Briefwechsel Johann Gabriel Doppelmayr


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Doppelmayr, Johann Gabriel (1677-1750)
Empfänger Kirch, Christfried (1694-1740)
Ort Nürnberg
Datum 22. Dezember 1731
Signatur UB Basel: L Ia 688, Bl. 104,1r-2r
Transkription Hans Gaab, Fürth

Nürnberg den 22 Dec.
A. 1731.   

HochEdler und Hochgelehrter
Insonders Hochgeehrtester Herr
Hochwerther Gönner!

Ew. HochEdlen Angenehmes von 25 Nov.[1] ist mir den 1 Decembr. richtig zu Handen gekommen, aus welchem viel nuzliches zu meiner Notiz vergnüglich gelanget: Was meinen Magnet anlanget, so ist in Ansehung der Krafft selbiger nicht theuer,[2] zu mahlen da dergleichen zimlich rar sind, deßwegen der Mechanicus aus Braunschweig, da ich noch einen von solcher Tugend von Ihme verlanget, mir auch also, wie folget, darauff geantwortet: "Ich weiß keinen mehr dergleichen zu verschaffen; dieser ist ein rechter Norweger, den mir ein Mann, der öffters nach Norwegen gereiset, hat zukommen lassen, und ist selbiger nun todt." Dieser Ursachen wegen werde mich künfftighin mit einen geringern begnügen lassen, und zwar von ausserwärts her, weil man bey uns in Nürnberg weder von armirten noch unarmierten was,[3] so nur ein wenig tüchtig seyn mögte, bekommen kan, dahero auch nicht von hier aus E. HochEdlen in diesem Punct zu dienen vermag; ich glaube, daß man eher in Hamburg, von dar auch die Schiffe nach Norwegen gehen, was anständiges überkommen sollte, nach eines Freundes Bericht, soll man zu Leipzig hinter dem Rathhaus bey einem Italiener allerhand armierte magnete zu kauffen überkommen können; wegen Mangel der unarmierten Magnete auch bey uns, habe vor einigen Monathen Herrn D. Francken in Coppenhagen,[4] mit welchem Herrn viele Jahre zu correspondieren die Ehre habe, gebetten, um mir einige unarmierte aus Norwegen, weil solche die besten sind, zu verschaffen, welches er zu thun versprochen; Ich werde

[Bl. 104,1v]
werde auch in künfftigen Zeiten, so Gott Gesundheit und Leben verleyhen wird, auf die Observationes magneticas appliciren, da mich Herr Dr. Muschenbroek in Ütrecht[5] immer animiret, und mir leztens seine Version in das Lateinische der ehedeme in welscher Sprach edirten Experimentorum der Academie del Cimento vor kurzem zu einem Praesent überschicket hat,[6] als daß nächstens einen Anfang damit machen werde, wovon ins künfftige ein mehrers melden will. Weil E. HochEdlen ferner Hl. Prof. Hermanns[7] und Hl. Prof. Bülfingers[8] in Ihrem schreiben auch gedencken, muß ich dabey berichten, daß Herr Bülfinger, da er en passant mich nicht, wie Prof. Hermann gethan, besuchet, vor einiger Zeit mit einem sehr obligeanten[9] Schreiben beehrt, und zur Correspondenz und Communication curieuxer Neuigkeiten mit der Petersburgl. Academie frl. invitiret. Daß E. HochEdlen seit dem Monath Martio her kein Schreiben von Mr.de l'Isle erhalten,[10] ist nicht lange, Herr Manfredius[11] in Bononien beklaget sich in seinem lezten Schreiben, das ich heute erhalten habe, wie allbereit 2 Jahr und darüber verflossen, daß Er keinen Brief von Mr. de l'Isle bekommen, man sollte dencken er hätte so viel zu thun, weil Er niemand schreibet, allein der Französische Hochmuth wird auch viel Schuld daran haben. Ausser diesem berichtet mich Herr Manfredius daß ein Tomus Scriptorum phys. med. et mathem. von Ihrer Academie zu Bononien allbereit im druck seye, und daß er nichts auf dem observatorio wegen des stäten trüben wetters zu thun ver-

