Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 20. Dezember 1727
Signatur UB Basel: L Ia 688, Bl. 95,1r-2r
Transkription Hans Gaab, Fürth

Nürnberg den 20. Dec.
A.C. 1727.    

HochEdler und Hochgelährter,
Insonders hochzuehrender Herr, Sehrgeneigter
Gönner!

Das Angenehme von 15. Octobr.:[1] habe ich nebst dem beygefügten Calender (vor welchen ich hiemit meinen schuldigen Danck ablege) inmittelst richtig erhalten und daraus E. HochEdlen bisheriges wohlseyn sehr gern vernommen, Gott lasse ferner alles beglückte angedeyen, und gebe daß das instehende neue Jahrs auch in allen Stücken möge gesegnet seyn. Was die Rostische Affaire anlanget, so ist übel von ihm gehandelt worden daß er in dem einen strittig loco mir affingiret als wenn ich in dem Bion eine weitere Ausführung von dem de la Hirischen (oder viel mehr Auzoutischen) Micrometro vorgenommen hätte, die, um einen jeden mechanicum daraus zu instruiren, nicht zulänglich genug wäre, da ich doch nichts dabey gethan als was Bion beygebracht und ich vertiret, also hätte er dem Bion die Schuld geben, (und mir nicht) mögen. Was den zweyten strittigen locum anlanget, so hat jener von meinem Heliscopio als ein untüchtiger censor geschrieben, weil er die Application nie mahlen bey mir gesehen,[2] beede loca sind nun umgedrucket,[3] und habe auch Ruhe, da der Todt eine Entfernung gemacht, und demnach satisfaction genug. Wer

[Bl. 95,1v]
seine wenige Bezeugungen gegen mich erkennet, der kann genug urtheilen daß dieses aus einem mißgünstigen und stolzen Geist, der ihn bey einigen Jahren her besessen, und eingegeben es wären andere Leuthe nichts gegen ihme, herrühre. Wie hochmüthig und affectiert schriebe er in der Vorrede, und weiter, in seinem lezten Wercke, auf gleiche Arth müßte auch sein Lebenslauff in der gelehrten Zeitung gestellet seyn,[4] davor seine gottlose Romanen als die galante Noris, der Schauplaz der Verliebten in welchem schöne Zotten enthalten,[5] in faciem conterdiciren, ja viele Unwarheit musste darinnen mehr mit beÿkommen, daß Mr. de l'Isle seinetwegen eine Reise nach Nürnberg gethan hätte, da ihn doch Mr. de l'Isle mit keinem Aug gesehen auch nicht zu sprechen verlanget.[6] Es war vielmehr seine freunde etlichen Leuthen, und mehrentheils großen Astronomis Tort[7] zu thun, und ihre Observationes zu depraviren, da er in seinem Handbuch dem Maestlino affingiret, wie selbiger im Mond habe regnen sehen,[8] Cassini Planeticum corpus um die Venerem, so er einmahl observiret, seye hernach ein fictum befunden worden,[9] Roemer habe A. 1707. nicht den Mercurium sub sole gesehen, sondern es wär ein Macula hir gewesen, da doch die observation ex Autographi Roemeri Ihme communicable gemacht.[10] Daß Mercurius einige Phasen

[Bl. 95,2r]
uns zeige, will er dem Hevelio disputirlich machen,[11] und was mehr ander Sachen sind, wovon er in dem Atlante portatili und in Actis Vratislaviensibus[12] gemeldt, die alle auf erfordern andeuten und als ungegründtete Sachen erweisen kan. Zu geschweigen andere locorum, da er in seinen Romanen andere Leuthe, die zwar keine Mathematici sind, trefflich durch gezogen, da er auch wegen eines kleinen liderlichen Scripti vor 6. Jahren einige Tage auf den Thurm sich hat begeben müßen. Bey solchen Umständen siehet man daß aus einem malhonneten Gemüth nichts gutes sich hervorgeben möge. Aber genug von dieser Materie.

Nun muß auch noch von Mr. de l'Isle melden daß seit dem Februari nichts von Ihme erhalten, auch nichts mehr bisher von dem Paquet, so ich nach Berlin geschicket, vernommen, und solches also leider! verlohren geben muß,[13] worüber Mr. de l'Isle wenig Vergnügen haben wird. Ich schließe vor dieses mahl in Eil, weil noch mehr Briefe zu expedieren finde und empfehle mich ferner zu Ihro aufrichtigen Amitie und Affection, der ich in Gegentheil ebenfalls alltheils verharre

