Juris. Aber sie würden erschrecken wenn sie wüsten was für ein Schatz darinnen stecket. Es ist gewiß zu glauben daß der HofRath Meister diesen Proceß eben so wenig als ein Beispiel in seine Einleitung zum Peinlichen Proceße bringen wird, so wenig als zu vermuthen ist, daß er seine bekandte vorlängst geführte Defension eines Göttingischen Soldaten in Pto infante cidii[41] als ein Beispiel einer Defension darein rücken werde. Da nun auf diese leichte und sichere Art Ew: Hochgebohrne Excellentzien ehe ich mich defendire durch eine kurtze Relation von dem gantzen Proceße, und von den Gründen

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meiner Deduction die wahren Begriffe bekommen können, so unterstehe ich mich in tiefster Submission Ew. Hochgebohrnen Excellentzien unterthänigst zu bitten!

  diesem leichte auszuführenden Vorschlage ein gnädigstes Gehör zu geben, und 1.) veranstalten zu laßen, daß so bald es nur geschehen kan, die Acten von der Universitaets Deputation abgefordert und hieher gebracht werden.
2.) Einen hiesigen Rechtschaffenen Rechtsgelehrten der in dieser Sache gäntzlich unpartheÿisch ist, gnädigst aufzutragen mit mir gesellschaftlich diese Acten durch zu lesen, und sich von mir alles nöthige Anzeigen und Bemercken zu laßen; welcher
3.) endlich durch eine kurtze Relation Ew: Hochgebohrnen Excellentzien von denen Befunden und Umständen referiren kan.

Auch zur Ausführung dieses Vorschlags erbiethe ich mich die Kosten zu bezahlen, wenn es Ew: Hochgebohrnen Excellentzien für billig finden werden. Denn mir ist mehr daran gelegen daß diese Sache vollkommen auseinander gesetzet werde, als mein Leben. Ich will gerne mit zerrißenen Lumpen bedecket, mein Söhngen auf dem Arme und den Bettelstab in der Hand aus Göttingen an den Ort wo ich erwartet werde, zu Fuße gehen, als in Ew: Hochgebohrnen Excellentzien Augen, und in den Gedancken meines zukünftigen Souverains nur den geringsten Flecken auf meinen guten und ehrlichen Nahmen hafften zu laßen. Ich habe mich von meiner Kindheit an bis hieher in mein männliches Alter mit der äußersten Bemühung und unglaublichen Fleiße bestrebet, den Ruhm eines Ehrlichen und rechtschaffenen Mannes zu erwerben und zu

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erhalten. Ich bin keines Professors Sohn, viel weniger eines fürstlichen Cammer Dieners, und HofTrompeters Sohn, durch deren reichen Mittel und Unterstützungen ich mich bis zu der Höhe und dem Ansehen worauf und in welchem ich beÿ dem Anfange des niederträchtigsten Pasquillen Unfuges gestanden bin, hätte schwingen können. Mein Vatter war ein armer Handwercks Mann in einem Marckt=Flecken, der mir aber schon im vierdten Jahre meines Alters gestorben ist.[42] Meine Mutter, die noch jetzt in Nürnberg in hohen Alter, aber durch mich glücklich und vergnügt gemachet, lebet,[43] hat sich und mich durch mißseelige Tage Arbeiten so lange ernehren müßen, bis ich und zwar schon in meinem sechsten Jahre anfing durch meine Lern Begierde und besondern Fleiß mit allerleÿ kleinen obgleich kindischen Künsten wenigstens mein Brodt zu verdienen. Ich fing im neundten Jahre an, andere im Lesen Schreiben und Rechnen zu unterweisen; und im zwölften Jahre verschafte ich meiner Mutter durch meinen kleinen Verdienst ein ruhigeres Leben als sie vorhin hatte. Im dreÿzehnten Jahre legte ich mich auf die Ernsthafften Künste und insbesondere auf die Mechanick. Ich drängte mich an alle Persohnen, von denen ich Nachricht bekam daß sie Liebhaber und Kenner derer mathematischen Wißenschafften waren; diese lehnten mir an Büchern was sie hatten, und ich schrieb die gantzen Nächte die Bücher aus, und studirte deren Inhalt mit der grösten Begierde: und was ich auf diese Art mit dem eiffrigsten Fleiße lernte, suchte ich mir auch jederzeit theils durch die Ausübung theils aber durch die Anwendung nutzbahr zu machen um dadurch meinen Verdienst zu vergrößern, und mir selbst die nöthigsten Bücher und Instrumente, nach und nach anschaffen zu können. Im achtzehnten und neunzehnten Jahre meines Alters hatte ich schon verschie-

