Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Cnopf, Matthäus Ferdinand (1715-1771)
Empfänger Scheidt, Christian Ludwig (1709-1761)[1]
Ort Nürnberg
Datum 28. Oktober 1755
Signatur Universitätsarchiv Göttingen: Kur. 5756, Bl. 126r-129r
Transkription Hans Gaab, Fürth


Wohlgebohrner Herr,
Großgünstig=Hochgeneigester Herr Hofrath !

Der Empfang Ew. Wohlgebohrn Hochgeneigtes Schreiben vom 16. Oct: war mir beÿ Lesung desselben sehr bedencklich, und ich versichere, daß mich dasselbe nicht wenig beweget hat. Ich kan mir alle Umstände auf das lebhaffteste vorstellen, und in meinen ratione des Kugelwerckes gefasten Meinungen, um welches jedoch ich mich biß daher noch nicht angenommen, habe ich mich bis diese Stunde nicht betrogen, mithin ist es kein Wunder, wenn Ew: Wohlgebohrn beÿ dero gehabten Commission dieses Werck so erstaunlich unvollkommen gefunden.   Ew: Wohlgebohrn beklage ich als ein unpartheÿischer selbsten, daß dieselbe die gesuchte und gehoffte Ehre mit diesem Werck noch nicht aufheben oder erlangen können, und also die Correspondenz hierinnen denenselben äußerst beschwerlich fällt, da ich zur Genüge weis, mit was für redlichem Eifer und ausnehmender Realitaet Ew: Wohlgebohrn in der Sache vorgegangen, mithin, wenn diese Sache nicht zu seiner Vollkommenheit, welches ich aber nicht vermuthe, gelangen sollte, ich mir die üblen Consequenzen, und daß ein pudeat[2] heraus kommen könnte, schon lange mir vernünftiger Weise vorgestellet.   Ob

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mir nun wohl die alle Posttag anhaltende Franzische Correspondenz auch ebenfalls beschwerlich fällt, und ich dem Herrn Rath mehrmahlen ernstlich gedrohet, so will doch Ew: Wohlgebohrn zu Ehren, mithin abermahlen zum Wohl und Aufnahme des Herrn Raths mein äußerstes thun und vor allen sancte versichern, continuirlich dem Herrn Rath in den Ohren zu seÿn, und hoffe ich nechst Gott, daß es deswegen nicht ohne Nuzen seÿn dörfte, weilen, wenn ich, moraliter zu reden, ernstlich drein schlage, er, der Herr Rath, mir nach= und Recht gibt; So wird auch deßen Frau Gemahlin,[3] welche dißmal Ew. Wohlgebohrn Briefe mit weinenden Zungen gelesen, ebenermaßen, weil doch Wohl und Wehe daran hängt, die Sache nach ihrer Klugheit secundieren.

Ich habe inmittelst der Sache, beÿ meinen vielen Amts Verrichtungen, mit großer Mühe nachgedacht, und endlich gefunden, daß dem verworrenen Kugelwerck nicht anderst als durch folgende Art geholfen ist: Zwischen dem Herrn Rath und Prof: Franzen und Hl. Prof: Lowitz ist ein gesiegelter Kugel Contract, mithin ein Instrumentum quarentigiatum[4] da, welchen beede in Händen haben, und den ich selbsten mit eigener Hand in duplo mundirt[5]; Zu diesen billigen Contract

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muste Hl. Lowiz cum uxore zum Subscibiren, durch die Frau Räthin mit Haaren gezogen werden: dieser will nun, daß Herr Rath Franz alle Subsidien schaffen soll; diese sind würklich vorhanden, und auch der Nervus rerum gerendarum[6] dazu ist seit vielen Jahren bis hierher mit mehr als 12000 fl. theils durch eingegangenen Praenumerationis, theils durch hier verzinslich aufgenommene 1600 fl. umd das Hannoverische unverzinsliche Vorlehen, reichlich durch Herrn Rath Franz beÿgebracht worden, dadurch dieser Letzere seinem Devoir[7] ein sattsames Genügen gethan.

