Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief Zum Original
Autor Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Empfänger Delisle, Josef-Nicolas (1688-1768)
Ort Nürnberg
Datum 1. März 1752
Signatur Bibliothèque de l'Observatoire de Paris: B1/6-214, Bl. 1r-4r
Transkription Hans Gaab, Fürth


Mein Herr !

Ist dieses nicht schon eine lange Zeit, daß ich Ihren Brief vom 18 Sept. 1751. unbeantwortet gelassen habe? Verzeyhen Sie mir diesen scheinbaren Fehler, der nicht aus reiner Nachlässigkeit, sondern aus Zwang entsprungen ist. Der Antritt meines Lehramtes[1]; meine weitläufige Kugelarbeit; verschiedene Hausgeschäffte, und endlich einige mir zugestoßene Unpäßlichkeiten, waren die Hinderniße, Ihnen wegen des Erfolges des Recommendations Schreibens an meine Obrigkeit in Unwissenheit zu lassen. Dieses Schreiben welches Sie mein Herr! an den Hl. von Volckamer[2], und an den Hl. von Ebner[3] gerichtet haben, ist am 2ten October mit dem meinigen in Nürnberg angekommen. Es wurde also bald an sein gehöriges Ort geliefert, und noch denselben Tag wurde es mir von dem Hl. von Volckamer zum durchlesen überschickt: mit dem Befehl, ich sollte meine Meynung schriftlich abfassen, und sie Ihme wieder mit dem Briefe zu zu stellen. Nach diesem bliebe diese Sache wiederum 14 Tage liegen, bis ich Befehl erhielte, an den ganzen hiesigen Rath ein Memorial abzufassen, und diese Vorstellungen mit festen Gründen zu unterstützen. Dieses wurde also am 15 October eingereichet[4], aber wegen überhäufter öffentlicher Geschäfte, erst am 3 November abgelesen worden. Den 4ten Nov. mußte ich mit unserm hiesigen Bauamtmann dem Hl. von Welser[5] auf den Turm[6] gehen, wohin das Observatorium gerichtet werden soll. Erstattete den andern Tag von unsere Abrede bey Rath den Bericht ab, und es wurde beschlossen künftiges Frühjahr den Bau an zu fangen: weil es jezo wegen der eingetrettenen kalten Witterung unmöglich ist, etwas zu unternehmen. So weit ist damals diese Sache gekommen. Ob nun schon die Gelegenheit mit dem Abt de la Caille übereinstimmende Beobachtungen zu machen, verschwunden ist[7]; so bleibt es doch für alle Zeit nüzlich, wenn wir hier ein gutes Observatorium erhalten. Denn auch selbst die alten Instrumenten werden weg geworffen, und an dessen Stelle neue geschaffet, weil sie eines theils gar sehr verdorben, überhaupts aber sehr dünne und biegsam sind, daß ich mir nicht getraue bewegliches daran zu machen.

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Mein Herr möchte gerne die Lage des Observatorii und meines Hauses, wie auch des jenigen von Wurzelbau[8], und das von Hl. Rath Franz[9] in unserer Stadt wissen. Ich habe einen Grundriß von Nürnberg beygeleget, darinnen Sie unser Häuser mit Carmin bedeckt, finden werden. Ein jedes ist mit einem rothen Buchstaben bezeichnet, und unten an dem Rande steht die dazu gehörige Erklärung. Die Mittagslinie habe ich durch mein Haus[10] gezogen, wie ich sie darinnen beyläuffig beobachtet habe. Und der zur Seite beygefügte Maas Stab ist durch eine mittelmäßige gemetrische Abmessung auf einer 1240 nürnbergischen Schuhe grosen Grundlinie bestimmt worden. Der Grundriß für sich betrachtet ist nichts mehr, doch dienet er zu dieser Absicht, weil es hier nicht auf Kleinigkeiten ankommt. Ich werde nächstens mit grossem Fleiss einen neuen verfertigen.