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dene Adeliche erwachsene Persohnen in meiner Unterweisung: und im zwantzigsten Jahre suchte mich die Homannische Geographische Officin in Nürnberg auf, als ihr meine kleinen Einsichten in die mathematische Geographie die ich damahls besaß, bekandt wurde: und überredete mich in ihr Hauß zu ziehen damit ich meine Arbeiten und Bemühungen beßer anwenden und fortsetzen könte. In diesem Jahre fing es an viel ernsthaffter mit mir zu werden: und die Bescheidenheit verbiethet mir von meinen folgenden Umständen, davon einige selbst hier, alle aber in gantz Nürnberg so sehr bekandt sind, weiter etwas beÿ zu fügen. Ich habe diesen kurtzen Auszug des Lebenslaufes meiner ersten armen Jugend nur aus dieser Ursache hergesetzet, damit Ew. Hochgebohrnen Excellentzien daraus ersehen können, wie derjenige Theil des Lebens, da man der grösten Ausschweiffungen und wilden Thorheiten fähig ist, von mir zurück geleget worden. Es ist gewiß ich war sehr munter und stets lustig: aber niemahls verwegen und niemahls boshafft noch viel weniger niederträchtig. Ein sanffter und erlaubter Ehrgeitz leithete mich stets auf dem Wege der Tugend bis hieher. Es ist aber bekandt wie schwer und mühsam für die muntere Jugend dieser Weg zu wandern ist? Wahre Menschenliebe, Leuthseeligkeit und Demuth sind nebst der Gottseeligkeit die beständigen Begleiter meiner mühseeligen und arbeitsvollen Reise gewesen: und ich bitte Gott von gantzem Herzten, daß er mir diese seelige Begleitung bis ans Ende meines Lebens laßen wolle! Ew: Hochgebohrne Excellentzien wird noch aus einer ehemahls alhier abgehaltenen Untersuchung erinnerlich seÿn, daß ich von einen meiner Anverwandten durch seine Betrügereÿen aus Nürnberg nach Göttingen geschleppet worden bin.[44] Und jetzt

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muß ich auf das traurigste erfahren, wie mich eine noch größere abscheuliche und strafwürdige Betrügereÿ, die von einem andern meiner neuen Anverwandten[45] eingerichthet und ausgeführet worden ist, wiederum aus Göttingen vertreibet. Ich habe an diesen mir äußerst fatalen Orte alles ausgestanden, was je ein Mensch in der Welt ausstehen kan: und ich halte diese zehen Jahre meines dortseins welches der 4te Theil meines Lebens ist den ich in Göttingen unter allen Arten der Verfolgungen und Unglücksfällen durch gelebt habe, für mich gäntzlich verlohren: ob sonst schon diese Zeit in meiner Lebens Geschichte den merckwürdigsten und grösten Theil ausmachen wird. Hier habe ich erst die Welt kennen lernen. Hier sahe ich Bosheiten und Verbrechen mit Thorheiten vermischt, von denen ich niemahls die Nahmen viel weniger die Handlung gewust habe. Ich sahe Wölffe in Schaafs Peltzen verstecket; Grausahme Feinde unter der Masque der Freundschafft. Ich sahe Gelehrte, recht sehr Gelehrte Idioten. Überhaupts: Ich sahe alles was schändlich und alles was thörigt ist, von Leuten ausüben, welche zu Lehrern der Wißenschafften und der Jugend bestimmt sind. Allein es gibt dort auch viele rechtschaffene und vernünftige Männer, die in stiller Ruhe ihres Gemüthes, nach zurück gelegten Lehrstunden, sich nur denen Musen widmen. Aber sie sehen den elenden Zustand welcher den weitern Flohr der Academie so beschwerend hindert, nur mit erbarmungsvollen Hertzen an: mehr können sie nicht thun! Sie sind unbehertzt ihre Stimmen zu erheben, und sie sind gewiß durch das Beÿspiel welches mir begegnet ist, noch furchtsamer und schüchterner gemacht, sich des Schaden Josephs[46] anzunehmen.