Der andere Haupts Artikel will haben, daß Hl. Prof: Lowiz alle Ausfertigung zur Arbeit thun soll, dieses aber ist bekanntermaßen noch nicht geschehen.   Von diesem Kugel=Contract nun hat Ew. Wohlgebohrn der Herr Rath, wie von mehreren, gewis nichts eröffnet, und Hl. Prof: Lowiz thut es Studio nicht, weil ihm dieser Contract in verschiedenem nicht anstehen mögte. Doch es ist vernünftiger Weise die Frage: Warum Hl. Prof: Lowiz in so vielen Jahren, und beÿ so vielem Geld nicht eine einige Kugel geliefert? Hier kan man ihn anpacken, denn es ist nicht erlaubt, die Sache beÿ einem so ansehnlichen Nervo rerum gerendarum in so vielen Jahren so nachläßig zu tractiren. Wer ist aber daran Schuld? Der Herr Rath! Dieser gibt

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zu viel nach, weil er nicht nur alle Schuld der Verzögerung, sondern auch mehrere Sachen, welche dem Hl. Prof: Lowiz würcklich nachtheilig seÿn, auf sich nimmt, und sich selbst die Schuld giebet, und dieses alles lediglich aus Furcht.

Beÿ diesen Umständen und wenn vorhero der Herr Rath in gutem, jedoch ernstlich, mit Hl. Lowiz geredet, und er thut nicht fortmachen, so mus derselbe eine Actionem ex jure Contractus wider ihn, Hl. Lowiz, beÿ dem hohen Ministerio anstellen, und diesen um Rechenschafft seiner versprochenen Arbeit fordern, beweist sodann seine Jura durch den Contract quaestionis. Da aber durch diesen Beweis, die Hauptschuld auf Hl. Prof: Lowiz fällt, (: obwohle der Herr Rath durch nachläßiges Wesen und alle Tage hegende, neue Projecten, auch mit gehindert wird, der guten Sache nachzudencken, mithin ebenermaßen Schluld daran träget:) warum sollte man ihn nicht ernstlich angreifen? Dieses habe ich bereits in zweÿen Posttägen dem Herrn Rath ernstlich vorgestellet, werde auch damit fortfahren, weil ich weis, daß wenn ich trifftig und mit Überzeugungen komme, der Herr Rath mir doch nachgibt, jedoch dieses kostet mir viele Mühe, denn ich weis, wie weit der Herr Rath vom Hl. Prof. Lowiz eingenommen ist. Es ist nicht genug, wann der Hl Prof: Lowiz mehr herausgehet als der Herr Rath, sagend die Kugeln können in so kurzer Zeit, nicht gemachet,

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sondern müsten um ein ziemliches weiter hinaus gesezet werden: Warum hat ers nicht ehender gethan, da es ihn an Zeit, Geld und anderen Subsidien nicht gefehlet.   Aber aus voran geführten Ursachen, und welche allen Grund haben, immaßen Hl. Prof: Lowiz casu quo sic, den Contract quaest: coram judice ediren, und produciren mus, könnten ohnzielsezlicher maßen das hohe Ministerium, und Ew. Wohlgebohren selbsten Autoritatem interponiren, und denselben mit dem stärcksten Nachdruck sub comminatione[8] zu Erfüllung des Kugel=Contracts mit anhalten helfen: Was gilts, die Sache gehet. Sollte er aber in hoc casu abermalen tergiversiren,[9] und der Herr Rath allenfalls den Hl Lowiz nicht mit Ernst attaquiren, so müßen verdeckte Dinge vorhanden seÿn, die aber dadurch offenbar werden müßen. Hl Prof: Lowiz nimmt heute wieder 2000 Rthlr neues Vorlehen an, und denkt realiter doch nicht an die Kugeln. Durch diese Art können Ew. Wohlgebohrn endlich mit Ehren aus dem Spiel kommen, gestalten dieselbe mir, als einen ungschuldigen Tertio, selbsten, zu Herzen gehen.

