Briefwechsel Peter Kolb
Kurzinformation zum Brief | |
Autor | Kolb, Peter (1675-1726) |
Empfänger | Eimmart, Georg Christoph (1638-1705) |
Ort | Halle |
Datum | 20. Februar 1702 |
Signatur | Nationalbibliothek St. Petersburg: Fond 998, Band 3, Bl. 454r-455r |
Zustand | Auf der Verso-Seite Textverlust durch die Bindung am rechten Rand. Mögliche Ergänzungen stehen in eckigen Klammern. |
Transkription | Hans Gaab, Fürth; Andreas Henkel, Wunsiedel |
HochEdler Vest und Hochgelahrter Herr,
Sonders hoher Gönner und Patron.
Das freudige Angedencken des HochEdlen und Wohlthätigen Eimmartinischen Hauses, hat mich noch nicht, und wird mich auch nicht so gar verlaßen, daß nicht immerfort solte bemühet seÿn, von deßelben vergnüglichen Wohlergehen genaue Nachricht ein zuholen. Und gleichwie dieses die vornehmste Ursache gewesen, gegenwärtige Zeilen an meinen HochZuEhrenden Patron aus zu fertigen, also hoffe nicht, daß dadurch deßen Wiederwillen mir solte auf den Halse ziehen, noch sonst einige mißvergnügung erwecken. Zwar ist schon eine geraume Zeit vorbeÿ gefloßen, ehe ich etwas habe vernehmen können: wie denn sehr zubeklagen habe, daß alle in dem lieben Nürnberg sonst gewogene mit Ihrem schreiben sehr sparsam sind, und solten etwas
[Bl. 454v]
an mich abgehen laßen: jedoch machet mich dieses nicht zweiffelend, [es] solte nicht immer ein gütiges
Gemüthe gegen mich zufinden seÿn[,] sondern ich halte, daß höhere Verrichtungen die Zeit
hinwegneh[men.] Weil mir nun ein gleiches von meinem HochZuEhrenden Patron [be]stens bekand; als habe um so viel desto
weniger ursache zuzweifeln; son[dern] bin vielmehr gewiß, daß Ihme die briefe derjenigen, so aufrichtigen
Gemüthes sind, alle Zeit angenehme sind. Ob mir aber auch erlaub[et] seÿn wird, eine bitte von meinem Patron
zuthun, wird mich d[ie] Zeit lehren, als welche den besten Ausschlag geben kan. Ich wolte nemlich, in geziemender Demuth,
gebetten haben, mich berichten zulaßen, ob m[ein] Patron jemahlen mehr als 4. Satellites Jovis observiret hätte v.
mit was vor einem Instrumento derselbe hielte, daß Sie am bes[ten] könten observiret werden? Ich weiß zwar
noch wohl, daß mein Pat[ron] die distantias derselben nur mit bloßem Tubo abmißet; allein es sind doch
einige, die davor halten, daß es beßer per micro[me]tra verrichtet werde. Bin dahero ganz ungewiß,
wie diese oberva[tion] am besten geschehen mögte. Der numerus stellarum in Orione wir[d] so wohl nudo visu, als per
Tubum sehr hoch angewachsen seÿn.[1]
All[hier] lebet man als unter barbaren, denen dergleichen dinge als p[a]radoxa und
incredibilia vorkommen. Denn man hat werder instru[men]ta, noch andere Sachen, die zu einer observation tüchtig weren.
Hl. Po[st]meister[2] hat zwar instrumenta genug;
aber weil sie entweder sich be[ßer] in einen
DockenKram[3] sich schicken, oder doch wohl zu 3 oder mehr usibus zu gleich
accomodiret werden sollen, so ist nichts mit selb[igen] aus zurichten. Was Er neues intendiret, hoffe, werde bereits
bekan[d] seÿn: ich fürchte aber, Er mögte gar damit seine blödigkeit des [ver]stands an den Tag legen.
Das Phaenomenon Triangulare luci[dum][4] siehet man hier beÿ
hellen wetter sehr schön, und wollte wünsch[en]
[Bl. 455r]
daß deßen veram causam wißen könte. Hiesige Universitet hat sich bißhero bekümmert, einige
zwischen zweÿen Professoribus entstandene Mißhelligkeit
beÿzulegen,[5] kunte aber solches noch nicht
völlig zustande bringen. Maßen Hl. D. Stahl Herrn D. Hoffmann nicht nachgeben will. Es ist fast eine Affaire,
wie mein Patron mit Hln. Wurzelbauern gehabt hat,
und bestehet darinnen, daß H. P. Stahl eine invention gehabt,
die Ihm (nicht wie meinem Patron Hl. Wurzelbauer affingirte[6])
Hl. P. Hoffmann in der That weggenommen. Davon etwas in denen Observationibus Hallensibus
Tom. I. obs. XIV eijusque additamento zu finden.
Nun will Hl. D. Stahl einen völligen Tractatum davon schreiben, v. die Disputation Herrn D. Hoffmanns, die vor denen
observationibus herausgekommen zunichte machen, oder doch zum wenigsten beweisen, daß Er Jhm, Hln D. Stahl, die invention
per Discursum heraus gelocket, v. sich gloriam inventionis fälschlich attribuiret. Solte ich von bißherigen
mehrer gewißheit einholen können, (denn dieses
spargiret[7] nur rumor populi)
wolte so dann fernern bericht abstatten.