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Ew: Hochgebohrnen Excellentzien verzeihen diesen gerechten Eiffer meiner Seele. Er entspringt nicht aus Rachsucht gegen meine Feinde: Denn die Rachsucht empfehle ich Gott dem allerhöchsten Richter: Wolte Gott ! daß dieses Opfer welches ich so wohl mit meinem Vermögen als mit meiner Persohn für die Ehre der Gerechtigkeit thue, einen starcken Einfluß auf eine beßere Befestigung der Glückseeligkeit und auf den immer mehr wachsenden Flohr der Georg Augustus Universitaet haben möchte ! Vielleicht bahnet diese, meine gegenwärtige Vorstellung einen neuen Weg darzu? Es ist mir Göttingen durchaus, vielleicht beßer, als irgend einer dort wohnenden Persohn bekandt. Ich kenne nunmehr alle Vortheile und Mängel der Stadt und der Academie. Ich kenne aber auch einige Mittel und zwar nicht schwere Mittel, die Vortheile zu vergrößern, und die Mängel wo nicht gäntzlich auszurotten, dennoch aber zu vermindern. Da ich schon seit zweÿ Jahren aus dem Corpore Academicorum getreten bin;[47] und da ich mich jetzt auch so wohl von der Stadt als auch von meinen übrigen Verbindungen gäntzlich loß zu machen bemühe; um nach Ausgang dieses verdrießlichen Proceßes mit Ehren und Ew: Hochgebohrnen Excellentzien gnädigsten Zufriedenheit einen Ort zu verlaßen, der mir so sehr Fatal gewesen ist; so bin ich in diesem Falle um so unpartheÿischer auf hohes Verlangen alle mögliche Nachrichten davon so lange als ich mich noch in Göttingen aufhalten muß, zur höchst Dero eigenen Einsicht zu bringen.

Ew: Hochgebohren Excellentzien werden dadurch von mir umso kräftiger überzeuget werden, daß ich weder über das Schicksal des Himmels, noch auch über Höchst Dero bisherige Verfügungen in meinem Hertzen unzufrieden bin. Die wahre Ehre, und nicht das geringste

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Interesse: die Ausübung meines Wahlspruches: Fürchte Gott; thue Recht; und scheue niemand, sind die eintzigen Triebfedern meiner Handlungen. Ich werde niemahls, und am allerwenigsten jetzt, einen Schritt thun, welcher dieser meiner gegebenen Erklärung nur auf das geringste entgegen gerichtet ist. Ew: Hochgebohren Excellentzien könnten sich also, wenn ich eines so gnädigen Zutrauens gewürdiget würde, um so sicherer auf mich verlaßen, weil ich nicht gewohnt bin meinem nächsten boshaft zu verläumden; sondern was ich in diesem Falle bekandt zu machen oder vorzuschlagen hätte, mit allen möglichen und zu höchst Dero Überzeugung nöthigen Beweisen zu versehen und zu unterstützen. Ich bin mit etlichen Persohnen in Göttingen bekandt, die gleichfals eine vorzügliche Erkentniß des Zustandes dieser Stadt besitzen; Ew: Hochgebohren Excellentzien würden dadurch Leuthe kennen lernen, deren bekandte scharffe Einsicht in das dortige Policeÿ und Justizwesen so wohl der Stadt als auch der Academie, vielleicht die einzigen Ursachen waren, warum man sie Ew. Hochgebohrnen Excellentzien vorborgen hielt, um nicht befördert, sondern überall zurück gesetzt zu werden.