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mögend seye.[12] Was noch übrig ist, bin ich vor die gütige communication verschiedener observationen obligirt, auch vor den zu verehrenden Societaet: Calender sehr verbunden: vor iv wochen habe mein collegium curiosorum, in welchem bey 800 Experimenta exhibiret, glücklich absolviret, in selbigen hat mir ein Studiosus der aus dem Leipziger Kreiß von Poenik[13] gebürtig gewesen, und hier schon 6 Jahr in einem Kauffmanns Hauß als Informator gedienet, Namens Zöllner, sehr wohl gedienet, da er ein vortrefflicher Mechanicus mit gewesen, und etliche Antlias pneumaticas und mehr andres gemacht, dieser hat sich vor dreyen wochen, da er immer ein Melancholicus gewesen, mit einem strick das leben genommen,[14] das mich in eine große Alteration gesezet, und mehr als der andern todt, die natürlich und ordentlich gewesen, afficiret. Mr Campione[15] der habile künstler von den Wettergläsern, der sich einige Zeit in Berlin aufgehalten, hat ihn gar wohl gekannt, welches ihm so er noch zugegen zu melden bitte. Gott bewahre jedermann vor Melancholischen Gedancken und harten unglücksfällen. Leztens wünsche bey dem bald anzutreffenden neuen Jahr wiederum allen meinen segen und alles neue wohlseyn von Herzen als der ich bin und verbleibe

      Ew. Hochedlen
Meines hochgeehrtesten Herrn

ergebenster Diener    
J G Doppelmayr mpp    


Fußnoten

  1. Kirchs Brief vom 25. November 1731 ist nicht überliefert.
  2. In früheren Briefen hatte Doppelmayr von seinem Magneten berichtet, der 13 Nürnberg Pfund zog.
  3. Eine "Magnets-Armirung" wird nach dem Universallexikon von Zedler (XIX, 1739, Sp. 405) "dasjenige Mittel genennet, wodurch ein Magnet in den Stand gesetzt wird, daß er eines Theils mehr erhalten kan, als wenn er bloß, und daß er andern Theils, wo nicht an seiner Stärcke vermehret wird, jedoch nicht so leichte etwas davon verlieret."
    Mittels Eisenstäben versuchte man damals die "Kraft des Magneten" zu stärken bzw. den Magnet zu "züchten".
  4. Georg Franck von Franckenau (1644-1704 ) war Leibarzt des dänischen Königs.
  5. Der niederländischer Mediziner und Naturwissenschaftler Pieter van Musschenbroek (1692-1761) hatte seit 1723 eine Professur in Utrecht.
  6. Magalotti, Lorenzo (1637-1712); Musschenbroek, Petrus van: Tentamina experimentorum naturalium captorum in Academia del Cimento. Leiden: Verbeek 1731.
  7. Der Mathematiker Jakob Hermann (1678-1733) hatte sich seit 1724 in St. Petersburg aufgehalten und besuchte 1731 auf seiner Rückreise in seine Heimatstadt Basel Doppelmayr in Nürnberg. Brief an Scheuchzer vom 17.04.1731.
  8. Georg Bernhard Bilfinger (1693-1750) war seit 1725 in St. Petersburg. 1731 kehrte er nach Tübingen zurück.
  9. obligeant (lateinisch-französischer Herkunft): gefällig, verbindlich.
  10. Auf seiner Reise von Paris nach St. Petersburg hatte Joseph-Nicolas Delisle (1688-1768) im Dezember 1725 Doppelmayr in Nürnberg besucht. Seitdem klagte Doppelmayr, dass er nur selten Briefe von ihm erhielt. Bereits im Brief an Kirch vom 20. September 1730 war er dabei ausfällig gegen Franzosen geworden, ähnlich äußerte er sich im Brief an Goldbach vom 24. November 1731.
  11. Eustachio Manfredi (1674-1739) war Direktor der Sternwarte in Bologna.
  12. De Bononiensi Scientiarum Et Artium Instituto Atque Academia Commentarii. Band 1, 1731.
    Vgl. den Brief von Manfredi an Doppelmayr vom 2. Dezember 1731.
  13. Gemeint ist Penig nordöstlich von Leipzig.
  14. Am 9. Juni 1724 schrieb sich Christoph Zöllner als Theologiestudent in Halle ein. Als Ortsangabe findet sich "Peniga Miscnicis", also Penig im Kreis Meißen. Ambrosius Wirth (1656-1723) war ein bedeutender Vertreter des Halleschen Pietismus, der ab Ende des 17. Jahrhunderts in Nürnberg wirkte. Sein Schwiegersohn Viktor Apelt wollte 1725, dass die Leichenpredigt auf Wirth in Halle gedruckt wird, wozu er anmerkte: "Herr Zöllner, stud. in Halle, ein Vetter des sel. Herrn, möge die Korrektur auf sich nehmen." Wirth stammte aus Wolkenburg, Penig liegt davon nur wenige Kilometer entfernt nordwestlich von Chemnitz. Die geographische Nähe der beiden Ortschaften lässt diese Verwandtschaftsbeziehung als sehr wahrscheinlich erscheinen, sie dürfte auch die Erklärung dafür sein, dass Zöllner 1725 oder 1726 (so die Angabe Doppelmayrs) nach Nürnberg ging, wo er als Hauslehrer arbeitete.