Ansonsten mus ich bekennen, wir mir viele Anstalten von dem Herrn Rath in seinen Sachen gar nicht gefallen; ich habe mir darinnen, ohne mich zu rühmen, selber viele Mühe, ohne alles Interesse gegeben, es thut mir aber im Herzen wehe, wann er meiner und andrerer honetten Freunde wohl gemeinte Rathschläge nicht angehen will,

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und wenn mein oben angegebenes Compelle[10] nichts helfen will, so weis ich der Sache um und von keinen Rath mehr zu geben.   Die Wahrheit zu gestehen, ich habe Überzeugungen, daß es beßer gewesen, wenn der Herr Rath seinen Handlungs=Consorte mit in das Kugelwerck hätte mit eintretten, und sich vom Hl. Prof: Lowiz nicht alleine einnehmen laßen; da von dieser Zeit an die Disharmonie zwischen beeden Hhl. Consorten angefangen, und gegenwärtig in so großen Maas ausgebrochen ist, an welch allem der Hl. Prof: Lowiz die gröste Schuld hat, so der Gegner des Herrn Raths öffentlich bezeuget.

Ich wünsche übrigens aufrichtig, daß des Herrn Raths Angelegenheiten ehestens geschlichtet seÿn mögten, inmaßen er nach seinem redlichen Gemüth mich gewis dauert, und eben daher habe ich ihn lieb. Gott öffne aber wohlgedachtem Herrn Rath die Augen, die Bosheit, Schuldheit, Falschheit, Schurigeleÿ, List und Betrug der Welt, insondernheit aber seine nächsten und Blutsfreunde zu seinem Besten einzusehen, mithin nach denen Regulis prudentiae sich davor zu hüten, vielen ihm Redlichgesinnten, wo man so schöne Überzeugungen hat, beßer, als bißhero geschehen, sich anzuvertrauen, auch nicht alle Tage auf andere Projecte zu fallen.

Ew. Wohlgebohrn bitte ich in gehorsamsten Respect um Verzeihung, daß mein Schreiben weitläuftiger worden, als ich vermuthet; haben

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dieselbe nach dero genereusen Gemüthe mit der Sache noch etwas Gedult, vielleicht gehet Sie bald beßer. Ich aber empfehle mich zu fortwährigem hohen Faveur, und verbleibe mit alle sinnlicher Ehrfurcht

Ew: Wohlgebohrn

Nürnberg,
den 28. Octobr:
      1755.

unterthänigster Diener

Matthäus Ferdinand Cnopf

P.S.
Da ich ratione materialium sehr speciel schreiben müßen, so geschiehet dieses alles im Vertrauen, und überlaße Ew: Wohlgebohrn die sämtlichen merita causae dero hohen Klugheit zum Gebrauch über.


Fußnoten

  1. Christian Ludwig Scheidt (1709-1761) war seit 1748 Hofrat und Bibliothekar in Hannover. Zu ihm siehe: Büsching, Anton Friedrich: Beyträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, insonderheit gelehrter Männer, Band 3. Halle: Curt 1785, S. 263-316.
  2. pudeat von pudere (lat.): beschämen.
  3. Franz hat 1740 Juliana Sophia Maria Yelin (1716-1762) geheiratet. Wie auch aus dem Brief von Franzens Bruder Jacob Heinrich (1714-1769) hervorgeht, war sie im Oktober noch in Nürnberg anwesend und ist erst später ihrem Mann nach Göttingen nachgereist.
  4. Instrumentum quarentigiatum: eine mit Brief und Sigel versehene Urkunde.
  5. Mundieren: etwas korrekt abschreiben, ausfertigen.
  6. Nervus rerum gerendarum: Der Nerv der auszufürenden Angelegenheit.
  7. Devoir (franz.): Pflicht.
  8. comminatone: Drohung.
  9. Tergiversatio (lat.): Umkehr, Winkelzug.
  10. compellere (lat.): antreiben.