Die Doppelmayerischen Bücher habe ich alle zusammen gekauft, aber von seinen Papieren habe ich nichts als die Correspondenz erhalten können: weil das übrige von seinem einzigen Sohn[11] schon auf die Seite geschaffet und verworfen war, ehe ich Nachricht davon erhielte. Er hat auch schon die Bücher mit samt der Correspondenz der Universität Erlang[en] verkaufft gehabt, ehe er nach Nürnberg ging; denn er wohnet zu Hof im Margrafthum Bayreuth. Es hat eine viele Mühe gemacht, sie durch Vermittlung des hiesigen Magistrats zu erhalten. Denn dieser legte ihn bey gänzlichem Verlust seines noch habenden Bürgerrechtes auf, diese Sachen mir, als dem Nachfolger seines Vatters, zu verkaufen. Ich hatte mir einen großen Vorrath von astronomischen Beobachtungen vermuthet: der aber in Warheit sehr geringe ist. Doch sind einige gute und zur Astronomie nüzliche Stücke darunter. Die Eimmartischen Observationes werden immer noch zu theuer gehalten[12], als daß man sie kaufen könte. Und die Wurzelbaurischen habe ich mit aller meiner angewendeten Mühe noch

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nicht zu sehen bekommen können[13]. Ich werde aber diese beeden Stücke nicht entwischen lassen, wenn sie einst ihren Besitzern nicht mehr als so große Geheimnisse vorkommen werden.

Ist denn der Pariser Himmel eben so wie der hiesige schon seit October vorigen Jahres denen Observationen zu wieder? Wir haben hier seit dieser Zeit nicht eine recht heitere Nacht, noch viel weniger einen heiteren Tag gehabt, woran man etwas hätte wahrnehmen können. Wenn es überall so gewesen ist, so werden die letzten übereinstimmenden Beobachtungen mit des Abtes de la Caille seinen sehr rahr u. ihre Anzahl sehr geringe seyn. Es ist dieser heurige Herbst und Winter in unserer Gegend sehr merkenswürdig. Wenn mein Wetterverzeichniß des vorigen Jahres abgeschrieben wäre; so hätte ich es diesem Briefe beygelegt: welches ich aber bis auf die nächste Gelegenheit versparen muß; Eben bis dahin muß ich auch die Beschreibung meiner Instrumenten versparen, die ich Ihnen geben will; damit Sie daraus abnehmen können, wie weit meinen künftigen Beobachtungen zu trauen ist, die ich in meinem Hause halten werde. An statt der Mittagslinie, die Sie mir in dem vorigen Briefe angegeben hatten, hatte ich mir schon lange vorher an die äußere Mauer meines Hauses vor das Fenster ein 7 schuhiges Fernglaß mit Füßen eingemauert, welches nach dem α Orionis am Himmel gerichtet ist, der alle Tage 3 Stunden und 9 Minuten vor seiner Culmination durch das Fernglaß gehet. Es gehet auch das α der Schlange und noch sehr viele kleinere Sterne durch. In dem Brennpuncte des Fernglaßes ist ein Ring mit einem Stücklein Sackuhrfeder, das so aussiehet: [Skizze] angebracht, wo der * 53'' Zeit braucht bis er die Feder durchläuft.

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Diese beständigen Observationes geben mir die täglichen Ungleichheiten der Bewegung meiner Uhren zu erkennen: und ich kan lange Zeiten die correspondierenden Sonnenhöhen entbehren, die ich nur dann und wann, zur Untersuchung des wahren Mittags nöthig habe. Ich will mir jezt noch ein anderes Fernglaß auf einen anderen Parallel richten, auf dem sich mehrere Sterne befinden, u. der nicht gar weit von dem Aequatore entfernt ist.

Sie verlangen zu wissen, wie die Instrumenten beschaffen sind, die der Hl Prof. Mayer bey seinen Observ. gebraucht hat[14]. Diese kan ich mit etlichen Worten beschreiben: Es ist eine hölzerne parallaktische Maschine worauf ein 9 schuhiges Fernglaß liegt, in dessen Brennpuncte ein gläsernes mit parallel Linien überzogenes Micrometron stehet, das eben die Größe und Gestalt hat, welches er in dem I. Theil der cosmographischen Sammlungen unserer Gesellschaft, beschrieben hat. Neben diesen hat er einen kleinen Quadranten von 17 Zoll im Radio mit einem Fernglaß versehen zu correspondierenden Sonnenhöhen gebrauchet. Dieses alles waren außer einer Uhr seine Instrumenten, womit er in dem Hause des Hl Rath Franz seine Beobachtungen gehalten hat. Die Sonnenflecken Beobachtungen hat er in dem Hause mit mir gehalten, worinnen ich vor 1749 gewohnt habe.[15]

Sie mein Herr wollen auch von meinem Hl Schwager wissen, wie weit ich mit den großen Welt Kugeln gekommen bin? Hierauf kan ich Ihnen selbst antworten. Die mehresten Körper zu den Erdkugeln sind fertig: und