E. Hochedlen
          Meines hochgeehrten Herrn

aufrichtig=ergebener diener      
JG Doppelmayr mpp    


Fußnoten

  1. Der Brief von Kirch vom 15. Oktober 1727 ist nicht überliefert.
  2. Zu dem Streit mit Rost siehe den Brief vom 18. April 1727.
  3. Umgedruckte Versionen von Rosts Aufrichtigen Astronomus sind nicht bekannt.
  4. Der Nachruf auf Rost findet sich in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen, 1727, S. 377-381.
  5. Zu seinen Studienzeiten verfasste Rost unter dem Pseudonym Meletaon sogenannte "galangte Romane", darunter 1711 die Liebenswürdige und Galante Noris: in einem Helden-Gedichte der curieusen Welt zur Lust und Ergötzung auffgeführet sowie im gleichen Jahr den Schau-Platz Der galanten und gelährten Welt.
  6. Im PS des Briefes vom 22. Dezember 1725 beklagte sich Rost bitterlich bei Christfried Kirch, dass ihm Doppelmayr die Anwesenheit von Delisle in Nürnberg vorenthalten habe. Vermutlich hat Kirch auf Doppelmayrs vorigen Brief hin diesbezüglich nachgefragt.
  7. Tort (frz.): Unrecht.
  8. Im Traum vom Mond zitiert Kepler Mästlin: "Im Jahre 1605 am Abend vor Palmarum, während der Mond im Untergehen war und ungefähr die Farbe von weissglühendem Eisen hatte, wurde nach Norden hin auf ihm ein schwärzlicher und dunkler wie die übrige Fläche anzusehender Fleck erblickt, so dass man hätte sagen können, es sei eine weithin ausgedehnte regen- oder gewitterschwangere Wolke gewesen, wie sie Leuten, die von hohen Bergen in tiefe Thäler hinabschauen, häufig zu sehen gelingt." Günther, Ludwig (Hrsg.): Keplers Traum vom Mond. Leipzig: Teubner 1898, S. 150.
  9. "So viel man noch zur Zeit weiß / so hat Venus keine Satellites um sich / die sie auch wie Mars und Mercurius, nicht nöhtig zu haben scheinet / weil sie des Sonnen-Lichtes überflüßig genug geniessen. Cassini hat zwar einsmahs dergleichen zu sehen vermeinet: allein die wiederholten Observationes gaben zu erkennen / daß es nur Fix-Sterne gewesen seyn" (Rost: Atlas portatilis 1723, S. 255f.). Tatsächlich glaubte Cassini 1672 einen Mond der Venus entdeckt zu haben.
  10. "Es hat zwar Mercurius Ao. 1707. im Majo, nach einigen Tabellen wieder in der Sonne erscheinen sollen, und der Königl. Preußische Astronomus Herr Christfried Kirch stehet in seinem Transitu Mercurii per solem p. 55 in der Meynung, daß ihn der Herr Römer den 6. May bey aufgehender Sonne in Coppenhagen darinnen gesehen hätte. Ich bin aber von jemand, der sich dazumahl bey dem Herrn Römer befunden, versichert worden, daß berührter Herr Observator seine Muthmassungen gänzlich fahren lassen, als ob das, was er in der Sonne gesehen, der Mercurius gewesen, und selbige nur vor eine Nubeculam oder sonst was gehalten". Breslauische Sammlungen, 12. Versuch für 1720, gedruckt 1721, S. 544.
  11. "Ich habe ihn [Merkur] durch einen 11 biß 12 schuigen guten tubum niemalen recht rund wie andere Planeten / noch weniger ab und zu nehmende Phasen an ihm observiren können; dergleichen Ricciolus und Hevelius an ihm gesehen zu haben rühmen / und die sich auch würklich an ihm ereignen müssen. Er ist mir vielmehr alle Zeit wie eine glühende Kohle erschienen; welches meine Muthmaßung bestärcket / ob nicht Mercurius ein von der nahe stehendem[!] Sonne / gantz entzündeter Körper sey; darüber ich aber verständigeren Leuten / eine weitere Beurtheilung anheim stellen will". Rost: Atlas portatilis 1723, S. 257f.; vgl. auch die Breslauischen Sammlungen, 12. Versuch, S. 542.
  12. Rost hat zahlreiche Artikel in den Breslauischen Sammlungen veröffentlicht. Vgl. die Zusammenstellung auf der Seite der Nürnberger Astronomischen Gesellschaft e.V. (NAG).
  13. Auf seiner Reise von Paris nach St. Petersburg hatte Joseph-Nicolas Delisle (1688-1768) im Dezember 1725 Doppelmayr in Nürnberg besucht. Ende Dezember war er Richtung Berlin weitergereist. Doppelmayr hatte im ein Päckchen nach Berlin hinterhergeschickt, das Delisle jedoch nie erreichte.