Ew. Hochgebohrnen Excellentzien erlauben gnädigst dieser weitläuffigen und vermischten Vorstellung endlich nur dieses eintzige noch beÿzufügen: das Höchst dieselben diese Schrift entweder als eine Privat-Schrift oder als eine öffentliche zum Pasquillenwesen gehörige Schrift annehmen, und Höchst Dero gnädigsten Resolutiones darnach einrichten und geben können. Ich bin um der eintzigen Ursachen willen hieher gereiset,

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um persönlich so viel mir möglich ist, den freÿen Lauf der Justiz zu erbitten, und Ew. Hochgebohrnen Excellentzien zu nähern Erkenntnißen, theils meiner eigenen, und theils Göttingen überhaupts angehenden Umständen, den Weg zu bahnen: und weil ich nun schon über 14 Tage hier bin, so reise ich heute mit der ordinairen Post wiederum nach Göttingen, um nach meinem dortigen Haußwesen zu sehen, und einige benöthigte Anstalten vorzukehren. Aber nach acht oder längstens nach viertzehen Tagen will ich mich abermahls persöhnlich hier in Hannover einfinden, und Ew. Hochgebohren Excellentzien gnädigste Verfügungen unterthänigst erwarten, und mich unterwerffen: in der sichersten Hoffnung, daß die Verweigerung der Justiz nicht darunter begriffen sein werden.
Der ich in tiefster Submission verharre

Königlich Großbritannische
zur Churfürstlich Braunschweig-
Lüneburgischen Regierung Hoch-
verordnete Herren Geheimte
Räthe


Hochgebohrne Freÿherren
gnädigste und Hochgebietende Herrren
Ew: Hochgebohren Excellentzien

Hannover
den 2ten Sept:
        1765.

Unterthänigster Diener
Georg Moritz Lowitz.    