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ich bin über der Zurichtung der Erdkugel begriffen, die auch gar bald in dem Stande seyn wird, daß sie der Kupferstecher in die Arbeit bekommt. Solten diejenigen Segmenta fertig seyn, worauf Frankreich stehet, so werde ich sie Ihnen also bald übersenden, um theils eine Correctur, theils aber Ihr unpartheyisches Urtheil darüber zu erbitten. Es ist gewiß eine sehr schwere Arbeit, die mich in großen Schaden sezet, weil ich meine Ehre dadurch befördern will. Alle die geographischen Nachrichten zu vereinigen, die wenn sie zusammen gesezet werden, immer einander wiedersprechen wollen; das ist eine Arbeit, die ungemeine Zeit, Gedult und Unkosten erfordert. Niemand als ich kan es daher einsehen wie unrichtig es noch in der Geographie aussiehet. Es ist wahr: ich hätte diese Kugeln schon lange ausfertigen können. Allein wenn sie wiederum werden solten wie die vorigen waren, so würde meine Nachricht unter die Marckschreyereyen zu rechnen seyn: die mehr versprechen als sie halten können. Ich hoffe aber mehr zu leisten, als ich versprochen habe: ob sich gleich die Zeit ein wenig verlängert. Die Ursache dieser Verlängerung liegt aber auch in dem, daß sich die Subscribenten sehr langsam mit der Praenumeration eingefunden haben. Man mußte also warten, ob sich eine Anzahl finden wird, die uns endlich das Werk bezahlen, wenn ihre Kugeln eingeliefert werden. Wir haben aber dennoch angefangen, ohne diese Anzahl zu erwarten. Nun liegt es nur noch an

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den Catalogum der Fixsterne welchen der Doct. Bevis in Engelland herauszugeben unternommen hat[16]. Sobald ich ihn bekomme wird auch die Zurichtung der Himmelskugel ihren Anfang erfaren. Unterdessen werden doch die Träger zu den Himmelskugeln fertig. Die Zeit gebietet mir abzu brechen. Ich will nur noch sagen, daß ich meine Einladungs Schrift zu meiner lezthin gehaltenen Antritts Rede meinem Hl Schwager übergeben habe, der sie an Ihnen übermachen wird. Sie enthält die Beschreibung eines Quadrantens, worüber ich mir dero Urtheil ausbitte[17].

Weil es mir jezt unmöglich ist die ganze Observation der Bedeckung des δ ♏ am 13 Aprill vorigen Jahres abzuschreiben, in dem die Liste mit der dieser Brief abgehen soll, zu geschlossen wird, so will ich nur das nothwendigste mittheilen.

Den 13 April 1751 um 10 Uhr 54.' 23½'' wahrer Zeit trat das δ ♏ zwischen dem Cavalerius und Cardanus[18] hinter dem halben ☽ stand. und um 12 Uhr 7.' 7'' kam dieser Stern in der Linie die aus dem Centro ☽ae durch die Mitte des Cassischen Meeres gehet, an deren dunklen Rande wiederum zum Vorschein.

Nächsten werde ich mit einem andern Schreiben aufwarten, worinnen ich astronomisch u. physicalisch

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werden will. Den 7 October um 10.h 58.' 3.'' trat der III. Jupiters Trabant in den Schatten, oder besser, ich sahe ihn mit dem 14 Pariser schuhigen Fernglaß nicht mehr: da wie schon 2 Minuten vorher der Abgang seines Lichtes merklich war.

Inzwischen empfehle ich mich in dero beständige Wohlgewogenheit, und verbleibe Zeit Lebens

Meines Hochzuehrenden Herrns

Nürnberg den 1. Merz
1752.

gehorsamster diener

Georg Moriz Lowitz
M. P. P.

P.S. Dieser Tagen werde ich das Observatorium bey einem hiesigen Magistrat wiederum in das Andencken bringen.