    Unmittelbar nach dem Tod Zöllners verfasste Johann Friedrich Riederer (1678-1734) ein längeres Gedicht, in dem er sich mit dessen Freitod auseinandersetzte. Riederer verdiente damals seinen Lebensunterhalt mit Sprachunterricht, bei ihm scheint Zöllner Englisch gelernt zu haben. Er stellt ihn als höflichen und wissbegierigen jungen Mann vor, der sich auch als Mechanicus betätigte:

    Bey schon geraumer Zeit hast du auf die Maschine,
    Die man Lufft=Pump nennt, besondern Fleiß gewandt:
    Bald kein Mechanicus gieng daran so schön und kühne,
    Ein neuer Guericke schien in dir angespannt.
    Was du an dieser hast, und andern mehr, poliret
    Das wurde ganz gewiß fürtrefflich angeführet.

    Erstmalig taucht bei Doppelmayr der Name von Zöllner im Brief vom 19. Oktober 1726 auf. Er bedankt sich darin bei dem Mathematikprofessor Johann Joachim Lange (1699-1765) aus Halle für ein Thermometer, das ihm Zöllner überbrachte. Das legt die Vermutung nahe, dass er damals erst nach Nürnberg kam. Im Brief vom 20. Dezember 1728 an Kirch sprach Doppelmayr dann von einem tüchtigen Gehilfen, er könnte hier schon Zöllner gemeint haben. Nach dem Gedicht von Riederer muss Zöllner auch mit Michael Adelbulner befreundet gewesen sein.

    Zöllner erhängte sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1731. Sein Tod löste einige theologische Streitigkeiten aus. Vgl. Dieselhorst 1953, S. 151-154; Simon 1954, S. 22f., 37

    - Beck, Christoph: Zur Einwirkung des Halleschen Pietismus auf das Erziehungswesen in Franken. Neustadt a.d. Aisch: Schmidt 1932, S. 25f.
    - Dieselhorst, Jürgen: Die Bestrafung der Selbstmörder im Territorium der Reichsstadt Nürnberg. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 44 (1953), S. 58-237
    - Grieb, Manfred: Nürnberger Künstlerlexikon, Band 3. München: Saur 2007, S. 1230f. (Riederer), 1689 (Wirth)
    - Juntke, Fritz: Matrikel der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Band 1: 1690-1730. Halle: Univ.- und Landesbibliothek 1960, S. 499
    - Riederer, Johann Friedrich: Bittere Klage / als ein geschickter Studiosus Philiosophiae, und getreuer Informator Einer vornehmen Jugend in Nürnberg / verwichenen Advents-Sonntag / Anno 1731. in der Nacht / vermuthlich wegen eines zarten Gewissens=Scrupels, welches dem Allmächtigen am besten bekandt ist! Wider aller Menschen Vermuthen, Zum größten Entsetzen derer / die seines freundlichen Umgangs genossen / sich selber erhaänget und verungluücket / ausgeschuüttet von dem Authore der Unvorgreifflichen Gedancken des unverantwortlichen Selbst-Mordes. Nürnberg 1731, Bl. )(5v.
    - Simon, Matthias: M. Jakob Schwindel. Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 23 (1954), S. 17-94
  15. Diese Person konnte bislang nicht näher identifiziert werden.