Fußnoten

  1. Heinrich Eberhard Balck (1705-1769) war geheimer Kanzleisekretär in Hannover. Der Brief richtet sich nicht an Balck, sondern an Geheimräte in Hannover. Oben rechts auf Blatt 134r ist jedoch in anderer Handschrift der Name von Balck vermerkt.
  2. Die Hoffnung von Lowitz auf ein baldiges Ende des Prozesses erfüllte sich nicht, denn der Prozess zog sich noch zwei weitere Jahre hin.
  3. Anfang April 1763 wurden Schmäschriften an mehreren Göttinger Häsern angeschlagen, was sich im folgenden in immer neuen Variationen wiederholte. Diese Pasquillen genannten Schriften wurden von einer Deputation der Universtität untersucht, wobei Lowitz der Hauptverdächtige war.
  4. peremtorisch: jeden Widerspruch ausschließend, endgütig.
  5. Rechtsgutachten waren von der Regierung in Hannover u.a. von Rudolf Christoph von Bilderbeck (1714-1786) angefordert worden, der von 1744 bis 1772 Hof- und Kanzleirat in Hannover war.
  6. Georg Heinrich Ayrer (1702-1774) war seit 1736 Juraprofessor in Göttingen, 1743 ernannte man ihn zum Hofrat.
  7. Johann David Michaelis (1717-1791) war Theologe und Orientalist an der Universität Göttingen. U.a. er entwarf für die dortige Akademie der Wissenschaften die Satzung und war einige Zeit Sekretär, dann Direktor dieser Einrichtung.
  8. Christian Friedrich Georg Meister (1718-1782) war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen. Lowitz nahm hier auf folgendes Werk Bezug:
    Ausführliche Abhandlung des Peinlichen Processes in Teutschland. Zweyter Theil. Göttingen: Victorin Bossigels 1750, S. 251.
  9. Diese Stelle gab Meister als Belegstelle an. Gemeint ist: Thönnicker, Johann David: Advocatus Prudens In Foro Criminali. Chemnitz, Leipzig: Stoesselius 1710, S. 19.
  10. Vidimation: Beglaubigung.
  11. Christian Gottlieb Riccius (1697-1784) war seit 1747 Universitäts-Secretär und seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften in Göttingen.
  12. Ut in Rescripto: Wie im Rescript. Mit dieser Formel verweist man auf den Brief, dem das PS angehängt ist und erspart sich damit weiterer Grußformeln.
  13. Siehe die Briefe von Ayerer und Michaelis vom 20. Juni 1763. Die Landesregierung wollte den Pasquillen-Prozess einstellen, Ayrer und Michaelis wünschten die Fortsetzung. Ayrer erwäht Lowitz nicht, wohingegen Michaelis sich von Lowitz beleidigt fühlte und forderte, dass er zur Rechenschaft gezogen werde, auch in dem Fall dass er in der Pasquillen-Sache unschuldig sei.
  14. Ein Quartant ist ein Buch in Viertelbogengröße.
  15. Nullität: Nichtigkeit.
  16. Actio de Syndicatu contra judicem: Aktion eines Oberrichters gegen das ungerechte Urteil eines Richters.
  17. avertere: abwenden.
  18. Purgatorium: eigentlich das Fegefeuer. In der Juristerei ist es "der Reiniguns=Eid, welchen der Richter auf Erkänntniß derer Sachen demjenigen aufleget, wieder welchen etliche Vermuthungen streiten, daß er sich dadurch von solchen befreye, und die zweifelhafftige Sache entschieden werde" (Zedlers Universallexikon).
  19. Lowitz zitiert aus § 40, nicht aus § 36. Der Text weicht minimal vom Original ab, etwa komt statt kommt.
  20. Friedrich Wilhelm Leyser (1658-1720) war Jurist und Stadtsyndikus von Magdeburg.
  21. Dicasterium: ein allgemeines Richterkollegium.
  22. Actuarius: Protokoll- oder Aktenführer.
  23. Additiones der historischen Einleitung zu dem Criminal-Process. Ulm: Johann Conrad Wohler 1748, S. 102
  24. Lowitzens Ehefrau starb am 14. März 1765.
  25. ad Augustissimum: für die höchste Majestät.
  26. Ein vergleichbarer Wunsch war Lowitz mit Rescript vom 22. August 1763 abgelehnt worden, da "er, der Pr: Lowitz, die Kosten dazu her zugeben nicht gesonnen seÿn werde".
  27. Urthel, Urteile.
  28. Ein summarisches Verhör ist ein formloses Verhör, wie es in aller Regel zu Beginn einer Untersuchung geführt wird.