Fußnoten

  1. Der Vorgänger von Lowitz am Egidiengymnasium, Johann Gabriel Doppelmayr (1677-1750) war am 1. Dezember 1750 gestorben. Im März 1751 wurden Lowitz dessen Amtsgeschäfte als Mathematikprofessor und Direktor der Sternwarte übertragen.
  2. Christoph Gottlieb Volckamer (1676-1752) war Baumeister in Nürnberg und seit 1745 vorderster Losunger. Er hatte wie Doppelmayr unter Johann Christoph Sturm (1635-1703) in Altdorf studiert. Er starb am 23. November 1752, womit Lowitz nach Ebner (siehe die folgende Fussnote) einen wichtigen Förderer verlor.
  3. Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach (1673-1752) war ein einflußreicher Nürnberger Staatsmann, der sich um die Einrichtung der Nürnberger Archive verdient gemacht hat. Zudem machte er die reichhaltige Familienbibliothek der Forschung zugänglich. Er war aber bereits am 26. Januar 1752 gestorben, womit Lowitz einen wichtigen Förderer bei seinem Vorhaben eines Neuaufbaus der Sternwarte verlor.
  4. Dieses Memorial hat sich im Stadtarchiv Nürnberg erhalten: B 1 | II Nr. 1883, darin Nr. 1.
  5. Christoph Carl Welser von Neunhof (1690-1756) überwachte von 1736 bis 1756 als Ratsbaumeister die Bauvorhaben der Stadt. Vgl. Grieb, Manfred: Nürnberger Künstlerlexikon. München: Sauer 2007, Band III, 2007, S. 1651.
  6. Es handelt sich um den sog. Heidenturm der Nürnberger Burg.
  7. Der Abt Nicolas-Louis de Lacaille (1713-1762) reiste 1750 ans Kap der guten Hoffung. Über gleichzeitige Vermessungen von dort und in Europa versuchte man die Parallaxe des Mondes sowie von Venus und Mars genauer zu bestimmen.
  8. Johann Philipp von Wurzelbau (1651-1725) war zu seiner Zeit einer der bekanntesten Astronomen in Nürnberg.
  9. Johann Michael Franz (1700-1761) war Mitbesitzer der Homännischen Landkartenofficin.
  10. Lowitz wohnte im Toplerhaus, das auch als "Schlößlein am Ponersberge" (= Paniersplatz) bekannt war. Es wurde im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört und durch einen vergleichsweise schmucklosen Neubau ersetzt. Die heutige Adresse wäre Untere Söldnersgasse 17.
  11. Doppelmayrs einziger überlebender Sohn Johann Siegmund (1720-1758) war Apotheker in Hof.
  12. Die Eimmartschen Observationen kamen nach dessen Tod in den Besitz seines Schwiegersohns Johann Heinrich Müller (1670-1730), der sie mit nach Altdorf genommen hatte. Nach Müllers Tod gingen sie an seine zweite Ehefrau Apollonia Lochner (?-1755) über. In einem Brief an Delisle bezeichnete sie Johann Michael Franz als "sehr eigenwillige Frau [...], die nur von den 1000 Gulden für diesen vermeintlichen Schatz spricht" [Brief an Delisle vom 18. August 1748, Observatorium Paris/Meudon: B1/4-177, Bl. 1v]. Dieser 57 Bände umfassende Nachlass befindet sich heute in der Nationalbibliothek in St. Petersburg.
  13. Wurzelbau hinterließ umfangreiche Beobachtungen, darunter sollen sich allein 6000 Bestimmungen von Sonnenhöhen befunden haben. Wie aus Briefen von Johann Leonhard Rost (1688-1727) hervorgeht, versuchten nach Wurzelbaus Tod seine Erben den Nachlass möichst teuer zu verkaufen und gingen dabei nicht sorgsam mit dessen Instrumenten um. Die Beobachtungen sind seither verschwunden.
  14. Tobias Mayer (1723-1762) war Mitarbeiter im Homannschen Landkartenofficin, bis er 1751 nach Göttingen wechselte. Sein Fernrohr,das er zu seinen Mondvermessungen benutzte, hat später Georg Friedrich Kordenbusch (1731-1802) in seiner Neuausgabe von Rosts Handbuch abgebildet.
  15. Wie der beigefügten Karte zu entnehmen, wohnte Lowitz bis 1749 am nördlichen Ende der Straße "beym Weitzebreyhauß", die heutige Adresse wäre Obere Kreuzgasse 1.
  16. John Bevis (1695-1771) war ein englischer Amateurastronom. Sein geplanter Atlas kam aber nie heraus, da sein Verleger pleite ging.
  17. Lowitz, Georg Moritz: Beschreibung eines Quadrantens der zur Sternkunde und zu den Erdmessungen brauchbar ist: nebst der Einladung eine feyerliche Rede anzuhören, womit das öffentliche und ordentliche Lehr-Amt der mathematischen und astronomischen Wissenschaften antretten wird. Nürnberg 1752 [SLUB Dresden].
  18. Cavalerius und Cardanus sind Krater am westlichen Mondrand.