Wie denn, nebst demütigster begrüßung an deßen
Frau Liebste[8], v. Jungfer
Tochter, bin und verharre
Meines HochZuEhrenden Herren und
Patrons
Halle den 20. Februar.
Anno 1702.
demütigster Diener
M. Peter Kolb.
Fussnoten
- ↑ Schon Galilei sah durch sein Teleskop mehr Sterne als mit bloßem Auge (nudo visu). Gerade leuchtschwache Sterne können mit dem Teleskop besser verortet und dann auch leichter mit bloßem Auge erkannt werden.
- ↑ Kolb war Informator der beiden Söhne des vermögenden und
hochgebildeten "Postmeisters" Friedrich
Madeweis (1648-1705).
Er genoss Kost und Logis in dessen palastartigem Haus (dem heutigen Hallenser
"Riesenhaus", auch Napoleonpalais genannt)
und hatte Zugang zur reichhaltigen Bibliothek und den naturwissenschaftlichen Sammlungen:
"Curtae meae suppellectili et hic DEUS sat abunde prospexit, cum Madeweisii cursorum praefecti
duos meae in Mathesi et elegantiori Litteratura informationi crediderit filios, pro qua et victum et
habitaculum cum aliis nonnullis emolumentis accepi. [...] Bibliotheca ejus splendida & curiosa non solum,
sed etiam instrumentis ejus Mathematicis uti licuit, quibus in rem meam aeque atque aliorum conversis,
magnopere profeci." (Autobiographie S. 3). Während Kolb im Lebenslauf immerhin die Förderung
durch den Mäzen herausstellt, äußert er sich gegenüber Eimmart außerordentlich
abfällig über Madeweis und das Observatorium auf dem Dach seines Palais.
Darin kann man eine Strategie gegenüber dem Briefadressaten vermuten, aber auch den Ärger
des Fachmannes über den Dilettantismus und die prätentiösen Ambitionen seines Patrons
(vgl. den Brief vom 27.04.1702;
zu Madeweis anspruchsvollen Akademieprojekten siehe Thiele 2018).
Die Darstellung Kolbs in seinem Lebenslauf legt nahe, dass er schon vor seiner Magisterpromotion am 1. Juli 1701
bei Madeweis gewohnt hat, was aber wohl nicht der Fall war. Im Januar und Mai 1701 ist seine Adresse nämlich
noch in der Schmeer-Gasse beim Kaufmann Johann Joachim und in den hier vorausgehenden Briefen an Eimmart
(bis August 1701) wird Madeweis nicht erwähnt. Am 27.04.1702 hat Kolb Madeweis’ Haus bereits verlassen
(vgl. den Brief unter diesem Datum), zu diesem Zeitpunkt ist mit Bernhard Friedrich von Krosigk
bereits ein neuer Patron in Aussicht.
- Thiele, Andrea: Konkurrenz dies- und jenseits der Mauern. Das "Athenäum Salomoneum" von Friedrich Madeweis - ein Parallelprojekt zum "Waysenhaus" August Hermann Franckes in Halle. In: Geffarth, Renko; Meumann, Markus; Zaunstöck, Holger (Hgg.): Kampf um die Aufklärung? Institutionelle Konkurrenzen und intellektuelle Vielfalt im Halle des 18. Jahrhunderts. Halle 2018, S. 99-125
- ↑ DockenKram: Spielzeugbude.
- ↑ Gemeint ist das Zodiakallicht.
- ↑ Georg Ernst
Stahl (1659-1734) und Friedrich
Hoffmann (1660-1742),
beide Professoren der medizinischen Fakultät in Halle, stritten über eine Prioritätsfrage.
Es ging um die Erklärung der Bewegung des Quecksilbers im Barometer. Hoffmann hatte diese Erklärung
im Februar 1700 in einer Dissertation De potentia ventorum in Corpus Humanum publiziert. Im folgenden Jahr
veröffentlichte er sie noch einmal in dem gewichtigeren Band der Observationes Barometrico
Meteorologicae. In der Vorrede dieser Publikation weist Hoffmann darauf hin,
dass ein verehrter Kollege fast gleichzeitig, aber völlig unabhängig von ihm,
auf dieselbe Lösung gekommen sei ("singulari fato uno ferme tempore,
quum neuter alterius praesciverit meditationes [...] diverso tamen paullulum tractationis modo",
Bl. A4v).
Georg Ernst Stahl gehörte neben Christian Thomasius zu den Mitarbeitern an den Observationum selectarum ad rem litterariam spectantium Tomi 1-10, die von 1700 bis 1705 in Halle erschienen. Die von Kolb angeführte Abhandlung über die Ursachen der Bewegung des Quecksilbers im Barometer im Tomus I, Observatio IV, dürfte aus Stahls Feder stammen, der Prioritätsstreit wird hier aber nicht angesprochen.- Hoffmann, Friedrich: Dissertatio inauguralis physico-medica De potentia ventorum in Corpus Humanum, ubi simul agitur de ascensu & descensu argenti vivi in barometro, Halle 1700
- Hoffmann, Friedrich: Observationes Barometrico Meteorologicae, & epidemicae Hallenses Anni MDCC, Halle 1701, S. 31-39 Observationum selectarum ad rem litterariam spectantium, Tomus I. Halle: Renger 1700, darin Observatio IV, S. 155-173.
- ↑ affingierte: andichtete.
- ↑ spargieren: übel nachreden.
- ↑ Zu Maria Eimmart siehe die Anmerkung im Brief vom 13.10.1700.
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