  29. Maria Elisabeth Becker scheint seit 1762 beim Stallmeister Ayrer als Köchin angestellt gewesen zu sein. Vgl.:
    Wagener, Silke: Pedelle, Mägde und Lakaien: Das Dienstpersonal an der Georg-August-Universität Göttingen 1737-1866 (= Göttinger Universitätsschriften: Serie A, Schriften; Bd. 17 ). Göttingen: Univ., Diss. 1994, S. 472. Im Beisein des Juristen Selchow war Lowitz in einen Streit mit Ayrer über die Köchin geraten. Kurz darauf wurde die erste Pasquille angeklebt, des Inhalts, dass Ayrer mit seiner Köchin ein Verhätnis habe. Deshalb war Lowitz der Hauptverdächtige. Da folgende Pasquillen aber auch juristische Kenntnisse verrieten, wurde Selchow verdächtigt. Vgl. die Stellungnahme von Selchow dazu.
  30. Vom 04.07.1763 bis zum 03.01.1764 war Johann Stephan Pütter (1725-1807) Prorektor. Er war seit 1753 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen.
  31. Anwalt von Lowitz war Heinrich Christian Jaep (ca. 1718-22.07.1788). Der hatte in Göttingen ab 1737 studiert und ließ sich hier als Jurist nieder. Vgl.:
    Wähner, Andreas Georg: Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg. Bearbeitet von Sigrid Dahmen. (= Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen, Band 2). Göttingen: Universitätsverlag 2012, S. 258.
  32. Gemeint ist der Hofrat Pütter.
  33. Eyde deferiren: statt viele Zeugen zu befragen, sollte Frau Lowitz einen Eid darüber ablegen.
  34. causa criminalis: Strafrechtsfall.
    causa praejudicialis: Eine vorläufig auszumachende Sache, die auf die Entscheidung in der Hauptsache Einfluss hat.
  35. in suspenso: In der Schwebe.
  36. Dieses Dekret wurde zwar am 12. November bei Lowitz eingereicht, doch ließ der es mit Begleitschreiben vom 13.11.1764 aus Krankheitsgründen ungeöffnet zurückschicken. Erneut wurde es erst am 13.04.1765 überschickt, vgl. die Antwort von Lowitz vom 15.04.1765.
  37. Fiscal "ist ein Fürstlicher Beamter, der der Obrigkeit bestes in Acht nimmt", (Zedlers Universallexikon).
  38. Vgl. hierzu das Schreiben der Landesregierung in Hannover an die Deputation der Universtität vom 16. Juni 1763.
  39. Johann Tobias Köhler (1720-1768) war ebenfalls Professor für Philosophie in Göttingen. Das angesprochene Schriftstück Köhlers ist nicht überliefert, doch spricht Selchow in seiner Stellungnahme vom "unfläthigen" Schreiben Köhlers.
  40. Specimina prudentiae et Christianae: Beispiele für Klugheit und Christlichkeit.
  41. Infante cidii: Infantizid, Kindsmord.
  42. Lowitz wurde am 17. Februar 1722 geboren, sein Vater wurde am 9. Juni 1727 beerdigt. Damals war Lowitz bereits 5 Jahre alt, d.h. sein Vater ist im sechsten Lebensjahr des Sohnes gestorben. Hier hat Lowitz sein Gedächtnis also etwas im Stich gelassen.
  43. Die Mutter von Lowitz war am 24. November 1692 getauft worden. Bei Abfassung des vorliegenden Briefes war sie also fast 73 Jahre alt.
  44. Johann Michael Franz hatte den Kontakt mit Göttingen angebahnt. Lowitz hatte seine Schwester geheiratet, die aber schon Anfang 1756 gestorben ist.
  45. Hier kann kaum jemand anders als Otto Riepenhausen gemeint sein, der Bruder seiner zweiten Ehefrau. Dessen Name taucht in den überlieferten Pasquillen-Akten allerdings nicht auf. Lowitz scheint ihn aber als Drathzieher hinter der ganzen Affaire vermutet zu haben.
  46. Der Schaden Josephs ist laut Zedlers Universallexicon eine "Redens=Art, so von dem Zustande des Josephs genommen, als ihn seine Brüder in die Grube warffen, und er in Leibes- und Lebensgefahr steckte, so bekümmerten sie sich wenig darum, sondern waren lustig und fröhlich, setzen sich nieder zu essen, 1. Buch Mos. XXXVII, 24.
  47. Aus Verärgerung darüber, dass er als Verdächtiger in der Pasquillen-Sache angesehen wurde, trat Lowitz mit Schreiben vom 19. August 1763 von allen seinen akademischen Ämtern zurück.